Mit
einiger Verzögerung, aber besser spät als nie gelangte dieses bereits
im Juni 2005 erschienene Buch in die Hände des Rezensenten, und um es
gleich vorwegzunehmen: Es handelt sich dabei nicht um eine Biographie
des 1995 im Alter von nur 47 Jahren verstorbenen legendären irischen
Blues Rock-Gitarristen Rory Gallagher, der mit seinem Markenzeichen, einer
total abgewetzten Fender Stratocaster, seit den späten 1960er Jahren
zuerst mit seiner Combo Taste und dann unter seinem eigenen Namen für
Furore in der Musikszene sorgte. Vielmehr ist Riding Shotgun die Lebensgeschichte
von Gerry McAvoy - seines Zeichens langjähriger Bassist und Weggefährte
von Gallagher - welche 1951 im krisengeschüttelten Belfast beginnt, in
dem sich ein paar Jahre später tatsächlich eine kleine Rockkultur
entwickelt, und die den Autor über diverse Stationen bis hin zu einer
der bedeutendsten Bands der Siebziger führt. Und nach langen Jahren weltweiter
Megaerfolge auch wieder zurück ins kleine Irland zu einer anfangs so
gut wie namenlosen Combo.
Natürlich nehmen die rund 20 Jahre als Mitmusiker und Intimus von Gallagher
eine zentrale Rolle im Leben von McAvoy ein; er entblödet sich auch nicht,
dies herunterzuspielen bzw. die Tatsache zu ignorieren, daß eben dieser
Umstand die einzige Existenzberechtigung für "sein" Buch ist; nur gab es
neben der Figur des scheuen, geheimnisumwitterten Masterminds ("a mystery wrapped
up in an enigma") halt auch noch die Persönlichkeit McAvoy, ohne die vieles
anders – und wohl nicht immer besser! - gelaufen wäre... Gerade McAvoys
ausgeprägtes Ego und seine Kritikfähigkeit zum einen, sowie seine
Bereitschaft zur Objektivität und sein feines menschliches Gespür
zum anderen machen dieses Buch so lesenswert. Riding Shotgun ist nämlich
alles andere als eine Hofberichterstattung zur Verklärung der Person Rory
Gallaghers, wie so mancher ergebene Fan hoffen dürfte, sondern eher eine
selbstbewußte, respektvolle Verneigung vor einem genialen Musiker und
zugleich äußerst schwierigen Menschen. Oder – um mit den Worten des
Autors zu sprechen: "I´m here to tell you that he could be one of the most exasperating,
frustrating and infuriating persons you could ever meet. But also, without doubt,
one of the nicest." Doch der Reihe nach…
Ausgehend von jenem bewegenden 14. Juni 1995, an dem mit Rory Gallagher so etwas
wie ein irischer Nationalheiliger verstarb, rollt Gerry McAvoy seine eigene
Biographie auf, die als Sproß einer katholischen Familie im nordirischen
Belfast beginnt. Er berichtet – für kontinentaleuropäische Leser beinahe
schon erschreckend beiläufig - über den protestantisch-katholischen
Irrsinn auf der grünen Insel, von den Kontakten seiner Familie zur IRA,
von diversen absurden Ereignissen politischer und familiärer Art bis hin
zu seiner frühen Jugend, in der er vom Rock´n´Roll-Virus infiziert wurde.
Schnell wird ihm klar, daß für ihn aus dieser Begeisterung auch ein
Ausweg aus der (nicht nur) politisch-ideologischen Enge seiner Heimat erwachsen
kann, und er stürzt sich mit ein paar Schulfreunden ins Abenteuer und gründet
eine Rock´n´Roll-Band. Pride, so deren Name, bringen es im Laufe der
Jahre auch durchaus zu bescheidenem Ansehen, doch das ist in diesem frühen
Stadium eher nebensächlich. Wirklich interessant sind die Schilderungen
der irischen Musikszene, und etwa ab diesem Punkt liest sich Riding Shotgun
fast wie ein Who Is Who der britischen Rockgeschichte. Namen, Anekdoten und
Zusammenhänge lassen den Leser immer wieder staunen oder schmunzeln, und
man vergißt beinahe wieder, daß all dies ja unausweichlich auf ein
richtig dickes Ende hinausläuft.
So richtig packend wird die Story natürlich erst als Jungspund McAvoy von
Rory Gallagher nach dem durch die Plattenfirma provozierten Split der Supergroup
Taste als Bassist für dessen erstes Soloalbum verpflichtet wird,
und von da an geht es Schlag auf Schlag: Mit viel Liebe zum Detail und fast
schon minutiös, doch nie langatmig, erzählt der Autor, was er als
Mitmusiker und später auch Freund der Blues Rock-Ikone im Studio, auf Tour
und während der Auszeiten erlebte. Viele Höhenflüge, ein paar
Tiefschläge, soweit nichts ungewöhnliches... halt Rock´n´Roll wie
man ihn als Fan so mag.
Mit zunehmendem Erfolg wird aber auch immer deutlicher, wie McAvoy oft hin-
und hergerissen ist zwischen Loyalität gegenüber seinem Brötchengeber
und dem Bestreben, dessen weniger angenehme Charakterzüge zu respektieren,
ja bisweilen gar zu rechtfertigen. Der Leser spürt förmlich wie McAvoy
manchmal zwischen allen Stühlen sitzt und um Objektivität ringt, doch
selbst wenn er einmal an seine Toleranzgrenzen stößt, was allerdings
eher selten der Fall ist, vermittelt er nie den Eindruck von Verständnislosigkeit
oder ergeht sich in Spekulationen. Nein, als des Meisters Riding Shotgun springt
er immer wieder tapfer in die Bresche, wenn das Chaos überhand nimmt oder
wenn es gilt, mit unqualifizierten Infamien aufzuräumen...
Etwa ab Mitte der Achtziger schlug die lebhafte Fahrt auf der Rock´n´Roll-Achterbahn
dann allmählich um. Nach einer kurzen, ruhigen Phase der Zufriedenheit
ab 1980, als die Band einschließlich ihres perfektionistischen Leaders
musikalisch und menschlich alles erreicht zu haben schien, schlich sich nach
und nach Gevatter Blues ein und der permanente Streß begann seinen Tribut
zu fordern, was sich beim introvertierten Rory zuerst in zunehmendem Alkoholkonsum
und später in massiven Depressionen und zusätzlichem Medikamentenmißbrauch
äußerte. All dies wurde noch dadurch begünstigt, daß die
vormals äußerst tourfreudige Band ab 1983 kaum noch on the Road ging
und Gallagher sich mit der Gründung seines eigenen Labels Capo Records
wohl etwas übernommen hatte; ein Teufelskreis hatte begonnen, der – einmal
in Gang gesetzt – wohl nicht mehr zu stoppen war. Wie man McAvoy immer wieder
anmerkt, schmerzt ihn dieser Verfall seines Mentors gewaltig, sieht er sich
doch mehr und mehr außer Stande, zu Gallagher durchzudringen und kann
sich nicht einmal dafür revanchieren, daß eben dieser ihn wenige
Jahre zuvor vor einer ähnlichen "Karriere" bewahrt hatte. Auch dem Leser
geht die eindringlich geschilderte unaufhaltsame Talfahrt ziemlich nahe, vor
allem ab dem Zeitpunkt, wo die Band sich aufzulösen beginnt und hilflose
– teils nicht einmal explizit ausgesprochene - Schuldzuweisungen die Verzweiflung
aller Beteiligten greifbar machen...
Schließlich bricht die Band nach 20 gemeinsamen Jahren auseinander, Gallagher
resigniert nun endgültig und kommt trotz einiger Anläufe nie mehr
richtig auf die Beine...; McAvoy startet einen neuen Anlauf mit Nine Below
Zero, muß seinerseits einige derbe Schicksalsschläge verkraften
und verliert seinen ehemaligen Mitstreiter mehr und mehr aus den Augen, bis
er eben telefonisch die Todesnachricht erhält. Die Beisetzung, die Nachrufe,
eine unheimliche Begegnung anläßlich eines Gedenkgottesdienstes...
Wirklich bewegend, und wer hier hart schlucken muß oder gar feuchte Augen
bekommt, braucht sich bestimmt nicht zu schämen angesichts der dicht und
packend geschilderten Abläufe.
McAvoy versteht es meisterlich, seine Beobachtungen in Worte zu fassen, und
auch wenn es ihm natürlich nicht restlos gelingt, den "Mythos" Rory Gallagher
bis ins letzte Detail zu entmystifizieren, so zeichnet er dennoch ein beeindruckendes
Porträt eines augenscheinlich Getriebenen, der mal höflich und fürsorglich,
mal gehässig oder unversöhnlich, mal scheu und sanft, mal unzugänglich
oder zwanghaft erscheint: Alles in allem ein faszinierender Charakter ohne Kompromisse
und ein begnadeter Musiker ohne Zweifel!
Das tragische Ende täuscht allerdings ein wenig; über weite Strecken
ist Riding Shotgun eine äußerst amüsante und kurzweilige
Lektüre, und wer immer schon einmal wissen wollte, warum Rory Gallagher
nicht Gitarrist bei den Stones wurde, wie man sich ein lebenslanges Auftrittsverbot
in Griechenland einhandelt, wieso man sich freiwillig vom Headliner zum Opener
degradiert oder weshalb der authentische Blues der Neuzeit nur aus Irland kommen
kann, der wird hier fündig.
Bleibt noch zu sagen, daß es Riding Shotgun vorerst nur in englischer
Sprache gibt (eine deutsche Ausgabe ist für April 2006 geplant) und daß
sowohl eine gebundene als auch eine Paperback-Version erhältlich sind.
Für Gallagher Fans sowie für alle anderen alten Säcke, die die
Hochzeit handgemachter, ehrlicher Rockmusik fernab von allen Hypes noch live
miterlebt haben, ist dieses fast 350 Seiten starke Werk auf jeden Fall ein Muß;
überwiegend locker-flockig geschrieben wartet es mit einer Vielzahl von
interessanten Facts und Statements von Zeitzeugen auf (besonders lobenswert:
Der ausführliche Anhang mit einem detaillierten Namens- und Sachregister)
und illustriert das Erzählte mit zahlreichen bis dato unveröffentlichten
Fotos (z.B. Rory Gallagher mit einer Gibson Les Paul!!!). Darüber hinaus
wurde für Interessierte mit www.ridingshotgun.co.uk
eigens eine informative Homepage eingerichtet, so daß man hier quasi von
einem Rundum-Service sprechen kann.
Abschließend noch ein Bonmot von Rory himself, das einiges über sein
Selbstverständnis aussagt und dem wohl auch nichts hinzuzufügen ist:
"Some people get all worried about this fantasy and reality thing, you know
(…) I don´t see it like that. Reality is doing the thing you´re best at."
- Klaus - 01/06