Eigentlich fällt ein Film wie dieser in Stefans Metier, und bestimmt könnte er ihn filmhistorisch besser einordnen, als jemand, der von Splatter-Movies so gar keine Ahnung hat und gerade mal "Night Of The Living Dead" von George A. Romero im Fernsehen gesehen hat.
Der Grund, warum ich ihn mir angesehen habe, war ein Interview mit Danny Boyle
("Trainspotting"), das ich im Netz gefunden hatte, in dem er erläuterte,
daß er während der Dreharbeiten zu einem Film immer einen Soundtrack
im Kopf hätte - und bei "28 Days Later" wäre dies Godspeed
You! Black Emperor gewesen. Godspeed You! Black Emperor. Seit einigen Monaten
ist diese Band nicht mehr von Heikos und meiner Playlist zu vertreiben (Versuche,
auch Stefan anzufixen, wurden schon unternommen), und der Grund, warum zu dieser
Band im ZWNN noch nichts zu lesen ist, ist schlicht und einfach jener, daß
wir bisher noch keine angemessenen Worte gefunden haben. Godspeed sind extrem
pressescheu, verweigern jede Kommerzialisierung und bringen ihre unbeschreiblichen
Alben auf einem Kleinstlabel in Kanada raus. Danny Boyle hat bei dem Kollektiv
vorsichtig per e-mail angefragt, traf sie dann nach einem Konzert in Newcastle,
wurde gefragt, ob er den ganzen Film mal zeigen könnte und bekam überraschenderweise
die Genehmigung das Stück "East Hastings" vom 98er-Debüt-Album
"f#a#oo" für den Soundtrack zu verwenden. Konsequenterweise ist
der Beitrag von Godspeed You! Black Emperor nicht auf dem Soundtrack-Album vertreten.
Konnte also gar nicht mal so schlecht sein, der Film; den groben Inhalt kannte
ich auch schon aus der Vorschau.
Die Story: Tierversuchsgegner befreien Affen aus einem Labor, die jedoch mit
einem mörderischen Virus infiziert sind, wodurch eben "28 Tage später"
fast ganz England entweder mit Leichen oder rasenden Monstern übersät
ist. Unser Hauptdarsteller Jim wacht in einer Klinik aus dem Koma auf und merkt
bald, daß alle tot sind, zumindest ist das der erste Eindruck. Die wie
mit der Videokamera aufgenommen wirkenden Bilder, auf denen er durch das menschenleere
und verwüstete London irrt, untermalt vom leisen Anfang von "East
Hastings" lohnen alleine schon den Besuch des Films. Als Godspeed mit einem
hart gestrichenem Bass oder Cello einsetzen und mit E-Gitarren ein Geräuschinferno
gebären, erkennt er aufgrund einer riesigen Wand mit Suchanzeigen (unwillkürlich
erinnert man sich an die Tage nach dem 11. September) das ganze Ausmaß
der Katastrophe. Musikalisch hat "28 Days Later" nun seinen Höhepunkt
überschritten, doch nun tauchen die ersten "Infizierten" auf,
denn "Zombies" im ursprünglichen Sinn sind es nicht, da sie offensichtlich
aufgrund ihrer durch den tierischen Wahnsinn bedingten Tumbheit irgendwann verhungern,
wenn sie nicht anderweitig zur Strecke gebracht werden. Und sie sind schnell,
ziemlich schnell, anders als Romeros Untote. Unser Hauptdarsteller wird von
dem Pärchen Selena und Mark gerettet, die das erste Gemetzel unter den
Infizierten anstellen. Wird man von ihnen gebissen oder bekommt anderweitig
Kontakt mit ihrem Blut verwandelt man sich innerhalb von 20 Sekunden ebenfalls
in eine Bestie, weshalb der männliche Teil des erwähnten Pärchens
kurz darauf von seiner Partnerin in der ersten Splatter-Szene von der Besetzungsliste
gestrichen wird, um den anderen Darstellern nicht ein ähnliches widerfahren
zu lassen. Ich bin ja kein Freund expliziter Gewaltdarstellungen, vor allem
dann nicht, wenn sie nur um ihrer selbst willen stattfinden. In "28 Days
Later" spritzt zwar oft das Blut, aber die Metzeleien bleiben bis auf eine
Szene am Schluß durch das Halbdunkel und eine schnelle Kameraführung
größtenteils der Phantasie des Zusehers überlassen - was sie
natürlich noch wirkungsvoller macht.
Wenig später treffen die beiden Frank und seine Tochter Hannah, die sich
in einem Hochhaus vor den Infizierten verbarrikadiert haben. Diese haben im
Radio eine sich ständig wiederholende Meldung gehört, nach der in
Manchester eine Armeeeinheit lagern soll, die Schutz gewähren kann. Gemeinsam
machen sie sich mit dem Auto auf den Weg, und erreichen schließlich auch
die Soldaten. Doch damit hat der Horror natürlich kein Ende... Mehr sei
hier nicht verraten, außer, daß der Film ein Happy-End bekommt.
"Night
Of The Living Dead", um den Prototypen des modernen Zombiefilms zu nennen,
entstand 1968 und reflektierte die Angst vor dem entfremdeten Leben in einer
materialistischen Welt bzw. auf der politischen Ebene die Bedrohung durch den
nuklearen Holocaust. Die Wiedererweckung der Toten wurde knapp mit einer kosmischen
Strahlung erklärt.
"28 Days Later" verzichtet auf das mythologische Bild der Untoten.
Der Virus ist von Menschen gemacht und zielt speziell auf den Einsatz bei Primaten
ab. Die Produktionsnotizen klären uns darüber auf, daß die Wissenschaftler
nach einem Medikament gegen "soziale Wut" forschten und deshalb ein
Virus entwickelt haben, um diese zu Testzwecken in extremer Form ausbrechen
zu lassen. Zunehmende Paranoia (man sehe sich hierzu Michael Moores "Bowling
For Columbine" an), vormals unauffällige Mitbürger, die plötzlich
Amok laufen, Stadtteile, durch die man nachts besser nicht alleine spaziert
und der brutale Terror, der jeden Tag in der Tagesschau zu sehen ist (und auch
auf den Bildschirmen, die die gefesselten Affen zu Beginn des Film anzuschauen
gezwungen sind) - dies sind die Ängste, die die Infizierten verkörpern.
Selbst Jim verfällt am Schluß zeitweise in - teils nachvollziehbare
- wütende Raserei, ohne vom Virus infiziert worden zu sein. BSE ("Mad
Cow Disease"), SARS und Ebola standen Pate für die schnelle und unkontrollierte
Verbreitung eines gefährlichen Virus.
Durch den 11. September bekommen die Szenen im menschenleeren London eine zusätzliche
Dramatik, obwohl diese schon im Juli 2001 gedreht worden waren; dafür wurden
ganze Straßenzüge für wenige Minuten gesperrt. Der Rest des
Films entstand von September bis November 2001.
Da ich mir nicht so oft Splatterfilme ansehe (dafür aber im letzten Jahr
etliche Endzeit-Klassiker gelesen habe), verfehlt ein Film wie "28 Days
Later" bei mir natürlich seine Wirkung nicht, hatte aber gleichzeitig
eine kathartische Wirkung, als ich das Kino verlassen hatte. Ist zwar ein ziemlich
düsterer Film, hat aber auch einige Momente schwarzen Humors. Ob er Godspeed
You! Black Emperor zum Durchbruch verhelfen wird (wollen sie den überhaupt?),
wie Danny Boyle im Interview vermutete, wage ich zu bezweifeln, denn die wenigsten
werden, wie immer, bis zum Abspann sitzen bleiben. Für die Fangemeinde
wird der Film ein weiterer Aspekt des künstlerischen und politischen Schaffens
der Band sein.
- Martin - 07/03
Beim Tippen verwendete Musik:
- GY!BE: East Hastings (was sonst?)
- Neil Young: Weld
- Wall Of Sleep: Wall Of Sleep