Mesrine - "Instinct de Mort"

"His death makes him a hero to some, a legend for all".

So enden die liner notes zu Le Mitard ("Das Verlies") in der englischen Version von Répression. Die Rede ist von Jacques Mesrine, und Le Mitard basiert auf einem Gedicht, das er im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Fleury Merogis schrieb. "His story is the story of a man trapped by justice: He became a gangster after having been unjustly condemned and imprisoned in Canada" heißt es weiter in den liner notes. Mit Instinct de Mort haben Trust Mesrine einen weiteren Song auf Répression gewidmet.
Ganz korrekt ist diese letzte Aussage nicht, Trust tun einiges, um die Person Mesrines zu idealisieren, die zweifellos auch über 25 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod Faszination auf jeden ausübt, der mit seiner Geschichte Bekanntschaft macht. 1977 schrieb Mesrine in der Haft seine Autobiographie L‘ Instinct de mort (deutscher Titel: Der Todestrieb – Lebensbericht eines Staatsfeindes), in der er sehr eindringlich sein Leben und die Beweggründe für seine Taten beschreibt und sich offen zu 39 Verbrechen, darunter mehrere Morde, bekennt. Möglicherweise ist hier Manches aufgrund des starken Hanges Mesrines zur Selbstdarstellung übertrieben. Es fällt trotzdem schwer, beim Lesen nicht Sympathie mit dem Autor zu verspüren, man schaue sich dazu die Kundenrezensionen bei amazon an, wo Mesrine teils als wahrer und guter Mensch, der vom System zum Verbrecher gemacht wurde, idealisiert wird. Was Mesrine selbst übrigens anders sieht.
Mesrine wurde am 28. Dezember 1936 in Clichy geboren und wuchs in einer Mittelklassefamilie auf. Die Schule interessierte ihn wenig, Gangsterfilme zeigten ihm eine Welt, die ihm erstrebenswerter schien, als der Broterwerb mit einem 8-Stunden-Tag. Von 1956 bis 1959 nimmt er freiwillig am Algerienkrieg teil, weniger aus politischer Motivation, als aus Abenteuerlust. Später bezeichnet er diese Zeit als prägend für seine spätere Gangsterkarriere, alles was er können mußte, hätte er dort gelernt.
Zwischen 1962 und 1973 folgen mehrere Bank- und Raubüberfälle und eine Entführung in Frankreich und Kanada, teils mit Komplizen, teils mit seiner Geliebten Jeanne ("Janou") Schneider, bei denen auch Menschen getötet werden. Mesrine steht dazu, mit der normalen Gesellschaft nichts zu tun haben zu wollen. Das "normale Leben" war langweilig für Mesrine, jedes Risiko und jedes Mittel war ihm recht, diesem Leben zu entkommen. Es gab zwar Versuche, wieder ins bürgerliche Leben zurück zu kehren, aber diese scheiterten nach kurzer Zeit. Er besteht jedoch auf ethischen "Mindeststandards " – keine Frauen, keine Kinder, keine alten Leute, keine kleinen Angestellten seien bei seinen Verbrechen verletzt oder getötet wurden. Und wer einen "bewaffneten Zusammenstoß" mit ihm akzeptierte, ging seiner Ansicht nach "genauso wie ich ein persönliches Risiko ein".
Mesrine wird in Kanada und Frankreich zum "Staatsfeind Nummer eins" erklärt. In Kanada wird er 1969 nach einer Entführung gefasst und inhaftiert. Er bricht mit seiner Freundin Jeanne aus und wird bald darauf erneut eingesperrt, kann jedoch mit Komplizen 1972 aus dem Gefängnis, das als eines der sichersten des Lands bezeichnet wurde, ausbrechen. Er überfällt daraufhin mehrere Banken in Montreal und kehrt später nach Frankreich zurück.
1973 wird Mesrine dort festgenommen, kann aber während der Gerichtsverhandlung fliehen, indem er einen Richter als Geisel nimmt, jedoch wird er vier Monate danach erneut festgenommen.
Im Mai 1977 wird Mesrine zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dazu ist anzumerken, daß Frankreich die Todesstrafe erst 1981 abgeschafft hat, die letzte Hinrichtung fand 1977 statt. Er entkommt über 1 Jahr später mit zwei anderen Gefangenen aus dem Gefängnis "La Santé" in Paris. Es geht weiter wie gehabt. Mesrine gibt sogar Interviews mit Zeitungen, in denen er auch die Haftbedingungen in den französischen Gefängnissen anprangert, insbesondere im QHS (Quartier à Haute Securité; entspricht dem deutschen Hochsicherheitstrakt). Für sich selbst nimmt Mesrine das Risko der Inhaftierung in Kauf, er streitet seine Verbrechen ja nicht ab. Dies ist der politische Aspekt in Mesrines Leben, der ihm, gleich nach seiner schier unglaublichen Verbrecherkarriere, den Respekt der französischen Öffentlichkeit verschaffte. In einem Interview der Zeitung "Liberation" vom 3. und 4. Januar 1979 (zu lesen in der deutschen Ausgabe von Der Todestrieb, erschienen im Rowohlt Taschenbuch-Verlag) sagt Mesrine dazu: ".. moralisch ermordet die Gesellschaft jene Menschen, die in den QHS eingesperrt sind. Was man nicht will, daß einem selbst angetan, soll man auch keinem anderen zufügen. Die Gesellschaft ermordet die Gefangenen, sie ermordet sie Tag für Tag und Nacht für Nacht. Die QHS sind legalisierter Mord." Und weiter: "... viele Häftlinge sind gesellschaftliche Opfer. Sehr wenige unter uns gehören zu denen, die man ‚Berufsverbrecher‘ nennt. Ich gehöre leider zu ihnen, und das sollte mich nicht daran hindern, im Namen der anderen zu sprechen. ... Ich sehe zu, wie junge Kerle für zehn, fünfzehn oder gar zwanzig Jahre ins Gefängnis müssen, während sie doch nur Opfer der Gesellschaft sind. Ich persönlich bin kein Opfer der Gesellschaft. Jetzt bin ich sogar zu einem Werkzeug der Gesellschaft geworden, da ich indirekt dazu gebraucht werde, um eine bestimmte Repression zu rechtfertigen". Mesrines Kritik am französischen Haftsystem ist weiter aktuell: "Die Haftbedingungen in den französischen Gefängnissen ... verschlechterten sich in einer Weise, daß sie nicht mehr den internationalen Standards genügten", heißt es im Jahresbericht 2005 von amnesty international. Es ist die Rede von gravierender Überbelegung, unmenschlichen und erniedrigenden Haftbedingungen und einer hoher Selbstmordrate. Ein Bericht des Europäischen Ausschusses gegen Folter, der zitiert wird, weißt darauf hin, die Probleme seien "nicht etwa hauptsächlich oder gar ausschließlich auf fehlende Infrastruktur zurückzuführen, sondern vor allem auf die repressive Strafverfolgungspolitik, sodass es nicht ausreiche, einfach nur neue Gefängnisse zu bauen". "The future prisons will still cage the animals no one wants to see. No room to think, no time to remember. Put them in, bolt the doors, beat them and defeat them, so never may they tell" (Instinct de Mort – englische Version Death Instinct).
Am 2. November 1979 stoppt die Polizei Mesrines BMW mit einem Lastwagen, und er wird mit 19 Schüssen durch die Windschutzscheibe getötet. Die Vermutung, daß es sich dabei um eine Art "Hinrichtung" gehandelt haben könnte, scheint nicht von der Hand zu weisen.
Mehr Infos findet ihr im Mesrine-Artikel bei Wikipedia.

In Zusammenhang mit den Lyrics von Le Mitard wird "Princesse Sabrina" erwähnt, die die Zustimmung zur Verwendung des Gedichts von Mesrine gab. Es könnte sich dabei um seine Tochter Sabrina handeln.
1984 wurde sein Leben mit Nicolas Silberg in der Titelrolle André Génovès verfilmt (Mesrine-Staatsfeind No.1).

2006 erschien Der Todestrieb als ein von Claude Rudolph gelesenes Hörbuch als Doppel-CD. In knapp 2 ½ Stunden kann jedoch nur ein kleiner Teil des Buches erfasst werden, zudem umfasst alleine die erste CD die Geschichte Mesrines bis zu seinem ersten Einbruch. Auf CD Nr. 2 erzählt Claude Rudolph, bekannt als "Deutschlands Filmbösewicht Nr. 1", exemplarisch von einem Rachemord Mesrines und einem Gefängnisausbruch, Die "Verbrecherkarriere" von Mesrine wird mit wenigen Sätzen zusammengefasst. Ohne Kenntnis des Buches steht der unbedarfte Hörer wohl etwas verloren da. Jedoch geben die im Hörbuch verwendeten Passagen einen guten Einblick in die Psyche Mesrines, in sein "Verbrecherethos" und in seine Kritik an den Zuständen in französischen Gefängnissen. Claude Rudolph bot sich vielleicht wegen seines Images als Sprecher an, er wirkt aber manchmal etwas zu schnoddrig und gewollt cool. Ich hätte mir, wenn’s schon ein bekannter Sprecher sein soll, auch Joachim Kerzel (Synchronstimme von u. a. Robert De Niro und Jack Nicholson) oder Manfred Lehmann (synchronisierte Bruce Willis in mehreren Filmen oder auch Nicholas Cage) gut vorstellen können.

- Martin -

Bildnachweis: Quelle/Copyright unbekannt