"Any attempt to reproduce these musical statements in our own words is
necessarily doomed to failure."
(Aldous Huxley)
Ein wilder Ritt durch die Ewigen Jagdgründe der Pop-Musik
Teil 6
Ganz ehrlich, ich könnte mittlerweile nicht mal mehr ansatzweise definieren,
was NMA heutzutage noch von jeder beliebigen halbprofessionellen Alternative-Rockband
unterscheidet und allenfalls mutmaßen, was Justin & Co. noch antreibt,
regelmäßig Platten zu veröffentlichen. Lust- und hookloses
Dahingesinge, uncharakterisches Geschrammel, muffige und totgemasterte Produktion.
[1/10]
Besser als NMA. Zumindest klar erkennbar als die Band, die mir in den 1980
& 90ern mal viel bedeutet hat und deren Klassiker ich noch heute gelegentlich
auflege. Leider unterminiert der schwache und unausgeprägte Sound, mit
seinen ärgerlich kraftlosen Gitarren, das retrobadgefühlige Plätschern
und Dahintreiben in der Zwielichtgrotte der heimeligen Nostalgie.
Als damals Simon Hinkler ausstieg war das der Anfang vom Ende. Rückblickend
läßt sich konstatieren, welch zentrales Element sein Spiel und
Arrangeurtalent bildete. Danach gab's mit "Masque" noch ein gutes
und "Neverland" halbwegs okayes Album. Das war's dann aber auch
gewesen mit der düsterrockigen Herrlichkeit.
[4/10]
Da wir gerade so schön dabei sind. Irgendwie freut man sich nicht mehr so wirklich auf neues Material von Gruppen und Künstlern, die mal vor zwanzig, dreißig, vierzig Jahren auf ihrem kreativen Gipfelpunkt peakten, einem persönlich vor Dekaden mal gaaaaanz doll wichtig waren und deren unvergängliche Schöpfungen man sich gerne hin und wieder reinpfeift.
Positivliste. Gelegentlich gibt's aber so richtig angenehme Überraschungen von vergangenen, enttäuschten oder verschollenen Liebschaften.Vereinzelt später mehr hierzu.
The same wearisome procedure as eight years before.
[4/10]
Vor allem erinnerungswert wegen des absurd backsteinmauerigen Masterings.
War musikalisch ganz okay bis gut, aber produktionstechnisch selbst in der
GuitarHero3-Version eher grottig, schrille Gitarren, allgemein ein zu trockenes
Klangbild. Kurz flackerte die Hoffnung auf, Metallica könnten sich noch
einmal zu einer beeindruckenden Großtat aufraffen, sie wurde aber genauso
schnell wieder begraben. Kreativ sind die Kalifornier heute nur noch die Hülle
der Band die sie einst waren und ausschließlich als Live-Attraktion
wirklich goutierbar.
[1/10 im Original - 5/10 im GuitarHero3-Mastering]
Vermutlich meine nachhaltigste Neuentdeckung des Jahres 2016. Kantiger, rhythmischer
Power-Pop mit geradezu unwiderstehlichen Hooks. Die angulare Gitarre, das
lebhafte Piano und die vorantreibende Bass- und Schlagzeug-Einheit gehen eine
reizvolle Symbiose mit den vielstimmigen Gesangsharmonien ein. Subtile Schroffheit
und wie an einer Perlenschnur aneinandergereihte Jahrtausendmelodien sorgen
für eine ganz besondere Magie, die einen so einfach nicht wieder losläßt.
Jeder einzelne Song ein gnadenlos brillanter Hit. Dies ist ein niemals erlöschender,
ewiglich strahlender Prachtstern von einer einzigartigen musikalischen Zusammenkunft.
Als Nebenprojekt einiger Indie-Stars gegründet, ereilte die Gruppe spätestens
mit diesem Album ein kommerzieller Erfolg und Kultstatus, der die sonstigen
Arbeiten von Carl Newman, Dan Bejar (a.k.a. Destroyer) und Neko Case eine
zeitlang sogar in den Schatten stellte. Dieses Ausmaß an Indie-Rock-
und Power-Pop-Perfektion wurde weder zuvor noch danach jemals wieder erreicht.
Auch von den New Pornographers selbst nur bedingt.
Aufmerksam auf "Twin Cinema" wurde ich, nebenbei erwähnt, über
den ebenfalls höchst empfehlenswerten The Great Albums-Podcast, die weltweit
wahrscheinlich großartigste wöchentliche Gesprächsrunde rund
um musikalische Highlights.
Der unbändige Reiz dieses berauschenden Werkes nutzt sich auch nach dutzenden
ekstatischen Durchläufen kein bißchen ab. Wenn Rock'n'Roll tatsächlich,
wie einst von Fernsehprediger Jimmy Swaggart behauptet, eine neue Form der
Pornographie ist - dann möchte ich diesbezüglich keinesfalls jemals
wieder enthaltsam leben müssen.
[10/10]
Bei oberflächlicher Betrachtung ein weiteres und, nach all den Jahren
der Funkstille, unerwartetes sinfonisches Meisterwerk des großen Griechen.
Leider klingt hier einiges zu künstlich und schwülstig. Mit der
Addition des einen oder anderen neuen Sounds hat er niemandem einen wirklichen
Gefallen getan. Speziell beispielsweise die artifiziell anmutenden gezupften
Violinen und der gelegentliche schräge Sequenzer-Loop dämpfen den
Hörgenuß doch spürbar. Kompositorisch absolut okay, fehlt
es dem offiziellen Soundtrack zur Asteroiden-Sondenlandung ein wenig an Tiefe
und Ausgereiftheit.
Schade.
[6/10]
Anschließend hatte ich Lust, die glorreiche Vergangenheit heraufzubeschwören
und eine persönliche Vangelis Top Five zusammenzustellen. Auf nur fünf
Alben runterzudampfen gelang allerdings nicht so ganz ...
1492: Conquest of Paradise
El Greco
Oceanic
Alexander
Chariots of Fire
Voices
Antarctica
Blade Runner
Der vielleicht versierteste derzeit aktive Ambient-Künstler. Haut regelmäßig
ein harmonisch faszinierendes, prickelnd düsteres, kunstvoll arrangiertes,
geschmackvoll ausgestaltetes Klangskulpturgebilde nach dem anderen raus. Filigran
in allen Räumen und Distanzen flirrende und hintergründig elektrisierend
dröhnende Gitarrenschleifen verbinden sich mit vielfältigsten Violinenstrichen,
statische Geräuschkulissen sich mit vereinzelten Klangtropfen von Marimba,
Vibraphon, Harfe, Harmonika, Perkussion, Elektronik.
Es ist, als wäre man bei der Geburt des Universums mit dabei. Mittendrin.
Ganz kurz nach dem Urknall. Als all die disparaten Elemente sich formen und
finden. Als die Grundbausteine von Materie und Leben sich zu einem homogenen
Ganzen zusammenfügen.
Man kann s(inf)onisch beiwohnen, wie aus der Leere eine Struktur erwächst,
wie anfänglich scheinendes Chaos eine wundersame, naturprinzipiell wirkende
Ordnungsarchitektur offenbart.
[10/10]
Einer dieser exemplarischen Fälle, wo ich den Loudness War besonders
verabscheue. An sich ein töftes oldschooliges Thrash Metal Album. An
frühe Sachen von Dark Angel oder Slayer erinnernd. Geiles Riffing, mitreißende
Songs. Und dann dimmen sie den dynamischen Raum bis auf DR4 herunter. Aaaaaaaaaaaaaaaaargh!
Hauptsache laut und dröhnend. Das ist gerade bei Musik, die ihrem Naturell
entsprechend eh schon aggressiv und meist voluminös ist, absolut tödlich.
Snare und Bässe wummern breit, flach und unangenehm drückend vor
sich hin, das gesamte Klangbild hat keine Luft zum Atmen, die einzelnen Instrumente
und Töne sind ohne verbleibende Zwischenräume zu einem massiven
Klumpen komprimiert und zusammengeschmolzen. Bäh.
Sorry, das mußte jetzt einfach sein. Ab sofort aber kein Wort mehr über
den Fight Club.
Äh, ich meine, natürlich den Loudness War.
Versprochen.
[3/10; bei angemessenem Mastering (DR7 aufwärts) hätten es locker
7 oder 8 von 10 sein können]
Verdammt schade. Eine der Enttäuschungen des Jahres.
Das ungute Gefühl, das einen gleich beim ersten Durchlauf beschleicht,
verfestigt sich zunehmend.
Eine schwächere Produktion und deutliche Hinwendung zu mainstreamigeren
Gefilden hat den einst delikaten Indie-Folk/Pop der beiden vorangegangenen
Scheiben vewässert und der Band einiges an Charakter geraubt. Zwar ist
der Gesang nach wie vor formidabel und so manche Hookline sitzt, aber das
reicht nicht aus. Medial gehypte und stilistisch vergleichbare Bands wie The
War On Drugs würden auf dem Schwarzmarkt für die hier zuweilen dargebotenen
Refrains ein kleines Vermögen verbrennen. Die klangliche Qualität
in der Instrumentierung und die Kompositionen bleiben einfach zu schwankend.
Die meisten Songs sind okay bis gut, beim Titelstück und den letzten
beiden, um die tapsigsten Problembären mal beim Namen zu nennen, fällt
die Platte mit einer uneleganten Pirouette glatt von der Klippe.
Ein ähnlicher Fehltritt wie bei den Mumford & Sons auf ihrem letzten
Album, wenn auch weniger belanglos.
Hoffentlich ist das nicht die Einleitung des Abgesangs dieser großartigen
kleinen Band.
[6/10]
Okay, es ist an der Zeit für noch etwas mehr an unverschämtem Namedropping:
Omega Massif, Neurosis, Long Distance Calling, Pelican, Isis, Cult Of Luna,
Red Sparowes, Russian Circles, The Ocean - sie alle sind gekommen, mehr oder
weniger lange zu Gast gewesen und überwiegend wieder gegangen.
Rosetta dürften gekommen sein, um zu bleiben. Sie tragen den Post
Metal schon über eine Dekade hinweg zu nie dagewesenen Höhen und
bieten einen Ausblick, den ich sicher noch lange genießen werde.
Baggere mich derzeit enthusiastisch durch ihre Diskographie.
Das eben erschienene
Rosetta - Utopioid (2017)
& das Debut
Rosetta - The Galilean Satellites (2005)
sind schon mal beide fantastisch. Jeweils zehn von zehn.
Kann nicht glauben, daß dies dieselbe Band sein soll, welche zwei herausragende
atmosphärische Post-Rock/Metal Epen veröffentlichte. Produktion
ist schwach, Songwriting ist uninteressant, die neue Sängerin eine emotive
Naturkatastrophe.
[1/10]
Mit Abstand schwächstes Werk der Kanadier. Spannungslos repetitierte
und altbekannte Muster, präsentiert in dumpfem Hinterhoftoilettensound.
Die Violinen setzen gelegentliche Akzente, doch Efrims sich wimmernd dahinwindende
Gitarre geht mir oft nur noch auf den Senkel (vor allem im orientierungslosen
letzten Stück) und killt eventuell aufkommende Hörfreude schon im
Ansatz.
Die Vorfreude war groß. Schade. Sehr schade.
Die Gruppe war mal einzigartig, mit avantgardistischen Ambitionen, nun aber
klingt sie wie eine verwaschene Kopie einer verwaschenen Kopie ihres einstigen
Selbst.
Holt euch lieber das neue digitale Vinyl (oder am besten gleich alles) von
Balmorhea, die Wiederveröffentlichung von Jambinais "Differance"
oder die letzten Arbeiten von Esmerine, wenn ich kurz spontan ein paar Genreverwandte
nennen darf. Mir fielen sicher hunderte aufregendere Werke ein, die diesem
künstlerischen Rückschritt von GY!BE vorzuziehen wären.
Stimme mit eigentlich fast allem überein, was Anthony Fantano sagt:
https://www.youtube.com/watch?v=-K0wHtAc1t8
[4/10]
Hat fast drei Jahrzehnte gebraucht, um für mich zu einer differenzierten
Einschätzung zu gelangen, warum diese damals junge, hoffnungsvolle und
immens talentierte Band, bei all den Ansätzen der ersten beiden Alben,
es nie wirklich zu was gebracht hat und ich mit ihr, trotz mehrfacher Anläufe
und großer Affinität zu ihrem Musizierstil, nur ein eher lauwarmes
Verhältnis pflegte.
Sänger Russ Anderson war auf jeden Fall ein grandioses Alleinstellungsmerkmal
unter allen anderen (Bay Area-) Thrashern: von melodiös bis aggressiv
hatte er alles drauf, dabei einen beeindruckenden Stimmumfang und ein sehr
charakteristisches, für sich einnehmendes Timbre. So einen fantastischen
Refrain wie etwa beim Titelstück dieser Scheibe zu meistern ist schon
rein technisch wirklich nicht jedem gegeben.
Die Probleme liegen vor allem in den unausgewogenen Produktionen der Musik
und der überambitionierten Komplexität der Kompositionen. Während
"Forbidden Evil" zu rauh und matschig klingt, geriet "Twisted
Into From" zu glatt und basslastig (dieser Michael Rosen hat, nebenbei
bemerkt, noch einige andere Metal-Platten aufm Gewissen); alles auf Kosten
der eigentlich fulminanten Gitarren, die einen guten Teil ihrer Wirkung einbüßen.
Das Gesamtbild bleibt somit deutlich zu wenig markant, erregend, einprägsam,
zupackend.
[6/10]
Die Renaissance!
Bereits die Neueinspielung von "No Place For Disgrace", zwei Jahre
zuvor, hat mich vor Begeisterung aus den Latschen kippen lassen. Dieses letzte
selbstbetitelte Album allerdings ist ihr bestes seit ... seit ... ach - jemals!
Und das diese fulminante Metal Tour de Force abschließende "Forbidden
Territories" ist definitiv einer der mitreißendesten und kunstvollsten
Metal-Songs ... überhaupt, jemals!!
Okay, der gute alte Eric hat nicht mehr den gleichen Stimmumfang wie in den
1980-90ern. Klar. Die schweindelerregenden Höhen und völlige Mühelosigkeit
sind weg, aber er ist nach wie vor ein exzellenter Sänger, der seine
einprägsamen Melodielinien charismatisch zum Leben erweckt. Die Limitierung
wird nur im direkten Vergleich mit seinem früheren Selbst überhaupt
auffällig.
Der neue Drummer ist der schiere Wahnsinn!
Die Gitarren, sowohl im Solieren als auch im Riffing, famos und von hohem
Wiedererkennungswert!
Bin hin und weg.
Haltloser Beifall.
Anspruchsvoller, hochkultivierter Heavy Metal von rasanter Dynamik und oftmals
mit wunderbar hymnischen Refrains in Erstaunen versetzend.
[10/10]
Dieses Meisterwerk und einer der aussichtsreichsten Kandidaten auf den Titel
"Album des Jahres 2017" der amerikanischen Doomster von Pallbearer
hätte bequem auch in unsere, mit recht weltweite Beliebtheit genießende,
Herbstmusik-Reihe hinein gepaßt. Denn hier wird eine nebelschwadenverhangene
Melancholie zelebriert und gefeiert. In die tiefsten menschlichen Abgründe
geschaut und die heraufwallenden Emotionen in ergreifende, wundervolle, tröstende
Klänge gegossen. Die Wehmut, die Tragödie, der Weltschmerz in großartigster
Kunst sublimiert, erlebbar, begreifbar, verarbeitbar gemacht.
Den Menschen und seine im Dasein verankerten Schattenseiten in seiner gesamten
Tiefe ausgelotet.
Wahrscheinlich hat noch niemand zuvor ein solch dichtgewobenes Netzwerk aus
schimmernden Harmonien aus den Niederungen der Dunkelwelt emporgehoben.
[10/10]
- Heiko - 11/2017