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Mario Adorf - Der Fenstersturz (1996)

Die meisten TV-Zuschauer und Kinogänger werden Mario Adorf aus Serien wie „Der große Bellheim“ & „Der Schattenmann“ oder aus Filmen wie „Rossini“ kennen, doch so manche künstlerische Passion des beliebten Schauspielers erfährt hierzulande unverdienterweise weniger Aufmerksamkeit. Das geht dann soweit, daß in schöner Regelmäßigkeit einige seiner besten Filme in Dokumentationen nicht einmal erwähnt werden, wahrscheinlich weil die Autoren sie gar nicht kennen. Eines der Produkte von Mario Adorfs schriftstellerischen Ambitionen habe ich im Supermarkt auf dem Wühltisch gefunden, inmitten eines Gebirges von Schmalz-Romanen und Büchern über so wichtige Jahrhundert-Künstler wie Tic Tac Toe oder die Kelly Family.

Mario AdorfAdorf erzählt in diesem Buch keine durchgehende (Roman-)Handlung, sondern kurze Geschichten aus seinem bewegten Künstlerleben als Bühnen- und Filmschauspieler, die er zusammen mit berühmten Kollegen wie Romy Schneider, Billy Wilder, Alain Delon oder Klaus Kinski erlebte. Man findet Skurriles, Sympathisches und Nachdenkenswertes in „Der Fenstersturz“, zu Papier gebracht in einem wohltuend schnörkellosen Stil, wie man ihn in guten Interviews oder TV-Sendungen wie den „Showgeschichten“ manchmal finden kann, wo nicht versucht wird, lediglich ein aktuelles Produkt zu promoten. Der Leser erfährt, daß es in einem kleinen Dorf in Lappland/Schweden ein Hotel gibt, welches nur aus Eis besteht (Wände, Tische, Stühle usw.) und mit Beginn der Frühlingsperiode zu schmelzen beginnt, weshalb es jedes Jahr zur Winterzeit wieder aufgebaut wird. In einer anderen Geschichte lesen wir von einem denkwürdigen Zusammentreffen mit dem berühmten Bertolt Brecht, der im Alter mal eben seine Theatertheorie über den Haufen warf („Habt Freude am Spielen und vergeßt den ganzen Vorzeigequatsch, den ich da mal geschrieben habe!“), bissig kommentiert von einem Kollegen Adorfs: „Typische Alterserscheinung. Der Atheist, der auf dem Totenbett nach dem Pfaffen verlangt.“

„Der Fenstersturz“ ist eine angenehme Lektüre für den mit Riesenschritten nahenden Herbst, für ruhige Wochenendnachmittage, während im Hintergrund gedämpft passende Musik läuft (New Model Army etwa oder Wall of Sleep oder zur Abwechslung was Klassisches). Der Inhalt des Buchs pendelt zwischen amüsanten und ernsten Begebenheiten, je nach Stimmung kann man das eine oder das andere anlesen, sich kreuz und quer hindurchschmökern, um dann an markanten Stellen hängenzubleiben wie dem Kapitel über Gian Maria Volonté, an dessen Seite Adorf 1977 in Damianis ICH HABE ANGST eine der Hauptrollen gespielt hatte. Als der nur noch großartige Italiener, der als Charakterdarsteller zu den besten seiner Zunft gehörte, 1980 an Krebs erkrankt, will er sich kampflos in sein Schicksal fügen und auf den nahe scheinenden Tod warten. Adorf richtet den Freund wieder auf, gibt ihm neuen Lebensmut. Das Schöne an den kleinen Erzählungen in „Der Fenstersturz“ ist ihre Beiläufigkeit, ohne belanglos zu sein, ihre klare und einfache Sprache. Es existiert auch eine Hörbuch-Fassung, die Adorf wahrscheinlich selbst aufgenommen/gesprochen hat (über den genauen Inhalt der CD/MC ist mir leider nichts bekannt, aber das komplette Buch dürfte wohl nicht vertont worden sein), im btb-Verlag sind außerdem „Der Dieb von Trastevere“ und „Der Mäusetöter“ erschienen.

- Stefan - 10/2001