Zur Rubrik "Hören"
Kommentieren
Zur Hauptseite
Zur Hauptseite
Worum's geht...
Musikmacher
Bewegte Bilder
Lesen
Anderes


 „Let's listen to the colours of our dreams"
(frei nach BEATLES - Tomorrow never knows)


[01] ELDOVAR – A Story of Darkness & Light (2021)

Die letztjährige Herbstmusik hatten wir mit der Band Elder eingeleitet, die auch diesmal wieder dabei sind – wenn auch in abgewandelter Form. Die Amis haben sich mit der Band Kadavar zusammengetan und das Resultat dieser deutsch-amerikanischen Freundschaft trägt den Namen ELDOVAR. Vor zwei Jahren erschien das vorliegende Album, das den Versuch antrat, Musiker aus zwei Gruppen ein neues, funktionsfähiges Ganzes erschaffen zu lassen. Das Unterfangen ist hörbar geglückt und bietet eine kurzweilige Dreiviertelstunde lang eine sehr angenehme Mischung, die von Post- und Krautrock-Elementen bis zu Passagen reicht, in denen leicht erkennbar und ausgiebig PINK FLOYD zitiert werden.


Schon im ersten Track, der deutlich die Neun-Minuten-Grenze hinter sich lässt, präsentiert das Album seine Stärke: Da dröhnt sich niemand trotz der Länge ins schier unendliche, indifferente Nichts, das ist schlüssig aufgebaut und wirkt nicht langweilig. Track 2, das halbakustische „In the Way“, lässt Erinnerungen an die dritte LP von LED ZEPPELIN aufkommen, was nun keine schlechte Inspirationsquelle darstellt. Sphärischer und auch etwas elektronisch angereichert wird es in „El Matador“ mit einem guten Gespür für schöne Melodien, die nicht kitschig klingen.


Erfreulich ist auch die Tatsache, dass der Abwechslungsreichtum hier nicht zu kurz kommt, was im Bereich Post-Rock und Artverwandtem ja durchaus ein Problem sein kann, wenn die Musik irgendwann doch zu gleichförmig um sich selbst kreist. ELDOVAR wirken dem entgegen, wenn z. B. ein dunkel grummelnder Keyboard-Teppich vom straff arrangierten Elfminüter „Blood Moon Night“ abgelöst wird. Das längste Stück auf dem Album hat selbst für einen nicht bis ins Knochenmark hinein mit PINK FLOYD-Expertenwissen ausgestatteten Hörer wie mich deutliche Anklänge an die berühmten britischen Kollegen, aber kaum hat man die Zitate ausgemacht, dreht die Band ungeniert an der Heaviness-Schraube und begibt sich in Bereiche, die auch einer musikalisch härter angelegten Doom-Kapelle ausgesprochen gut zu Gesicht stehen würden.


Nach einem entspannten Ausklang mit Klavierbegleitung bleibt festzuhalten, dass dieses Album definitiv noch öfter laufen wird, die musikalische Klasse ist einfach überzeugend. Für die Vinyl-Freunde gibt es in diesem Fall diverse Auflagen (gefühlte 20, tatsächlich wohl kaum weniger), was für meinen Geschmack langsam ein wenig ausufert. Musik muss als Tonträger mittlerweile wohl in erster Linie über Besonderheiten bei der Verpackung oder auf ähnlichen Ebenen verkauft werden, um dann online in Sammlerforen mitteilen zu können, dass man gerade eben die auf 250 Einheiten limitierte LP im „Red Cloudy“-Vinyl erstanden hat. Wer es konventioneller mag: Eine CD gibt's hiervon ebenfalls, immerhin in einer Auflage von 1000 Exemplaren.


- Stefan-  10/2023


[02] BLUE ÖYSTER CULT – Imaginos (1988)

Ein enorm stimmungsvolles Covermotiv ziert dieses Album und es war wohl auch der Grund, mir seinerzeit in den ausgehenden Achtzigern aus der mit harter Rockmusik eher überschaubar ausgestatteten Stadtbibliothek eine Kassette der Band BLUE ÖYSTER CULT auszuleihen. Mein Interesse galt schon mehr dem härteren Metal, aber gehört wurde trotzdem (und auch heute noch) stilistisch vieles durcheinander. Grönemeyer und Napalm Death? Das ging beides, wenn auch nicht unbedingt parallel laufend.

Die vorliegende Band war zwar durch einige Classic-Rock-Hits bekannt (an erster Stelle natürlich „Don’t fear the Reaper“, was sonst), aber in dieser Zeit nicht mehr auf dem Zenit ihrer Popularität, die sich in den Siebzigern noch auf einem anderen Level bewegt hatte. Heute dagegen scheinen mir BÖC auch in Metal-Kreisen wiederentdeckt worden zu sein und spielten dieses Jahr im Sommer unter anderem beim beliebten „Sweden Rock“-Festival.

 Die Entstehungsgeschichte von „Imaginos“ ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Da ist von einer langen Produktionsdauer die Rede und von einer ganzen Kompanie an Gastmusikern. Das inhaltliche Konzept hinter dem Album steht dem in nichts nach. Zieht man den englischsprachigen Wikipedia-Eintrag zu Rate, reicht „Imaginos" textlich bis in die Sechziger zurück und entwirft eine versponnene Gothic/SF-Geschichte, die an dieser Stelle kaum wiederzugeben ist. „A BEDTIME STORY FOR THE CHILDREN OF THE DAMNED" heißt es auf dem Backcover und damit ist der Rahmen abgesteckt. BLUE ÖYSTER CULT bewegten sich damit deutlich abseits des Achtziger-US-Hardrocks, wo seinerzeit gerne Herren und Damen mit hochtoupierten Frisuren unterwegs waren und sich in Videoclips Models auf Motorhauben von Luxusautos räkelten (so rufe ich mir das zumindest für den Moment als verdichtetes Klischeebild in Erinnerung).

Ursprünglich sollte "Imaginos" ein Soloalbum des BÖC-Drummers werden, dann uferte das Unternehmen in einem acht Jahre währenden Schaffensprozess aus. Da liegt natürlich der Gedanke an die vielen Köche, die den Brei nachhaltig verderben, sehr nahe. Die mehrteilige Rock-Oper, die einmal geplant gewesen war, blieb dabei irgendwann auf der Strecke und es wurde bis zur Veröffentlichung auch noch viel daran herumgedoktert. An der kommerziellen Front soll das Album kein Erfolg gewesen sein, es bot sich auch wenig Greifbares etwa für eine mögliche Hitsingle an. Betrachtet man die Scheibe aber mal ganz losgelöst vom Bandkontext und den Querelen der Produktionsphase, ist sie dennoch eine Wiederentdeckung wert.


Der Sound mag überproduziert wirken und man könnte sich das Gebotene auch erdiger, reduzierter vorstellen, doch das mag der umfangreichen Beteiligung von gefühlt 538 Sessionmusikern geschuldet sein. Behält man aber während des Hörens das fantastische Cover-Artwork im Auge, transportiert sich auch im Hochglanz-Hardrock eine spannungsgeladene, mysteriöse Atmosphäre. „In the Presence of another World" lautet ein dazu passend betiteltes Highlight des Albums, das sich diese Stimmung über weite Strecken bewahrt (das etwas käsige „Del Rio’s Song“ ist stilistisch ein kleiner Ausreißer). Gelegentlich wird BÖC nachgesagt, in dieser Zeit dem Metal am nächsten gekommen zu sein, was bei Songs wie „The Siege and Investiture of Baron von Frankenstein's Castle at Weisseria“ (was für ein Titel!) hörbar wird, wenn man sich die Chorgesänge mal weg- und den Gesang von Tony Martin (in seiner BLACK SABBATH-Phase) dazudenkt.

Da ich bestimmt kein Experte auf dem Gebiet BLUE ÖYSTER CULT bin, würde ich erst gar nicht den Versuch unternehmen wollen, dieses Album im Gesamtwerk kompetent einzuordnen. Songs wie „Magna of Illusion“ oder die oben genannten versprühen ein angenehmes Schauergeschichten-Flair und die gelungene visuelle Gestaltung der LP lässt „Imaginos" zu einem dieser Alben werden, die im unmittelbaren zeitlichen Kontext künstlerisch wie kommerziell zwar in die Beinahe-Flop-Ecke gerückt wurden, in ihrer eigenen Nische dann aber über Jahrzehnte weiterleben. Auf klassischen Tonträgern ist momentan offenbar nichts „in print“, aber diesem Zustand könnte ja durch eine Neuauflage auf CD und Vinyl begegnet werden.


- Stefan - 10/203


[03] SLOWDIVE – Souvlaki (1993)

Ähnlich wie beim Post-Rock gibt’s ja auch gegenüber dem Shoegaze-Genre gelegentlich das Vorurteil, dass die Musiker einfach nur ereignisarm vor sich hin schrammeln, sich in bedeutungsschwangerer Nichtigkeit verlieren. Das ist natürlich nicht zutreffend und kann entstehen, wenn man mit konservativen Vorstellungen davon, was denn nun einen guten Rocksong ausmacht, an diese Spielart herangeht. Die Briten SLOWDIVE, die vor 30 Jahren ihre zweite LP „Souvlaki“ veröffentlichten, ließen schon damals handelsübliche Zutaten einfach weg: keine prägnanten Riffs, keinen Strophe-Refrain-Aufbau, keine ausgefeilten virtuosen Soli zur Selbstdarstellung.

An deren Stelle traten fließende Strukturen mit Ambient-Charakter, die den Zustand zelebrieren und nicht das Abgeschlossene, das prägnant etwa auf den Einsatz im Radio Zugeschnittene. Auch wenn die einzelnen Stücke gar nicht mal besonders lang sind und ausufernde Zehnminüter komplett fehlen, sticht hier kaum ein Song heraus, der sich im Hinblick auf eine klassische Single-Auskopplung anbieten würde. Die SLOWDIVE-Musik verweigert sich doch ziemlich konsequent den Erfordernissen, die dazu notwendig oder erwünscht wären.
 
Trotzdem entwickelt „Souvlaki“ schon bald einen Sog, der einen mitnimmt. Wer stilprägende Gruppen wie MY BLOODY VALENTINE kennt, wird auch jenes Gefühl kennen, wenn dieser charakteristische Gitarrensound zu schweben beginnt und der sphärische Gesang einsetzt. Besondere Tracks hervorzuheben, ist naturgemäß etwas schwierig, aber ich würde mal spontan „When the Sun hits“ und „Melon Yellow“ auswählen, da sie die Bandbreite des Albums ganz gut repräsentieren. Etwas aus dem Rahmen fällt das abschließende „Dagger“ mit seinen akustischen Gitarren, die an Folk-Elemente anknüpfen. Das alles ergibt am Ende einen Sound, der auch in Metal-Fankreisen Anklang findet (als Gradmesser können die Musik-Diskussionen im Deaf-Forever-Forum dienen) und beweist, dass auch und gerade die Bands aus dem harten Sektor nicht selten über weitläufigere Einflüsse verfügen, als man dem ersten Eindruck nach vermuten könnte. Die Franzosen ALCEST etwa, als Post-Black-Metal kategorisiert und große SLOWDIVE-Fans, hatten sogar deren Gitarristen Neil Halstead auf ihrem Album „Shelter“ zu Gast. Und das ebenfalls Bemerkenswerte eines Albums wie „Souvlaki“ ist der zeitlose Charakter der Musik: Nichts deutet darauf hin, dass die Platte aus den frühen Neunzigern stammt. Ihr fehlt alles Zeittypische und damit jedes Verfallsdatum. In der richtigen Stimmung und in der richtigen Jahreszeit klingt „Souvlaki“ vollkommen zeitlos und aktuell, als hätte sich die Musik zugleich ihre eigene Welt erschaffen.


- Stefan - 10/2023


[04] FAIRPORT CONVENTION – Liege & Lief (1969)

Wer mit dem britischen Folk-Rock der Sechziger und Siebziger so gar nicht vertraut ist, wird von Bands wie FAIRPORT CONVENTION zumindest schon mal dem Namen nach gehört haben. Deren Sängerin Sandy Denny wirkte auf dem vierten Album von LED ZEPPELIN mit („The Battle of Evermore“ wurde durch ihren Gesang veredelt). Die vorliegende Scheibe war die vierte LP der Band, die in diesem Jahr überaus produktiv war: 1969 hat gleich drei (!) FC-Veröffentlichungen zu verzeichnen.

„Liege & Lief“ stützt sich auf Traditionals und Eigenkompositionen, die in ähnlichem Stil gehalten sind, was sehr gut harmoniert und keine störenden stilistischen Brüche produziert. Fragiler war das Bandgefüge, denn als das Album erschien, hatten Sandy Denny und Bassist Ashley Hutchings die Gruppe bereits verlassen. Die LP erwies sich als erfolgreich, auch wenn die Verkäufe sich eher stetig denn strohfeuerartig entwickelten. Heute sind der Klassikerstatus und die stilprägende Bedeutung unter Genrefans und Musikjournalisten unbestritten.
 
Wie weit der Einfluss wirklich reicht, zeigt eine Band wie OFFA REX, die wir vor einigen Jahren ebenfalls in der Herbstmusik zu Gast hatten. Auch sie verarbeitet Traditionals auf ähnliche Weise, wenn man einmal die Stücke „Matty Groves“ und „Blackleg Miner“ nebeneinander stellt, wobei FAIRPORT CONVENTION mitten im Song das Tempo noch etwas anziehen und ein rockiger Jam-Part den zweiten Abschnitt dominiert. Was noch über der ohnehin hörenswerten Musik thront, ist Sandy Dennys großartige Stimme, die sie weit über ihren allzu frühen Tod mit gerade einmal 31 Jahren hinaus bis heute in Erinnerung bleiben lässt.


Dennys Gesang erweist sich als sehr variabel, die ruhigen und sanften Stücke funktionieren ebenso gut wie ein stärker an Rock angelehnter Track wie „Tam Lin“, der im direkten Vergleich „härteste“ Song auf dem Album und (nach rein persönlichem Geschmack betrachtet) auch dessen Höhepunkt. Hier vereinigen sich Folk und Rock zu einem neuen Ganzen, da läuft die Band zu bestechender Form auf. Es ist nicht einfach, etwas Großartigem danach etwas annähernd Gleichwertiges folgen zu lassen und so hat das abschließende „Crazy Man Michael“ eine eher undankbare Aufgabe, die der Song aber ohne Schwierigkeiten meistert.  

Wie bei einem derart hochgelobten Album üblich, gibt es auch hier eine Menge an Veröffentlichungen, aus denen man auswählen kann. Es herrscht kein Mangel sowohl an günstigen CD-Ausgaben wie auch an preislich höher anzusetzendem Vinyl, wobei für Freunde des Bonusmaterials die in diversen Ländern ausgewertete Doppel-CD besonders interessant sein dürfte, auf der es neben dem Original-Album auch noch diverse Outtakes zu hören gibt sowie Aufnahmen, die in Sessions für die BBC entstanden waren.


- Stefan - 11/2023



[05] ELECTRIC WIZARD – Witchcult Today (2007)

Jetzt darf der Doom Metal ran: ELECTRIC WIZARD sind nach 30 Jahren zu einer Größe in ihrer musikalischen Nische geworden, die klassischen Black-Sabbath-Doom der Siebziger mit einer mysteriös-okkulten Aura nach dem Vorbild ähnlich gestrickter Filme aus jener Zeit verbindet. Obwohl auch in Fankreisen immer wieder mal Stimmen zu hören sind, dass der Sound der Band auf Dauer doch etwas limitiert klänge und einige Alben zu gewissen Abnutzungserscheinungen führten. Ist nicht falsch, eine Überdosierung kann da schon eintreten und wahnsinnig abwechslungsreich ist die Musik zum Teil ja nun nicht gerade, das muss man zugeben.

In der passenden Stimmung und Jahreszeit gehört funktioniert der Sound aber für meine Ansprüche doch sehr ordentlich. „Witchcult Today“ beginnt gleich mit dem Titeltrack, garniert mit guten Riffs, eingespielt von einer Besetzung, die schon seit etlichen Jahren wieder Geschichte ist. Die Positionen Bass und Drums wurden immer wieder mal ausgetauscht, der Kern der Band besteht aus Jus Oborn (git/voc) und seiner Frau Liz Buckingham an der zweiten Gitarre. Im Zentrum der Musik stehen die massiven Riffs, ausgefeilte Gesangsmelodien oder Solo-Eskapaden treten eindeutig in den Hintergrund. Im Doppelpack „Dunwich“ und „Satanic Rites of Drugula“ ist das ziemlich wirkungsvoll, bevor das vergleichsweise kurze Instrumental „Raptus“ innehalten lässt.

Stilistisch auf der bisherigen Linie liegt „The chosen Few", das zielstrebig auf sein simples, effektives Hauptriff zusteuert. Mit ordentlich Schalldruck im Rücken könnte man damit (falls erwünscht) spätnachts auch noch seine Nachbarn mitversorgen. „Torquemada ’71“ ist ebenfalls gelungen, lebt jedoch bei aller Rifflastigkeit auch von seinem Refrain. Das eingangs erwähnte Faible für Filme von 70er-Regisseuren wie Jess Franco oder Jean Rollin leben ELECTRIC WIZARD im ausufernden instrumentalen Elfminüter „Black Magic Rituals & Perversions“ aus, dessen erster Teil eine Coverversion des Themas zu „Frisson des Vampires“ von Rollin ist (im Original damals eingespielt von der französischen Band ACANTHUS). Eigentlich eine gute Nummer, allerdings wabert die zweite Hälfte leider etwas ins Diffuse hinein und wirkt eher lose improvisiert. Das hätte sich ohne bedeutenden Verlust an inhaltlicher Substanz sicher auch etwas kürzer gestalten lassen.

Ein bisschen schade, dass „Witchcult Today" auf der Zielgeraden nachzulassen beginnt, das abschließende Stück "Saturnine" klingt durchschnittlich und ist dafür mit seinen ebenfalls elf Minuten nicht tragfähig genug. Über die volle Distanz des knapp einstündigen Albums würde ich das allerdings als Schönheitsfehler betrachten wollen, der Rest der Scheibe hat seine definitiv seine Stärken, die auch überwiegen. Das Schreiben gelungener Riffs kann man der Band nicht absprechen und davon lebt sie schließlich. Vermutlich ist das auch eine Musik, die vom Live-Erlebnis lebt, bei dem man mit ordentlicher Lautstärke und trotzdem ausreichend differenziertem Sound von der Doom-Walze rundumversorgt wird. Auf Konserve wie hier ist das aber auch zu empfehlen!



- Stefan - 11/2023


[06] ROLF TROSTEL –Two Faces (1982)

Das Hamburger Label „Bureau B" ist schon seit Jahren eine Top-Adresse für Wiederveröffentlichungen älterer deutscher Titel von elektronischer Musik bis hin zu Alben aus der Anfangszeit der NDW. Der mittlerweile doch sehr umfangreiche Katalog umfasst auch eine Menge Stoff, der für Freunde von sog. Krautrock und Sounds aus der „Berliner Schule“ vieles bereithält, was längst eine Neuauflage verdient hatte oder zu seiner Entstehungszeit durch den Rost fiel und jetzt eine Wiederentdeckung erfährt.

Rolf Trostel zählte, das lässt sich angesichts seiner Musik nicht leugnen, zu den stark von TANGERINE DREAM beeinflussten Elektronikern, wobei hier besonders die zweite Hälfte der Siebziger prägend gewesen sein dürfte. Auch wenn die Vorbilder schon deutlich zu erkennen sind, wäre der Begriff Epigone nicht angebracht – zu abwertend und auch nicht fair, denn hier wird nicht einfach stumpf kopiert und lediglich eine erfolgreiche Formel bedient. Die aktivste Zeit von Trostel fällt in die frühen Achtziger, damals erschienen binnen weniger Jahre gleich drei Alben (die alle über Bureau B auf CD und Vinyl Mitte der 2010er Jahre wiederveröffentlicht worden sind).
 
Müsste man den Stil der vorliegenden Scheibe von 1982 beschreiben, würde die Mischung aus analogen und digitalen Sounds, mit denen „Two Faces“ aufgenommen wurde, ihrerseits einen Mix aus Kühle und Wärme darstellen. Zielstrebig und mechanisch auf der einen Seite, aber auch mit melodischen Elementen verziert, die dem Ganzen einen nachdenklichen Touch geben. Hier mag vielleicht auch der Hang zu religiösen Themen, die in anderen Werken von Rolf Trostel erscheinen, eine musikalische Rolle gespielt haben. Auch der Wechsel aus relativ kurzen Stücken und den beiden Tracks, die teils deutlich jenseits der Zehn-Minuten-Grenze liegen, sorgt für Abwechslung, ohne „Two Faces“ dabei aber stilistisch in Einzelteile zerfallen zu lassen.

Am stärksten ist das komplett in Eigenregie entstandene Album immer dann, wenn der Sequenzer-Rhythmus die Führung übernimmt, sozusagen die Richtung vorgibt und die begleitenden Melodien dem folgen. Es mag nichts Bahnbrechendes oder besonders Originelles sein, was dabei entstand (dafür sind die Ideengeber wohl doch zu präsent), aber in seinen besten Passagen hat „Two Faces“ für den Liebhaber klassischer Elektronik-Sounds aus jenen Tagen genügend Überzeugendes zu bieten, um nicht nur auf der Nostalgie-Schiene zu funktionieren. Das kann man auch heute noch mit Gewinn hören, ohne die Musik auf ihren Retro-Charme zu reduzieren. Der Titeltrack etwa, zugleich der längste der Platte, ist mit seinen Atmosphäre- und Tempowechseln ein gelungen arrangiertes Stück, das sich den Status eines Geheimtipps für Frühachtziger-Elektronik-Fans redlich verdient hat. Hörenswert!

- Stefan - 11/2023


[07] MONKS OF DOOM – Meridian (1991)

Ein rätselhaftes Album: Aus dem CD-Booklet der kalifornischen Indie-Band MONKS OF DOOM blickt einem der „Kini“ (König Ludwig II. von Bayern) entgegen, auch wenn sich der tiefere Sinn seiner grafischen Präsenz für den Betrachter nicht so recht erschließen mag. Auch das (mutmaßliche) Spaß-Latein des im Inlay abgedruckten Spruchs „Illegitimi non carborundum“ ist verwirrend: Nach diesbezüglicher Recherche soll das auf Insidergags aus der US-Collegeszene zurückgehen, wobei die Frage wäre, welche Illegitimen denn hier bitteschön nicht „verkohlt“ werden sollten.

Wie dem auch sei: Die MONKS OF DOOM entstanden Mitte der Achtziger im Umfeld der Band CAMPER VAN BEETHOVEN und sie sind bis in die späten 2010er Jahre mit Veröffentlichungen aktiv gewesen, wenn auch mit sehr langen Pausen zwischen den Alben. Ihr Alternative-Sound entzieht sich schnellen Klassifizierungen, da ein Album wie „Meridian“ munter alle möglichen Stilrichtungen vermengt und ein echtes Sammelsurium darstellt. Mal ruhig und langsam, dann wieder abgedreht fast jazzig-progressiv, da ist also für viele Geschmäcker was dabei. Anders formuliert: ein richtiges Durcheinander.

Laut Discogs kam die Scheibe damals sogar über einen deutschen Vertrieb auch hierzulande auf den Markt, wobei unsere Variante mit einem Track weniger erschien (als „Interlude“ oder „Untitled“ geführt, ist auf dem Backcover der US-Ausgabe zwar auch nicht gelistet, aber auf der CD enthalten). Musikalisch machten es sich die MONKS OF DOOM wie erwähnt zwischen diversen Stühlen bequem und wenn es auch in einem der Songs optimistisch heißt „The door to success is always open“, sah die Realität anders aus. Das US-Label soll damals eine kurzlebige Angelegenheit gewesen sein, über 1992 hinaus sind keine weiteren Veröffentlichungen belegt. Mehr als eine Art Geheimtipp-Status konnte „Meridian“ daher bis heute nicht erreichen.


Der Sound der Monks ist von zahlreichen Einflüssen geprägt und entstand in einem ausgedehnten Jam-Session-Prozess, was man der Platte auch anhört. Wie man das labelseitig dann vermarkten soll, ist eine andere Frage. Die Band hat zumindest in den Staaten heute noch ihre Fans, die wohl auch schon ältere Semester und daher einfach mitgegangen sind. Was mich an „Meridian“ seit dem ersten Hören fasziniert, ist die Tatsache, dass die Musik auf der einen Seite manchmal sogar etwas anstrengend ist, andererseits aber einen interessanten Sog entwickelt, der sich kaum auf herkömmliche Weise erklären lässt. Denn eine bekannte Hit-Single, die das Album mitzieht, fehlt hier, einen seinerzeit aktuellen Trend bedient das Album auch nicht.

Die Bezeichnung „Alternative“ hätte nach damaligem Verständnis mehr in die Grunge-Richtung gewiesen, damit hatten die MONKS OF DOOM jedoch nichts gemein. Eine Verbindung zum Seattle-Sound gibt es lediglich, was die durchgehend spürbare melancholische Haltung angeht: Die Musik auf „Meridian“ ist kein Gute-Laune-Rock mit „knackigen Riffs“, sondern stets etwas neben der Spur: schräg, eigenwillig, mit ungewöhnlichen Ideen. Das trifft beim Hörer möglicherweise zunächst auf eine ganz ungeeignete Stimmungslage, das muss man sich eben erarbeiten. „Meridian“ ist nicht wirklich gefallsüchtig, aber wenn die Musik einmal Wurzeln geschlagen hat, dann vermag sie zu bleiben. Kommerziell hat die CD wenig gerissen, aber dafür ist sie immerhin gebraucht zu durchaus normalen Preisen auf einschlägigen Plattformen noch zu bekommen.


- Stefan - 11/2023


[08] TANGERINE DREAM – Zeit (1972)

In einem Zitat des Philosophen und Vorsokratikers Parmenides von Elea im Booklet der LP von „Zeit“ (fehlt bei meiner CD aus den Neunzigern) wird der Rahmen dieses außergewöhnlichen Albums entworfen. Grob gesagt soll die Zeit nur im Kopf des Menschen, im Denken existieren, darüber hinaus jedoch geschehe nichts, so Parmenides: „Es gibt nur Starre, Sein, Denken und sonst NICHTS“. Unter dieser Prämisse kann das Album als Versuch begriffen werden, diese Welt- und Existenzdeutung in eine musikalische Form zu überführen. Das Resultat gilt auch unter toleranten TD-Anhängern als bemerkenswert ambitioniert und zugleich umstritten.

Die einen schwelgen in der Langsamkeit und Statik, die förmlich zelebriert wird, die anderen finden wiederum so gar keinen Zugang, es fallen Begriffe wie „einschläfernd“. In ausgedehnten Stücken, die sich zwischen 17 und 20 Minuten bewegen, wabert ein Sound, der traditionelle Strukturen aufkündigt. Die vom Sequenzer getriebene und strukturgebende Rhythmik späterer TD-Alben greift hier überhaupt nicht. Die Basis von „Zeit“ besteht einerseits aus Cello-Klängen, die von mehreren Gastmusikern eingespielt wurden, dazu treten Synthesizer-Elemente, bei denen auch Florian Fricke (POPOL VUH) mitwirkte. Stilistisch ist das Klaus Schulzes „Cyborg“ nicht unähnlich, wirkt aber bisweilen noch monolithischer und auch dunkler in seinen Klangfarben. 

„Nichts wird alt und nichts neu, nichts wird hinweggenommen und nichts kommt hinzu“ schreibt Parmenides und ob er da nun Recht hat, ist gar nicht so entscheidend. Dieses philosophische Postulat kann für sich stehen und die geistige Grundlage für das vorliegende Werk sein. „Zeit“ bewegt sich allein im Hier und Jetzt, als wäre man in einen der reinen Existenz verpflichteten Klangkosmos eingetaucht. TANGERINE DREAM gingen danach schon bald in eine andere musikalische Richtung und blieben dennoch mit ihrer musikalischen Handschrift erkennbar. Bereits zwei Jahre später entstand das Album „Phaedra“ und brachte mit neuem Label (Virgin) auch kommerziell den internationalen Durchbruch, was aber bei einigen Hörern auf Widerstand stieß. Ich finde gerade die Quelle nicht mehr, kann mich aber an ein Zitat erinnern, in dem ein erboster Kritiker der Band vorwarf, mit „Phaedra“ angeblich im Sumpf des Easy Listening (!) angekommen zu sein. Eine abenteuerliche Einschätzung, denn das 1974er Erfolgsalbum ist ja nun bestimmt kein seichter Bubblegum-Pop, aber womöglich war das Arbeiten mit Rhythmik und nachvollziehbareren Strukturen für manche Zeitgenossen schon musikalischer Verrat, wer weiß.

Für Neueinsteiger, die mit „Zeit“ zunächst gar nichts anfangen können, mag der britische Musiker und Produzent Steven Wilson (PORCUPINE TREE) ein Orientierungspunkt sein. Er soll vor Jahren zu Protokoll gegeben haben, dass ihm die Platte anfangs nicht gefiel, bis er jedoch schrittweise mehr und mehr Zugang fand und sie heute als sein persönliches Lieblingsalbum bezeichnet. Wer sich das komplette Package geben möchte, kann nach der Doppel-CD Ausschau halten, die auf der zweiten Scheibe einen vor exakt 51 Jahren im Sendesaal des Kölner Rundfunkhauses entstandenen Live-Mitschnitt enthält, der mit zwei Tracks und insgesamt 78 Minuten die CD-Kapazität ausreizt. Die Faszination, die „Zeit“ für fortgeschrittene TD-Anhänger ausstrahlt, ist für andere hartes Brot und kann Abwehrreaktionen auslösen, doch ähnlich wie „Cyborg“ von Klaus Schulze ist auch dieses Album für mich ein entschleunigender Begleiter für kommende kalte Winternächte.

- Stefan - 11/2023