"Vedergällningen"
("Vergeltung") ist nach der selbstbetitelten Debüt-EP und den
Alben "Vittrad" und "Guds Spelemän" das neueste und
nach meinem bisherigen Eindruck (nach 30 Durchläufen) auch bis-lang beste
Werk der schwedischen Band Garmarna. Ähnlich wie auch schon auf den Vorgängern
sind die Texte fast ausschließlich und die Musik immerhin noch zu ca.
40% traditionellen Ursprungs. Freundlicherweise hat man neben den schwedischen
Texten auch wieder die kompletten deutschen Übersetzungen abgedruckt, was
das Verständnis doch sehr erleichtert. Mit "Gamen" hat man das
recht baßbetonte sowie musikalisch lebhafteste und härteste Stück
des Albums gleich an den Anfang gestellt. Teilweise ist es schon durchaus metalkompatibel.
Mit "Euchari" folgt ein sehr schöner und entpannender Song, bei
dem es inhaltlich um das gegenseitige Verlangen eines Paares geht und dessen
lateinische Zeile "O Euchari in leta vita" ebenso wie ein Teil der
Gesangsmelodie von Hildegard von Bingen stammen dürfte, was zumindest der
in den Credits mitgenannte Name Bingen vermuten läßt. Sehr ruhig
und entspannend ist auch das nachfolgende "Halling Jåron". Das
Titelstück beginnt ebenfalls sehr ruhig, doch steigt der Spannungsbogen
zur Mitte hin, flacht dann wieder ab, steigt erneut und endet schließlich
in richtig schön verzerrten Gitarren. Das sehr getragene "Nio år"
ist mit einem schönen Streicherarrangement unterlegt und das nachfolgende
"Sorgsen ton" ist (inhaltlich) eine Ballade im klassischen Sinn (nix
Schunkel...äh, Kuschelrock!), in der als warnendes Beispiel vor Hochmut
die Geschichte einer Bauerstochter erzählt wird, die wegen ihres Stolzes
und Undankes gegenüber der eigenen Mutter schließlich von der Erde
verschlungen wurde. Beim nachfolgenden "Herr Holkin" ist vor allem
der zauberhafte Gesang von Emma Härdelin im Mittelteil hervorzuheben. Wer
jetzt denkt: "Ach, wieder so´n säuselndes Fräulein mit Piepsstimmchen.",
der ist völlig auf dem Holzweg. Zwar steigt Emma teilweise schon in recht
hohe Regionen, bewegt sich mit ihrer teils schon fast schneidend klaren, kräftigen
und deutlichen Stimme aber überwiegend in einem Bereich, bei dem auch diejenigen,
die vielleicht bei Liv Kristine schreiend aus dem Haus laufen, ruhig auf ihren
Stühlen sitzen bleiben dürften. Nach "Bläck", das nun
absolut nichts mit selbigem Metal zu tun hat (sondern "Tinte" heißt
und das Thema "Liebe" behandelt), folgt mit "Polska" ein
Instrumentalstück, daß musi-kalisch zwar am stärksten nach traditioneller
Folklore klingt, aber eine Eigenkomposition ist. Den Abschluß des Albums
bildet "Brun", das ich persönlich von der Atmosphäre her
weitaus düsterer finde als das, was man so im allgemeinen von den Vertretern
des Rampant Rumpelstilzchen Metal (von einigen auch Black Metal genannt) als
angeblich "dark" oder "düster" vor den Latz geknallt
bekommt. Zu dieser Stimmung paßt dann auch der Text, der von einem Mann
erzählt, der eine Jungfrau entführt, ihr erzählt, daß er
schon 15 anderen den Garaus gemacht habe, und dann aber von ihr im Schlaf gefesselt
und erstochen wird. Und im Refrain heißt es: "Der heulende Wind und
der Sturm peitschten die nördlichen Berge, drei Nordmänner liegen
dort tot." Insgesamt ist zu den Texten zu sagen, daß die darin erzählten
Geschichten meist recht blutig oder traurig enden, was aber auch schon auf den
vorangehenden Alben der Fall war. (Wer auf "Sommer, Sonne, Sand und Meer"
steht, sollte sich besser nach etwas anderem umschauen.) Stilistisch ist die
Musik schwer einzuordnen. Sicherlich sind – nicht zuletzt auch durch Instrumente
wie Drehleier und Geige – folkloristische Einflüsse auszumachen, die aber
seit der Debüt-EP, wo sie noch dominierten, immer mehr in den Hintergrund
getreten sind. Vielleicht fallen sie auch wegen der recht modern klingenden
Arrangements nicht mehr so stark auf. Rockeinflüsse spielen eine nicht
unbedeutende Rolle und auf dem neuen Album werden noch stärker als auf
den Vorgängern Samples eingesetzt. Die Songs auf "Vedergällningen"
leben vor allem von der Atmosphäre. Fest steht für mich, daß
Garmarna einen sehr eigenständigen Stil entwickelt haben und mit Emma Härdelin
über eine exzellente Sängerin verfügen, deren Stimme einen hohen
Wiedererkennungswert hat.
- Burkhard - 04/99