Mit Klängen, die aus dem Bereich der Industrial-Musik stammen und retrospektiv
auf der CD „Ljubljana-Zagreb-Beograd“, einer Sammlung frühen Materials,
nachzuhören sind, begann die slowenische Formation LAIBACH ihre musikalische
Arbeit, die seitdem ein vielfältiges Spektrum verschiedenster Ausprägungen
aufweist. Während man mit dem Album „Jesus Christ Superstars“ auch für
die Metal-Gemeinde interessant geworden ist, genossen LAIBACH unter Musikerkollegen
bereits früher hohe Anerkennung. Die amerikanische Death Metal-Band MORBID
ANGEL beispielsweise, deren Drummer Pete Sandoval sich im Booklet des zweiten
MA-Albums „Blessed are the sick“ als LAIBACH-Fan outet, veröffentlicht
eine Mini-LP mit zwei von LAIBACH remixten Songs und auch die sonst unerträglichen
KNORKATOR sprechen in einem Interview mit dem Rock Hard vom wegweisenden Einfluß
der Slowenen. In der Tat ist die Originalität des Industrial Metal der
ausgehenden 90er oder der „Neuen Deutschen Härte“ vor dem Hintergrund
von Gruppen wie LAIBACH oder auch SKINNY PUPPY recht interessant. Im folgenden
sollen einige LAIBACH-Alben kurz vorgestellt werden, ohne aber den Anspruch
zu vertreten, das gesamte Schaffen dieses im Wortsinn außergewöhnlichen
Kollektivs, welches sich immer wieder neuen Einflüssen zuwendet, damit
abgedeckt zu haben. Die Betrachtungen zur Band und ihrem Umfeld erheben weder
den Anspruch, vollständig oder abschließend zu sein, noch wird
eine chronologische Reihenfolge eingehalten.
„NATO is the framework for an alliance designed to prevent aggression or to repel it, should it occur. It is determined to safeguard freedom, common heritage and civilization.”
Mit diesem Auszug aus der Gründungsakte der NATO (North Atlantic Treaty Organization) aus dem Jahr 1949 (Deutschland-West tritt 1955 bei) beginnt das Booklet eines Albums, dessen Grundkonzept vor dem Hintergrund der gnadenlos geführten jugoslawischen Bürgerkriege (1994 hauptsächlich in der ehemaligen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina) als eine finstere Zustandsbeschreibung Europas verstanden werden kann. Die 1980 gegründete Gruppe LAIBACH ist Teil des Künstlerkollektivs und utopischen Staats NSK (Neue Slowenische Kunst), letzterer als Konstrukt begriffen, das sich nicht in herkömmlichen geographischen Grenzen bewegt, obwohl NSK-Dokumente in der Realität teilweise sogar schon lebensrettende Funktion hatten: Mit Hilfe von NSK-Pässen gelang einigen Menschen die Flucht aus dem belagerten Sarajevo (vgl. dazu ein Interview mit der Band in Rock Hard 171). Nach der NSK-Gründung im Jahr 1984 wächst der „Staat im Geiste“ zu einem komplexen Konstrukt, das gegen Ende des Jahrzehnts aus Abteilungen für Architektur, Design, Malerei, Theater, Film, Philosophie und Musik besteht.
Schon im alten kommunistischen Jugoslawien provozieren LAIBACH massive Reaktionen, Konzerte und Ausstellungen werden verboten. Gerade der Umgang mit Symbolen und mit der Ästhetik des Faschismus stellt Laibach speziell hierzulande in ein schlechtes Licht, wobei der äußere Schein als Grund zur Vorverurteilung bereits genügt. Im Booklet von „Opus Dei“ (1987) präsentieren sich die vier Musiker in einem Oufit (uniformartige Kleidung, zackige Frisuren), das in Verbindung mit den teilweise in Deutsch gesungenen Texten den Gerüchten um die Gruppe entgegenkommt. Neben vielen anderen Einflüssen und Themen, die von LAIBACH aufgegriffen werden und von Shakespeare bis Andrew Lloyd Webber reichen, sind die immer wieder zu findenden deutschsprachigen Elemente wohl auch ein Hinweis auf das kulturelle Erbe Sloweniens und seiner Hauptstadt Ljubljana, die vor ihrer Eingliederung in das damals geschaffene Königreich Jugoslawien im Jahr 1919 Laibach hieß.
Zu den Besonderheiten von LAIBACH zählt das Zerlegen von bereits existierendem Song- und Textmaterial in seine Einzelteile (das simple „covern“ wäre hier nicht zutreffend), um sie dann in einen neuen Kontext zu stellen. Am deutlichsten wird dieser Ansatz auf dem Album „Sympathy for the devil“, welches ausschließlich aus Versionen des ROLLING STONES-Stücks besteht. Auf „NATO“ führt dieses Konzept zu teilweise irritierenden Reaktionen, erwartet man doch kaum, so banal wirkende Musik wie „The Final Countdown“ (im Original von den schwedischen Fönmatten-Rockern EUROPE) in einem solchen Zusammenhang wiederzufinden. Als Baustein des „NATO“-Albums kommt dem Stück aber eine wichtige Funktion zu, denn es könnte der letzte Countdown für die Menschheit sein, der es gelingen wird, sich selbst zu vernichten, bis am Ende nur noch totale Zerstörung und ewige Finsternis übrigbleiben. „War destroys the last skyline“ prophezeit die düstere Negativ-Utopie „2525“ (im Original ein Song aus den 60er Jahren von Zager & Evans; wurde schon von so unterschiedlichen Interpreten wie Project Pitchfork oder Nina & Mike gecovert).
Bestandteil von „NATO“ sind außerdem Songs von Status Quo („In the army now“), Pink Floyd („Dogs of war“) und DAF, deren „Alle gegen alle“ eine gespenstische Nähe zum Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina aufweist: „Unsere Kleidung ist so schwarz, unsere Stiefel sind so schön, unsere Schreie sind so laut... ALLE GEGEN ALLE, ALLE GEGEN ALLE!“ Obwohl ursprünglich in dieser Form weder zeitlich möglich noch geplant, ergibt sich aus dem Text nun eine grauenhafte Analogie zu den Ereignissen im Jugoslawien des Jahres 1992, als Bosnien-Herzegowina in einem Sumpf aus Gewalt, Haß und Massenmord unterging.
„Mars on river Drina“, das letzte Stück auf dem Album, erinnert an die Apriltage 1992, als serbische Freischärlerverbände den in Ostbosnien an der Grenze zu Serbien gelegenen Drina-Fluß überschreiten und beginnen, eine serbisch dominierte Zone als Ausgangspunkt für ein Großserbien zu schaffen. Mars, der römische Kriegsgott, hält eine üppige Ernte: Mit unfaßbarer Grausamkeit werden Städte und Dörfer von Moslems gesäubert, wird die nichtserbische Bevölkerung entweder ermordet oder vertrieben, moslemisches Kulturerbe systematisch zerstört. Ein spanischer EU-Diplomat berichtet in einer Dokumentation des ORF, wie sein Wagen in einer Kurve ins Schleudern gerät, so sehr sind die Straßen vom Blut der Opfer förmlich überschwemmt. US-Präsident Bush (senior), der noch ein Jahr zuvor wegen der amerikanischen Öl-Interessen einen halben Weltkrieg entfacht hatte, enthüllt seinen wahren Charakter als Politiker und Mensch, als er den in der Mitte Europas stattfindenden Völkermord als „Schluckauf“ bezeichnet, für dessen Beilegung die USA keinesfalls eine militärische Intervention in Betracht ziehen würden.
Obwohl die Gruppe eindeutige Aussagen ablehnt und jede Verwendung von politischen
oder ideologischen Fragmenten als ein rein künstlerisches Spiel verstanden
wissen möchte, ist „NATO“ auch ein durchaus ernstzunehmender, äußerst
bitterer Kommentar zur Frage von politischem Kalkül und Verantwortungsbewußtsein.
Musikalisch zeigen sich LAIBACH auf diesem Album bei einigen Stücken
teilweise deutlich von Techno beeinflußt, vom Sound der Marke Rammstein
und Konsorten wie auf „Jesus Christ Superstars“ (1996) ist hier nichts zu
hören. An den „NATO“-Arrangements ist auch das Projekt 300 000 V.K. beteiligt,
das 1996 mit der CD „Also sprach Johann Paul II.“ eine Art „Sakral-Techno“
präsentiert (dazu später mehr). Herzstück von „NATO“ sind die
Tracks 6 bis 8, mit dem EBM-artigen DAF-Cover „Alle gegen alle“ und dem orchestralen
„2525“ sind dabei auch zwei Meilensteine in der bisherigen musikalischen Arbeit
von LAIBACH vertreten.
Zurück in das Jahr 1987, zu jenem Album, welches maßgeblich den Ruf LAIBACHs begründete, politisch „bedenkliche“ Inhalte zu verbreiten. Aus dem Booklet springen dem Betrachter scheinbar eindeutige Fotos entgegen: Vier Männer in einer an die Mode der 20er und 30er Jahre erinnernden Kleidung, dazu Grafiken, die stilistisch an nationalsozialistische und auch kommunistische Propagandaplakate erinnern. Den endgültigen Beweis für dubiose politische Aussagen liefern dann Textzeilen wie „Ein Fleisch, ein Blut, ein wahrer Glaube“. Fertig ist das emsig gezimmerte Feindbild, LAIBACH sind demnach also ´rechts´. Die deutschen Texte der ersten beiden Stücke scheinen dieses Vorurteil zu bestätigen: „Leben heißt Leben“ bedient sich mit Zeilen wie „Wir bekommen nur das Beste, wenn jedermann auch alles gibt“ offensichtlich bei der totalitären Idee der uniformierten Menschenmasse, die eine gemeinsame Richtung zu verfolgen hat und Individualität nicht zuläßt („Du bist nichts, dein Volk ist alles“ hieß es bei den Nazis).
Noch eindeutiger das zweite Stück „Geburt einer Nation“, welches angeblich „übelstes Vokabular aus dem Dritten Reich“ (Rock Hard 163) enthält: „Ein Fleisch, ein Blut, ein wahrer Glaube, eine Rasse und ein Traum, ein starker Wille“ klingt in Deutsch und mit Reichsparteitagsstimme gesungen nach martialischem Germanenpathos im Goebbels-Originalton. Bei näherer Betrachtung allerdings handelt es sich um nichts anderes als eine ins Deutsche übertragene Version des QUEEN-Songs „One Vision“ (vom „A kind of magic“-Album), was zunächst keinerlei Nähe zur Nazi-Ideologie vermuten ließe, von LAIBACH aber entsprechend aufgebaut wird, um den Zuhörer nachhaltig zu verwirren. In Kenntnis der eigentlichen Quelle und des Umstands, daß LAIBACH das Spiel mit Versatzstücken aus Kultur und Ideologie offenbar sehr schätzen und nachdenkenswert umzusetzen wissen, wird aber relativ schnell klar, welche Aussagen (wenn überhaupt) hinter „Geburt einer Nation“ verborgen sind. Tatsächlich ist der Text eher als Idee von einer zukünftigen, gemeinsamen menschlichen Rasse zu lesen, in der nach Sprache, Aussehen oder Religion getroffene Unterschiede nicht mehr gelten, weil alle auf dem Planeten Erde leben und voneinander abhängig sind: „Es gibt nur eine Richtung, eine Erde und ein Volk.“
Neben QUEEN verarbeiten LAIBACH wie gewohnt auch Stücke anderer Gruppen und erzielen dabei verblüffende Effekte. Sie erschließen einem Song bisher ungeahnte Dimensionen, die man so nie vermutet hätte. Auf dem Album finden sich beispielsweise zwei Versionen des 80er-Hits „Live is life“ (im Original von OPUS), der damals von den Radiostationen rund um die Uhr in den Äther geblasen wurde, bis man das Lied wirklich nicht mehr hören konnte. Wie bei „Geburt einer Nation“ wird auch hier die in Englisch gesungene Vorlage ins Deutsche übertragen und urplötzlich scheint der Text nun in ideologischer Hinsicht von totalitären Durchhalteparolen nicht mehr allzu weit entfernt zu sein. Der Filmregisseur Hitchcock arbeitete mit ähnlichen Mitteln, als er in seinem Film „Das Fenster zum Hof“ einen Mann von seiner Wohnung aus zunächst ein kleines Mädchen, danach eine spärlich bekleidete Frau beobachten ließ. Zuerst erscheint dem Betrachter das Gesichts des Mannes angenehm-freundlich, dann aber wie das eines alten Lüstlings, obwohl die gleiche Nahaufnahme des Gesichts verwendet wurde wie zuvor. Erst durch den vom Betrachter hineininterpretierten Kontext verändert sich das zunächst eindeutig scheinende Bild bzw. Musikstück und formt sich im Rezipienten zu einer neuen Bedeutung, die vom Künstler mehr oder weniger gewollt sein kann und mögliche Denkmanipulationen durch vorgefaßte Sichtweisen aufzeigt. Dazu LAIBACH-Mitglied Ivan Novak im Interview: „Ich glaube, etwaige Gefährlichkeit hat sehr viel mit der Fantasie des Betrachters zu tun.“ (RH 171)
Auffallend ist in einigen Abschnitten die musikalische Aggressivität des Albums, das spätere Strömungen wie jene dümmlich betitelte Erscheinung „Neue Deutsche Härte“ vorwegnimmt. Die Vorreiterrolle LAIBACHs wird hier deutlich, während man angesichts des 1996er Albums „Jesus Christ Superstars“ in der Band zunächst einen dreisten RAMMSTEIN-Klon vermuten könnte. Im Kontrast zu den harten Drum-Rhythmen stehen bombastische Passagen, die an Soundtracks von epischen Hollywood-Filmen erinnern (die Bläser in „Trans-National“ z.B. könnten aus der Filmmusik von Basil Poledouris zu „Conan der Barbar“ stammen). Den Abschluß des ersten Teils der CD bildet „The great seal“, überwiegend klassisch und recht pompös gehalten. Gegen Ende des Stücks ist das berühmte Zitat aus einer Churchill-Rede („We shall defend our island, whatever the cost may be“) zu hören, mit der im Zweiten Weltkrieg die englische Bevölkerung auf die Gefahr einer möglichen deutschen Invasion vorbereitet werden sollte. IRON MAIDEN verwendeten den gleichen Auszug als Intro für ihre Liveauftritte, nachzuhören auf dem „Life after death“-Album.
Die multikünstlerische Ausrichtung des Kollektivs LAIBACH unterstreichen
vier Stücke, die ursprünglich für das vom Scipion Nasica Theater
in Ljubljana aufgeführte Stück „Krst Pod Triglavom“ (deutsch: „Taufe
am Fuß des Triglav“, ein Berg und Teil eines Alpenabschnitts zwischen
Italien und Slowenien) geschrieben wurden und auf der „Opus Dei“-CD als Anhang
vertreten sind. Der Begriff des Kollektivs scheint nicht ganz falsch gewählt,
treten LAIBACH doch nicht in klassischem Sinne als Band auf. So finden sich
zwar im Booklet des Albums die Fotos der vier Künstler (das ist zumindest
anzunehmen), doch es fehlen wie auch bei den anderen CDs, die mir bis jetzt
bekannt sind, explizite Angaben, welche Instrumente die betreffende Person
spielt. Musikalisch erweisen sich LAIBACH auf diesem Album als ausgesprochen
wegweisend, vieles von dem, was im Bereich „harter“ Musik später erst
aufgegriffen oder zum Trend werden sollte, ist hier schon Teil eines künstlerischen
Prozesses, dessen Resultat nicht in allen Teilen auf Anhieb verständlich
und interpretativ nach mehreren Seiten hin offen ist. Die simple Gleichung
„LAIBACH = politisch verdächtig“ ist aber bei näherer Betrachtung
nicht aufrechtzuerhalten.
Musikalisch wird der Begriff „Industrial“ sehr unterschiedlich ausgelegt, daher an dieser Stelle auch mangels eigenem Fachwissen keine ausführliche Grundsatzdebatte. Während Verfechter der knallharten Linie zu diesem Bereich vielleicht nur Geräusche jenseits konventioneller Hörbarkeit zählen, sprechen manche Metal-Gruppen bereits von Industrial-Einflüssen, wenn sie in ihren Songs Hammerschläge oder ähnliches als Hintergrunduntermalung einbauen, ohne daraus allerdings ein tiefergehendes Konzept zu entwickeln (ein Mitglied von ATROCITY bezeichnete in einem Interview sogar Rio Reisers TON STEINE SCHERBEN als Industrial Band, womit die unklare Verwendung des Begriffs hinreichend dokumentiert wäre).
Karsten Rodemann schreibt in dem Buch „Ed Gein- A quiet man“ zu Industrial: „Einen eindeutigen Begriff für diese Form der Musik gibt es nicht, da jedes Projekt in diesem Bereich ihre [sic] eigene Mythologie und Weltsicht einbringt. ´Industrial Music´ nannten Throbbing Gristle ihre Musik, die von den Schrecken der industriellen Welt und ihrer Hervorbringungen stark beeinflußt war. [...] Die akustische Anti-Position wurde zudem durch die visuelle Präsentation und die Namensgebung unterstrichen, Bilder vom nuklearen oder faschistischen Holocaust, Kriegen, Verstümmelungen, Gewalttaten... wurden regelmäßig als Covervorlagen benutzt. [...] Ähnlich der Punkbewegung wurde mit antisozialen Konzepten wie Faschismus oder Diktatur kokettiert, ohne wirklich involviert zu sein.“
Musikalisch sind auch Parallelen zu früheren Klangexperimenten wie Lou Reeds „Metal Machine Music“ feststellbar, zu denen eine nihilistische Atmosphäre gesellschaftlicher und persönlicher Entfremdung trat, die sich in akustischen und visuellen Extremen äußerte, wenngleich dies nicht zwangsläufig immer der Fall war. Die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN beispielsweise arbeiteten mehr auf der Ebene des Kulturschocks als mit harten Bildern auf Plattencovern. Als „typische“ Industrial-Gruppen gelten die bereits erwähnten THROBBING GRISTLE, CONTROLLED BLEEDING, COIL oder SPK. Letztere werden für gewöhnlich mit „Sozialistisches Patientenkollektiv“ übersetzt, wobei dieser Begriff ursprünglich ein psychiatrisches Therapie-Experiment des Heidelberger Arztes Wolfgang Huber bezeichnet, welches in den Jahren um 1970 immer mehr in Richtung politischer Agitation geriet. Die Krankheit wird als Folge gesellschaftlicher Repression beschrieben, daher sei es legitim, das „System“ zu zerstören. Der harte Kern des SPK, der keineswegs nur aus Patienten bestand, radikalisiert sich und gleicht sich in seiner revolutionären Zielsetzung der RAF der frühen 70er Jahre an. Vom Entwickeln militanter Absichten über erste Sprengstoffanschläge gegen Sachobjekte werden die Mitglieder des SPK schließlich zu ganz „normalen“ Terroristen.
Musikalisch präsentieren sich LAIBACH auf vorliegender Retrospektive gänzlich anders als etwa in den ausgehenden 90ern. Die CD besteht zum Großteil aus Liveaufnahmen von zwei Konzerten in Zagreb und Belgrad aus dem Jahr 1982 sowie einem Studiotrack, ebenfalls von 1982. Bemerkenswert ist zunächst eine Ansage in gebrochenem Deutsch („Unsere Geschichte ist eine Geschichte der Kämpfen zwischen die Klassen“), bevor in verzerrt-leierndem Ton ein Heintje-Lied zu hören ist, welches von einer ausgedehnten Rückkopplung abgewürgt wird. Es folgen zwei Stücke, die aus monotonen Geräuschen und Gehämmer bestehen und an die Klangkulisse einer Fabrikhalle erinnern (ein Track nennt sich denn auch „Siemens“).
Noch etwas unstrukturierter wird es in „Smrt za smrt/Death for death“, dem ersten Stück mit Gesang. Der Text, der auch in englischer Übersetzung vorliegt, zeigt die oben angesprochene Verbindung der Industrial Musik mit extremen Gewaltbildern: „Nailing criminals alive to trees, cruelly torturing, gouging out eyes [...] executing guilty women and children with pocket knives“. Ob sich diese Zeilen auf reale Ereignisse beziehen, läßt sich aus dem Text nicht sagen, die interethnischen Grausamkeiten und Massaker in Jugoslawien während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg könnten als historischer Bezug allerdings eine Rolle spielen (das Backcover zeigt eine Fotografie des Partisanenführers Josip Broz, besser bekannt als Tito). Der LAIBACH nachgesagte Uniformenfetisch geht wahrscheinlich auf den ehemaligen Sänger Tomaz Hostnik zurück, der im Booklet der CD in entsprechender Kleidung zu sehen ist, was 1982 Ermittlungen seitens der Polizei und der Armee nach sich zog (im gleichen Jahr verläßt Hostnik die Band).
In voller Länge dürften die 70 Minuten von „Ljubljana-Zagreb-Beograd“ für manchen kaum anhörbar sein, zu selten sind die Stellen, die dem Melodiebedürfnis des Hörers entsprechen. Die Monotonie der Rückkopplungen und Geräusche in „Tovarna C 19“, „STT“ oder „Sveti Urh“ lassen aber nach wiederholtem Hören durchaus die Faszination der musikalischen Grenzüberschreitung spürbar werden, was über die volle Distanz allerdings mitunter etwas anstrengend wird. Konventioneller und für das menschliche Ohr angenehmer gestaltet sich die Studiofassung von „Drzava/The state“, einige Punk-Überbleibsel (im weitesten Sinne) sind auffindbar. Der abschließende Mitschnitt eines LAIBACH-Auftritts im September 1982 in Ljubljana dokumentiert, weshalb die Gruppe im kommunistischen Jugoslawien mit regelmäßigen Repressalien konfrontiert wurde. Die Erwähnung des Generals Jaruzelsky, der in Polen das Kriegsrecht verhängte, dürfte in Kombination mit der Aussage in „Svoboda/Freedom“, die Behörden hätten wegen politischer Aktivitäten die Freiheit abgeschafft, wohl kaum das Placet offizieller Stellen gefunden haben.
In der Folgezeit kommt es immer wieder zu Konflikten LAIBACHs mit der Staatsmacht,
die Behörden drehen der Band bei Konzerten schon mal den Strom ab und
ein Kontrakt mit der staatlichen Plattenfirma ZKP RTV wird ohne Angabe von
Gründen wieder rückgängig gemacht. LAIBACH lassen sich aber
nicht beirren, weiter politische und musikalische Grenzen zu überschreiten,
wovon das letzte Stück der CD eindrucksvoll Zeugnis ablegt. Der Auftritt
gipfelt in einer minutenlangen Krachorgie, die keine melodische Struktur mehr
erkennen läßt. Die Frage „Was ist Kunst“ (Titel eines 1984er Konzerts
in Belgrad) wird im folgenden Jahr mit dem Motto eines weiteren Auftritts
beantwortet: „Das ist Kunst.“
Fast scheint es, als hätten LAIBACH mit dieser CD ihren freizügigen Umgang mit dem Selbstbedienungsladen Popkultur auf die Spitze treiben wollen, sind die acht Songs des Albums doch ausschließlich Variationen des Rolling Stones-Stücks (von der „Beggar´s Banquet“-LP). Zum besseren Verständnis des Originals ein kurzer Exkurs über den amerikanischen Filmemacher Kenneth Anger, dessen Person und Werk hier allerdings nur in absoluten Grundzügen skizziert werden kann. Der 1930 geborene Anger machte sich in erster Linie als Autor der Skandalchronik „Hollywood Babylon“ einen Namen und war daneben auch als Filmregisseur aktiv. Seine Werke wie INVOCATION OF MY DEMON BROTHER, KUSTOM KAR KOMMANDOS oder LUCIFER RISING sind lediglich mit Musik unterlegte Collagen von teils bizarrer Schönheit und wurden via 3sat auch schon im deutschen Fernsehen gezeigt.
Kenneth Anger wird die Persönlichkeit eines Magiers zugeschrieben, wobei der Begriff der „magick“ auf Aleister Crowley zurückzuführen ist, dessen Tempel auf Sizilien bzw. die Überreste davon Anger 1955 teilweise restaurierte. Rituale spielen auch in Angers Filmen eine wichtige Rolle und ergeben zusammen mit psychedelischen Farbspielen eine äußerst interessante, faszinierende Bildersprache. Mit landläufigen Vorstellungen von Satanismus wie umgedrehten Kreuzen oder Black Metal-Fans, die auf Friedhöfen schwarze Messen feiern und ähnlichem Unsinn hat Angers „magick“ nichts zu tun und sollte damit auch nicht in Verbindung gebracht werden. Für eine angemessen kritische und vielschichtige Auseinandersetzung mit Kenneth Anger sind die Ausgaben 11 und 12 der Zeitschrift Splatting Image geeignet, wo in einem ausführlichen Interview der komplexe Kosmos Angers anschaulicher wird.
Als die ROLLING STONES Mitte der 60er Jahre starkes Interesse an „magischen“ Dingen zeigten, kam es zum ersten Kontakt mit Kenneth Anger. In dem Film LUCIFER RSING (trotz des vielleicht mißverständlichen Titels KEIN plumpes Teufelsanbeter-Filmchen!) sollten ursprünglich Mick Jagger und Keith Richards mitwirken, woraus aber nichts wurde. Für den 1969 fertiggestellten Film INVOCATION OF MY DEMON BROTHER schrieb Mick Jagger auf einem Moog-Synthesizer einen sehr seltsamen Soundtrack, der nur aus scheinbar rückwärts abgespielten Tönen besteht, welche abgesehen von ihrer gleichförmigen Struktur keine nachvollziehbare Melodie ergeben. Auf Dauer nur schwer hörbar, ist Jaggers Soundtrack ein Beitrag zum experimentellen Musikdesign, welches etwa zehn Jahre später in den frühen Industrial-Gruppen eine Weiterführung erfahren sollte (ohne allerdings hier einen direkten Einfluß zu unterstellen).
Zwanzig Jahre nach dem „Sympathy for the devil“-Original beginnen LAIBACH mit ihrer intensiven Neubearbeitung des Stücks, das in verschiedene Fassungen mit so illustren Titeln wie „Dreihunderttausend verschiedene Krawalle“ oder „Germania“ zerlegt wird. Die Vorlage ist teilweise nur mehr am Text und der Melodieführung des Gesangs zu erkennen, andere Variationen wie der „Who killed the Kennedys“-Mix klingen wie eine Wave-Pop-Version, die richtiges Hitpotential aufweist und sich vergleichsweise eng an das Original hält. Track 2 („Dem Teufel zugeneigt“-Mix) könnte durch seine aggressive Bearbeitung auch auf „Opus Dei“ stehen, während das auf dem Cover als weitere Variation ausgegebene dritte Stück die Vorlage vollkommen verläßt und als einziger Song der Band selbst zugeschrieben wird.
Nach einem kurzen Durchhänger bei Stück Nummer 6 (eher nichtssagend)
schließt das Album mit einer schleppenden, mit düster-bedrohlicher
Stimme gesungenen Version (sehr gut!) und einem weiteren Instrumental (durchschnittlich).
Es ist schon erstaunlich, mit welchem Aufwand sich LAIBACH über die Laufzeit
einer kompletten CD lediglich einem einzigen Stück widmen, bei der Bearbeitung
der „Let it be“-LP der Beatles war es immerhin ein ganzes Album. „Sympathy
for the devil“ fällt in eine enorm kreative Phase der Band, die sich
in Theaterarbeit und der Produktion neuer Alben im Studio äußert.
Als im November 1989 in Berlin die Mauer fällt und sich während der folgenden Monate abzeichnet, daß die deutsche Wiedervereinigung nur mehr eine Frage der Zeit sein wird, erwachen in den Nachbarstaaten, speziell in Frankreich, bis dahin fast vergessen geglaubte Ängste vor einem neuen deutschen Imperialismus, ausgehend von der nicht unbeträchtlichen territorialen Vergrößerung. In dieser politisch enorm bewegten Zeit gaben LAIBACH als aufmerksame Beobachter mit der „3. Oktober/Geburt einer Nation“-Single ein an die Adresse Europas gerichtetes Statement zur neuen Entwicklung ab, welches gerade wegen des Vorwurfs, politischen Extremismus zu propagieren (vgl. dazu die Kontroverse um das ´87er Album „Opus Dei“), mehr als bemerkenswert ist. Daher an dieser Stelle der ungekürzte Text des Booklets:
„ (1) Deine Geschichte ist eine Geschichte der Kriege. Deine Völker sind nur so weit zivilisiert, wie es Kriege sind. Der Sinn in dieser Zivilisation ist, andere schlachten zu lassen, was Du anschließend selbst frißt. Als Deine Fässer mit Blut gefüllt waren, drehtest Du die Hähne auf und Wein floß heraus. Deine Grenzen hast Du revidiert und neue Herren darauf eingeschworen. Das hießest Du die ´Neue Weltordnung´. Nun baust Du ein gemeinsames Haus aus Knochen und Diamanten der Dritten Welt. Du sprichst von Vereinigung, aber Du weißt, Du trennst. Du errichtest einen Schutzkeller, um sicher zu sein. Aber, Ihr Herren, stellt Euch die Dinge nicht so einfach vor:
Amerika wird Herr Europas bleiben, solange Heiligkeit eine Frage des Geldes und Geschäft eine Frage der Sitten sind. Denn die unsägliche Popularität amerikanischer Kultur zeigt uns, daß Europa nur ein unvollendetes Negativ dessen ist, wofür Amerika den Beweis liefert. Dies zeigt, daß Europa letztendlich nichts anderes ist als ein zur Versteigerung anstehen-des Gebilde. Europanismus und Imperialismus mit Minderwertigkeitskomplex. Und Ihr, Herren der europäischen Stämme, seid Knechte, die sich dessen nicht bewußt sind.
(2) Staatsgründungen überleben aus überlegener Kraft und nicht aus einer Politik der Pappsteinchen heraus. Daher besteht im heutigen Europa nur ein großer Staat und das ist Deutschland. Deutschland wurde in den vergangenen Jahrzehnten in die undankbare Rolle eines Isolierstatus gedrängt, während sich umgebende Nationen an den Vergehen angehängt haben. Hätte jener Zustand Dauer gehabt, wäre Deutschland immer weiter in einen Hintergrund gedrängt worden, versenkt in einen unhistorischen Zustand geistigen Sklavendaseins, unfähig, sich aus diesem unversehrt zu retten. Jedoch, so wie sich mit dem Ausbruch einer neuen geologischen Ära ganze Erdschichten in gigantischen Wällen aufschichten und neue Gebirge sich anhäufen, so bricht nun bei der Vereinigung Deutschlands die altbewährte europäische Ordnung. In solchen Zeiten weltlicher Umkehr ist das Gebot, sich in elementarer Selbsterhaltung zusammenzuschweißen wie granitisches Urgestein, um nicht zermanscht und vergraben zu werden. Die einzige Möglichkeit Deutschlands sich gegen den gewaltigen Außendruck zu wehren, wird sein, frei der sicheren Entwicklung einer neuen historischen Ära beizutreten. Nur wenn sich das deutsche Volk derart inneren Gesetzen der Weltordnung unterordnet, wird es ein Volk der Zukunft sein, das einer kommenden Ära einen Namen gibt.“
Musikalisch untermalt wird dieses wohl kaum extremistisch zu nennende Traktat
von einer fast neunminütigen Neubearbeitung von „Geburt einer Nation“,
das zugleich den neuen Titel „3. Oktober“ erhält. Markant sind auch Anspielungen
an die deutschen Elektronik-Pioniere KRAFTWERK, nach Aussagen von LAIBACH
selbst zu urteilen ihr prägendster musikalischer Einfluß („Die
wichtigste Band aller Zeiten“). Als zweiten Track enthält die Single
eine Liveversion von „Geburt einer Nation“, die aber nichts wesentlich Neues
bietet.
Große Überraschung im Jahr 1996: LAIBACH sind im deutschen Fernsehen und zwar ausgerechnet als Gast in der VIVA-Sendung „Metalla“, wohin sie nun überhaupt nicht zu passen scheinen. Grund ist der Videoclip zu „God is god“, dem Eröffnungsstück des damals aktuellen Albums, mit dem LAIBACH nach den beiden Vorgängern „Kapital“ und „NATO“ gänzlich andere musikalische Wege beschreiten. Plötzlich ist Musik zu hören, die man über weite Strecken eher von Gruppen wie RAMMSTEIN erwartet hätte, nicht aber von LAIBACH. Die Texte behandeln ausgehend vom Ende der Menschheit („Kingdom of god“), das als Befreiung der Erde und der Natur vom unterdrückenden Joch des Menschen begriffen wird, religiöse Themen wie den Zweifel an der göttlichen Allmacht und Erlösung. Der Vorstellung vom jüngsten Gericht und dem ewigen Leben steht ein dritter Entwurf gegenüber, der die christliche Dualität von Himmel und Hölle (bzw. Himmel oder Hölle) in Frage stellt: „Death is the final release from the cycle of misery, from the threat of eternity and perpetual vanity.“
Auch wenn gläubige Christen dieser Sichtweise wohl nur schwer etwas abgewinnen können, werden traditionelle Schemata nicht völlig aufgegeben. So fungiert in dem Track „Message from the black star“ der in der christlichen Mythologie unverzichtbare Widersacher Gottes auch hier als „Geist, der stets verneint“ (vgl. Goethes Faust!), der behauptet, den Sohn Gottes selbst geschaffen zu haben: „He did my work well, he was my greatest creation, through him I spoke to you and to many a nation.“ Anders gesagt: Auch wenn sich in der christlichen Vorstellung das Gute und das Böse unvereinbar gegenüberstehen, so sind sie doch auch untrennbar miteinander verbunden, das eine könnte ohne das andere nicht existieren, verlöre ohne dessen Existenz vielleicht sogar seine eigene Berechtigung, denn womit sollte das Gute denn begründet werden, wenn es nicht das Böse als warnendes Beispiel gäbe?
Welches Konzept LAIBACH selbst favorisieren, ob sie dem traditionellen christlichen Glauben folgen würden, ob sie überhaupt religiöse Ideen mit einem transzendentalen Verständnis als akzeptabel betrachten, wird betreu dem Motto der Gruppe, keine klaren Aussagen zu treffen und sich weder ideologisch noch politisch eindeutig festzulegen, nicht abschließend verkündet. Das letzte Stück „Deus ex machina“ ist bis auf textlose Chorstimmen konsequenterweise ein Instrumental, um welchen Gott es sich handelt (wenn überhaupt), bleibt ungeklärt.
Mit ihrem bis dato letzten Album schienen sich LAIBACH musikalisch auf der
Höhe der Zeit bewegen zu wollen. Trotz mancher Parallelen zu Vertretern
der „Neuen Deutschen Härte“ wie RAMMSTEIN, die allerdings nur auf einer
oberflächlichen Betrachtungsebene Bestand haben, lassen die Slowenen
ihre Epigonen weit hinter sich und bedienen sich der Elemente des „Mainstreams“
lediglich dergestalt, als hätten sie den Nachahmern nur einmal kurz das
demonstrieren wollen, wozu diese selbst nicht in der Lage waren. Besonders
erwähnenswert sind der orchestrale Titelsong, das am meisten in Richtung
modernen Metal tendierende „Message from the black star“ sowie die Coverversion
von „The cross“, welche im Original von Prince stammt („Sign o´ the
times“-LP/1987).
Eingebettet zwischen „Sympathy for the devil“ und „NATO“ liegt das „Kapital“-Album, das trotz einiger guter Tracks in seiner Gesamtheit ziemlich nichtssagend wirkt und sicher nicht die beste Arbeit von LAIBACH darstellt (vielleicht habe ich das Album auch nur nicht verstanden). Konzeptionell wird auf „Kapital“ über das Prinzip der Ordnung durch das Entstehen von Sprache philosophiert. Da unsere Realität zu komplex für die mündliche Kommunikation sei, würde mit dem Aufbau von Sprache, dem Entstehen von Sätzen versucht, damit gleichzeitig auch einen Sinn und eine Ordnung zu formulieren. Durch die Unverbindlichkeit und Brüchigkeit von Sprache ist allerdings auch dieses Ordnungsprinzip nur Fassade.
Weitere Betrachtungen widmen sich dem Verhältnis des Menschen zur Zeit (Gegenwart, Zukunft, Vergangenheit) und der These, daß Musik das Sichtbarmachen der nicht zu überbrückenden Distanz zwischen dem Gedanken und dem Handeln sei. Grundlage dieser Überlegungen ist die Erkenntnis, daß der Mensch mit dem Versuch, die Welt und ihre Physik zu begreifen, am Ende überfordert sei. Trotz der gigantischen technischen Möglichkeiten und dem Anspruch, alles in Berechungen fassen zu wollen und somit als rein technisches Problem lösbar zu machen („The cause of human problems is birth, the cure of human problems is logic“), steht dem Menschen ein großes Hindernis nach wie vor unüberwindbar im Weg: seine eigene Sterblichkeit.
Der letzte Text im CD-Booklet klingt wie ein philosophisches Traktat. Er behandelt den Hang des Menschen, wie Max Frischs „Homo faber“ alles logisch erklärbar zu machen. Die kapitalistische Gesellschaft mit all ihren auf Zahlen und Berechnung basierenden globalen Netzwerken sehen LAIBACH so: „It is simply the natural ambition of any organism to plan all its actions. In other words, to minimise unknown quantities.” Ihr Lösungsvorschlag klingt rätselhaft wie Franz Kafka: „The only key to your riddle is to accept the absence of a key. Kapital is the key.”
Es drängt sich der Eindruck auf, LAIBACH würden als Globalisierungsgegner Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft üben wollen. Songtitel wie „Wirtschaft ist tot“ oder „Entartete Welt“ legen diese Vermutung nahe. Die komplexe theoretische Struktur ist allerdings in einen nicht völlig überzeugenden musikalischen Rahmen gefaßt, manche Stücke wirken auf den Hörer etwas langweilig. Am gelungensten sind „Le privilege des morts“ (mit starken KRAFTWERK-Anleihen), „Young Europa“ und „Wirtschaft ist tot“, die restlichen Tracks klingen oft recht monoton.
Das Projekt 300 000 V.K. wurde bereits bei der Besprechung des „NATO“-Albums erwähnt, wo es an den Arrangements beteiligt war. Auf diese Zusammenarbeit dürften auch die Techno-Anklänge auf „NATO“ zurückführen sein, wie die 300 000 V.K.-CD „Also sprach Johann Paul II.“ vermuten läßt. Abgesehen von dem reinen Cello-Stück „Return of the Kinderreich“ (das „Kapital“-Album von LAIBACH enthält einen Track mit dem Titel „Kinderreich“) sind auf dieser CD ausschließlich harte Technoklänge vertreten, die stellenweise nur unwesentlich variiert werden. Ungewöhnlich ist die Vermischung des mal unterschwellig pulsierenden, mal aggressiv hämmernden Sounds mit der Richard Strauss-Komposition „Also sprach Zarathustra“, die Filmfans aus Stanley Kubricks bewußtseinserweiterndem „2001 – Odyssee im Weltraum“ kennen dürften. Zur weiteren klanglichen Untermalung werden daneben noch Mönchsgesänge und ein Gebet von Papst Johannes Paul II. (in Latein) verwendet.
Unklar in ihrer tatsächlichen Bedeutung ist die Widmung im Inlet der
CD: „Dedicated to the forthcoming triumph of christian religion.“ Sollte es
sich hier um gläubige Christen handeln, die mit ihrem Musikprojekt die
Ankunft des Herrn ankündigen wollen und handelt es sich wieder nur um
ein Spiel mit Versatzstücken aus Ideologie und Religion, wie es von LAIBACH
selbst bereits bekannt ist? Erstes wäre nicht einmal so abwegig, wie
ein erläuternder Essay über Zarathustra, die Philosophie von Nietzsche
und den Kampf zwischen Gut und Böse nahelegt (nachzulesen im Innenteil
der CD). Wie dies letzten Endes zu interpretieren ist, mag jeder für
sich selbst entscheiden, der Interesse an religionsphilosophischen Fragen
hat. Von 300 000 V.K. gibt es neben der vorliegenden CD noch das Album „Bill
Gates - Hard Drive“ mit dem PC-Imperialisten auf dem Cover.
Wer sich abseits der regulär erhältlichen Alben von LAIBACH über die Gruppe und ihr Umfeld informieren möchte, kann dies unter folgender Adresse tun: Laibach and NSK Information Centre / P.P. 101 / 1001 Ljubljana / Slovenia. 3 IRCs beilegen. Ob die Adresse noch korrekt ist, kann ich allerdings nicht mit Sicherheit sagen.
Weiterhin existiert ein Buch über die NSK-Vereinigung, ihre Theorien
und ihre Arbeit mit dem Titel „NSK – Neue Slowenische Kunst“, das auf 288
illustrierten Seiten auch LAIBACH ausführlich behandelt. Es ist bei folgendem
Verlag erschienen: AMOK Books / Abteilung LJU / P.O.
Box 861867 / Los Angeles, CA. 90086-1867 / USA. Ob
der Wälzer noch erhältlich ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Die
mir vorliegenden Angaben sind auch schon recht alt, das Buch könnte also
bereits seit längerem vergriffen sein. Als Preis wurden seinerzeit satte
60 US-Dollar plus Portokosten angegeben, weshalb sich das Werk auch noch nicht
in meinem Besitz befindet.
Zum Abschluß dieses kleinen, unvollkommenen Exkurses möchte ich darauf hinweisen, daß LAIBACH trotz der Absenz von „Stromgitarren“ (zumindest auf den meisten Alben) auch für die Besucher dieser Seiten interessant sein könnten, ist das „zine with no name“ doch in erster Linie ein Hort für Bands, Musiker und Künstler, über die es sonst kaum etwas zu lesen gibt. Sicher haben NEW MODEL ARMY, JOY DIVISION und LAIBACH musikalisch so gut wie nichts gemeinsam, aber es handelt sich ausnahmslos um Musiker, die im Sinne des Wortes originell, also ursprünglich sind und eine eigene, unverwechselbare Identität entwickelt haben. LAIBACH zu hören, ist mitunter sehr anstrengend, daher möchte ich nun schließen und mich von etwas leichteren Klängen beschallen lassen. Karel Gott mit seiner deutschen Version von „Ghostriders in the sky“ wäre jetzt genau das Richtige.
- Stefan - 09/01
Durch den Klick auf das NSK-Logo kommt man zur offiziellen Homepage von LAIBACH
Hier gibt's einen Link zur einer unoffiziellen LAIBACH-Homepage