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Heikos Bücherliste - Erstes Quartal 2004

Die Wertung gleicht der Einfachheit halber wieder einmal der bei den Movies, zur Orientierung vorangestellt abermals der dazugehörige sternige Bewertungsschlüssel...

* - miserabel
** - akzeptabel
*** - gut!
**** - sehr gut!!
***** - außerordentlich gut!!!
****** - absolut großartig, fantastisch, begeisternd!!!!!!!

 

"Die triftigste Frage,
die über ein Buch gestellt werden kann,
ist die,
ob es jemals einer menschlichen Seele geholfen hat."

- Walt Whitman -

 

Ronald M. Hahn, Volker Jansen - "Die 100 Besten Kultfilme"
Dieter Krusche - "Reclams Filmführer"
Martin Büsser - "Popmusik"
Wolfgang Rumpf - "Stairway To Heaven
- Kleine Geschichte der Popmusik von Rock´n´Roll bis Techno"
Nick Hornby - "31 Songs"
Dean R. Koontz - "Das Versteck"
Joolz Denby - "Im Herzen Die Dunkelheit"
Wladimir Kaminer - "Mein Deutsches Dschungelbuch"
Stephen King - "Dreamcatcher"
Margaret Atwood - "Oryx Und Crake"
Henning Mankell - "Der Chronist Der Winde"
Diverse Autoren - "40 Jahre Fußball-Bundesliga"
Nick Hornby - "Fever Pitch"

 

Ronald M. Hahn, Volker Jansen - "Die 100 Besten Kultfilme"

Dies Sachbuch entpuppt sich bei näherer Betrachtung als exakt den vom Titel evozierten Vorstellungen entsprechend; also brauchte ich im Grunde kaum etwas dazu zu sagen. Sachlich, aber zugleich packend, anschaulich und durchaus nicht unkritisch werden Filme vorgestellt, welche, jeder auf seine ganz spezielle Art, unsterblich wurden und von einem eingeschworenen Fankreis dauerhafte, kultische Verehrung erfahren. Aufzählungen dürften überflüssig sein. Viele der aufgeführten Werke erwartet man in so einem Buch vorzufinden, einige sind eher überraschend beziehungsweise bislang unbekannt und einige wenige wie "Rattennest" oder "Deep Throat" hätte man vielleicht lieber durch andere ersetzt gesehen. Zumal manch wirklich essentielle und ausgewiesen beständige, ja, für eine solche Zusammenstellung geradezu zwingende Produktionen fehlen. Nicht weiter verwunderlich, denn selbst die auf 100 begrenzte Auswahl bringt es bereits auf schlappe 680, selbstredend auch ordentlich bebilderte Seiten. Es dürfte da sowieso ein jeder seine eigenen Favoriten haben. Durch die Lektüre angeregt fing ich spaßeshalber an, Filme, die es ob ihres Status genauso berechtigt in eine solche Publikation hätten schaffen können, so, wie sie mir gerade in den Sinn kamen, über mehrere Tage hinweg sukzessive auf einen Zettel zu kritzeln. Es wurden schätzungsweise mehr als siebzig... Beispiele: Der Pate, Alien, Der Clou, Omen, The Crying Game, Nur Samstag Nacht, Forrest Gump, Der Mit Dem Wolf Tanzt, China Town, The Wild One, Léon, Die Klapperschlange und und und... - ha!, vielleicht sollte ich versuchen, selbst mal so ein Buch zusammen zu schustern...!
Nur gut, daß ich meine Grenzen kenne...

...oder "Night On Earth", "Harold und Maude", "Fight Club", "Night Of The Living Dead", die "Rosaroter Panther"-Filme mit Peter Sellers, die "Planet der Affen"-Filme aus den 60ern und 70ern, "Akira", "Bis das Blut gefriert" (dämlicher deutscher Titel von "The Haunting", 1963; einer der beängstigendsten Filme, die ich kenne. Das Remake Ende der 90er unter dem Titel "Das Geisterschloss" konnte da nicht mithalten) ...
- Martin -

So glänzend wie geschrieben wurde das Material auch recherchiert. Dies zeigt sich indikativ alleine schon an den in ein paar Fällen vorkommenden Anmerkungen zu schlampig ausgeführten Synchronisationen.
Beide Autoren zeichnen ebenfalls für fette Lexika über Science Fiction-, Fantasy- und Horror-Filme verantwortlich, welche allerdings, neben den üblichen personellen Daten und einem ob der großen Anzahl im Gesamtüberblick notwendigerweise nur ganz kurz umrissenen Plot, und im Gegensatz zu diesem hier vorgestellten 1998 erschienenen Buch, für den durchschnittlichen, laienhaften Interessenten eigentlich keine weiterführenden gehaltvollen Ausführungen bieten.
Aber das hier ... das war halt mal wieder so ein Schmöker gewesen, der einen für mindestens drei Tage fieberhaften Lesegenußes nicht mehr losließ...!

*****(*)

Als Nachtrag zum Thema zwei unbedeutende Erinnerungsfetzen:

>>> Der bedeutendste, größte und Prototyp aller sogenannter Kultfilme dürfte ohne Zweifel die Rocky Horror Picture Show sein. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ein paar Freunde und ich Anfang der 90er deren Mythos auf den Grund zu gehen trachteten und sie uns gemeinsam im Fernsehen ansahen - und brauche wohl nicht eigens zu betonen, daß wir alle den Streifen so richtig schön scheiße fanden... Heute sähe ich das bestimmt etwas lässiger, humorvoller, differenzierter, damals wurde ich von dem schrillen, grellen Musical verwirrt und ratlos zurück gelassen. Wahrscheinlich versteht man die anhaltende Faszination der Rocky Horror Picture Show am ehesten, wenn man sich eine Vorstellung im Kino ansieht und der rituelle Charakter durch die anderen Besucher, die bei jeder Szene mitgehenden, sich einbringenden, teilnehmenden eingefleischten Fans veranschaulicht wird.

Die Rocky Horror Picture Show find' ich ja nach wie vor so richtig schön scheiße. Mir hat sich bis heute nicht erschlossen, was daran "Kult" sein soll. Ist die Fernsehübertragung des Mainzer Karnevals Kult? Eben. Völlig daneben sind zudem Interpretationen, die in dem Film bzw. dem Musical etwas "Rebellisches" oder "Schräges" sehen wollen. Dann müßte man "American Pie I - X" auch Systemkritik attestieren, denn das ist die gleiche Ebene, nur halt 20 Jahre später.
Aber, Heiko, hast du von notorischen Spaßbremsen wie mir einen anderen Kommentar erwartet?
- Martin -

>>> Dann fällt mir noch der Film Westworld ein, irgendwie ebenfalls ein kleiner Kultfilm. Ich war vielleicht neun, zehn, höchstens elf Jahre alt und setzte durch, ihn mir ansehen zu dürfen. Ein grober Fehler. An diesem Abend lag ich schlotternd unter der über den Kopf gezogenen Decke im Bett und getraute mich kaum, die Nachttisch-Lampe auszuschalten. Jeden Moment rechnete ich damit, daß ein sich selbständig gemachter, emotionsloser Cowboy-Android, aussehend wie Yul Brynner, der schon seit längerem meine Fährte in unzweideutiger Absicht aufgenommen hatte, mit gezogenem Colt in mein Zimmer eindringen würde...
Noch tagelang schien mich der Wecker den ich damals hatte, auf dessen Ziffernblatt ein laufender Cowboy aufgemalt war, dessen schießeisentragende Hand wiederum mit der Mechanik verbunden auf und ab wippend Geballere simulierte, verhöhnen zu wollen....
Nun sollte man doch annehmen, ein solches traumatisierendes Kindheitserlebnis würde einen ein für alle Mal vom Wunsch, sich von Horror-Geschichten ängstigen zu lassen kurieren, oder?!?
Hier ließ der pädagogische Wert dennoch zu wünschen übrig.

Yo, an "Westworld" kann ich mich auch noch erinnern. Ich hab' ihn zu einer Zeit gesehen, als der elterliche Fernsehapparat nicht mehr als drei Programme zur Auswahl hatte, Mitte der 80er dürfte das gewesen sein. Der Film wurde 1973 gedreht. Den Cowboy-Androiden spielte übrigens wirklich Yul Brynner und Regie und Drehbuch stammten von Michael "Jurrasic Park" Crichton. Erst jetzt, wo Heiko den Film erwähnte, fiel mir endlich ein, an wen mich der "Terminator" erinnert hat, nämlich an den Revolverhelden aus "Westworld".
- Martin -

Dieter Krusche - "Reclams Filmführer"

Etwa 1000 Filme auf rund 760 Seiten werden besprochen in diesem im Jahre 2000 erschienenen, wirklich beeindruckenden Wälzer. Nicht unbedingt die besten, sondern vielmehr, wie der Autor im Vorwort betont, eine Auswahl der wichtigsten Filme werden für Konsumenten vorgestellt, die von dieser künstlerischen Ausdrucksform nicht allein Unterhaltung und Zeitvertreib erwarten. Auch wenn sich auf dem Einband großformatige Bilder aus Titanic und Lola Rennt lockend breitmachen, erlangt Aktualität oder kommerzieller Erfolg für die Zusammenstellung keinerlei Bedeutung, und es werden desweiteren zeitlich alle Epochen gleich berechtigt behandelt, so gibt es demzufolge viele Einträge aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, auch aus der Stummfilmzeit. Eine hübsche Ansammlung von Streifen kommt da zusammen, von denen ich zuvor noch nie etwas gehört hatte und von denen mich viele, zumindest anfangs, allenfalls am Rande interessierten. So las ich denn selektiv zuerst die geläufigen Sachen, eine zwangsläufige Vorgehensweise, wird man von der gebotenen Fülle doch erst einmal erschlagen. Jedoch drang ich beständig weiter in die faszinierenden Tiefen des Schriftwerks vor und erschloß mir mittlerweile über drei Viertel des Filmführers. Das war, wie oben angedeutet, nicht abzusehen und beabsichtigt, wollte ich doch ursprünglich mich nicht so lange damit aufhalten und vorrangig professionelle Meinungen und Wertungen zu Filmen lesen, die ich meinerseits schon begutachten konnte. Selbstverständlich zähle ich mich weniger zu der engstirnigen Variante der menschlichen Spezies, welche nur jenes fixiert, das sie sowieso bereits kennt oder das möglichst reibungslos in ihr bisheriges Raster paßt. So war es etwa durchaus erhellend, mal von fachmännischer Seite erläutert zu bekommen, was es, um mal einen Namen heraus zu greifen, mit dem schwedischen Kunstfilmer Ingmar Bergman so auf sich hat. Bereits der alleine ist, sicher nicht unberechtigt, mit schätzungsweise mehr als einem Dutzend Werken am Start. Die Zeiten, als ich der pubertären wie damals unerschütterlichen Auffassung war, das Selbstquälerischste was man tun könne, sei, sich einen französischen Film anzusehen, und das Höchste der cinematographischen Kunstfertigkeit wäre zweifelsohne Abenteuer- und SF-Gedöns perfekten hollywood'schen Unterhaltungszuschnitts wie Jäger Des Verlorenen Schatzes oder Star Wars, scheinen sich mit zunehmendem Horizont nun doch so langsam zu verflüchtigen, abgelebt zu haben. Bei einer Neuaufstellung der Orientierung bieten Standardwerke wie dieser Filmführer wertvolle Hilfestellungen und Anregungen.
Auch wenn ich anhand des Beispiels eines anderen anerkannten Meisterregisseurs, des Spaniers Louis Bunuel, zugegebenermaßen nach wie vor keineswegs in jedem Fall Zugang finde. Dank Krusches kompetenter Erläuterungen solcher Streifen wie Belle De Jour oder Dieses Obskure Objekt Der Begierde des genannten Regisseurs, ist es zwar ohne weiteres möglich, diese intellektuell zu goutieren, trotzdem jedoch empfand ich sie - sorry - nicht wenig langatmig... Die Aussage, daß Dieses Obskure Objekt Der Begierde die Absurdität unserer Realität zeige, erweist sich als ungenügend, um ein zumindest für mich überwiegend nichtssagendes Sujet entscheidend aufzuwerten. Nun, ich möchte aus dem Widerspruch zwischen Kommentierung der umweltbedingten Realität und beabsichtigter Absenz derselben, zwischen botschaftummanteltem Anspruch und simplem Entertainment hier keine längere Diskussion entfachen, es dürfte mir sowieso schwerlich in einigen wenigen Sätzen gelingen, diesen permanenten Spannungsbogen im Bereich der Kreativität zu entkrampfen und zu einer Versöhnung zu bringen. Am vorteilhaftesten in der Kunst ist sowieso, wenn diese Trennlinie - beim Schaffenden, den Rezipienten, dem Werk selbst - verwischt und beides zugleich erreicht wird.
Als Fazit kann man den Filmführer etwaigen Interessenten uneingeschränkt empfehlen. Krusche gibt die Plots sehr anschaulich wieder und seine messerscharfen, wirklich klugen und tiefschürfenden Analysen sind von massiver Anerkennung abverlangender Brillanz.

******

Martin Büsser - "Popmusik"

Dieses im Jahre 2000 erschienene kleine Büchlein setzt sich, der Titel mag es andeuten, mit der Entwicklung der Popmusik, von ihren Anfängen bis in die Gegenwart der Jahrtausendwende, auseinander. Dabei wirft jedes Kapitel ein Schlaglicht auf all ihre verschiedenen Spielarten wie Rock'n'Roll, Beat, Psychedelic, Hippie-Bewegung, Funk, Politrock, Glam, Disco, Punk, New Wave, Hip Hop, Grunge, das DJ und Techno-Kontinuum, Post-Rock uvw., wobei für mich gerade Themen, zu denen mir bislang weitgehend der Zugang fehlt, am reizvollsten erschienen. Die Herangehensweise bleibt bewußt knapp und skizzenhaft gehalten, so daß sich der Umfang in 90 Seiten bereits erschöpft.
Besonderes Augenmerk legt Büsser (Mitherausgeber der Zeitschrift Testcard - und schrieb er nicht auch mal für's Zap?) (stimmt! - Martin) auf die gesellschaftliche Relevanz und Dissidenz einer jeden künstlerischen Äußerung. Für meinen Geschmack bleibt es für manche Stilarten eher als für andere unangebracht, daraus ein übertriebenes Politikum zu konstruieren oder ein solches einzufordern. Da sind wir bei einer kleinen Problematik und bei einer entscheidenden Divergenz angelangt. Denn Büsser neigt dazu, dies unentwegt zu tun. Mit politischem Bewußtsein aufgeladen und offensichtlich tendenziell aus der linken Ecke kommend, wittert er sofort Stillstand der Entwicklung, kindliche Banalität und einen Verwendungszweck, den früher die Kommunisten auf die Religion bezogen mit Opium für's Volk umschrieben, wenn ein Kunstwerk es wagen sollte, sich zu sehr an etablierten Formen zu orientieren oder seine Daseinsbegründung größtenteils in sich selbst zu finden. Dies führt zwangsläufig in tendenziöse Abschnitte wie dem nachfolgend zitierten:
"Für Idealisten war spätestens um 1974 entschieden, daß die Popmusik ihren rebellischen Geist verloren hatte und zum bloßen Geschäft wurde. An den Stars jener Zeit, von Genesis bis Pink Floyd, von Deep Purple bis Fleetwood Mac, trat die Kommerzialität offen zutage. Diese Rock-Dinosaurier verband weder etwas Politisches noch Rebellisches, viel mehr waren ihre inszenierten Live-Spektakel perfektes Illusions-Theater, sie standen vor allem für aufwändig produzierte Konzeptalben. Die Plattencover von Bands wie Yes, Emerson, Lake & Palmer und Led Zeppelin waren im märchenhaften Fantasy-Stil gehalten, ihre Songs erzählten von Rittern, Feen und Elfen. ... Die Arrangements wurden aufwändiger, doch jeglicher Bezug zur Gesellschaft verschwand. ... Bombast und Virtuosität sind hier zum Selbstzweck geworden."
Mal ganz von dem Umstand abgesehen, daß die genannten Bands sicherlich alles andere als ausschließlich von Rittern, Feen und Elfen erzählten, halte ich es einfach für problematisch, Kunst an irgendwelchen Dogmen festmachen zu wollen und, sollte sie die erforderlichen Merkmale nicht aufweisen, zu verwerfen. Wer behauptet denn, daß Musik unbedingt politisch oder rebellisch sein müsse?!? Natürlich hat sie immer einen gesellschaftlichen genauso wie einen individuellen Bezug, aber ihre subversive, revolutionäre Kraft ist doch nur ein Wert unter vielen anderen. Musik kann große gesellschaftliche Umwälzungen, wie beispielweise in den Sechzigern, begleiten, wiederspiegeln, ja sogar vorantreiben. Aber Popmusik in ihrer Gesamtheit hat sich inzwischen, wie Büsser selbst feststellt, längst saturiert, ist Teil des Establishments geworden, ist fest in der Hand der Medien und Unterhatungsindustrie. Wenn eine potentiell rebellische Jugendbewegung, so wie vor einem Jahrzehnt der Grunge, aus den versifften Übungskellern und verrauchten kleinen Clubs, aus der individuellen Subkultur ans hochglänzende mediale Licht der breiteren Öffentlichkeit gelangt, wird sie zwangsläufig von den Konzernen umgehend auf- und ausverkauft. Ein bezeichnendes aktuelles Beispiel sind die Rock'n'Roller von Jet, deren fetziger erster Single-Hit sogleich gewinnträchtig für einen Werbespot des Telekommunikationsriesen Vodafone verbraten wurde. Sieht darin heute noch einer ein Problem? Anbiederung statt Rebellion: Popmusik ist inzwischen nicht nur ein großes Geschäft, sondern ein allgegenwärtiger Teil des Alltags. Außerdem scheinen alle möglichen Extremitäten in Wort, Geste und Ton mittlerweile ohnehin exploriert und ziemlich ausgereizt, alle Provokationen schon einmal dagewesen und alle Tabus gebrochen. Wo soll sich da das Rebellentum denn noch festbeißen, außer vielleicht, wie jüngst im Punk-Rock-Stil, an der Wade der amerikanischen Bush-Administration, der dankbarsten und fettesten aller Zielscheiben? Wenn irgendein besorgter, ein politisches Amt bekleidender Spießbürger den Schock-Rocker Marylin Manson (wieviel von dessen Auftreten kommerzielles Kalkül ist, bleibt eine andere Frage) für den Untergang der westlichen Zivilisation verantwortlich machen und als willkommenen Sündenbock für das Massaker von Littleton brandmarken möchte, bildet das heutzutage eher die Ausnahme.
Selbstredend ist es wichtig, daß Kunst den Menschen sowohl intellektuell stimulieren und wenn es angebracht erscheint auch irritieren, herausfordern, erschüttern, provozieren darf. Das möchte sicher niemand in Abrede stellen.
Aber was gäbe es denn, weiterhin gefragt, andererseits gegen "perfektes Illusions-Theater" einzuwenden? Darf man sich keinerlei Auszeit von einer zuweilen drögen bzw. für sich genommen bereits ausreichend fordernden Alltagsrealität gönnen? Was diente denn besser der Erholung und Erbauung? Man könnte gerade meinen, für den aufgeklärten, denkenden Homo Sapiens dürften zu diesem Zwecke allenfalls noch die 20:00 Uhr-Nachrichten herhalten. Der Eintritt ins Abenteuerland kostet nun mal den Verstand, selbst wenn dies manchem allzu intellektuell orientierten Menschen zwangsläufig auch noch so suspekt erscheinen mag. Es ist in meinen Augen eine Unsitte solcher Leute, daß sie meinen, Musik, welche keinen plakativ-offensichtlichen Konfliktstoff stilistischer oder inhaltlicher Natur bietet, nicht anders als abwertend behandeln zu können.
Letztlich unabhängig davon, ob man mit rotzigen, kämpferischen Hymnen soziale Mißstände und politische Verfehlungen angreift, oder sich identitätsverloren auf eine introvertierte Traumreise begibt, sich nach außen oder innen wendet, sich in eher konventionelle oder experimentelle Strukturen begibt, hat alles seine Berechtigung, ist jedwede Form der Äußerung, Rezeption, Kommunikation als gleich berechtigt anzusehen - sofern sie andere nicht beeinträchtigt und das eigene Dasein bereichert. Solange man liebt, was man tut.
Okay, genug damit. Meine Position dürfte wohl deutlich genug geworden sein.
Üblicherweise kursieren solche Fragestellungen ja sowieso eher an der Peripherie meines diskursiven Bewußtseins.
Ich kann die Denk- und Sichtweise von Leuten wie Martin Büsser absolut nachvollziehen und respektieren. Wie man aber sieht, pflege ich mich dann doch unverhältnismäßig daran zu reiben...
Selbst wenn mich jede andere Art der Konzeption ebenso verstandes- wie gefühlsmäßig interessiert, ist Musik für mich, vor allem anderen, erst einmal dieses: einerseits eine Art universeller Kommunikation, ein unmittelbarer Austausch von Seele zu Seele, und zugleich ein Tor zu einer glückstrahlenden Innerlichkeit.
Da es sich anbietet, lasse ich mir einmal mehr von good ol' Hermann Hesse eine abschließende Bekräftigung ausstellen und meine Abhandlung abrunden... "Zwischen Marx und mir ist, abgesehen von den viel größeren Dimensionen von Marx, der Unterschied der: Marx will die Welt ändern, ich aber den einzelnen Menschen. Er wendet sich an Massen, ich an Individuen. Je weniger ich an unsere Zeit glauben kann, desto weniger stelle ich diesem Verfall die Revolution entgegen, und desto mehr glaube ich an die Magie der Liebe."
Na gut, einen hab' ich noch...
Durch die demonstrativ unpolitische und drogendurchdrungene Techno-Bewegung wurde Büsser überraschenderweise zu keiner seiner - wirklich nur vereinzelten! - wegwerfenden Äußerungen provoziert.
Daß sich die Techno-Raver von ihrer geistigen Intention und ihrem Umgang mit dem Medium Musik trotz aller äußerlichen Divergenzen von jemandem wie mir kaum unterscheiden, der sich auf die Couch setzt bzw. ins Bett legt, die Augen schließt, sowie alle anderen Sinne und den nun überflüssigen Organismus abschaltet, und sich wassergleich dahinfließend in der Veränderung von Perspektive und Bewußtsein mit den Klängen (Texten) verwoben in eine völlig andere, nicht minder reale, sondern viel mehr noch wesentlich lebendigere und unbegrenzter dimensionierte Welt und Daseinsform entschwinden läßt, wurde mir umgehend durch Beobachtung und Einfühlung klar. Ein in Büssers Buch zitierter Typ namens Peter Huber lieferte mit einer wirklich coolen Formulierung die Bestätigung...

"Tanzen:
Warum ist Techno / House in erster Linie Tanzmusik?
Seit es den Menschen gibt,
sucht er in Tanz und Rhythmus
Verbindung zu Kräften und Zuständen,
die ihn aus seiner bestehenden Beschränkung
befreien
und ihm den Alltag erträglicher machen.
Einfacher ausgedrückt:
Mit viel guter Laune und dem Groove unterm Arsch
läßt sich der ganz normale Wahnsinn
besser ertragen."

 Wertung des ansonsten kenntnisreich und gut geschriebenen Buches im ganzen, grob über den Daumen gepeilt: ***(*)

Wie Heiko sich richtig erinnert hat, schrieb Martin Büsser Anfang der 90er Jahre für's Hardcore-Fanzine ZAP, das man, wenn man damals, wie wir, ein Fanzine herausgab, einfach kennen mußte. Zuerst widmete sich Martin Büsser der wissenschaftlichen Untersuchung von Punk und Hardcore, später, in seinen Büchern im Ventil-Verlag, an dem er irgendwie beteiligt ist, Phänomenen der Pop-Kultur allgemein. Daraus erklärt sich die Herangehensweise von "Popmusik", musikalische Stilrichtungen auf ihre gesellschaftspolitische Relevanz hin abzuklopfen. Wen das nicht stört, dem seien zwei weitere Bücher von Martin Büsser empfohlen, nämlich "If the kids are united - Von Punk zu Hardcore und zurück" (1998) und "Antipop" (1998), beide im Ventil-Verlag erschienen.
Und weil's mal wieder gerade so gut paßt, und mir Heiko da sicher zustimmen wird: Es ist nicht unmöglich, die symphonische Breite des 70er Jahre-Progressiv-Rock mit der Geisteshaltung von Punk und Hardcore zu verbinden, also den Hörer stark emotional anzusprechen und zugleich zu verstören. Hört euch "Lift You Skinny Fists Like Antennas To Heaven!" von GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR an und danach die restlichen Erzeugnisse des Musiker-Kollektivs aus Montreal, und ihr wißt, was wir meinen.
- Martin -

Wolfgang Rumpf - "Stairway To Heaven - Kleine Geschichte der Popmusik von Rock´n´Roll bis Techno"

Wiederum ein kurzer Abriß fast eines halben Jahrhunderts Popmusik, diesmal aus dem Jahre 1996. Rumpfs Herangehensweise ist, zumindest partiell, etwas persönlicher koloriert sowie mehr ins Detail vordringend als Büssers Variante und erreicht somit zwangsläufig mit rund 200 Seiten den doppelten Umfang. Älteren Semesters (Jahrgang '52) fühlt Wolfgang Rumpf, Redakteur bei Radio Bremen und Lehrbeauftragter für Popjournalismus und Musikkritik an der Uni Oldenburg, sich bei musikalischen Stilen wie Beat, Blues oder Soul spürbar am wohlsten. So gibt er denn auch aus seinem reichhaltigen eigen-biographischen Erfahrungsschatz eine ausführlichere Anekdote über seine den Beatles nachempfundene Band The Dandymen, welche Ende der Sechziger die Beat-Schuppen der Republik unsicher machte, zum besten.
Beim Beschreiben des Charakters der Punk-Explosion hält sich Rumpf - soweit ich das mit meinem rudimentären Wissen beurteilen kann - noch recht wacker. Als die Sprache allerdings auf den Heavy Metal kommt, werden, wie so oft zuvor, wieder einmal die abgeschmacktesten Klischeebilder aus der Mottenkiste eines eigentlich ahnungslosen, einen allenfalls oberflächlichen Blick riskierenden Soziologen hervor gezerrt. Die ich allerdings nun nicht durch Nachplappern aktualisieren und verbreiten möchte. Zweifellos jedoch reichen viereinhalb beiläufige Seiten wirklich nicht aus, um einen vielgestaltigen Musikstil und seine soziale Relevanz angemessen zu beleuchten.
Na, geschenkt.
Untragbar bleiben hingegen vereinzelte journalistische Aussetzer wie das Bezichtigen der "zynischen US-Band Monster Magnet", welche 1995 besonders perfide die 60er zitiert haben soll, indem sie Songs des verrückten Sektengurus und Mörders Charles Manson verwendete. Davon habe zumindest ich noch nie gehört, das augenscheinlich angesprochene 95er Album "Dopes To Infinity" auch zufälligerweise bei mir im Schrank stehen und im Booklet nach Hinweisen auf Manson-Sympathisantentum oder -Kompositionen vergeblich gesucht.
Dann schreibt er einen Song aus Ozzys Solokarriere Black Sabbath zu. Gut, das kann mal passieren und wäre ja noch mit einem Schmunzeln lässig abzutun - und ich wäre sicher der Letzte, der über Recherchefehler anderer Schreiber Schadenfreude sich zugestehen dürfte. Jedoch mit einer unterstellenden Aussage wie "daß sich ein Fan nach tagelanger Selbstberieselung mit ihrem Song "Suicide Solution" tatsächlich umbrachte, war da < bei Sabbaths Tour Mitte der 90er > bereits längst vergeben und vergessen." Black Sabbath für jenen bedauerlichen Vorfall, für welchen man bereits damals Ozzy mit Freispruch endendem Ausgang vor Gericht zerrte, explizit und ausschließlich in die Verantwortung zu nehmen, halte ich für eine arglistig und berechnend erscheinende, empörende Verleumdung. Man sollte im allgemeinen, und im besonderen wenn man ein Sachbuch verfaßt, solcherart billige und aus der Luft gegriffene Polemik versuchen zu vermeiden. Zugegeben, der letzte Vers des besagten Songs mit seiner - aus der Erinnerung zitierten - Zeile "...and suicide seems the only way out" ist nicht unproblematisch. Wenn man ihn jedoch, wie man natürlich sollte, im Zusammenhang mit den vorhergehenden Versen liest, erschließt sich recht deutlich, daß es hierbei um die autobiographische Beschreibung von Alkoholismus geht und die damit verbundene Warnung, daß fortgesetzter schwerer Alkoholmißbrauch in letzter Konsequenz in eine depressive Sackgasse führen kann, welche einem den eigenen Freitod schließlich als einzig verbliebenen Ausweg erscheinen läßt.
Was vielleicht außerdem im inhaltlichen Bereich noch ein wenig störend wirkt, ist das perpektivische Übergewicht auf Äußerlichkeiten und Image, wenn die Sprache beispielsweise auf Pop-Style-Ikonen wie Queen, Guns'n'Roses oder Madonna kommt. Zugegeben, bei manchen Künstlern spielt dieses halt tatsächlich eine wesentlich dominierendere Rolle als eventuelle kompositorische Qualitäten. Für die eine oder andere Showgröße scheint die Musik selbst nur unwesentlich mehr zu sein, als ein hilfreiches Mittel zur narzistischen Eigeninszenierung.
Demgegenüber wird der gesellschaftliche Kontext der unterschiedlichen Stitrichtungen und Epochen im Buch eigentlich im Großen und Ganzen gut durchleuchtet. Alles in allem, trotz meiner kleinen Vorbehalte, bleibt also dennoch eine recht lesenswerte Abhandlung.

***(*)

Nick Hornby - "31 Songs"

Anders als Rumpf oder Büsser verzichtet Nick Hornby in seinem eigenen kleinen Buch über das Phänomen Popmusik bewußt auf den großen sozialen und historischen Überblick, zugunsten einer konsequent persönlich gehaltenen, selektiven Komposition.
Seine Liebe zur Popmusik wurde bereits in seinen Romanen immer wieder einmal evident. Wenn er in High Fidelity beispielsweise nicht nur dem von uns allen sicherlich schonmal ausgesprochenen und aufgrund der technischen Entwicklung beinahe zum reinen Anachronismus zerlaserten Satz "ich mach' dir mal'n Tape" ein literarisches Denkmal setzt. Oder wenn der Einfluß und Werdegang einer Band namens Nirvana in About A Boy zwanglos mit der Geschichte verwoben wird und der Freitod von Kurt C. seine Entsprechung schließlich im "richtigen Leben", in dem gescheiterten Versuch von Marcus' Mutter findet.
In 31 Songs findet Musik nicht mehr nur beiläufige Erwähnung, sie steht im Mittelpunkt. Wobei jedoch hinter jedem der behandelten Stücke ein übergeordnetes Thema sich aufbaut, es also sich über die Musik hinaus gehend, wie selbstverständlich, unzählige Bezüge zum Leben im allgemeinen und dem des Autors im besonderen ergeben. Es bleibt somit eher unerheblich, ob man die behandelten Bands und Künstler nun mag oder aber auch nicht, da deren Songs in den einzelnen Kapiteln zu einem guten Teil exemplarischen Charakter gewinnen.
Bei "Thunder Road" von Bruce Springsteen (Martin? Wie sieht's aus, haha? Wir warten auf die gehässige Klammerbemerkung...) beispielsweise zeigt Hornby auf, wie ein Stück Musik einen Menschen scheinbar sein ganzes Leben lang, durch alle Höhen und Tiefen hindurch, begleiten kann.
Bei einem Instrumental von Santana stellt er die Beziehung zwischen Sex und Musik her.
Bei einem Song (ihr seht, ich hab' das Buch gerade nicht zur Hand...) handelt er die verschiedensten Arten von Gitarrensoli ab, bei einem anderen beschreibt er, wie beizeiten selbst bei jemandem wie ihm, der gerne seine grundsätzlich atheistische Überzeugung hegt, plötzlich, unter dem überhöhenden Einfluß harmonischsten klanglichen Geränkes, unerwartete religiöse Empfindungen aufzuwallen pflegen.
Bei "I'm Like A Bird" von Nelly Furtado sinniert er über die Halbwertzeit von Popmusik, denn ein eingängiger Dreiminutensong könne seine Geheimnisse eben nicht ewig vor einem verbergen. Obwohl Nellys Debut-Album kaum etwas enthalte, das so gut sei wie "I'm Like A Bird", findet es Hornby doch erstaunlich, wie eminent die Anziehungskraft eines einzigen kleinen Liedes sein kann, wie regelrecht süchtig man eine zeitlang danach werden könne.
Ein Ambient-Track an dem er gefallen fand, und der ihm kurz danach durch seine inflationäre Verbreitung in Fahrstühlen, Werbung, Radioprogrammen usw. fast verleidet wurde, steht exemplarisch für eine heutzutage kaum zu vermeidende Reizüberflutung durch Popmusik (oder Information im allgemeinen) und ihre Folgen. Gerade hier sind seine Schlußfolgerungen sehr interessant.
Wie auch bei dem Stück namens "Frankie Teardrop" von einer Band mit dem vielsagenden Namen Suicide, einer ultra-düsteren Klangcollage voller Verstörtheit und Hoffnungslosigkeit. Hier hat er auf seine ganz eigene Weise den Reibungspunkt zwischen den erbaulichen, beglückenden und den aufrüttelnden, provozierenden Aspekten von Kunst abgehandelt. Ganz ähnlich in seiner Aussage, wie ich selbst sie weiter oben traf, als es mich, gereizt durch Büssers Selbstgefälligkeit, gegenentwurfbeflissen an die Tastatur trieb.
Was bereits seine Romane auszeichnet, unter anderem der trocken-lapidare britische Witz, entwaffnende Ehrlichkeit und ungekünstelter Charme, zeigt seine neueste Veröffentlichung ebenfalls überreich - 31 Songs ist einfach ein, wer hätte bei Hornby ernsthaft anderes erwartet, verdammt geniales Buch! Wenn ich selbst je eines über Popmusik schreiben sollte, müßte es wohl genau so aussehen. Er würde so eine - natürlich in Zuneigung mit sanft-ironischem Lächeln auf den Lippen gemachten und leicht überzogenen - Einschätzung in aller Bescheidenheit weit von sich weisen, aber dieser kleine, untersetzte, seines Haupthaars längst verlustig gegangene Engländer mittleren Alters bestätigt einmal mehr, daß er zweifelsohne einer der coolsten Typen ist, die derzeit unter der Sonne wandeln.
Für die im Juni 2004 erscheinende Taschenbuch-Ausgabe von 31 Songs ergeht hiermit an alle unsere Leser ein ultimativer Kaufbefehl! Ich selbst werde es mir dann ebenfalls holen - und das, obwohl die Aschaffenburger StaBi ein gebundenes Exemplar im Regal stehen hat. Wer meinen unerschütterlichen, ans Pathologische grenzenden Geiz kennt, weiß, daß kein kraftvolleres Argument für dieses Buch gefunden werden kann.

******

Dean R. Koontz - "Das Versteck"

Eigentlich wollte ich zukünftig unappetitliche Stories, in denen perverse, mörderische Psychopathen ihr Unwesen treiben, tunlichst meiden. Was düstere, spannungsgeladene Thriller angeht, läßt man sich - zumal bei der begrenzten eigenen Kenntnis interessanter und anspruchsvoller Schriftsteller, komplementär zur begrenzten Auswahl in der heimischen Bücherei - doch immer wieder einmal hinreißen. Gerade Koontz schleicht sich oft ungerufen in die engere Auswahl. Eben aus dem Grunde, weil er halt ein versierter Unterhaltungshandwerker ist, der Spannung garantiert, bei dem jedoch nicht unangebrachte Gewaltdarstellungen im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Entwicklung von Geschichten und Charakteren. Zwar ist Koontz' Psycho kein zivilisierter Schöngeist wie etwa Thomas Harris' Hannibal Lecter, doch sein von einer perversen Ideologie unterfütterter Antrieb wird gut herausgearbeitet. Ebenso wie das Innenleben der von ihm bedrohten Familie.
Die Auflösung wartet dann sogar noch mit einer relativ unerwarteten Pointe auf.
Vom Aufbau erinnert "Das Versteck" ziemlich, vielleicht ein wenig zu sehr, an des Autors gelungensten, tiefschichtigsten Roman "Brandzeichen". Ohne nun, so ganz im allgemeinen, mit seinen Büchern überhaupt jemals in die Gefahr irgendwelcher Orginalitätsverleihungen geraten zu können...

****

 

Joolz Denby - "Im Herzen Die Dunkelheit"

Kurz mit dem Blick gestreift.
Nochmal hingeschaut.
Ist das nicht...?
Blick abermals schweifen lassen.
Könnte es denn wirklich sein...?
Mit dem Blick diesmal festgenagelt und das Buch zur näheren Inspektion aus dem Regal gezogen.

Tatsächlich, bei Joolz Denby handelt es sich, wie die Angaben zur Autorin im Innern rasch offenbarten, um eben jene Joolz, die zum New Model Army-Umfeld gehört, die alle Coverbilder der englischen Rockband malt und - soweit mir bekannt - die Lebensgefährtin von Justin Sullivan ist. Vor dem Nürnberger Hirsch trafen Martin und ich sie 1996 sogar mal kurz, als wir das Interview mit Justin bestätigen wollten und Joolz zusammen mit dem Tour-Manager im lockeren Plausch in der Nachmittagssonne sitzend vorfanden. Wir wechselten ein paar Worte, wobei sie einen offenen, sympathischen Eindruck hinterließ, drückten ihr unser Heft in die Hand und verabschiedeten uns dann relativ zügig, um nicht über Gebühr zu stören (und noch einige Fragen vorzubereiten, denn wir waren - muß es noch gesondert erwähnt werden? - natürlich denkbar unzureichend vorbereitet...).
Mit Im Herzen Die Dunkelheit nun, legte Joolz vor wenigen Jahren ihren Debut-Roman vor. Da das ganz und gar Unwahrscheinliche eintrat und ein Exemplar in unserer kleinen heimischen Bücherei seinen Platz fand, war es für mich Ehrensache, das Teil mitzunehmen und zu lesen. Es handelt sich dabei um einen außergewöhnlichen Thriller, der in Joolz' Heimatstadt Bradford angesiedelt ist, also auf bekanntem Terrain, was bei einem Debut sicher von Vorteil ist und die detailierte Beschreibung der Lokalität und des Milieus wesentlich erleichtert. In einer Wohngemeinschaft der dortigen Boheme nistet sich David (Name v. d. Red. geändert) ein, die neue Beziehung von Jamie, welche die unangenehme Angewohnheit hat, sich selbstquälerisch nur die übelsten Kerle an Land zu ziehen. Wie sich nach und nach herausstellt, ist David die unangenehmste vorstellbare Wahl, entpuppt er sich doch schließlich als eben jener Serienmörder, der die Stadt bereits seit Monaten in Atem hält...
Das klingt erstmal nach dem üblichen Schema, dieses wird jedoch durch Joolz' unkoventionellen Stil aufgebrochen, der einerseits sehr authentisch und direkt, andererseits - vom Finale abgesehen - Gewalttätigkeit nur andeutend und mit einigem psychologischem Feingefühl daher kommt. Die Sprache ist, um den Charakteren umso mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, sowohl ungeschliffen und unverblümt - was einigen zartbesaiteten Gemütern mißfallen könnte - , aber auch voller Empfindsamkeit. Als effektiver Einfall erweist sich, die Rolle der Ich-Erzählerin nicht der Hauptperson zu übertragen, sondern deren bester Freundin, die voll involviert ist und dennoch mit etwas Abstand die Entwicklung des Dramas zu überblicken vermag. David und Jamie sind letztlich beides tragische Figuren, jede mit dunklen Flecken in ihrer Vergangenheit, die sie wie ein abgekapseltes Steinkind (Stone Baby, so der Originaltitel) mit sich herumtragen und die unverarbeitet beständig ihre Persönlichkeit ihr Handeln unbewußt mehr oder weniger mitbestimmen.

Ein beachtenswertes Debut.

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Wladimir Kaminer - "Mein Deutsches Dschungelbuch"

Der russischstämmige Autor des Bestsellers Russendisco (noch nicht gelesen, bei Gelegenheit vielleicht mal) faßte in diesem episodenhaften Büchlein seine Erlebnisse während zahlreicher Lesereisen durch die deutschen Lande zusammen. Bei der Beschreibung von Städten, Situationen und natürlich den Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen legt Kaminer einen sehr offenen, wertungslosen, fast schon kindlich-naiven Blick an den Tag, der umgehend die Sympathien des Lesers gewinnt.
Gewöhnlich ist das Adjektiv nett ja eher negativ belegt, im Sinne von ganz in Ordnung, eigentlich aber langweilig; in diesem Fall möchte ich es verwenden und trotzdem positiv verstanden wissen. In dieser schlichten und doch, oder gerade deswegen einfühlsamen Reflexion ausschnitthafter alltäglicher Realitäten von Land und Leuten, welche des Humors durchaus nicht entbehren muß, verbreitet sich völlig ungezwungen Verständnis, Verständigung und unaufdringliche humanitäre Gesinnung.
Empfehlenswert als leichte Urlaubslektüre, wenn man sich mal etwas beiläufig Verdauliches eingeben möchte, ohne gleich in banaler Seichtheit umherzutappen und das Gefühl haben zu müssen, nur seine kostbare Zeit zu verschwenden.

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Stephen King - "Dreamcatcher"

Als Zeitverschwendung möchte ich auch die letzte, flockige 860 Seiten starke Schwarte von unser aller S. K. ungern abqualifizieren. Allerdings - die zusammen gestellten UFO-Beobachtungs-Schlagzeilen von Roswell bis heute als Einstimmung lassen es ahnen - sollte man nicht unwillens sein, sich die x-te Story über fiese Außerirdische, die sich, ohne gültige Einreise-Visa vorweisen zu können, auf unserem Heimatplaneten einzunisten trachten, welche zudem allzu deutlich Versatzstücke aus Alien oder The Body Snatchers breit tritt, über sich ergehen zu lassen. Mit von King bereits Gewohntem wird ebenso beim Personal aufgewartet: etwa den vier alternden Jugendfreunden, die in der Einsamkeit der Wildnis eine unheimliche Begegnung haben - klassische, wie immer sehr gut und mit breiten Pinselstrichen gezeichnete Charaktere; oder aber der übliche durchgeknallte Militärbefehlshaber, der nicht eben zimperlich ist in der Wahl seiner Mittel, um die bedrohliche Situation zu bereinigen, welcher vollkommen im überzeichnet psychopathologischen Klischee steckenbleibt.
Einen jederzeit drohenden vorzeitigen Break verhinderte Kings zupackender Stil und die immense Spannung. Als richtiges Highlight darf der fintenreiche, allein in dessen Bewußtsein ausgetragene Kampf zwischen Jonesy und den ihn befallenden, zu übernehmen und psychisch völlig auszulöschen drohenden extraterrestrischen Sporen gewertet werden, welcher sich zum entscheidenden, fulminanten Psychoduell auswächst.
Insgesamt nichts wirklich Zwingendes also, Licht und Schatten. Auch wenn King mit Das Monstrum das Thema schonmal intelligenter und zudem unterschwelligem gesellschaftssatirischem Anspruch abgehandelt hat, und man ihm wünscht, er würde sich endlich von diesen wiederkehrenden, zunehmend langweilenden Horror-Standards lösen (Der Buick fiel mir vor Monaten mal in die Hände und dürfte, geht man nach Titel und Klappentext, eigentlich nichts anderes als ein Klon der guten alten Christine sein...), kann man sich Dreamcatcher andererseits aber durchaus geben.

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Margaret Atwood - "Oryx Und Crake"

Nachdem ich ein interessantes Interview mit der Autorin in der 3Sat Kulturzeit sah, war ich nicht wenig gespannt auf ihr Werk. Zumindest Oryx Und Crake, soweit ich weiß ihre letzte VÖ, konnte mich nicht so recht überzeugen. Es geht darin um das Überleben eines vereinzelten Menschen in einer von Umweltkatastrophen zerstörten nahen Zukunft, der in Rückblenden sein Leben und seine degenerierende, dahinsiechende Zivilisation betrachtet und rekonstruiert, wie es soweit kommen konnte.
Gut und durchaus intelligent geschrieben, ohne Zweifel, ich schaffte trotzdem nur 200 der 380 Seiten, da es mir zu pessimistisch, trist, nun ja, auch schlicht zu langweilig wurde...

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Henning Mankell - "Der Chronist Der Winde"

Der schwedische Autor Henning Mankell wurde ja durch seine Krimis um den Kommissar Wallander zum internationalen Bestseller. Dieser Roman ist nun etwas vollkommen anderes. Er handelt von einem sterbenden Straßenkind in Mosambik, Afrika, das einem Bäcker in mehreren aufeinander folgenden Nächten sein Leben erzählt. Eine Präsenz und Geschichte, die dessen eigenes Dasein gänzlich verändert.

Wenn ich mich auch ein wenig hindurchnötigen mußte, dennoch ein interessantes und gefühlvolles Dokument über eine fremde Lebenswirklichkeit in einem fernen, kaum weniger fremdartigen Kontinent.

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Diverse Autoren - "40 Jahre Fußball-Bundesliga"

Auch dieses zufällig bei den Neuerscheinungen in der Bücherei entdeckte Buch lieh ich mir eigentlich mit der Intention aus, halt nur mal kurz rein zu schnuppern, den einen oder anderen Artikel zu lesen, die eine oder andere Erinnerung aufzufrischen... Was soll ich sagen - binnen drei Tagen hatte ich den gesamten Jubiläums-Band durchgezogen! Nicht allein die letzten fünfzehn, zwanzig Jahre welche ich als Fußball-Interessierter bewußt miterlebte, sondern genauso die vorangegangenen Jahrzehnte ließen sich voller Faszination nachvollziehen, welche in den packend und mit journalistischer Genauigkeit verfaßten Beiträgen wiederauflebten. Jedes Jahrzehnt wird dabei eröffnet von Berichten über besondere Ereignisse und Entwicklungen, sowie Portraits herausragender Persönlichkeiten. Anschließend wird in einer Chronik jede Saison kompakt Revue passieren lassen, die Geschicke von Trainern, Spielern und Vereinen im ringen um den Klassenerhalt oder die Meisterschaft. Welch' spannungsgeladene Dramen sich da jedes Jahr auf's Neue abspielen... Man denkt unwillkürlich an den atemlosen Abstiegskrimi 1999 zwischen Rostock, Nürnberg und unserem regionalen Vertreter Eintracht Frankfurt - unglaublich, was da abging, einfach unglaublich! Oder die Horror-Finale in der Meisterschaft von Bremen 1986, Leverkusen 2000 und Schalke 2001, als sicher geglaubte Triumphe von sympathischen, mitunter begeisternd aufspielenden Mannschaften, sich am letzten Spieltag binnen Minuten in Häufchen Asche verwandelten - und am Ende jeweils wieder einmal die -uaaarrrrggh!- Bayern aus München jubeln durften. Oder 1992, als die Eintracht so nahe wie nie am Titel war (okay, 1959 in der Amateurliga haben sie ihn einmal geholt, immerhin) und wiederum am letzten Spieltag unnötigerweise bei Hansa Rostock alles vergeigte (hätte Schiedsrichter Alfons Berg das begangene Foul an Ralf Weber nicht übersehen, sondern mit dem berechtigten Elfer geahndet, wäre es anders gelaufen!), während die Schwaben aus Stuttgart mit einem Kopfballtreffer von Guido Buchwald kurz vor Schluß das Unwahrscheinliche klar machten. Frankfurts Trainer Darogslav Stepanovic fand einen prägnanten Satz voll schlichter Weisheit angesichts der erschütternden Niederlage: "Lebbe geht weider"... Oder aber die sensationelle Meisterschaft von Kaiserslautern 1998, die unter der Führung von Otto Rehhagel das Novum schafften, aus der 2ten Liga aufzusteigen und sich umgehend die Deutsche Meisterschaft zu sichern.
Oder... Oder... Oder... Oder... Oder...
Die punktuellen Höhepunkte aus vierzig Jahren Bundesliga, ein schön aufgemachter, bunter Strauß von Ereignissen, den man sich für rund elf Euro durchaus gönnen kann.
In diesem Jahr, um einmal ein abschließendes kurzes Schlaglicht auf die Gegenwart zu werfen, sieht's sieben Spieltage vor Schluß für die Eintracht mal wieder mehr als bedrohlich aus und Werder Bremen, denen wir alle den Triumph herzlichst wünschen, könnte bei noch sieben Punkten Vorsprung und zwei Unentschieden in Folge, ähnlich 1986 auf der Zielgeraden tatsächlich wider allen Erwartungen die Luft ausgehen und noch abgefangen werden. Alles, alles, nur bitte erspare man uns Fußball-Fans dieses Jahr das grausame Deja Vu des Anblicks siegestrunkener bayuwarischer Horden, die, durch's Olympiastadion trabend, schon wieder und inzwischen allzu routiniert, die silberne Schale schwenken....

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Nick Hornby - "Fever Pitch"

Der schon wieder - aber ja!
Mit diesem seinem Debut (und nicht High Fidelity wie ich fälschlicherweise -mies recherchiert bzw. vom Verlag etwas in die Irre geleitet - annahm) legte Hornby anno 1992 das vielleicht geilste Buch über Fußball vor, das jemals geschrieben wurde! Es bezeugt einmal mehr, daß dieser eben weit mehr ist, als "nur ein Spiel", sondern schlicht und einfach für einen wirklichen Fan, einen bedingungslosen Anhänger seines Clubs (in Hornbys Fall Arsenal London, dieses Jahr, Ende März, noch immer auf der Jagd nach dem möglichen sagenumwobenen Triple - welches sie dann mit dem Aus in FA-Cup und Champions League binnen vier Tagen lausig verzockten; das aber nur nebenbei...) das pralle Leben in all seinen Facetten! Ein prägnanter Teil des Daseins und mehr noch, eigentlich ein in sich abgeschlossenes Kontinuum für sich. Eine eigene Welt mit eigenen Regeln und Ritualen, eigenem Umfeld und Akteuren, eigenen Freuden und eigenen Leiden, welche für nachsichtig das Haupt schüttelnde Außenstehende nur schwerlich nachvollziehbar sein dürften. Wer sich sowieso für Fußball in seinen mannigfaltigen Aspekten interessiert, sollte sich diesen packenden, authentischen Erfahrungsbericht nicht entgehen lassen. Doch ebenso Leute mit einer notorischen Abneigung gegenüber dem Treiben rund um das runde Leder sollten gefallen daran finden können, denn wie immer bildet das Kernthema bei Hornby nur die Basis für seine vielschichtigen, intelligenten Beobachtungen, launigen Selbstbetrachtungen und erhellenden Anekdoten. So konstatieren wir in diesem Fall grob überschlagen 55% Autobiographie, 35% Sozialstudie und 10% Fußballbeschreibung. (Ja, rechnen Sie ruhig nach..!) Nick Hornby geht auf alle möglich erscheinenden Aspekte während der 24 das Buch ausmachenden Jahre seines Fan-Seins in und außerhalb der Stadien ein, beschreibt Typen und Begebenheiten, und bleibt natürlich nach wie vor einer der kunstvollsten Vertreter der schonungslosen Selbstanalyse.
Auf Einzelheiten einzugehen möchte ich, wie meist, verzichten. Das überläßt man besser dem Autoren und seinem Schriftwerk selbst.
Und hier lohnt es sich ungemein, sich dieses auch wirklich zu gönnen.
Genial, was sonst.

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 Ich habe fertig.

 

- Heiko - I. Quartal 2004