Wie
hieß es doch vor kurzem noch so vollmundig aus
meiner Schmollecke: "Metallica hingegen haben bei mir auch den allerletzten
Rest an Interesse und Kredit verspielt." Diese Wortblase zerplatzte denn fast
schon erwartungsgemäß nur Millisekunden nachdem sie in den elektronischen
Äther entlassen und gleich darauf der neueste Klopfer der Amis - welcher
standesgemäß umgehend die Pole der deutschen Charts anführte
- mit beeindruckendem Werbetamtam unter's headbangende Volk gejubelt wurde.
Unser aller verehrtes MTV tat sich da besonders hervor, mit gleich einem ganzen
der Band gewidmeten Wochenende, bestehend u.a. aus den Specials "Behind The
Music", "MTV Icon", "MTV Masters" und einem Live-Mitschnitt vom diesjährigen
Auftritt bei "Rock Am Ring". Muß ich eigentlich noch gesondert erwähnen,
daß ich mir das alles auch brav gegeben habe? Vor allem die ganzen immergrünen
Classics in energetischen Live-Versionen direkt ins heimische Wohnzimmer gesendet
zu bekommen, war für einen alten Sesselfurzer wie mich, welcher das sich
ins wilde Getümmel vor der Open Air-Bühne stürzen heutzutage
lieber den zahlungskräftigen und abenteuerlustigen Youngsters überläßt,
ungemein angenehm. Denn unmittelbar, eben auf der Bühne, sind Metallica
ja noch immer ein jegliche Aufmerksamkeit lohnendes Ereignis. Da gewinnen
auf Platte zwar durchaus okaye, dennoch ihr eigentliches Potential verfehlende
Songs wie "Blackened" nochmals deutlich an Verve hinzu und das olle, die Setlist-Überholspur
im Jahre 2003 noch immer blockierende Kriechtier "Harvester Of Sorrow" sogar
etwas an Lebendigkeit. Zudem wurden die beiden "Verladenen" komplett ignoriert
und das "Schwarze" allenfalls mit einem verstohlen erst in der Zugabe gebrachten,
verkürzten "Nothing Else Matters" bedacht, während man mit dem restlichen
Song-Repertoire (u.a. "One", "Master Of Puppets", "Welcome Home (Sanitarium)",
"No Remorse", "Seek And Destroy", "For Whom The Bell Tolls", "Battery" "Creeping
Death"....) natürlich nichts falsch machen und nur gewinnen konnte -
die Four Horsemen ließen's nach allen Regeln der schwermetallischen
Kunst mal wieder ordentlich krachen und lieferten einen starken Auftritt ab,
bewiesen, daß sie zumindest Live in all den Jahren keinen Deut ihrer
Energie verloren haben und berauschten sich sichtlich lustvoll daran.
Sie sind, das muß man ihnen lassen, nach wie vor ein Phänomen.
So sehr man es auch versucht, man kann sie, und das nicht nur um der alten
Zeiten willen, einfach nicht ignorieren.
Dies gilt sogar für eure ZWNN-Redaktion.
So stand ich denn - da die gehörten neuen Songs, namentlich das Titelstück
"St. Anger" (welches Live viel besser kam, als in der im Mix gitarrentechnisch
leicht verunglückten Studiofassung) und "Frantic", sich alles andere
als schlecht anließen - auch kurz nach VÖ im Plattenladen auf der
Matte, um, wild skipend und searchend wie es so meine Art ist mir einen groben
Überblick zu verschaffen, "St. Anger" ausgiebig näher zu begutachten.
Zunächst einmal wird die direkte, brachiale Produktion augenfällig.
Man glaubt förmlich zu hören, wie die Jungs zu Produzent Bob Rock
kamen und sagten, die nächste Scheibe solle einem Schlag "voll in die
Fresse" gleichen und einen ungeschliffenen Hardcore-Street-Sound haben. Ob
der spontane Entschluß von Lars Ulrich hingegen, zu diesem Zwecke das
der Snaredrum einen satten Klang gebende Fell von selbiger zu entfernen, um
sie natürlicher, mithin hochfrequenter, nämlich wie ein leeres
Ölfass klingen zu lassen, eine weise Maßnahme war, sei mal dahin
gestellt. Jedenfalls wird schnörkellos, to the bone und ohne viel Effekte
fettest losgerockt, der nicht eben veritabel von einer Kreuzung aus Zwergpinscher
und Pittbull vertretene Riff-Wolf wurde von seiner nur allzu lange getragenen
Kette losgemacht und hungrig, mit noch immer scharfem Gebiss, direkt aus dem
Übungskeller auf die ahnungslose Menschheit losgelassen. Und er bringt,
so scheint's, noch ein vielzähliges Rudel zähnefletschender Freunde
mit. Sehr rüde das Ganze, nur von wenigen atemholenden melodischen Passagen
unterbrochen. Einen Schritt zurück zu den Wurzeln wie es allenthalben
kolportiert wurde, kann ich nicht wirklich ausmachen. Metallica haben sich
- und das verdient grundsätzlich Respekt - einmal mehr neu definiert,
jedoch ihrem Auditorium einen kaum verdaulichen, überdimensionierten,
obsessiven, megalithischen klanglichen Betonquader hingestellt. Dies ist halt
das Dilemma: einerseits will man nicht auf der Stelle stehenbleiben und sich
ausschließlich in der Variation des bereits sattsam Bekannten ergehen,
andererseits seinen ureigenen Stil nicht verleugnen. Den hatten Metallica
bis '91 - danach, mit dem Aufbruch zu neuen Ufern, wirkte vieles leider nur
noch orientierungslos und uninspiriert. Wenngleich in diesem Zusammenhang
kurios aber passend, wird's Zeit, in unserem Mag endlich mal den Dalei Lama
zu zitieren: "Empfange Veränderungen stets mit offenen Armen, vergiß
und verliere darüber jedoch nicht deine die eigenen Fähigkeiten
und Werte."
Vielleicht meinten sie heuer auch, sich und allen anderen etwas beweisen,
den zahlhaften jungen aufstrebenden Bands der härtesten Gangart zeigen
zu müssen, wer auf diesem Planeten nach wie vor die wahre Aggressivität
ausbrütet. Jedenfalls muß sich bei diesen teils schrägen und
zu langen, sich ermüdend selbst repetierenden Riffing-Orgien, zumal über
eine Strecke von gut 75 Minuten, zwangsläufig Überdruß einstellen.
Nichts als Negativität, Brutalität, Depressivität.
Das hier ist kein nachtmahrischer Flug über die Grenzen des gesunden
Menschenverstandes hinaus, hinein in den Wahnsinn, in tabuisierte Bereiche
von Individuum und Gesellschaft, der einen mit den eigenen seelischen Schattenanteilen
konfrontiert und diese spannungsentlädt, zum dahinschmelzen, zur Auflösung
bringt, damit man hernach dem gereinigt schimmernden Licht eines jungen Morgens
erleichtert schwerelos entgegendriften kann. Nein, von dieser Reise kommt
man wahrscheinlich nur noch beladener, mit schwererem Herzen zurück.
Kaum eine den ausgestoßenen Seelenmüll verzehrende Komplementärkraft
ist erkennbar. Früher war dies die - auch bei den kompositorisch wie
textlich heftigsten Songs - vitale begeisternde Musikalität, immer ein
gewichtiges Momentum in der Musik Metallicas. Auf "St. Anger" sind kaum lichte,
kaum melodiöse Augenblicke auszumachen, von dieser kahlen, grauen Ödnis
wächst kein zaubrisches Gerank der Sonne entgegen - war da, um nur eines
zu nennen, denn überhaupt einmal ein gescheites Soli oder eine schöne
Leadgitarre zu vernehmen?
Nun, nach "satten, gelangweilten Millionären" klingt "St. Anger" in der
Tat nicht, dennoch hat es scheinbar außer düsterer Rohheit nicht
allzu viel zu bieten und nichts wirklich verlockendes an sich.
Klar, als richtig schlecht würde das Teil wohl andererseits niemand,
einigermaßen objektiv betrachtet, unbedingt klassifiziert wissen wollen.
Es gibt sicher etliche Leute, die tatsächlich damit einiges anfangen
können. Mag auch sein, daß sich bei eingehender Durchdringung noch
Qualitäten offenbaren, die den ersten Eindrücken verschlossen bleiben
(die 5, 6 später im Radio gehörten Songs liefen ebenfalls ziemlich
an mir vorbei), aber ich bin überzeugt, man kann seinen Frust - im Gegensatz
zu diesem grob gezimmerten Dämonenverlies - auf angemessenere Weise einfangen,
freisetzen, ablassen, seine Wut und Aggressionen durchaus konstruktiver verarbeiten.
Unzählige Bands haben dies bereits hinreichend zelebriert - schließlich
auch Metallica selbst.
Angesichts der mannigfaltigen, vielschichtig emotionalen, wunderbaren Musik,
die es sonst noch dort draußen zu entdecken gibt, verbietet es sich
eigentlich, hierüber noch weitere Worte zu verlieren.
- Heiko - 06/03
Und,
was denken die anderen ZWNN-Redakteure
über die neue Metallica?
Bisher noch wenig, da ich außer dem Titelsong noch nichts von der Platte kenne. Neugierig hat mich das schon gemacht. Kaufen werde ich mir das Teil definitiv nicht, aber ich bekomm's sicher in absehbarer Zeit in die Hände. Mein erster Eindruck, auch nach den von Heiko erwähnten Live-Ausstrahlungen, ist dieser: Man trifft nach Jahren eine alte Freundin zufällig auf der Straße, unterhält sich etwas und geht dann mit der Erkenntnis, daß man sich eigentlich nur noch wenig zu sagen hat, weiter. Jedoch freut es einen, daß sie sich im Grunde nicht verändert hat und es ihr offensichtlich gut geht.
- Martin - 07/03