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LOVE SPIRALS DOWNWARDS – Ever (’96) 
(und andere Gedanken)

„The biggest thing in music is how to listen.“
- David Friesen  -

Dies preziöse kleine Album erschien im Jahre 1996, entsprungen dem kreativen Raume zweier musikalischer Freigeister namens Suzanne Perry und Ryan Lum. Ansonsten ist mir selbst über das Duo und ihr weiteres Schaffen (es existieren noch zwei Werke namens „Ardor“ und „Idyll“, welches Eddi irgendwo nahe der Mitte der Milchstraße gefunden haben muß und von dem er berichtet, es sei noch um eine sakrale Dimension reicher als „Ever“ (!)) nichts bekannt. Es besteht ja auch keinerlei, oder sagen wir kaum ein Forum für Liebhaber atmosphärischer Klangwelten in regelmäßiger und kompetenter Erscheinungsweise – eventuell das Zillo, Orkus, Aquarius und die Musikrubrik des Esotera seien als positive Beispiele und Ausnahmen genannt. Love Spirals Downwards dürften nicht zuletzt deshalb nur wenige Sound-Drifter bisher kennen- und liebengelernt haben. Eben deshalb ließ ich mich nochmals zu einer kleinen verbalen Exkursion hinreißen, und jene paar Zeilen der Zuneigung für diese nonkonforme, einzigartige Formation zu verfassen.
Um gleich zu Beginn nur einmal kurz und verstohlen eine Schublade aufzuzerren, möchte ich den Sound dieses Duos als zurückhaltend-melancholischen Akustik-Gitarren-Folk mit berückendem psychedelischem Synthesizer- und Elektro-Gitarren-Einschlag kategorisieren.  Bezeichnend für letzteres Element seien beispielhaft die orbitalen Fusion-Echo-Gitarren erwähnt, die im ausgedehnten Ende des Eröffnungsstückes „El Pedregal“ durch sanfte, filigrane Synthie-Schleier, welche dahinwogen wie farbig schillernder Sternennebel, grandios-schönes Überbleibsel einer Supernova,   in die Weite hallend dahingleiten. Die Gitarren-Sonnenwinde kommen auf – die umtoste Seele setzt freudig die Segel......   Die erste Hälfte des Stückes zeigt die andere Seite der Band, wenn Suzanne mit melancholisch-entrückter Stimme, auf einem Akustik-Gitarrenfluß schwimmend, ihre wunderbaren Weisen in den Äther haucht. Sie sind wahrhaftig einzigartig und generieren zweifelsohne bisher unerhörte Klänge. Tripjeh-Songs in Reinkultur sind die beiden gewollt gleichförmig gehaltenen Ausflüge „Promises“ -das mega-hallig die äußersten Grenzen auslotet- und das schwerelos schwebende, von dezenten Rhythmen und Synthies, sowie abgefahrenen spaceigen E-Gitarren getragene und von betörendem Gesang durchdrungene „Madras“.  Wahrhaftig somewhere out there werdet ihr euch zweifelsohne auch bei den rein instrumentellen „Cay At Dawn“ und „Ananda“ wiederfinden, bei welchen sich die wegdrückenden, faszinierenden stratosphärischen Harmonien Love Spirals Downwards‘ besonders ausgeprägt manifestieren. „Ananda“ ist wie ein langer Tunnel, eine schier endlose Passage, durch welche man mit unbekanntem Ziel hindurchgesogen wird, umgeben von Gestaltlosigkeit und eingehüllt in einen aus tiefen, dichten Klangfeldern gewobenen Kokon.  Irgendwo, in der Ferne vor einem, erscheint schwach schimmernd ein winziger Lichtpunkt, der zusehends größer und größer heranwächst, dessen zaubrische Leuchtkraft mehr und mehr zunimmt, die Dunkelheit zurückdrängend, bis schließlich Klang, Licht und In-Dividuum eins werden, miteinander verschmelzen, dort, nahe dem Urgrund, dem Innersten, der Wesenheit.
Klare Momente jenseits des trennenden Nebels.
Während des abschließenden „Above The Lone“ breiten sich ein letztes mal Morpheus‘ Arme aus, Suzanne Perry schwingt sich beim vielleicht wirklich schönsten Stück des Albums noch einmal in aller höchste Höhen der ungetrübten, verklärenden, sehnsuchtsvollen Schönheit hinauf.  Absolut hinreißend. Man muß sie einfach lieben.
Es ist wahrscheinlich inzwischen völlig unnötig, aber warnend sei noch hinzugefügt, daß sich „Ever“ trotz allem vorhandenen zurückhaltendem Liebreiz eher weniger zum „normalen“ Zuhören eignet -wobei es sicherlich keineswegs den (wertenden) Intellekt beleidigt!-, derart mag es eventuell aufgrund mangelnder Spannungsbögen zum Auftreten von Langeweile kommen, nein – dies Werk verlangt nach hingebungsvollem Abtauchen in transzendentalen klangräumlichen Musikschlummer!
Für all diejenigen unter den Getriebenen, welche das Weite suchen.
Adrift in a tachyon stream, floating with the force of the sun, within the energy of the universe,
to break through the final frontier, through the doors of perception, destination homewards – setting course towards....infinity..............................

Und dabei ist „Ever“ natürlich nur ein einziger Sternensplitter menschlicher Kreativität, deren dort draußen in des Äthers sterndurchglänztem Eis noch Myriaden ebenso prachtvoller existieren.
Zu erwähnen sei da vielleicht -um ansatzweise zu skizzieren, was sich nach dem allerletzten Nonkonform noch so getan hat-  abschließend der griechische Nada-Bodhisattva Vangelis, dessen frühere Werke zwar teilweise mit Vorsicht zu genießen sind (etwa „Beubourg“ – abnervendes kosmisches Geblubber ohne jegliche Melodien), der jedoch seit „1492 – Conquest Of Paradise“ vier Sphären-Opern hervorbrachte, welche unzweifelhaft zum Höchsten gehören, das jemals immaterielle Räume durchdrang und geflügelte Geistwesen in äußerste Verzückung versetzte.  1998 brachte er sein bisher letztes, sehr orchestrales, multidimensionales, ausuferndes, hinwegtragendes, abermals von manigfaltigen verzaubernden Harmonien durchdrungenes Werk „El Greco“ hervor.        Sternendämmerung.
Ebenso wie andere heiligzusprechende Sound-Space-Magier wie die bisher unerwähnten Hausmann/Berglund mit einem unbetitelten Werk in einer Medi-Reihe, das ich mit dem treffenden Titel „Way Home“ versehen möchte; Kagermann mit „Delicious Fruit“ (geht so in etwa in Vollenweider/ Friedemann Richtung); Kamal mit „Mysterious Traveller“; Deuter mit „Ecstasy“ (ein wundervoller metamorphosischer, metaphysischer Fluß – der Mann selbst ist auch schon seit den Siebzigern unterwegs); Howe & Sutin mit „Voyagers“ und „Seraphim“, letzteres noch besser und meditativer als das schon grandiose Debut – und ja, hinter erstgenanntem Namen verbirgt sich Yes-Gitarrist Steve Howe; In The Nursery mit „Duality“ und „An Ambush Of Ghosts“; und nicht zuletzt Lex Van Someren und seine auf „Northern Light“ zelebrierten u. a. von Christoph Hausmann am Synthesizer begleiteten und verzierten faszinierenden Vocal-Welten.  Refugien, angefüllt, ja überfließend von positiver Energie und in sich ruhender, sich beständig ausweitender Daseinsfreude. All diese Künstler beleben und erfüllen mit ihren Schöpfungen die Worte „Harmonie“ und „Schönheit“ mit völlig eigener Note und unvergänglicher, geistreicher Ausstrahlung.  Selbige sind Heimbegehren und Ankommen zugleich.
Weiterhin zumindest namentliche Nennung verdienen Blumfeld mit ihrem herzberührenden, verqueren, vielseitigen Intellektuellen-Pop und den aus der Seele sprechenden poetischen deutschen Texten auf „Old Nobody“; die weitläufige Bekanntheit innehabenden Depeche Mode mit ihren Werken „Songs Of Faith And Devotion“ und „Violator“; die ebenfalls nicht gerade namenlosen Genesis, die zwar nach Steve Hacketts damaligem Ausstieg einiges an Magie und Genialität einbüßten (guter Alben wie „Duke“ oder „We Can’t Dance“ zum Trotz), doch Wunderwerke wie „Wind And Wuthering“ oder „A Trick Of The Tail“ sollten nicht nur eingeschworene Proggies zu begeistern wissen. Mit der von vielen bevorzugten Frühphase, als Peter Gabriel der Formation noch vorstand, habe ich mich bisher noch nicht eingehend beschäftigt. Gemessen an dem eher zwiespältigen „Selling England By The Pound“ (ziemlich daneben: „The Battle Of Epping Forest“, „I Know What I Like“, grandios dagegen: „The Cinema Show“, „Firth Of Fifth“, „After The Ordeal“) muß ich die Sängerfrage betreffend sakrilegisch für good ol‘ Phil Collins plädieren, der meinem Empfinden nach einfach angenehmer, sauberer, und ja – gefühlvoller und reifer intoniert als Gabriel.  Dann meldete sich Michael Dunford mit Renaissance und „Ocean Gypsy“ zurück, um mal bei den 70er Kultbands zu verweilen, leider ohne Annie Haslam und aufgrund einiger guter und origineller Neuinterpretationen von Klassikern, über deren Sinn man geteilter Meinung sein kann, nur teilweise neuen Stücken, aber immerhin. Nicht nur die neue Chansonette weiß zu gefallen. Ein Vergleich der Bedeutung mit etwa „A Song For All Seasons“ oder „Novella“ ist hier natürlich nicht angebracht und muß unterbleiben.
Dann Camel, die mit fast gänzlich instrumentellem, schillerndem Symphonic-Rock auf der `75 entstandenen Suite „The Snow Goose“ den Hörenden beglücken. Anyone’s Daughter zu „Adonis“-Zeiten seien mal als stilistische Vorstellungshilfe angeführt. OhGott ohGott, welch wunderbare, vielfältige, anmutige Melodien, Sophisticated-Rock, wie ihn eigentlich ein jeder innigst liebgewinnen sollte. Selbiges gilt sicher auch für die anderen, mir leider noch nicht, respektive kaum bekannten Werke (etwa „Rain Dances“ – und dies trotz „Highway To The Sun“). Rejoyce, wanderers and outcast, rejoyce!!!      Wem der Name Alan Parsons bisher nur ein müdes, ahnungsloses Schulterzucken entlockte, der sollte sich von exzellenten Alben wie „Pyramid“, „Tales Of Mystery And Imagination“ oder „On Air“ überzeugen lassen und sich zu jenen gesellen, die auf die Nennung des Namens dieses Musikers und Produzenten nur noch non-verbal mit einem still-vergnügten Lächeln antworten. Gut, es ist nicht wirklich alles genial, was der Mann bisher erschuf, aber alleine schon der auf der ´79er „Pyramid“ dominierende „In The Lap Of The Gods“-Zyklus sorgt musikalisch und auch textlich dafür, daß die Welt den Atem anhält.
Zur gleichen Zeit, vor mehr als zwei Dekaden waren die Ungarn Omega mit superbem, interstellarem Art-Melodic-Atmospheric-Rock und wegweisenden Texten unterwegs, vor allem „Transcendent“, dessen Titel programmatisch und in direkter Beziehung zur Musik verstanden werden sollte, ist ein ultimativer trip to outer space...   Ebenfalls von DJ Kosmos sicherlich sofort und dankend seinem Repertoire hinzugefügt wurden Nightwish mit ihrem filigranen, mitreißenden, klassik-beeinflußten Art-Metal und Brendan Perry, dessen Solo-Debut „Eye Of The Hunter“ genauso überirdisch ausfiel wie man es erwarten durfte – from the ashes to the Astral Plains!   Amorphis brachten mit „Elegy“ ´96 einen jugendlich-unbekümmerten und dennoch überaus reifen, gnadenlos genialen Feger an den Start, bei dem sogar die phasenweisen Gruft-Vocals, die sich darstellen, als wären das Monster aus der Lagune oder ein klingonischer Arien-Sänger im Blutweinrausch an den Aufnahmen beteiligt worden, kaum oder überhaupt nicht negativ sich auswirken. Die des öfteren behenden, elegischen, mitreißenden Kompositionen sind fast ausnahmslos brillant, wobei vor allem die aberwitzigen Lead-Gitarren herausragen. Wenn die Jungs sich, wie bisher geschehen, weiterhin entwickeln, werden wir sicher noch sehr viel Freude aus ihren Schöpfungen gewinnen.
Zum Abschluß bleiben dann, nicht zu vergessen, die beiden genialen, tiefgreifenden, epischen und atmosphärischen Metal zelebrierenden phantastischen Formationen Anathema und Therion.
Was Erstere auf „Eternity“ (und vermutlich allem Nachfolgenden > selten vor „Eternity“ vernahm ich ähnlich packend und überzeugend dargebrachten Weltschmerz und eine Befreiungssehnsucht, die zwischen Resignation, Versöhnung, Gebrochenheit, Verzweiflung und Hoffnung hin- und her schwankt) und Letztere auf „Vovin“ und „Deggial“ (beides sehr sinfonisch, klassikorientiert, mit bombastischen Chören! Irgendwo zwischen Tiamat und Carl Orff beheimatet) an ergreifenden Melodien, Spannungsbögen, Überraschungen, Übergängen, Mondscheinharmonien, verschlummerten wie auch hinwegfegenden musikalischen Themen, Abgrund- und Gipfelerlebnissen erstehen ließen, kann hier und jetzt beim besten Willen nicht mehr beschrieben werden...
Zuviel, einfach zuviel.......um es in Worte fassen zu wollen ... und zu können.
Der Rest, die Konsequenz, ist eben Stille und selbst auferlegtes Schweigen. Nicht nur diesbezüglich,
doch auch auf die wortreiche Rezension, läßt sich ein Sinnspruch von mir anwenden, welcher das Verhältnis von Klang (bzw. Musik) und Stille, von Erschaffenem und Unerschaffenem definiert und ein Gefühl für Zusammenwirken und Notwendigkeit beider Gegensätzlichkeiten schafft wie nur wenige andere:
                  Sound is the question,
                  Silence is the answer.

„Wir alle träumen von einer Sprache ohne Worte, welche das Unaussprechliche sagt,
das Ungestaltbare darstellt....“
                      - Hermann Hesse -

Zweifellos ist ein jedes der zahllosen verehrungswürdigen musikalischen Kunstwerke eine begrenzt zeitenthobene Heim- und Ruhestatt für alle über die staubigen Straßen des Lebens umherirrenden heimatlosen Wanderer - ist wie ein Stern, ein Lichtschimmer am Firmament unserer Seele, der uns hilft die dunkle Nacht unserer leidüberschatteten exilhaften Existenz etwas zu erhellen. Ein Licht von Drüben.
Kann man es denn überhaupt oft genug erwähnen, daß die Musik eines der größten Geschenke irdenen Daseins ist und ein Pfad zur inneren Glückseligkeit sein kann? Daß die Musik deutliches Anzeichen für und richtungsgebend auf das Vollkommene, das Göttliche, das Himmelreich im Menschen ist? Man kann diese Tatsache immer wieder nur betonen. Dies ist ihr wahres und tiefstes Geheimnis.

- Heiko - 08/00