Interview (1994)
Lang ist es her: Anfang der 90er hatte ich zum ersten Mal die Idee, über Musik, bestimmte Bands und Platten zu schreiben. Da ich damals noch ziemlich viel Krach hörte, lag die Wahl der zu besprechenden Machwerke nahe. Schnell waren die ersten Kontakte geknüpft, die ersten Texte geschrieben. Briefe aus so exotischen Ländern wie Malaysia oder Chile landeten in meinem Briefkasten und das in einer Zeit, wo es noch kein Internet wie heute gab und man auf eine Antwort schon mal etwas länger wartete. Parallel lernte ich während meiner Zivildienstzeit (1993) einen angehenden Soz.päd.-Studenten namens Martin kennen, der mir sogleich das erste Produkt seiner Zusammenarbeit mit einem gewissen Heiko feilbot.
NONKONFORM war der Name des fotokopierten Heftes, dessen Geschichte auf diesen Seiten von Meister Heiko detailliert nachgezeichnet ist. Daß Martin und ich im Jahr 2002 mal zusammen Texte für das "ZWNN" fabrizieren würden, war damals noch nicht abzusehen. Munter schrieb ich also vor mich hin, bis die Sache dann irgendwann mal zugunsten anderer Aktivitäten (Film, Studium) einschlief. Vor kurzem habe ich beim Entrümpeln das alte Material wieder ausgegraben und da bei uns ja immer wieder mal gerne recycelt wird (Martin tippt gerade ein altes Anacrusis-Interview ab), gibt es nun also ein Interview zu lesen, welches ich im Frühjahr 1994 mit der schwedischen Band DESULTORY führte. Ich muß gestehen, daß ich deren Musik kaum kannte, als ich meine Fragen per Brief losschickte, es war einfach die Möglichkeit, mal eine bekannte Band gelöchert zu haben. Die peinlichsten Fragen meinerseits sind hier gnädig unterschlagen, obwohl sich Sänger und Gitarrist Klas Morberg mehr als 3 Stunden Zeit nahm, auch darauf ausführlich zu antworten. Zum ersten Mal also nun weltexklusiv (!) in deutscher Übersetzung eines meiner ersten Interviews.
Zum Einstieg: Besonders kultig waren bei Fanzines immer
die so richtig geschäftsmäßig klingenden Fragen nach Label, Plattenverkäufen
etc., mit denen wohl echtes Insiderbewußtsein bewiesen werden sollte. Natürlich
habe ich mich damals nicht entblödet, genau diese Fragen auch zu stellen...
"Nun, ich denke, daß Metal Blade eine gute Wahl für uns war, auch wenn es bei
unserem ersten Album INTO ETERNITY einige Dinge gab, die ein wenig anders hätten
laufen sollen. Doch das ist Geschichte, wir werden fair behandelt und bald erscheint
unsere zweite Scheibe BITTERNESS. Von unseren Plattenverkäufen können wir natürlich
nicht leben, deshalb haben Thomas (dr) und Stefan (git) auch einen festen Job.
Unser Bassist Hakan und ich sind im Moment arbeitslos. Um von der Musik leben
zu können, mußt Du schon eine Menge Platten verkaufen, hier in Schweden ist
das wohl nur bei ENTOMBED und vielleicht noch UNLEASHED der Fall."
Das Problem der sagenhaft hohen Lebenshaltungskosten in
Schweden (Urlauber werden das in netter Erinnerung haben) sieht Klas differenziert:
"Sicher ist Schweden ein relativ teueres Land, die Steuern sind schon ziemlich
hoch, andererseits denke ich, daß dies angesichts der vielen sozialen Leistungen,
die einem dafür geboten werden, durchaus in Ordnung geht."
Was war der Anstoß für euch, diese Art von Musik zu spielen?
Dazu muß ich vielleicht ergänzen, daß DESULTORY damals keine übliche Todesmetall-Band
waren, sie klangen weder typisch schwedisch noch boten sie unterirdischen Krach
ohne Melodie. Der Gesang war kein Schäferhund-Bellen wie sonst, musikalischer
Anspruch kam also nicht zu kurz. Dient die Musik dem Aggressionsabbau oder steckt
mehr dahinter?
"Wir mögen die Musik einfach so, wie wir sie spielen. Es hat allerdings weniger
etwas mit dem Herauslassen von Aggressionen als vielmehr mit unserer Gedanken-
und Gefühlswelt zu tun."
Werfen wir doch mal einen Blick in deine Zukunft: DESULTORY
spielen vielleicht noch 10 Jahre, wenn die Band bis dahin durchhält. Da euch
die Bandkasse sicher kein sorgenfreies Leben bis ans Ende eurer Tage ermöglichen
wird, ist die Zukunftsplanung für die Zeit nach der Band sicher wichtig. Hast
du dir schon mal darüber Gedanken gemacht, wie es dann weitergehen soll?
"Nun, zuerst einmal kann ich bestätigen, daß wir von unseren Bandeinnahmen sicher
nicht bis zum Lebensende zehren können, es sei denn, wir werden morgen sterben.
Pläne für die Zukunft habe ich noch keine konkreten, im Moment lebe ich mehr
so in den Tag hinein. Irgendetwas mit Musik möchte ich allerdings schon machen."
Hast du eigentlich Angst vor dem Älterwerden? Ich frage
das deshalb, weil ich gerade meinen Zivildienst in einem Altersheim mache, wo
ich mit Dingen wie Schmerz, Leiden und auch Tod konfrontiert bin, was für mich
zu Anfang eine sehr ungewohnte Erfahrung war. Viele Death Metal-Kapellen singen
ja ständig etwas von "die", "suffer" und "endless pain", wobei ich mich frage,
wie sehr sie diese Themen eigentlich reflektiert haben. Denkst du manchmal darüber
nach oder verdrängst du solche Dinge lieber?
"Vor dem Älterwerden selbst habe ich keine besondere Angst und wenn dein Leben
interessant war und du fühlst, daß es einen Sinn hatte, dann fürchte ich auch
den Tod nicht so sehr. Was mich manchmal schon mehr beunruhigt, ist der Gedanke,
beispielsweise bei einem Unfall querschnittsgelähmt zu werden, nicht mehr gehen
oder gar sprechen zu können. Es ist erschreckend, wie nahe man im Alltag solchen
Situationen gegenübersteht. Wie schnell kann man im Straßenverkehr von einem
Auto angefahren werden und schon sitzt man für den Rest seines Lebens im Rollstuhl."
Gibt es andere künstlerische Ausdrucksformen neben der Musik,
die du gerne wählen würdest? Schreibst du z.B. Gedichte oder etwas ähnliches?
Könntest du dir vorstellen, überhaupt keine Musik zu machen?
"Meine Songtexte sind meine Gedichte, darin bringe ich meine Gedanken und Gefühle
zum Ausdruck. Ein ganzes Buch zu schreiben, brächte ich wohl nicht fertig, das
wäre mir zuviel Arbeit. Ganz ohne Texte schreiben oder Musik zu leben, wäre
aber hart für mich, da die Musik schon einen großen Teil meiner Persönlichkeit
ausmacht. Für mein Hobby Fußball fehlt mir mittlerweile die Zeit, es wäre schön,
wieder mit einigen Freunden in einer Mannschaft zu spielen. Ich habe acht Jahre
lang im Verein gespielt, aber mit 17 mußte ich dann aufhören, weil ich keine
Zeit mehr hatte. Was Deine Frage nach meinen musikalischen Fähigkeiten angeht,
so kann ich nur Gitarre wirklich gut spielen, meine Bass-Kenntnisse sind ganz
akzeptabel."
Ganz im Stil eines knallharten Politjournalisten ging ich
dann das Problem der rechten Szene an, die damals in Deutschland ja ihre erste
massive Aktionswelle nach der Wiedervereinigung hatte, man erinnere sich nur
an Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen usw. Ich wollte von Klas wissen, ob
es in Schweden ähnliche Tendenzen gäbe:
"So schlimm wie du die Situation in Deutschland beschreibst, ist es hier in
Schweden nicht, aber Spannungen zwischen jungen Einwanderern und Skinheads gibt
es sehr wohl. Im Moment verursachen hier in Stockholm ausländische Jugendliche
eine Menge Ärger, man muß nachts schon aufpassen, daß man sich nicht allein
in den falschen Gegenden aufhält."
Zurück zur Musik: Was liegt denn bei dir privat so auf dem
Plattenteller? [Ja, ich weiß, das ist nun wirklich eine DER Klischeefragen,
habt einfach Nachsicht!] Viele Musiker, die Todesmetall spielen, hören privat
ja ganz andere Musik als die, welche sie mit ihren Bands so produzieren, weil
es für sie langweilig wäre, den Rest ihrer Freizeit auch noch damit zu verbringen.
"Ich höre mir am liebsten das an, womit ich aufgewachsen bin. Das wären Black
Sabbath, Iron Maiden, Saxon, Ozzy, Thin Lizzy, Led Zeppelin, Accept, Deep Purple
und was es eben noch so alles gibt. Aber auch Gruppen wie Soundgarden, Pearl
Jam, Bad Religion oder Alice in Chains gefallen mir, sie sorgen für frischen
Wind. Death Metal höre ich nur wenig, Gruppen wie Morbid Angel oder Autopsy
(das erste Album) könnte ich dir in diesem Bereich nennen. Deine Aufforderung,
meine fünf Lieblingsscheiben aufzulisten, ist fast unmöglich zu schaffen, aber
ich will es mal versuchen:
1) IRON MAIDEN: Alle Alben bis "Powerslave", es ist unmöglich, davon eines besonders
herauszuheben (wie wär´s mit "Killers", zu diesem Teil habe ich nie Zugang
gefunden. Schlecht war die LP nicht, aber die Hymnen und Lobgesänge kann ich
nicht ganz nachvollziehen - d. Verf.)
2) BLACK SABBATH: Alle Alben mit Ozzy (war irgendwie klar...)
3) METALLICA: Kill ´em all, Ride the lightning, Master of puppets
4) ACCEPT: Breaker, Restless and wild, Balls to the wall, Metal heart (Yeah!
Und jetzt alle: Screaming for a love bite… Gut, ich hör ja schon auf)
5) DIO: Holy Diver, Last in line
6) SLAYER: Reign in blood
7) PARADISE LOST: Gothic
8) MORBID ANGEL: Altars of madness
9) DEEP PURPLE: Perfect strangers
Gehen wir mal zurück zum Geschäftlichen (man sieht, daß
ich die Fragen zum Großteil so stellte, wie sie mir gerade in den Sinn kamen.
Soviel zum Thema kausaler Zusammenhang): Da MTV auch Clips härterer Gangart
spielt, beginnen sogar Death Metal-Bands damit, Videos zu drehen. Kann man von
euch ebenfalls was in dieser Richtung erwarten?
"Ich hoffe doch! Wir sprechen gerade mit Metal Blade darüber, weil wir zu einem
der Tracks von BITTERNESS ein Video drehen möchten."
Was bedeutet dir persönlich Erfolg? Machst du Erfolg nur
an verkauften Platten fest oder zählst du dazu auch, wenn Menschen wie vielleicht
eure Eltern, die eine solche Art von Musik überhaupt nicht mögen, sich positiv
darüber äußern?
"Erfolg bedeutet für mich, wenn ich Musik machen und aufnehmen kann, mit der
ich wirklich zufrieden bin. Wenn das anderen Menschen auch noch gefällt, dann
ist das großartig! Falls sie es nicht mögen, ist das für mich aber nicht weiter
tragisch, ich würde jedenfalls nie Musik schreiben, die mir nicht gefällt, nur
um anderen Leuten damit zu gefallen."
Eine ehrliche und sympathische Antwort, wie überhaupt mein Interviewpartner einen sehr netten und umgänglichen Eindruck machte. Es gibt ja leider auch andere Zeitgenossen, die fürs Rückporto 2 IRCs einfordern, sich dann aber nie melden, was schon sehr kooperativ ist. Weitere Themen unserer charmanten Plauderei waren Klas´ Haltung gegenüber der Zensur, wie sie auch der Heavy Metal regelmäßig erfährt und die weitere Entwicklung des Death Metal zu einer massenkompatiblen Musik hin. Das möchte ich überspringen, weil z.B. über die Sündenbock-Funktion von Heavy Metal oder Horror- und Actionfilmen schon genug geschrieben worden ist, als daß man diese Diskussion hier noch einmal aufwärmen müßte.
Fragen wir lieber mal, was Herr Morberg von der Arbeit der
Fanzines hält, ob er sie als wichtige Alternative zu den großen Magazinen begreift
und wie ihm das Interview bisher gefallen hat.
"Ich finde es großartig! Die Fanzines geben kleineren Bands eine Chance, sich
präsentieren zu können und so etwas Aufmerksamkeit zu erlangen. Außerdem finde
ich es besser, wenn man sehen kann, daß jemand wirklich hinter einer Sache wie
einem Fanzine steht und seine ganze Leidenschaft hineinlegt, wie das bei dir
der Fall zu sein scheint. Dies war das längste Interview, das ich jemals gegeben
habe: 28 Fragen, alle ernsthaft und intelligent, das finde ich beeindruckend."
Vielen Dank für die Blumen, auch nachträglich, obwohl ich
den letzten Satz mal anzweifeln möchte. So grandios, wie mich der gute Klas
da aussehen läßt, waren die Fragen weiß Gott nicht, aber Profis waren wir damals
halt alle noch nicht, ganz im Gegensatz zu heute (hust!). Nun denn, im letzten
Drittel dieses Frage-Antwort-Marathons möchte ich noch etwas mehr über die Person
Klas Morberg wissen, wie er lebt und was er den ganzen Tag so treibt:
"Ich lebe in einer kleinen Wohnung mitten in Stockholm. Es ist wirklich eine
große Stadt und ihre Atmosphäre mag ich sehr. Ich lebe jetzt seit zwei Jahren
hier, aufgewachsen bin ich in einem kleinen Vorort etwa 20 Kilometer von hier.
Die Wohnung teile ich mit meiner Freundin. Was Deine Frage angeht, ob es schwierig
wäre, mit seinem Bruder in einer Band zu spielen (Hakan Morberg war der Bassist
der Band - Anm. d. Verf.), weil man sich sehr nahe steht, so sehe ich da
keine Probleme. Wir sehen uns auch nicht so häufig, meistens zum Proben."
Wie siehst du die Zukunft unseres Planeten? Wenn ich mir
aktuelle Entwicklungen wie das Ozonloch ansehe und die massive Umweltverschmutzung,
dann muß man sich eigentlich keine Illusionen darüber machen, wohin dies wohl
führen wird. Engagierst du dich in irgendeiner Form, z.B. bei Greenpeace oder
einer ähnlichen Organisation?
"Ich denke tatsächlich, daß die Erde nicht mehr als vielleicht noch ein paar
hundert Jahre Bestand haben wird. Sieh dir doch mal an, wie die Erde vor hundert
Jahren war, wie viele Regenwälder es damals noch gab, wie gering die Umweltbelastung
damals war. Die Menschheit hat diesem Planeten in nur 100 Jahren ganz schön
zugesetzt und 100 Jahre sind ja nun wirklich nichts gemessen an der langen Zeit,
die vergangen ist, seit die Erde erschaffen wurde."
Gerade die letzte Formulierung fand ich sehr interessant,
weil sie die Frage nach dem Glauben an einen Gott aufwirft. Zu den Nachteilen
eines Briefinterviews zählt aber leider, daß man auf spontane Zwischenfragen
verzichten muß. Doch lassen wir Klas weiter von sich erzählen:
"Ich war wie du nicht beim Militär, sondern habe meinen Zivildienst abgeleistet.
Unser Schlagzeuger Thomas dagegen war bei der Armee. Stefan (Pöge - git.) entging
dem Ganzen, weil er deutscher Staatsbürger ist und mein Bruder Hakan hatte ebenfalls
Glück, er mußte weder Wehr- noch Zivildienst machen."
Da ich oben schon ein Lob kassiert habe, versuche ich es
noch einmal: Magst du es, interviewt zu werden?
"Solange die Fragen gut sind und alles ernsthaft abläuft, habe ich kein Problem
damit. Ich hasse allerdings Interviews, wenn der Schreiber keine Ahnung von
der Band hat und einfach nur ein kostenloses Tape oder eine Gratis-CD haben
will. Fragen nach dem Line-up oder der Bandgeschichte sind einfach langweilig,
unpersönlich und uninteressant. Dieses Interview war aber wirklich cool, mal
was anderes. Ich habe drei Stunden gebraucht, um alle Fragen zu beantworten,
aber es hat mir Spaß gemacht. Viel Glück mit deinem Zine und hört euch mal unser
neues Album BITTERNESS an, im Juni ´94 kommt es auf den Markt."
Interview geführt im Frühjahr 1994 (März, Mai)
Bearbeitung der deutschen Fassung: Februar 2002
© Stefan Novak / A huge "thank you" goes out to Klas Morberg for his patience!
P.S.: War doch gar nicht so schlecht, oder? Wer mehr über die Band erfahren möchte, sollte mal bei Stefan Pöges Website vorbeischauen, wo er in irgendwie drollig klingendem Schwedisch begrüßt wird ("Välkommen till Pöge´s hemsida"). Auf der Seite kann man u.a. auch die Texte der Alben nachlesen, News wird man dagegen nicht erfahren, da die Seite zum letzten Mal 1997 aktualisiert wurde. Die Adresse lautet: home.swipnet.se/~w-11756
Und noch ein Aufruf in eigener Sache: Schreibt doch mal eure Meinung zu unserem Online-Zine ins Gästebuch. Traut euch ruhig, wir drehen euch weder ein Zeitschriften-Abo an noch stehen wir mit dem Nudelholz vor eurer Haustür, wenn ihr uns kritisiert (ein Sprengsatz mit der Post tut´s schließlich auch). Quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit möchten wir die ganze Sache dann doch nicht machen, schließlich lebt ein Fanzine von den Reaktionen seiner Leser, die das Ganze erst so richtig interessant machen. Wenn zwar Zugriffe auf das ZWNN erfolgen, sich aber (fast) keiner meldet, müßten wir ja glatt annehmen, daß euch diese Seiten gelangweilt haben und das möchten wir nun auf gar keinen Fall.
- Stefan - 02/02