Zur Rubrik "Bewegte Bilder"
Kommentieren
Zur Hauptseite
Zur Hauptseite
Worum's geht...
Musikmacher
Hören
Lesen
Anderes

FAMILIE HEINZ BECKER - "ALLE JAHRE WIEDER"

D 1994 / Regie: Marco Serafini
Darsteller: Gerd Dudenhöffer, Alice Hoffmann, Gregor Weber
Erhältlich auf DVD (einzeln und in Staffelbox 3)
Bildformat: 1,33:1 (4:3)
Bonusmaterial: Making-of

Das ist deutsches Kulturgut: Familie Heinz Becker. Der allwissende Spießer aus dem Saarland, seine intellektuell etwas schlichte Ehefrau Hilde und der teils renitente, teils resignierende Sohn Stefan. Die Qualität der einzelnen Staffeln (sieben waren es zwischen 1992 und 2003) schwankte allerdings stark, was auch an der wechselnden Besetzung lag. Die "klassische" und unter den Fans beliebteste dürfte das Line-up mit Gerd Dudenhöffer, Alice Hoffmann und Stefan Weber (der später im saarländischen "Tatort" zu sehen war) gewesen sein.

"Alle Jahre wieder", erstmals im Sommer 1994 gesendet, hat mittlerweile fast schon eine Art Status wie "Dinner for One" erreicht und wird jährlich in den Dritten Programmen an Weihnachten wiederholt. Die beste Episode aus Staffel 3 ist diese Folge nicht, dieser Ehrentitel geht an "Einschließlich Heinz", aber der altbekannte Weihnachtswahnsinn wird hier schon sehr gut getroffen. Nervenkrieg unter deutschen Dächern ....

Alles beginnt um den ersten Advent herum, es folgt der Countdown in den alljährlichen Irrsinn: Heinz repariert den Adventskranz, Hilde beginnt mit Backvorbereitungen. Natürlich werden diese vom Göttergatten prompt sabotiert, indem er ungefragt den richtig eingestellten Backofen höher dreht und so das empfindliche Naschwerk aus leichtem Mürbeteig dem unvermeidlichen Hitzetod preisgibt. Hildes Nervenkostüm ist hier schon leicht angeschlagen, doch Heinz, der menschliche Bulldozer, schlägt weitere Schneisen der Verwüstung.

In einem Strudel aus verzweifeltem Bemühen um Besinnlichkeit und gleichzeitig hochkochender Hektik wird der Baum im Wohnzimmer zurechtgesäbelt und geschmückt, werden Teile des Mobiliars demoliert und die Planung für das Essen vor der Bescherung gerät zur Belastungsprobe, obwohl die Beckers ja vermutlich - wie sich das gehört - jedes Jahr sowieso das gleiche Gala-Diner auffahren: Würstchen mit Kartoffelsalat, das Luxusmenü für den verwöhnten Gaumen. Heinz ist da schon kurz vor dem Siedepunkt. Irgendwann wird der Vulkan ausbrechen ...

Ja, da kann man sich und seine Lieben wirklich wiedererkennen! Wenn man ehrlich ist, stellen Feiertage im Kreise der Familie die ideale Brutstätte für lang unterdrückte Konflikte dar. Emotionaler Stress, persönliche Animositäten, dazu eine durch die Umwelt permanent aufgedrängte Überdosis Weihnachts-Dauerfeuer. Wer einmal in einer deutschen Großstadt in der U-Bahn zwischen Legionen von hektischen Weihnachtsmarkt-Besuchern eingekeilt war, der versteht, warum manche Menschen zu Massenmordphantasien neigen.

Bei den Beckers entwickelt sich die Bescherung zum Desaster: Heinz tritt aus Versehen Weinbrandbohnen in den Teppich, zerreißt Stefans Buch über die Bundesliga, pflegt gewohnt charmanten Kontakt zu seiner holden Gattin ("Hopp, hol die Weingläser!") und hat einen krönenden Auftritt, als Hilde einen obszönen Anruf entgegennimmt und er unmittelbar danach beim nächsten Klingeln beherzt "Sau!" in den Hörer bellt - dummerweise ist diesmal allerdings die Verwandtschaft am Telefon. Doch der Höhepunkt des Abends steht erst noch bevor: Bei einem Gläschen Sekt droht beinahe die befürchtete besinnliche Stimmung aufzukommen, als ein hitziger Disput die Raumtemperatur nach oben treibt. Anlass für den innerfamiliären Bürgerkrieg ist die Frage, ob im Hause Becker eine "Christbaumspitz" existiert, Heinz sie kaputtgemacht hat oder ob sie überhaupt schon einmal zum Einsatz kam ...

Im Handel gibt es die Weihnachtsfolge als Teil der dritten Staffel oder als Einzel-DVD für schlanke 5 Euro, wobei das Making-of im Bonusmaterial der Scheibe zu einem späteren Zeitpunkt entstand, als Sabine Urig schon die Rolle der Hilde spielte. Immerhin bekommt man noch den Wechsel der Stefan-Besetzung von Gregor Weber zu Andreas Gergen mit, der in der Zwischenzeit eine beachtliche Karriere als Opern- und Musicalregisseur hingelegt hat. "Alle Jahre wieder" gehört zum deutschen TV-Kanon, ebenso wie das erwähnte "Dinner for One" oder die Folge von "Ein Herz und eine Seele", in der Ekel Alfred zum Jahresabschluss seinen ganz speziellen Punsch zubereitet. Somit gehört die DVD eigentlich in jeden kulturbewussten deutschen Haushalt, und sei es nur, um sich beim Anschauen gegenseitig zu versichern, dass es bei einem selbst nicht so zugeht und "wir" natürlich ganz anders sind …

- Stefan - 12/2012 (verfasst am Tag vor dem Weltuntergang)