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nirvana - nevermind
(1991)

nirvana - nevermind - die erste

"Smells Like Teen Spirit" ist für mich der Song der 90er Jahre, und für viele andere sicher auch. Bewußt wurde mir das aber erst später, zu Beginn des neuen Jahrzehnts, wie wird man dieses wohl mal nennen, die 2000er? Ich hörte damals fast ausschließlich Metal, doch an dem Song gab es kein Vorbeikommen, so penetrant präsent war er im Radio und auf MTV. Damals fing man an, auch "härtere" Sachen im Mainstream-Radio zu spielen, nicht nur im "Zündfunk" auf Bayern 2, wo nachmittags um fünf brachialer Grindcore philosophisch kommentiert wurde.
Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Leute, die sich das Album damals gekauft haben, tat das, um beim neuesten Trend nicht außen vor zu stehen und ließ sich für ein paar Monate die Haare länger wachsen und legte sich einen Ziegenbart zu. Wenige Jahre später war im BWL-Studium Schluß damit und heute, mehr als zehn Jahre später, hat man sich, gesetteled, wie man so schön sagt; auf deutsch: man ist erwachsen geworden und bereitet sich auf den Ruhestand vor. Wenn sie "Nevermind" überhaupt noch zu Hause im Regal haben, dann nur, um die CD bei Gelegenheit süffisant hervorzuholen, und sich und den anderen anwesenden Schwachköpfen zu bestätigen "Tja, so waren wir damals, kaum zu glauben, ha, ha. Laßt uns die neue Bruce Springsteen auflegen... ". OK, das ist nun etwas überzeichnet und wenig differenziert, aber auch egal.
Heiko hat mir gegen Ende der 90er geschrieben, daß er das vermeintliche "Geschrammel" (man erinnert sich: 1992 kam "Into The Everflow" von Psychotic Waltz raus, und das war aus einer ganz anderen Ecke des Universums) und die Tragik des Kurt Cobain erst jetzt richtig verstehe (korrigiere mich, wenn ich das nur unzureichend wiedergebe).
Die 90er Jahre waren für mich ein seltsames Jahrzehnt. Ein spannendes Jahrzehnt. Ziemlich genau mit dem Erscheinen von "Nevermind" hörte ich nach meiner Berufsausbildung zum Irgendwas zu arbeiten auf und machte mein Abitur nach. Kurz darauf kam das Nonkonform, der Zivildienst im Altenheim, den ich, obwohl er oft buchstäblich beschissen war, nicht missen möchte (und wo ich Stefan als meinen Nachfolger kennenlernte, von den Heimbewohnern wegen seiner bunten T-Shirts nach Dienstschluß geschätzt - offensichtlich verhinderte die Alterskurzsichtigkeit das Erkennen des "Nekromantik"-Motivs; ich trug Skyclads "Jonahs Ark", was wirklich schön war), dann zehn Semester irgendsoein Studium (kurz nach den ersten Semesterferien erschoß sich Kurt Cobain mit 27 Jahren, wir sprachen in der Cafeteria darüber, daß auch Jimi Henrix mit 27 starb, aber stimmt das eigentlich?) die nach einer Zeit des Nichtstuns zu einer Anstellung in so 'ner Einrichtung des Dingsbums mündeten, welche mich nach drei Jahren in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis nach dem Bundesangestelltentarifvertrag übernahm.
"Generation X" war so ein Schlagwort, das untrennbar mit dem Begriff "Grunge" verbunden war. Das sollte die Generation sein, der es zum ersten Mal schlechter ging, als ihren Eltern, die zwar irgendwie gebildet war, aber sich trotzdem mit irgendwelchen McJobs über Wasser halten mußte, die "mit 30 gestorben, mit 70 begraben" war, wie ein Kapitel in dem Buch von Douglas Coupland heißt. Ob's diese Generation je so gegeben hat, oder ob sie ein romantischer Traum von Mittelklasse-Kids war, wer weiß es. Und vor allem: wann verschwand sie?
Wenn ich, wie eben jetzt gerade, "Nevermind" höre, weht dieses Jahrzehnt noch einmal an meinem inneren Auge vorbei, und obwohl ich erst letztes Jahr wieder anfing, Nirvana zu hören und mir ihre anderen Alben zu holen (erst vor drei Wochen "In Utero", ihr drittes und letztes reguläres Album), kommt es mir vor, als ob die CD die vergangenen zehn Jahre als fast unhörbarer Soundtrack im hintersten Winkel meines Bewußtseins mitgelaufen sei. Ich kann deshalb auch keine konkreten Ereignisse damit verbinden, wie bei manch anderen Platten (z. B. nie stattgefunden habende Volleyballspiele mit "One Second" von Paradise Lost).
Das ist mir spontan zu "Nevermind" eingefallen, bezeichnenderweise war es die erste Platte, zu der ich in dieser Rubrik etwas zu schreiben begann.

- Martin - 10/02

nirvana - nevermind  - die zweite

Die 90er Jahre wurden im Metalzirkel an unserer Schule mit richtig harten Klängen eingeleitet. Death Metal stand damals hoch im Kurs, Standards wie das Entombed-Debüt rotierten endlos auf unseren Plattenspielern. Metal war was für Jungs, harte Musik wurde von Mädels nur dann zur Kenntnis genommen, wenn es etwas in Richtung Bon Jovi war. Für Fußball interessierte sich das andere Geschlecht ja auch nur, weil Brian Laudrup ("Der ist ja sooo toll") bei Bayern München spielte.
Harte Klänge gab´s in den Charts eher selten, bis dann eine LP erschien, auf die sich irgendwie alle einigen konnten. Plötzlich ließen sich auch "Normalos" lange Haare stehen, Holzfällerhemden wurden immer öfter gesichtet und auf Parties lief eine Platte rauf und runter. Von einer Band namens Nirvana hatten wir zuvor rein gar nichts gehört, von einer Szene in und um Seattle mit Bands wie Soundgarden, Screaming Trees, Mudhoney und Co. schon gar nicht. Ich sehe noch die Besprechung von Rock Hard-Herausgeber Holger Stratmann vor mir, in der er sinngemäß vermutete, Nirvana würden trotz "Nevermind" an der Engstirnigkeit der Fanlager scheitern.
Wie man sich täuschen kann: Nirvana wurden zu Weltstars, der Trend "Grunge" massiv ausgeschlachtet. Was an der Genialität von "Nevermind" nichts ändert. Nirvana waren (für uns) quasi über Nacht aufgetaucht und hatten die strikte Trennung der 80er - hier Metal, dort Pop - radikal über Bord geworfen. "Smells Like Teen Spirit" avancierte zum Mobiliarkiller bei Klassenfeten. Kam einem ein Karohemd-Träger mit Walkman entgegen, konnte man sicher sein, dass er gerade "In Bloom" oder "Come As You Are" hörte. Geknüppel für die Headbanger gab´s außerdem ("Territorial Pissings").
Ein Sprung ins Jahr 1994, April: Ich habe gerade die Hälfte meines Zivildienstes hinter mir, im Radio läuft der "Zündfunk" (Bayern 2 Radio). Der Moderator gibt eine für die Fans unfassbare Nachricht weiter: Kurt Cobain hat Selbstmord begangen, Nirvana sind nicht mehr. Der Ausverkauf freilich geht weiter, wird auf perverse Weise durch den Tod Cobains erst richtig angekurbelt. Die MTV Unplugged-Session wurde bis zum heutigen Tage ca. 538 Mal wiederholt.
Der Begriff "Klassiker" klingt im Fall Nirvana/Cobain immer so unangenehm nach Museum, nach Grabstein mit Namen drauf, doch nichts weniger als ein Klassiker ist "Nevermind". Ein Markstein, an dem viele ihren nostalgischen Rückblick in die eigene Jugend festmachen. Seltsam, mit wie viel fremden Dingen Musik behaftet ist, dabei sind es eigentlich nur 12 Songs auf zwei LP-Seiten. Die wahren Größen erkennt man wohl an der Vielzahl der Erinnerungen, die man damit verbindet. Noch einmal ein Sprung, diesmal ins Jahr 2002: Mein uraltes Originaltape von "Nevermind", das immer noch seinen Stammplatz in meinem Auto hat, ist mittlerweile so ausgeleiert, dass das Bandgeknatter fast so laut ist wie die Musik. Vielleicht sollte ich mir jetzt doch mal die CD kaufen.

- Stefan - 10/02

 

nirvana - nevermind - die dritte

Meinem Vorredner Martin kann ich eigentlich nur vollkommen zustimmen, denn er hat mit seinen sehr persönlichen Gedanken die Stimmung des Albums und des Zeitgeistes sehr gut eingefangen.
Als damals Anfang der 90er die "Grunge"-Welle losgetreten wurde, diverse Bands aus Seattle wie Alice In Chains, Soundgarden, Pearl Jam und eben Nirvana quasi über Nacht zu Superstars wurden und diesen unmittelbar noch viele andere ähnlicher Coleur nachzogen, ohne jedoch in ähnlicher Weise diesen ganz großen Erfolg für sich verbuchen zu können, blieb einem als traditionsbewußtem Metal-Fan der man war, nichts anderes übrig, als dieser allzu offensichtlichen und somit suspekten Modeerscheinung gegenüber zuerst einmal eine ablehnende Haltung aufzubauen. In allen Medien überrepräsentiert, wollte niemand angesichts dieses "nächsten großen Dinges" außen vor stehen und ebenfalls an der unerwarteten kommerziellen Zugkraft, den diese Musik und das damit verbundene Lebensgefühl offenbarten, teilhaben. Ein neuer Trend in der Popkultur, vielmehr jedoch eine neue Jugendbewegung war geboren und die nach Dollars lechtzende Musikindustrie war mithilfe ihrer Verlautbarungsorgane - ähnlich der nicht nur in dieser Hinsicht parallelen Entwicklung knapp eineinhalb Jahrzehnte zuvor beim Punk - ungemein befleißigt diese in jeglicher Hinsicht so gründlich als möglich zu melken und auszuverkaufen.
Wenn man es denn, wie es sich hier verlockend anbietet, an Personen, welche vor allem auch durch ihr verfrühtes Ableben zu Ikonen ihrer Bewegungen wurden, festmachen möchte, könnte man sagen, daß für viele die Hippiezeit, welche sich noch durch die Siebziger blühend hindurchzog, mit der Ermordung von John Lennon endete, der Punk mit dem Tod von Sid Vicious und schließlich die desillusionierte Generation X - welche abgelöst wurde von der wieder lebens- und konsumorientierteren Spaßgesellschaft (abermals so eine bequeme Schablone bzw. grobgezimmerte Schublade) - mit dem fanalen Suizid des Kurt Cobain.
Übrigens war der Umstand, daß der ehemalige Sänger von Alice In Chains, Layne Staley, welcher Anfang 2002 ebenfalls diese Welt verfrüht verließ und sich zu den inzwischen zahlreichen jungverstorbenen Rockmusikern gesellte, einer breiten Öffentlichkeit mittlerweile nur noch eine kurze Zeitungsnotiz wert.
Als damals nach dem Grungerausch und dem Abschied von Kurt Cobain der Staub, den die Elefantenherde der etablierten Presse teilweise bis in die Stratosphäre wirbelte, sich schließlich gelegt hatte und man sich jenseits aller bis dahin produzierter Modetrendhysterie (wie auch der sich anschließenden Katerstimmung und der selbstverständlich wichtigen Trauerarbeit), dem, was sich als substanziell und somit beständig bewies näherte, mußte man einfach eingestehen, daß uns der Grunge, neben seinem nachwirkenden stilistischen Einfluß, letztlich viel verdammt gute und intensive Musik hinterlassen hat.
Es war und ist diese eigentümliche Mischung aus rebellischem Zorn und tiefempfundener Melancholie, vermittelt durch meist eingängige, teils energisch wie ebenso sensibel vorgetragene Songs, welche allen oben genannten Formationen und natürlich "Nevermind" zu eigen ist und in ihren faszinierenden Bann zieht. Der frustrierte Aufschrei von etwa "Stay Away", "Breed" oder Territorial Pissings", der vorübergehende Trost in der Wehmut von "Come As You Are" oder "Polly", die Verlorenheit von "Something In The Way", "Lithium" oder "In Bloom" - all dies sprach und spricht so vielen jungen Menschen, die sich vielleicht etwas orientierungslos fragen, ob und wie sie einen Weg der ihnen entspricht finden und ein Leben nach eigenen Vorstellungen überhaupt entwickeln können, aus dem Herzen. Und ein Song schließlich, der zur Hymne des vergangenen Jahrzehnts wurde, vereint das alles in seinen vor Gefühl und Energie zu bersten scheinenden, ekstatischen fünf Minuten: "Smells Like Teen Spirit"! Ein Feeling der Entfremdung, Verlorenheit, Trauer, Melancholie, dann, letztlich dominierend, der Wut, der Auflehnung und Ablehung gegenüber den vorgegebenen und als einengend empfundenen Gesetzmäßigkeiten und Zwängen, in welche man sich hineingeworfen sieht und mit denen man sich nach einer Reihe erfolgloser Versuche einfach nicht arrangieren oder gar identifizieren kann und will. Kulminierend am Ende, als Kurt der vereinnahmenwollenden, anpassungfordernden Welt und Gesellschaft sein letztmögliches "...a deniaaaaaaaal !!!!!" entgegenschreit.
....ein Bild, das ich bei diesem Stück sofort erinnere, ist jenes einer Großraumdisco, die die gesamte Halle einnehmende Tanzfläche ist vollgestopft mit Leuten, welche wie die wellenschlagende, sturmgepeitschte Oberfläche eines Meeres zu den orgasmischen Klängen von "Smells Like Teen Spirit" abgehen, hin- und herwogend und sich in einen losgelösten rauschhaften Zustand tanzend. Wäre ich damals nur nicht so borniert gewesen, hätte ich da durchaus auch darunter sein können .... aber seitdem bin ich ebenfalls schon mehrmals zu diesem befreienden Aufschrei ausgeflippt, bin weltvergessen herumgesprungen, spielte wild und hemmungslos Luftgitarre, habe lauthals mitgesungen und dazu getanzt - und in der Intensität dieses Orkans wieder und wieder wie selten zuvor oder danach die Möglichkeit der heilenden, reinigenden Kraft musikalischer Katharsis erfahren dürfen.
Auch wenn mir das rohere "Bleach" und das doch ziemlich fertige "In Utero" (welches trotzdem gute Songs wie "Heart Shaped Box" oder das rückhaltlose "Rape Me" beinhaltet und mir heute wahrscheinlich noch besser als damals verständlich wäre) nicht ganz so zusagen, und sich mir die Texte nur fragmentarisch erschließen - was kein Nachteil sein muß, da die vorhandenen Lücken den Raum bieten, um vermehrt eigene gefühlsmäßig ähnlich besetzte Inhalte einfließen zu lassen - wird für mich mit "Nevermind" ein bewegender, zeitunabhängiger Meilenstein unprätentiöser und emotionalster Rockmusik für immer bestehen bleiben.

CU Kurt...

"I'm worse at what I do best
and for this gift I feel blessed,
I found it hard,
it was hard to find,
oh well,
whatever,
nevermind"

 

- Heiko - 11/02