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AYREON - "The Universal Migrator", Part I & II
Part I: "The Dream Sequencer"; Part II: "Flight Of The Migrator"

ayreon - the universal migrator Arjen Lucassen ist wirklich ein Zentralgestirn des Musikkosmos.
Nicht nur, weil er es wiederholt geschafft hat, ein elitäres Ensemble an Sängern, Sängerinnen und Musikern für seine Sound-Vision anzuheuern und diese dann auf geniale Weise in seine universellen Konzeptalben zu integrieren. Er schafft es zudem, das ganze weder zu überfrachtet noch zu gewollt proggy klingen zu lassen. Die Kompositionen sind trotz ihrer Ausgetüfteltheit einheitlich und fließend, die jederzeit hochmelodische Virtuosität der Keybords und Gitarren ist begeisternd, anspruchsvoll und doch leicht les- und nachvollziehbar sind die Science-Fantasy-Lyriks.
Unglaublich, daß der Typ angeblich noch nie ein Buch gelesen hat...
Aber o.k., das braucht er auch nicht, wenn er weiterhin solche Gesamtkunstwerke abliefert.
Die Story von "The Universal Migrator" hat es wahrhaft in sich, Wissenschaft und Fantasie geben sich die Hand. Arjen hat tatsächlich einen der besten Sciencefictionfilme gemacht - 'nur' ohne Bilder... und ohne die üblichen Alienklischees und monströsen Materialschlachten. (nebenbei: bis auf die wirklich göttliche Star Trek - Next Generation und teilweise Voyager/DS 9 kann ich mir diese so called Sci-Fi/Mystery-Serien nicht antun. Die Filme Odyssee 2001 und 2010 bleiben unerreicht)

Ferne Zukunft, Menschen haben den Mars kolonisiert. Doch der Nachschub an Lebensmitteln bleibt irgendwann aus, weil die Menschheit inzwischen die Erde und sich vernichtet hat. Der letzte überlebende Mensch auf der Mars-Kolonie begibt sich, dem Tode geweiht, in den Dream Sequencer, einer Holodeck-ähnlichen (remember Star Trek Next Generation) Maschine. Die Träume, Erinnerungen und Lebensfilme, welche er dort (wieder)erlebt werden durch die Texte und die dramatisch bis schwerelos inszenierte Musik vermittelt. Und durch die vorzüglichen Cover- und Booklet-Artworks, welche für sich schon den Kaufpreis wert sind und mich ein striktes Kopierverbot aussprechen lassen. Diese Kunstwerke sind wertvoller als Geld, jedenfalls wüßte ich nicht, wie man Geld besser investieren könnte. Also bitte kaufen: um die Kosmos-Bilder zu bewundern, die Texte nach dem Musikgenuß zu lesen, um das ganze Projekt zu unterstützen. Es ist für die Ewigkeit komponiert und beinhaltet alles, was die Musik so göttlich macht.

Part I: "The Dream Sequencer"

ayreon - the universal migratorEin wirklich cooles Intro, eine Frauenstimme gibt letzte Anweisungen, das Reise-Programm beginnt, mit ruhigem, Floyd-mäßigem Gitarrenspiel, gemächlich übergehend in das leicht suizidal-schwermütige, von Johan Edlund (Tiamat)und einer Anneke-artigen Sängerin genial intonierte "My House On Mars". Ein absloluter Überflieger gleich zu Beginn.
Eine finstere Überleitung, dann erscheint die mir bisher nur namentlich bekannte Lana Lane bei "2084" am Start. Ein schön düsterer Track, mit einem sich immer weiter ausbreitenden Refrain...shit, ich muß mir wohl doch bald ein Album von dieser Gesangsgöttin zulegen..."before I start my voyage to the stars...".
Es folgen zwei weitere zirka achtminütige Epen mit ausufernden Instrumentalparts und mehrstimmigen Gesangsharmonien, lyrisch pure Fantasietrips, nicht immer nachvollziehbare, aber angenehme Träume bzw. Erinnerungen. Bei "One Small Step" an ein Kindheitserlebnis (erste Mondlandung), bei "The Shooting Company Of Captain Frans B. Cocq"(...) wohl an eine frühere Inkarnation. "Dragon On The Sea" ist das erste etwas gewöhnungsbedürftige Stück, und erneut ist es Fr. Lane, die hier stimmlich bis an die Grenzen des Möglichen gehen darf, dabei aber nicht mehr so mystisch klingt wie bei "2084". Trotzdem ein guter Song. Wirklich strange wird's bei "Temple Of The Cat"; äußerst ungewöhnliche Melodien, irgendwie reizvoll, läuft mir aber nicht so rein. Meiner Meinung nach der einzige Song, den man nicht bei jedem Durchflug anhören muß.
Was soll's, wenn daraufhin mit "Carried By The Wind" ein mitreißender, Irishfolk-beeinflußter Kracher folgt. Von Ayreon-Arjen selbst eingesungen gehört "Carried By The Wind" auch zu den lyrischen Highlights dieses Werkes. "...out here on Mars I now realise, mankind has vanished, tears fill my eyes, there must be a world I can live in, my spirit will find it, carried by the wind...".
"And The Druids Turn To Stone" ist dann sehr ruhig und atmosphärisch, von Damian Wilson's Stimme bilderreich rübergebracht und textlich hochinteressant.
So auch "The First Man On Earth": der letzte Traum im Dream Sequencer handelt davon, wie der erste Mensch sich 50.000 v.Chr. gefühlt haben mag. O.k., solche Melodien hatte der damals sicher noch nicht im Kopf, aber im Dream Sequencer-Holodeck-Programm ist ja alles möglich, und den Begriff 'Zeit' gibt es da gar nicht. Auf Erden leider doch, und so ist nach einem besinnlichen, Kreis-schließenden Outro die erste Akustik-reise beendet. Ein stilistisch nicht einzuordnendes Meisterwerk; was will er jetzt noch bringen ? Das ist eigentlich untoppable... dachte ich für einige Wochen, aber das "heavy progressive adventure through time and space"...

ayreon - the universal migrator

Part II: "Flight Of The Migrator"

...ist ein unglaubliches Wegschickungs-Album, melodischer Art/Symphonic-Metal mit Gütesiegel, musikalisch wie soundtechnisch up to date und out of time zugleich.
Immer noch befindet sich der letzte überlebende Mensch in der Dream Sequencer-Konstruktion, und diesesmal wählt er das Programm 'Ursprung und Geheimnisse des Universums'. Passenderweise ist der heftige Instrumentalauftakt mit "Chaos" betitelt. Mit dem episch-brillianten "Dawn Of A Million Souls" folgt einer dieser 'best of all times'-Songs, rollende Bässe, hinwegtragende Gitarrenriffs- und soli, bravouröse, überweltliche Leistung von Symphony X -Götterstimme 'Sir' Russ Allen, das alles grandios inszeniert von Arjen, der sicherlich auch von der Black Sabbath mit Tony Martin-Ära inspiriert wurde. Überwältigend.
ayreon - the universal migratorÜberweltigend auch die geradezu euphorischen Keybordleads und mitreißenden Melodien von "Journey On The Waves Of Time". Da kann man sich nicht satthören, ebenso wie bei "To The Quasar", wo nach einem etwas sperrigen Beginn und einem Violinenübergang ein ultrageiles Metalriffing wie ein Komet einschlägt. Strophe und Refrain sind absolut genial, toll eingesungen von Andi Deris.
Bis jetzt also nur totale Highlights, das kann nicht so weitergehen... es kann doch, denn "Into The Black Hole" würdigt dieses unerforschte kosmische Phänomen mit tonnenschweren Riffs, wahnwitzigen Keybords, unheimlich düsteren Lyriks und dem grandiosen Gesang von Bruce Dickinson, der im finalen Chorus von Lana Lane durch das letzte Tor begleitet wird. "The Eye Of The Universe", "Halo Of Darkness", "The Final Door", so die Untertitel dieser Schwerstmetalloper. Was für ein Trip, ich empfehle erstmal die Pausentaste des CD-Players zu drücken, durchzuschnaufen, die Lebenserhaltungssysteme auf ihre Funktionsfähigkeit zu prüfen... Flatline ...aber egal, der Geist träumt...und erinnert sich 'automatisch' an atmosphärisch ähnliche Klassiker: "Into The Everflow" von Psychotic Waltz, "The Hanging Tree" von Arena, "The Sign Of The Southern Cross", "When Death Calls", "Eternal Idol" und andere Black Sabbath-Epics...doch es ist schon einzigartig, was Arjen hier komponiert hat. Und es hat, bei aller Dunkelheit, irgendwie auch etwas von Erlösung, im Sinne von: wer hier durch ist, erreicht die Unsterblichkeit! Schließlich ist selbst die "Krone der Dunkelheit" nur ein Durchgang, ein Tor zu einer anderen Galaxie. Es geht weiter...mit den fetzigen, fast schon fröhlichen Akkorden von "Through The Wormhole". Ein Rhapsody-Album würde ich mir jetzt aufgrund des Sängers nicht sofort kaufen, aber er ist okay, der Song steigert sich mit jedem Durchflug, und die Soloparts killen. Gleiches gilt für den nächsten, relativ simples Anfangsriff (das ziemlich bekannt vorkommt...), einige Breaks, Soli, dann eine vortreffliche Steigerung mit fantastischen Gesangslinien des Stratovarius-Shouters beim Untertitel "Planet Y".
Mit "To The Solar System" wird schließlich schon das Finish eingeläutet; die Rückkehr ins eigene, ursprüngliche Sonnensystem.
Doch leider ist die Energie des Dream Sequencers nicht endlos, und so stirbt der letzte Mensch innerhalb dieser Weltraum-Maschine auf dem Mars. Kann dies das Ende sein?.....................................
Stille. Trommelwirbel. Ein Übergangs-Chor... dann eine Klassiksequenz, welche ein wenig an das Ende des ebenfalls überirdischen "Carved In Stone"-Epos von Shadow Gallery erinnert; nur kommt hier im Anschluß noch ein Speedmetalfeuerwerk mit klasse Melodien und Lyriks, die letztendlich doch auf eine Art Happy End hinweisen: "Sleeper Awake...your body is dead not your mind...sleeper awake, come alive, our spirits they can never die...the body frees the soul and mind...sleeper awake there's a world waiting for you to find!"

ayreon - the universal migrator

Dem bleibt eigentlich nichts hinzuzufügen. Dennoch muß es sein, irgendein Schlußwort zu diesem, tja, Jahrtausendwerk. Daß es mit zum besten gehört, was jemals an Musik ausgedacht, geschrieben und verwirklicht wurde. Daß Arjen und alle mitwirkenden Künstler sich damit endgültig ihren Thron im Olymp der Musikgötter gesichert haben.
Und daß im unumgänglichen Vergleich mit "Into The Electric Castle" festgestellt wird: "The Dream Sequencer" hält das Niveau, "Flight Of The Migrator" übertrifft es unfaßbarerweise sogar noch. Es stellt sich mal wieder die Frage: was kann er jetzt noch machen? Wie konnte er überhaupt so etwas erschaffen? Wie kann ein Mensch so kreativ sein?
Er nimmt weder Alkohol noch andere Drogen, raucht nicht mal Gras - und das als Holländer...(aber er findet es gut, daß der Hanfkonsum in seinem Heimatland erlaubt ist wie in anderen Ländern Bier oder Wein). Damit beweist er, daß keine psychoaktiven Pflanzen nötig sind um die Kreativität zu fördern.
Sicherlich gibt es da auch Gegenbeispiele, doch letztlich ist es der Kunst an sich egal, wie sie erschaffen wird. Arjen braucht keine leicht berauschenden Hilfsmittel, er joggt einfach durch den Wald und läßt die dadurch freigesetzten körpereigenen Substanzen wirken, zieht sich Energie und Inspiration direkt aus der Natur. Welche ja leider Gottes immer mehr zerstört wird. Ab sofort dürfte kein Baum mehr gefällt, kein Fluß mehr vergiftet werden, von den anderen menschlichen Greueltaten ganz zu schweigen. Etwas mehr Achtung vor der Natur, vor allen Pflanzen und Tieren, scheint zuviel verlangt zu sein.
Letztendlich muß/darf jeder seinen eigenen (möglichst friedfertigen) Lebensfilm drehen. Und dieser wird durch solche Kunstwerke wie "The Universal Migrator" nur bereichert. Dabei ist es auch völlig egal, ob es hundert oder hunderttausende von Hörerseelen anspricht. "Join Me In Death" war ja auch zurecht ein Megahit, und wer sich eine CD nicht kauft eben weil sie in allen Magazinen mit der Höchstnote abgesegnet wurde ist selbst schuld. Na ja, irgendwo ist es auch verständlich, bei diesem Overflow an Veröffentlichungen...aber die neuen Ayreon-Werke sind einfach absoluter Pflichtzug für alle Heavy/Artrockfans dieses Sonnensystems...oder wo auch immer...
Denn ich glaube, daß jede wirkliche, von der Seele kommende Musik eine immaterielle Brücke zu jener unbeschreiblichen Ewigkeit darstellt, welche nicht mehr an Zeit und Raum gebunden ist. Sie existiert in jeder Musikhörseele ebenso wie in den unsichtbaren, überweltlichen Sphären, und ich glaube, daß wir dort einst Zugang auch zu all jenen aus Zeit-gründen nichtgehörten Musiken haben werden. Dennoch sollten wir uns schon auf Erden um die Verinnerlichung und Verewigung von Musik, von Kunst, überhaupt von allem was liebens-wert ist bemühen; um das Alltagsleben besser ertragen zu können, um die Zeit gut zu verbringen, um des Welt- und Seelenfriedens willen!
"...oh I can see forever, on the wings of dreams I fly, is this real or is it just a fantasy, what awaits me now at the end of this ride?"
Doch was heißt hier "nur" Fantasie...durch sie werden solche Werke ja überhaupt erst möglich, und sie ermöglicht es uns Hörern ja erst, solcher Musik und solchen Lyriks zu folgen, mit jeder CD von neuem ein akustisch-lyrisches Labyrinth zu erforschen!
Bei einem evolutionären Höhepunkt der Progheavyrock-Musikgeschichte wie diesem sollte ein mehrfaches Lesen der Texte -nach dem Musikhören- selbstverständlich sein. Inbesondere bei Part 2 "Flight Of The Migrator" sind sie trotz Abgespacedheit gut verständliche Cosmic Science-Fantasy, die Weite des Universums zugänglich machend wie kein mir bekanntes Album zuvor. A Soundspace Odyssee 2000/2001, ab sofort in ihrem inneren, persönlichen Breitleinwandkino.
("...aber Dave, du solltest nicht deine gesamte Zeit unter dem Kopfhörer verbringen und diese CDs hören. Du vernachlässigst die Wartung der Discovery, und wir haben auch schon lange kein Schach mehr gespielt...hörst du mit überhaupt zu, Dave? Wir sollten wirklich erst den Jupiter erforschen bevor wir uns in andere Galaxien begeben, meinst du nicht, Dave? Es hieß doch 'Jupiter...und dahinter die Unendlichkeit' ...wir fliegen jetzt durch einen faszinierenden Farbentunnel...das solltest du dir nicht entgehen lassen, Dave...dieser mysteriöse Monolith ist voller Sterne...")

- Eddi - 12/03

Nachtrag: Kaum daß dieses Review abgeschlossen ist taucht schon der nächste glitzernde Stern am Musikfirmament auf...und fordert eine ebenso ausführliche Besprechung. Demnächst also mehr zum Symphony X - Ewigkeitswerk "The New Mythology Suite".
Wer auf weltüberragenden, melodiösen Progressive-Metal abfliegt und nicht bis zum Herbst 2001 warten will kauft das Album natürlich schon jetzt.