20 Jahre nach Beginn ihrer Solokarriere, die 1987 mit dem Album "Mitt ville hjerte", welches Vertonungen von Gedichten der Dänin Tove Ditlevsen enhält, ihren Anfang nahm, hat Kari Bremnes nun endlich ihr erstes und schon längst überfälliges Livealbum veröffentlicht. Weshalb es so lange gedauert hat, ist mir angesichts ihrer Livequalitäten schleierhaft, aber anstatt mich nun in wilden Spekulationen über mögliche Gründe hierfür zur ergehen, kommen wir besser gleich zum Album selbst.
Auf diesem befinden sich insgesamt 14 Songs mit einer Gesamtspielzeit von ca. 67 Minuten, welche nahezu die gesamte Schaffensphase von Kari Bremnes dokumentieren, angefangen vom Debüt bis zum 2005 erschienenen aktuellen Album "Over en by". Etwas verwundert bin ich darüber, daß es ausgerechnet von dem 1991 erschienenen und immerhin mit dem norwegischen Spellemannpris ausgezeichneten 3. Album "Spor" kein einziger Song auf das Livealbum geschafft hat, hatte Kari doch davon bei ihrer Deutschlandtour 2004 noch 5 Songs im Programm, wenngleich es sich dabei meist um die auf dem Album "Norwegian Mood" zu findenden englischsprachigen Versionen gehandelt hat. Zumindest für einen weiteren Song wäre auf der CD noch Platz gewesen, aber vielleicht hätten dann Abstriche bei der Soundqualität gemacht werden müssen. Was letztere angeht, läßt sich diese nach meinem Eindruck kurz und knapp mit dem Wort "perfekt" beschreiben – eben so, wie ich es auch von allen bislang besuchten Konzerten von Kari kenne. Im deutschsprachigen Raum gab es in den vergangenen Jahren ja schon mal den einen oder anderen Konzertmitschnitt bzw. Auszug davon (Berlin 2004, Bad Wildungen 2004, Inntöne-Festival 2006) im Radio zu hören, aber von der Klangqualität her werden diese vom offiziellen Livedebüt – erwartungsgemäß – locker in den Schatten gestellt. Alle Instrumente sind jederzeit klar und differenziert herauszuhören, was insbesondere beim Schlagzeug-/Percussionspiel von Helge Andreas Norbakken besonders positiv auffällt.
Die Songs selbst wurden bei zwei Konzerten in Norwegen sowie 8 Konzerten auf Karis diesjähriger Deutschlandtour im Januar mitgeschnitten, also in kompletter Bandbesetzung einschließlich Gitarrist und Bassist, während Kari in den vorangehenden Jahren in Deutschland ja jeweils nur mit Bengt Egil Hanssen (Keyboards/Piano) und Helge Andreas Norbakken (Schlagzeug/Percussion) unterwegs war (2006 noch verstärkt durch den Trompeter Mathias Eick). Welcher Song von welchem Konzert stammt, erfährt man leider nicht. Auffällige Unterschiede bei den Publikumsreaktionen, die entsprechende Rückschlüsse zulassen würden, habe ich nicht feststellen können. Daß zu Beginn des Openers "Sangen om ka ho Anna drømte om" sowie des vorletzten Songs "Mitt hjerte hamrer og hamrer" etwas Applaus aufkommt, dürfte nicht mit einem unhöflichen Publikum, sondern damit zu erklären sein, daß Kari mit dem erstgenannten Stück einige Konzerte (jedenfalls die in Hannover und Bochum) begonnen und mit dem letztgenannten Stück den Zugabenblock eingeleitet hat, mit dem Applaus daher ihr Erscheinen auf der Bühne begrüßt wurde.
Mit den beiden soeben genannten Songs wären bereits zwei meiner vier persönlichen Lieblingsstücke, die auf diesem Album vertreten sind, erwähnt. "Sangen om ka ho Anna drømte om" gehört für mich wie das dann an 5. Stelle zu hörende Lied "Sangen om fyret ved Tornehamn" (beide übrigens vom Album "Svarta Bjørn", welches 1999 meine "Einstiegsdroge" war) zu den intensivsten und atmosphärischsten Songs, die Kari Bremnes geschrieben hat, was auch an den Texten liegt. Demgegenüber gehören "Mitt hjerte hamrer og hamrer", welches in der Studiofassung auf dem Debüt musikalisch noch vergleichsweise "brav" klingt, und das phantastische "Skrik" – für mich der Höhepunkt eines jeden Livekonzertes und auch insgesamt mein Lieblingssong – sicherlich zu den "härtesten"/rockigsten Songs, die Kari in ihrem Liverepertoire hat. Da fliegen bei Helge, wenn er auf sein Schlagzeug eindrischt, regelmäßig buchstäblich die (Holz-/Reisig-?) Fetzen, was man hier, da es sich um eine CD und keine DVD handelt, leider nicht sehen kann.
Den prozentual größten Anteil machen die Songs vom aktuellen Album "Over en by" – vier an der Zahl – aus, und zwar "Per og Pål og Janus", "Litt happiness kan ikkje skade", "Stjernelause døgn" und "Hvis du kommer tebake igjen". Die beiden erstgenannten Stücke haben einen entscheidenden Anteil daran, daß sich auf diesem Livealbum schnellere lebhaftere Stücke und ruhige getragene Songs fast die Waage halten. Dies dürfte diejenigen erfreuen, denen Karis Konzerte in Deutschland vor einigen Jahren insgesamt noch etwas zu ruhig und einseitig waren – solche soll es ja geben –, wobei Kari seinerzeit tatsächlich mit "Mitt hjerte hamrer og hamrer" (bzw. der englischen Fassung "My Heart Is Pounding Like A Hammer"), "Skrik" und dem erfreulicherweise ebenfalls auf dieser Live-CD vertretenen "Togsang" meistens gerade mal 3 schnellere lebhafte Songs im Programm hatte. Hier sind es immerhin 6 von 14 Songs, da auch "Søvngjengersken" in diese Kategorie fällt. Bei diesem Song darf Helge ja nun regelmäßig eine Soloeinlage zum Besten geben, die mal kürzer und mal länger ausfällt. Für dieses Album hat man sich wohl für eine etwas kürzere entschieden, vielleicht auch mit Rücksicht darauf, daß nicht jeder solche Soloeinlagen schätzt, wenngleich Helge hierfür regelmäßig – so auch hier – verdient Szenenapplaus bekommt.
Neben den bislang erwähnten Songs sind auf dem Livealbum noch "A Riddle Beside Another Riddle", "You´d Have To Be Here", "To Give You A Song" und das einen würdigen Abschluß bildende "Hurtigrute" zu hören. Erst nach dem Verklingen des letzten Tones setzt der Applaus ein. Erfreulich ist aus meiner Sicht, daß nur drei englischsprachige Songs auf dem Album vertreten sind, wobei ich mir allerdings – schon aus Gründen der Authentizität – auch diese drei Songs lieber in der norwegischen Originalfassung gewünscht hätte. (Zumindest in einer norwegischen Tageszeitung hat dieser Umstand in der Rezension auch zum Punktabzug geführt.)
Positiv ist anzumerken, daß – wie diejenigen, die Kari bereits live erlebt haben, schon aus eigener Erfahrung wissen – sich die Liveversionen hörbar von den Studiofassungen unterscheiden. Lediglich bei "To Give You A Song", bei dem Kari allerdings auch nur dezent vom Piano begleitet wird, ist kaum ein Unterschied auszumachen. Besonders erwähnt sei etwa neben dem Solo von Helge bei "Søvngjengersken" der nach dem letzten Vers von "Litt happiness kan ikkje skade" einsetzende "Männerchor" der Begleitmusiker und die dann folgende Tempoverschärfung, bevor der Song bei der letzten Wiederholung des Refrains mit einer deutlichen Tempoverlangsamung ausklingt, wobei Kari durch ihren Gesang deutlich zum Ausdruck bringt, was sie von den Bemühungen ihres Gegenübers hält, sie in eine fröhliche Stimmung zu versetzen.
Was man auf diesem Livealbum anders als bei einem persönlichen Konzertbesuch nicht zu hören bekommt, sind Karis oftmals ausführliche Erläuterungen zu einzelnen Songs bzw. Anekdoten, die sie in Verbindung damit erzählt, oder die eine oder andere (spontane) humorvolle Anmerkung. Da der Platz auf einer CD begrenzt ist und es hier ja in erster Linie um Karis Musik geht, ist es allerdings verständlich, daß man hier nur die Musik (und den anschließenden Applaus) geboten bekommt. Wer mehr will, der muß eben selbst eines (oder auch mehrere) von Karis Konzerten besuchen! Ein solcher Besuch wird auch denjenigen, die sich diese Live-CD gekauft haben, sicher nicht langweilig werden, da Karis Konzerte, auch wenn sie von den gespielten Songs her identisch sein sollten, nie völlig gleich klingen – dafür sorgen sowohl ihre exzellenten Musiker als auch sie selbst.
Ich hoffe, daß es bis zur nächsten Liveplatte nicht wieder 20 Jahre dauern wird!
Abschließend sei noch angemerkt, daß das Album in Deutschland erst am 16.11. und damit gut 2 ½ Monate später als in Norwegen erscheinen soll. Ob man da schon auf das Weihnachtsgeschäft schielt? Für eine eventuelle Übersetzung der auf dem aufklappbaren CD-Cover – die Platte erscheint wie alle KKV-Produktionen im DIGIPAK – in Norwegisch und Englisch abgedruckten Anmerkungen ins Deutsche braucht man jedenfalls nicht so lange.
In Deutschland erscheint Karis Livealbum unter dem Titel "Reise". Unterschiede bezüglich der auf dem Album vertretenen Songs gegenüber der in Norwegen veröffentlichten Fassung gibt es allerdings nicht. Etwas verwunderlich ist, daß man sich in Norwegen nicht auch für den Titel "Reise" entschieden hat, hat er doch im Norwegischen dieselbe Bedeutung wie im Deutschen. Angesichts der Tatsache, daß die meisten Songs des Albums auf Karis Konzertreise durch Deutschland aufgenommen wurden und im übrigen auch eine Reise durch Karis musikalische Solokarriere darstellen, erscheint der Titel "Reise" etwas origineller als das zwar international verständliche, aber zugleich auch sehr allgemeine "Live".
- Burkhard - 09/07