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Joolz Denby - Corazon (2001); dt: Das Tor des Schmerzes

Joolz Denby's neuer Roman Corazon startet erneut in Bradford, sie erzählt wieder in der Ich-Form, wandert in der Erzähl-Zeit vor und zurück, auch eine Verbindung zum ersten Buch Stone Baby wird hergestellt, wenn auch nur kurz in Form von Gerüchten aus Bradford und der Kritik an den heutigen Massenmedien, die nicht fehlen darf.

Die Hauptidee ist auch ähnlich, zu finden in sehr vielen ihrer Gedichte/Geschichten und auch in einigen Songs von New Model Army - Verflechtungen bleiben eben nicht aus, wenn man zusammen lebt - : Looking for family, looking for tribe. So wie Lily sich irgendwie verloren fühlt bis sie Jamie und Mojo findet, so fühlt sich auch die Hauptdarstellerin von Corazon verloren, verlassen, ungeliebt, bis sie an die CDS-Foundation gerät, Corazon di Sangre, Herz aus Blut.

Aber von vorn. Hauptdarstellerin des Buches ist Alma Greer, Tochter eines berühmten Wissenschaftlers und Bücherschreibers und einer berühmten Malerin, Schwester des ebenso berühmten Wunschkindes und Lieblingssohnes Frankie Greer, der dummerweise die Hoffnungen seiner Eltern betrogen hat, weil er irgendwann bekannte, schwul zu sein und auch sonst nicht gerade publicityfördernde Sexpraktiken für sich entdeckte. Um den Gerüchten und dem bösen Blut aus dem Weg zu gehen, verschwand er vor Jahren nach Amerika und lässt Al, die in ihm immer einen Verbündeten hatte, allein. Alma war neben diesen ganzen Berühmtheiten immer irgendwie unsichtbar, nebensächlich. So zumindest hat sie es empfunden und das konnten ihr auch ihre beiden besten Freundinnen Millie und Maz, kurz die Ems, nicht ausreden. Zum Start der Geschichte wird Al von ihrem "so-called" Ehemann Philip verlassen, der zuvor, fürsorglich wie er ist, ihre Katze tötet, weil er sie für unzuverlässig hält. Al stürzt in ein tiefes Loch, und das ganz bestimmt nicht wegen dieses Ehemannes. Sie nimmt uns mit auf einen Trip in ihre Vergangenheit, wo wir ihre erste, echte, wirkliche große Liebe kennenlernen, Jack Collier, ein schräger Vogel, Poet, seelenverwandt, ein Teil eines Ganzen, zumindest hat sie es damals so empfunden. Im Laufe der Geschichte wird der Leser aber noch darüber aufgeklärt, dass nicht alles Gold ist was glänzt und dass es Dinge gibt, die man gern verdrängt: think about it tomorrow.

Auch die Ems können Al nicht aus ihrem Tief reißen und nach einigem Hin und Her und Zögern beschließt Alma, ihr Leben in den Griff zu bekommen und erst einmal Abstand zu schaffen. Eine Einladung ihrer Eltern in ihr Haus in Spanien (Andalusien) kann sie dann auch nicht ausschlagen, obwohl sie zu ihren Eltern ein eher gespanntes Verhältnis hat. Aber, wer weiß, vielleicht kann man zerschlagenes Porzellan ja doch wieder kitten, einen Versuch ist es allemal wert – looking for family, looking for tribe.

Es geht auch eigentlich ganz gut los, aber irgendwie kommen doch immer wieder Karrieredinge dazwischen, die die Eltern von ihrem Weg, sich besser um ihre "Kinder" zu kümmern, wieder abbringen. Al beginnt sich zu langweilen und gerät nach einem weiteren unglücklichen Liebesabenteuer durch einen seltsamen Zufall an die CDS-Foundation, eine ortsansässige Sekte, einen Kult, der sich selbst als "Studiencenter" bezeichnet. Sie soll hier die Tochter eines "Familienfreundes" retten; wenn sie es nicht versucht, gehen ihrem Vater gute Chancen auf ein Revival seiner Karriere abhanden. Und um die neu gewonnene Eintracht nicht schon wieder zu stören, tut sie, was man erwartet.

Wie der Zufall so spielt: die "Sektenführer", die Zwillinge Jane und Huw der Prophet, haben mit Almas Vater studiert und halten große Stücke auf ihn und auf seine Tochter, obwohl sie sie nie gesehen haben. Alma gerät mehr und mehr in den Bann der "Kult-Angehörigen", zum einen, weil sie dort verwandte Seelen zu finden scheint, Menschen, die sie, die unscheinbare, immer unsichtbare und unwichtige Alma, für etwas Besonderes halten, zum anderen, weil man ihr eine Bibliothek mit unermesslichen Schätzen, vor allem Briefen und Originaldokumenten über ihr Forschungsgebiet, die Bronte-Schwestern, zugänglich macht, die es ihr vielleicht ermöglichen können, ihr Buch, ihr "Projekt" zu einem glorreichen Ende zu führen und aus dem Schatten ihres Vaters herauszutreten.

Und so nimmt alles seinen Lauf, Alma wird mehr und mehr Teil dieser Gemeinschaft, bis sie schließlich ganz dort einzieht, noch darin bestärkt durch einen Besuch ihrer beiden Freundinnen, die ihr ein wichtiges Detail aus ihrer gemeinsamen Zeit mit Jack vorenthalten haben. Für Al bricht eine weitere Welt zusammen, sie zieht sich immer mehr in ihre neue Wahlfamilie zurück, bis sie am Ende herausfindet, was wirklich hinter all den Ideen des CDS-Gründers Huw und seiner Schwester Jane steckt, warum sie für die Foundation so wichtig ist und welche Rolle man ihr nach dem Tod des schwerkranken Huw zugedacht hat...

Das Buch spart nicht mit erschreckenden Details, es ist spannend bis auf die letzte Seite und wie bei Joolz üblich, ist das Wort Happy End mehr als relativ... Mir persönlich hat es einen noch größeren Schrecken über die Abgründe der menschlichen Seele eingejagt als es bereits Stone Baby gelungen ist; dennoch ein Buch, das ich am liebsten direkt wieder von vorn beginnen möchte, obwohl ich diesmal weiß, was mich erwartet.

Und wieder finden sich diverse Parallelen zu Joolz' Geschichten, zu ihrem Leben, es ist mir sogar bei Corazon noch mehr aufgefallen als in Stone Baby.

So wird wieder einem Mann versprochen, immer ehrlich zu ihm zu sein, was seine 'Werke' angeht, hier ist es Poesie, im wahren Leben ist es Musik. Im Buch versucht Alma eine berühmte Schriftstellerin zu werden. Auch Joolz hat einmal, als sie mit Justin über die Zukunft philosophierte, dies als ihr Ziel genannt, wenn es bei ihr auch eher um Fiction geht als bei ihrer Hauptdarstellerin. Die Hauptdarstellerin Alma hat als Forschungsgegenstand das Leben der Bronte-Schwestern; Joolz selbst hat eine Geschichte geschrieben, die mit den Bronte-Schwestern oder noch genauer mit Wuthering Heights zu tun hat – sie heißt auch wie das berühmte Buch von Emily Bronte. Joolz hat neben einem Gedicht namens Corazon, das die Stimmung des Buches widerspiegelt (oder das Buch die Stimmung des Gedichts?) auch ein Gedicht geschrieben, dass sich mit einem Spruch ihrer Nana befasst: wenn der Mond auf das Meer scheint und seinen Lichtpfad auf das Wasser wirft, dann schwimme nicht hinaus, es könnte sein, dass Du niemals wieder zurückkehren wirst. Auch dieses Bild wird verwandt. Dies sind nur einige der Punkte, die mir beim ersten Lesen aufgefallen sind, der geneigte Joolz-Leser und Zuhörer wird sicher selbst noch einige weitere Dinge entdecken. Viel Spaß dabei! ;-)

Joolz Denby - Corazon
Harper Collins
ISBN 0-00-226104-9

- Anja - 05/01