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"Wer
zwei paar Hosen hat
mache eine zu Geld
und schaffe sich
ein Buch an."

- Georg Christoph Lichtenberg -

 

Heikos Bücherliste, letztes Quartal 2004 & erstes Quartal 2005

Wie gewöhnlich: Subjektiv. Überambitioniert. Ahnungslos.

...und weiterhin mit anmaßendem Wertungssystem:
* = miserabel
** = akzeptabel
*** = gut!
**** = sehr gut!!
***** = außerordentlich gut!!!
****** = absolut großartig, fantastisch, begeisternd!!!!!!

Michael Crichton - "Timeline"

Na ja, so ist das halt, wenn die mögliche Auswahl sich sukzessive verengt: dann kann es schonmal passieren, daß man mit der letzten Schwarte von Michael "Jurassic Park" Crichton untern Arm geklemmt die Bücherei verläßt, der wirklich allerletzten Option, weil trotz intensiver Suche einfach kein anderer Autor so frei war, sich einem aufzudrängen. Unterhaltsam, ja, das ist er, da kann man nichts gegen sagen. Spannend geschrieben ist's allemal, und es ist darüber hinaus auch für das ungeübte Auge kaum zu übersehen, wieviel Mühe und Sorgfalt Crichton der Recherche der technischen Daten und Hypothesen über das Zeitreisen, sowie den historischen mittelalterlichen Details widmete, um damit dem Leser zu ermöglichen, selbige während seiner imaginären Reise von einem Buchdeckel zum anderen, als gegebene Realität mühelos anzuerkennen. Dickes Lob dafür, man erhält dadurch wie nebenbei einige recht interessante Einblicke. Leider bleibt "Timeline" den literarischen Erwartungen ansonsten überraschungslos treu, denn der Plot erweist sich als doch relativ vorhersehbar, ist mehr und mehr auf Aktionismus ausgerichtet, während das handelnde Personal eher schablonenhaft wirkt und es deutlich an Tiefenschärfe mangeln läßt. Somit bleibt der letztendliche Eindruck des Buches ein sowohl beliebiger wie oberflächlicher - und sobald man dessen hinteren Deckel schließt, setzt umgehend das Vergessen ein.
Kürzlich, dies nur als zusätzlicher Info- und Leserservice, erschien Michael Crichtons neuestes Werk, Titel ist mir - jach..! - entfallen. Keine Ahnung, wie gut das recherchiert wurde, die Grundausrichtung jedenfalls kam mir sehr bedenklich, nein, geradezu grotesk vor. Es geht darin um eine in Thrillerform verpackte Kritik an Umweltaktivisten und Umweltschutzorganisationen, irgendein scheinbar völlig absurder Verschwörungsscheiß darüber, wie durch angeblich total übertriebene hypothetische, apokalyptische Zukunftsszenarien, um den Planeten besorgten Bürgern die Kohle aus der Tasche geleiert wird. Irgend sowas in dieser Art, ich hab's nun wirklich nicht vollständig verstanden, als es Crichton im Interview mit Denis Scheck näher und alles andere als schlüssig zu erläutern versuchte. Treibhausgase, Erderwärmung, Ozonloch, Wegschmelzen der Polkappen, Rohstoffverteuerung und bald -knappheit, Abholzung des Regenwalds, usw., usw., usw. - klar, Mann, ist doch tatsächlich alles halb so wild...! Und wer etwas anderes behauptet kann natürlich nur ein ökologischer Miesmacher oder Spendenabzocker sein. Wesentlich wahrscheinlicher erschiene mir dahingehend die Vermutung, es möchte da jemand mit diesem albernen Sujet sich selbst und seinen amerikanischen Mitbürgern - nach wie vor die größten Umweltverschmutzer unseres Planeten - zu einem leichteren Gewissen verhelfen und ihren natürlich auch zukünftig weiterhin allzu sorglosen Umgang mit Energie und Rohstoffen legitimieren ... Oder, wie man vernünftigerweise mutmaßen müsste, wenn einem solch hirnverbrannter Schwachsinn zu Ohren kommt, hat den Roman zu Propagandazwecken zu verfassen gleich die Elektrizitäts- und Öl-, etc.-Industrie in Auftrag gegeben, die sich gerne noch ungehinderter von jeglichem ökologischem Bewußtsein entfalten und von linken Weltverbesserern nicht länger in ihre Profite spucken lassen möchte ...?
Wer weiß das schon.
**(*)

Elmore Leonard - "Glitz"

Da wir diesem Autoren die literarischen Vorlagen zu Filmen wie "Fargo", "Schnappt Shorty" oder "Out Of Sight" verdanken, war es nur eine Frage von Zeit und Gelegenheit, eines seiner anderen Bücher zur Hand zu nehmen.
"Glitz" entpuppte sich schließlich als geradezu klassische Kriminalgeschichte, relativ spannend und gut aufgebaut, zwar wenig originell und bedingt einfallsreich, aber von immerhin völlig ausreichender Unterhaltsamkeit.
***

Friedrich Hölderlin; ausgewählt von Peter Härtling

Joh, aufgemerkt, Freunde, Kollegen, Sugarbabes: ein abgefucktes, einfältiges, unkenntlichmachend in die Untiefen seines Kapuzenpullis vergrabenes Exemplar aus der gesellschaftlichen Gruppierung des Sub-Proletariats wagt es tatsächlich, sich den heiligen Hallen der Hochkultur zu nähern ... !! Es macht sich unverfrohren an den massiven Schlössern des riesigen, eisenbeschlagenen Eichenportals zu schaffen, knackt sie schließlich, drückt ächzend die eine Hälfte einen Spalt auf - und schleicht sich verstohlen ins weiträumige Innere ...
Von einem beeindruckenden, zufällig aufgeschnappten Zitat des romantischen deutschen Dichters Hölderlin angefixt, entlieh ich mir, neugierig geworden, diese Werkschau aus der örtlichen Bücherei. Sie enthält eigentlich alles, was man von einer solchen Anthologie über einen der Klassiker unserer Literatur wünschen und erwarten darf: zuerst einen kleinen biographischen Abriß Friedrich Hölderlins (1770 - 1843), inklusive stichpunktartiger Einführung der wichtigsten Personen seines Lebens (von mir nur in aller Kürze überflogen); ausgewählte Exponate aus seinem Briefwechsel (in die ich nur mal reinschnupperte, solches ist wohl ausschließlich was für ausgemachte Hölderlin-Enthusiasten); fast das komplette lyrische Werk auf ca. 150 Seiten; seine beiden wesentlichen Prosastücke "Hyperion" und "Empedokles"; sowie ein paar angehängte kurze Essays, welche meinereiner vollständig ausließ.
Mit seiner Prosa - sollte man sie überhaupt als solche bezeichnen können, da "Hyperion" in brieflicher Form gehalten und "Empedokles" offensichtlich als Theaterstück konzipiert wurde - kam ich leider weniger in Beziehung, da mir die verwendete Sprache letztlich einfach zu schwierig war, um es flüssig durchlesen zu können - stellenweise sprunghaft, wunderlich, exaltiert, schnurrig, oder schlicht und einfach unverständlich. Für uns Heutige bedeutet die Auseinandersetzung mit Hölderlins Gedankengängen also durchaus einem nennenswerten Arbeitseinsatz. Das wußte ich natürlich bereits im vorhinein, schaffte von "Hyperion" aber dennoch gerade mal an die 20, 30 Seiten. Man merkt es den Texten halt an, daß da mittlerweile rund zweihundert Jahre kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen, sowie mehrere Rechtschreibreformen darüber hinweg gegangen sind. Schlecht ist das alles selbstvertändlich nicht, o nein, da tauchen doch immer wieder großartige Formulierungen, Beschreibungen und Gedanken auf, mir wären diese in verdaulicherer, ausgeformter Aphorismen- und Zitatenform aufbereitet allerdings lieber gewesen. Andererseits erschwert die sprachliche Divergenz zum gegenwärtig gebräuchlichen Ton zwar das Verständnis, macht jedoch gleichsam einen Teil des Charmes aus. Da klingt uns etwas - ebenso wie in Form der Klassischen Musik - zugleich ein wenig fremdartiges und dennoch reizvolles, aus einer vergangenen Epoche, wie aus nachbarschaftlicher Ferne herüber.
Ergiebiger noch, und um einiges leichter zu goutieren, zeigte sich schließlich des Dichters Lyrik. Diese enthält zwar ebenfalls so manche Seltsamkeit, und auch solch einen aus heutiger Sicht unnachvollziehbaren, moralisch mehr als fragwürdigen Querschläger wie "Der Tod fürs Vaterland" - doch umso vielzähligere, wirklich fantastische Gedichtperlen, die den Leser beeindrucken mit grandioser, kraftvoller Wortwahl und teilweise scheinbarer -kreation, tief blickenden Einsichten, herrlichen Beschreibungen. Durch die Lyrik habe ich mich denn auch komplett hindurch gebaggert, mindestens zwei Drittel davon aufmerksam gelesen und, einerseits für mich persönlich, aber auch als Service für unsere geneigte Leserschaft, mal die Namen einiger dieser entdeckenswerten kleinen Glanzsterne herausgeschrieben:
"An die Natur"; "Da ich ein Knabe war..."; "Hyperions Schicksalslied"; "Götter wandelten einst..."; "Diotima"; "Die Liebe"; "Lebenslauf"; "Geh unter, schöne Sonne..."; "Der Spaziergang"; "Der Mensch"; "Die Entschlafenen"; "Gang auf's Land"; "An Landauer"; "An Zimmern"; "Das fröhliche Leben"; "Die Götter"; "Heidelberg"; "Der Sommer"; "Der Herbst"; "Der Winter" ... und so manche mehr gibt es da sicherlich weiterhin zu entdecken.
Hölderlin wurde sehr, die Titel "Hyperion" und "Empedokles" deuten bereits darauf hin, von der antiken griechischen Hochkultur und speziell deren reicher Mythologie beeinflußt. Was mich vor allem grundsätzlich für ihn einnimmt, sind seine oftmalige sprachliche Überhöhung von Natur und Mensch, des Lebens an sich - und gleichzeitiger Erschaffung, oder doch eher Sichtbarmachung einer übergeordneten jenseitigen Welt, eines Gegenentwurfes des ebenfalls trefflich mental erfaßten ird'schen Jammertales, eines reichhaltigen und wie selbstverständlichen Pantheons aus Göttern, Geistwesen, Genien, Unsterblichen.
Für manchen sehnsüchtig Heimatsuchenden, mag hier der Königsweg verborgen liegen, hin zum magischen Lebensgefühl.
Denn seine besten Gedichte verleihen beziehungsweise vermitteln - ähnlich derer Hermann Hesses (welcher, möglicherweise, von Hölderlin u.a. inspiriert gewesen sein könnte) - dem uns umgebenden Kosmos, sowie dem fordernden, allzu häufig tristen, durchaus einer gelegentlichen Tröstung bedürfenden Dasein, einen innewohnenden Zauber, eine leicht überweltlich anmutend funkelnde Magie. Sie schärfen den Blick des Lesers und Mitmenschen. Sie verweisen auf die Möglichkeit der temporalen Entrückung und Verklärung, der eigentlichen Entschleierung unserer Wahrnehmung. Sie schulen das perspektivische Vermögen, jenen seeligen Glanz nicht allein in den innerlichen dichterischen, geistigen Räumlichkeiten, sondern nicht weniger um sich herum, in der Welt und den Wesen darin, in der Natur und ihrer vielgestaltigen Schönheit, ja, in allem und in jedem, in sämtlichen Aspekten der Schöpfung, wahrnehmen zu können.
Dann, in diesen Momenten, ist wahrhaft alles erleuchtet.
Dann wird selbst aus dem kleinsten Stückchen, grünlichgolden und still in der Abendsonne glühenden Wiese ... der Himmel auf Erden, die Ahnung der Allverbundenheit, eine vollkommene Erfüllung und Eingetauchtheit in der zugrundeliegenden, uferlosen Alldurchdrungenheit des Geistigen.

An das Göttliche glauben
Die allein, die es selber sind.

 

(ohne Wertung)

 

John Grisham - "Der Partner"

Richard hatte völlig recht, indem er Grishams Romane mit harten Drogen verglich.
Man kommt einfach nicht mehr davon los.
Die Deckel seiner Werke sollten, wie neuerdings die Zigarettenschachteln, Warnhinweise tragen. Etwa: "Warning! Highly Addictive!!!", oder "Achtung: Der Genuß dieser Autoren-Marke könnte zu gravierenden Veränderungen ihres Freizeitverhaltens führen!"
Für mich ist es längst zu spät; ich bin süchtig.
Aber ihr könnt euch vielleicht noch retten, ein freigestaltetes Leben ohne Abhängigkeit von einer regelmäßigen Grishamdosis begehen, einem unabschätzbaren Laster entgehen ... flieht also, solange es euch noch möglich ist - lauft ... lauft ... lauhhhhft ... ... !!!
*****

Jostein Gaarder - "Der Geschichtenverkäufer"

Die Grundidee ist schonmal äußerst originell und vielversprechend.
Es geht um einen Typen, der, von einer überbordenden Phantasie beflügelt, sich ständig neue Plots für spannende Geschichten ausdenkt, der davon geradezu überquillt. In einer städtischen Künstlerkneipe, irgendwann in den Siebzigern, klagt ihm ein mäßig bekannter, dort verkehrender Schriftsteller, daß ihm für sein nächstes Buch kein Thema einfalle. Diese Begegnung bildet den Startpunkt zu einer steilen wie ungewöhnlichen Karriere im geheimen, denn unser angehender Geschichtenverkäufer erkennt nun, wie er sein Talent sich und anderen gewinnbringend nutzbar machen könnte. Er stellt fortan gegen ein gewisses Entgeld sein Einbildungsvermögen blockierten Autoren zur Verfügung, welche seine detailierten Vorlagen - was seinem sprunghaften Gemüt nicht gegeben ist - zu mehr oder weniger erfolgreichen Romanen ausarbeiten. So beliefert er im Laufe der nächsten Jahrezehnte, getarnt durch einen Job als Lektor und Talentscout eines großen Verlagshauses, unzählige Schriftsteller in ganz Europa. Allerdings ziehen sich nach und nach dunkle Wolken am Horizont seiner Existenz zusammen und die Zeichen verdichten sich, daß seine Identität aufzufliegen droht und sein Wissen ihm gefährlich werden könnte, daß die Schlinge einer vermeintlichen Verschwörung erfolgreicher Autoren, die er mit seinen Informationen über die Herkunft ihrer Ideen belasten könnte, um ihn herum zuzieht, daß es in seinem hauptberuflichen Umfeld mehr und mehr Personen gibt, die ihn lieber tot - und damit endgültig und für immer schweigend sehen möchten. Ob diese Bedrohung nun auf realen Grundlagen basiert, oder ob sich unser Protagonist das Meiste davon in seiner zunehmenden Paranoia nur einbildet, bleibt unklar. Jedenfalls kommt es auf der Frankfurter Buchmesse zum Eklat, der Geschichtenverkäufer setzt seinen länger gehegten Fluchtplan in die Tat um, und macht sich, getarnt mit einer gefälschten Vita, in Richtung einer abgelegenen Mittelmeerinsel aus dem Staube.
Diese ersten doppelbödig-ironischen und aus dem Schriftsteller- wie Literaturbetriebs-Nähkästchen plaudernden zwei Drittel des Buches sind wirklich brillant. Im letzten entwickelt sich noch eine unerwartete Liebesbeziehung, leider wird es dann auch etwas seltsam, gleitet die Erzählung ins surreale ab, hin zu einem fiesen kleinen Ende. Dieser Bruch inmitten der Story erscheint mir doch zu konstruiert und unglaubwürdig. Es wirkt, als reiche der ursprüngliche Einfall nicht für ein ganzes Buch aus. Da hätte man sich vielleicht doch eher zu zwei unabhängigen, größeren Novellen durchringen sollen. Schade eigentlich.
Trotzdem, wie natürlich alles von Jostein "Sophie's Welt" Gaarder, absolut lesenswert.
****

Paul Cook - "Tintagel"

Zum zweiten Mal gelesen. Für nähere Infos sollte man die Besprechung in einer der alten Nonkonform-Ausgaben konsultieren, da ich mich ungern wiederhole.
Superbe Grundidee, ordentlich umgesetzt.
***(*)

Florian Illies - "Generation Golf > Eine Inspektion"

Da machte sich doch einer auf, die Geschichte und Eigenheiten, die Vorlieben, Abneigungen und Ansichten der sogenannten Generation Golf, deren Geburtszeitraum der Autor von circa 1965 bis 1975 verortet, zu beschreiben. Florian Illies geht dabei mit der detailversessenen Verve eines waschechten, manischen Erinnerungsjunkies vor. Dafür, daß das Schwelgen in Kindheitserinnerungen und Nachvollziehen der eigenen Biographie nicht in seichte, sentimentale Nostalgie abgleitet, sorgen der gegebenenfalls leicht ironische Unterton, sowie die, falls angebracht, durchaus kritische Distanz zum persönlichen Verhalten, und die im Fazit immer scharfe analytische Beobachtung und Feststellung.
Witziges Detail sind die Kapitelüberschriften, welche, über die letzten Jahrzehnte hinweg von den Werbeagenturen des VW Golf-Marketings ersonnen, derartig prägnant und treffend das Lebensgefühl der Generation Golf einfingen, daß Illies deren Slogans bequem für sich selbst verwenden konnte.
Ein großartiger Lesespaß, bei dem es alles andere als störend war, daß, wie der Autor selbst betont, nur ein bestimmter Teil abgedeckt, nur eine bestimmte Perspektive innerhalb dieser Generation eingenommen werden konnte. Die resignative "No Future"-Stimmung der - um mal mit einem weiteren Schlagwort dazwischen zu hauen - Genaration X in den 90ern wird mit keinem Wort gewürdigt, sondern vielmehr dem hedonistischen Treiben der damaligen gesellschaftlichen Aufsteiger, mit ihren gemeinsamen wie individuellen, leicht narzistisch gefärbten Mode- und Stilfragen, ihrem ausgeprägten oder fehlenden Familiensinn, ihrer politischen und religiösen Obdachlosigkeit, usw. usw., nachgespürt. Auch interessant. Wirklich.
*****

Florian Illies - "Generation Golf Zwei (Hörbuch)"

Hörbücher sind ja in den letzten Jahren ganz groß im kommen. Verständlicherweise, kommt diese Art der Textvermittlung und -rezeption doch der eigenen Bequemlichkeit auf halben Wege entgegen, da es einfacher und angenehmer erscheint als sich selbst zu bemühen ein dickes Buch zu lesen, es kurzerhand vorlesen zu lassen. Das nimmt zudem einiges weniger an Zeit in Anspruch. Außerdem kann man die CDs auch wunderbar ungezwungen und nebenbei während monotoner Tätigkeiten wie etwa lästiger Hausarbeiten, langwieriger Autobahnfahrten, Ausdauerläufe, gymnastischer oder körperlicher Übungen welcher Art auch immer, u. f. m., laufen lassen. Selbiges hingegen mit der Lektüre eines Buches kombinieren zu wollen, könnte sich als schwierig oder gar fatal erweisen... Allerdings würde ich persönlich (ebenso wie Freund Peter, der mich erstmals auf Illies aufmerksam machte) grundsätzlich jederzeit die klassische Buchform vorziehen, da der Sprachrhythmus des Vorlesenden - und besonders der sein Werk selbst rezitierende Illies legt hier ein sehr flottes Tempo vor - nur selten mit der eigenen Aufnahme- und Verarbeitungsgeschwindigkeit übereinstimmt, und weiterhin die Textvorlagen von Hörbüchern oder -spielen in aller Regel heftigst zusammengekürzt werden müssen und man es somit bestenfalls mit einer guten Auswahl zu tun bekommt.
Die auf zwei Tonträgern untergebrachten 110 Minuten bilden somit also nur einen kleineren Ausschnitt des eigentlichen Werkes ab. Bedauerlich. Aber man muß halt leider nehmen und zufrieden sein mit dem, was sich einem so anbietet. Während der erste Teil die Kindheit in den 70ern, die Jugend in den 80ern und das Erwachsenwerden in den 90ern durchstreifte, knüpft Teil zwei gegen Ende des alten Jahrtausends an. Durch persönliche Rückschläge, sowie kollektive Zusammenhänge, etwa den Auswirkungen der uns allen seit längerem leider nur allzu geläufigen globalisierten Wirtschaftsverwerfungen, erhält dieser Nachfolger einen deutlich düstereren Tonfall. Dies jedoch nur in einzelnen Kapiteln, denn glücklicherweise fällt Illies kaum in das endlose allgemeine depressive Geschwafel um Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsstandorte ein, sondern bleibt seiner strikt individuell gefärbten Linie in der Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene treu.
Richtiggehend humorig sind vor allem die rückblickenden Anekdoten. Die schönste davon ist vielleicht die gemeinsame Reise mit seinen Freunden 1992 in einem klapprigen VW-Bus durch Polen und die damals kürzlich neu hinzugekommenen deutschen Bundesländer. Als Illies eines Nachmittages an der Ostsee (auf Rügen war's wohl) sich etwa an einem sommerlichen, am Strand stattfindenden gemischten Volleyballspiel der Einheimischen beteiligte, entledigten sich wiederum diese sämtlichst, was unseren Erzähler nicht wenig vom eigentlichen Spielgeschehen ablenkte, nach und nach all ihrer T-Shirts und kurzen Hosen, bis schließlich er allein noch mit Kleidung am Leib auf dem Platz stand. Die Menschen im östlichen Teil Deutschlands haben, soweit mir bekannt, eben einen wesentlich lockereren Umgang hinsichtlich der Freikörperkultur, als viele von uns Wessis. Und in diesem Moment keimte in dem jugendlichen Florian Illies das vage Gefühl auf, daß es mit dem vollständigen Zusammenwachsen beider wiedervereinigter deutscher Staaten doch noch ein gewisses Weilchen dauern könnte.....
****


Douglas Adams - "Einmal Rupert Und Zurück"

Jeden Winter seit 12, 13 Jahren das gleiche Ritual: sollte gerade keine adäquate Lektüre zur Hand sein, wandert, wie von selbst, ein Exemplar aus meinem eigenen alten, eingeschränkten Fundus auf das kleine Schränkchen neben meiner Schlaf- und Lesestatt. Allzu oft handelt es sich dabei um die sich niemals abzunutzen scheinenden, ein jedes Mal erfrischend-anregenden Lesegenuß garantierenden, wahn-witzigen, nichts und niemanden ernst nehmenden, den gesamten Kosmos liebend umarmenden und zugleich sanft verspottenden Werke des Douglas Adams.
Wie konnte es da in der kalten, ungemütlichen Phase rund um den Jahreswechsel von '04 nach '05 anders sein?
"Per Anhalter Durch Die Galaxis" ist, um mal ein Wort an alle Uneingeweihten zu richten, ein phantastischer Trip quer durch die verschiedensten Dimensionen von Zeit, Raum und Humoreske, ein intergalaktisches Spektakulum welches mit einem gewaltigen Rumms beginnt, indem die Erde einer Hyperraum-Expreßroute im Wege steht und deswegen kurzerhand in die Luft gesprengt, ins Vakuum hinein zerstäubt wird - und welches sich daran anschließend langsam steigert.....
Das, wenn auch folgerichtige, jedoch manchem dann möglicherweise doch etwas zu drastisch ausgefallene Finale, dürfte sicherlich nicht jeden Fan der Serie glücklich gestimmt haben (ich fand's absolut okeh). Nichtsdestotrotz ist "Einmal Rupert Und Zurück" ein insgesamt wirklich gelungener, würdiger Abschluß der mit allerletzter Wahrscheinlichkeit brillantesten fünfteiligen Trilogie, welche in diesem Teil eines lahmen und längst aus der Mode gekommenen Spiralarms unserer Galaxie, der Milchstraße, zu erschaffen jemand tatsächlich die Dreistigkeit besaß.
******

Ein erfreulicher Nachtrag:
Mitte Juni 2005 soll eine Verfilmung des ersten "Per Anhalter Durch Die Galaxis"-Teils, an deren Drehbuch Douglas Adams vor seinem plötzlichen Dahinscheiden noch entscheidend und erweiternd mitgearbeitet haben soll, in die Kinos kommen. Bei den heutigen akustischen und vor allem visuellen technischen Möglichkeiten, denen, im Gegensatz zur BBC-Fernsehserien-Version von Mitte der Achtziger, beispielsweise Zaphods zweiter Kopf und dritter Arm keinerlei Darstellungsschwierigkeiten mehr bereiten sollte, darf man sich wohl auf ein optisch wie stilistisch fulminantes Feuerwerk bei der Umsetzung dieses kultisch verehrten modernen Klassikers erhoffen.
Augen & Ohren offenhalten - und reingehen!
Vollkommen im enthusiasmierten Überschwang bringe ich nochmals einen witzigen und hintersinnigen, einen meiner Lieblingsabsätze aus "Mostly Harmless", wie der abschließende Roman passender im englischen Original betitelt wurde:

Er begab sich in die Außenbezirke des östlichen Randes der Galaxis, wo, wenigstens angeblich, Weisheit und Wahrheit zu finden waren, insbesondere auf dem Planeten Hawalius, wo es etliche Orakel und Seher und Wahrsager gab und außerdem jede Menge Pizza-Buden, weil die meisten Mystiker vollkommen unfähig waren, sich selbst etwas zu kochen.


Douglas Adams - "Dirk Gently's Holistische Detektei"

Geniale Story, ein ungemein fantasievoller Kriminalroman, ein Parforceritt durch alle möglichen Genres.
Nicht wie der "Anhalter" vordergründig auf Gags aus und weit weniger sprunghaft, sondern vielmehr auf einer ausgeklügelten Handlung aufbauend - und dennoch fast ebenso witzig!
Neben dieses obig genannten Aspektes tragen natürlich die erst einmal recht verstreuten, sehr unterschiedlichen, höchst famosen Charaktere wieder einmal viel zum gelingen bei. Anfänglich dauert es aber halt ein wenig, bis sich die einzelnen losen, parallel verlaufenden Stränge zu einem Ganzen, zu einer gelungenen, weltumspannenden, zeitauflösenden Komposition zusammenfügen.
Nur die finale Auflösung - und, Keine Panik!, ich verrate damit nicht zuviel -, als Dirk Gently beim englischen Dichter Samuel Coleridge ("Xanadu") reinplatzt, ihn mehr als eine geschlagene Stunde zuquatscht und mit dieser Aktion den gesamten Planeten rettet - also, die hab' ich trotz fünf-, sechsmaligem Lesen nie so ganz kapiert...
******


Douglas Adams - "Der Lange Dunkle Fünfuhrtee Der Seele"

Ein abermaliger bunter, phantastischer Reigen, dieses Mal unter denkenswerter Einbeziehung der nordischen Mythologie.
Mit der morgendlichen Aufwach-, der Abschlepp-, der Dachboden-, der Nervenheilanstalt-, der Straßenlaternen- oder der Wallhallaorgie-Szene, sind Adams einige seiner besten Sequenzen gelungen. Und wie immer schüttelt er aus seinen weiten Autorenärmeln einige faszinierende Trümpfe personeller Art: etwa mit der dauergenervten Kate Schechter, die ihrer Neugier ein unerwartetes wie reichlich bizarres Date mit dem wortkargen skandinavischen Donnergott Thor verdankt, welcher wiederum wegen irgendwas aber so richtig sauer ist; dem namenlosen, fernsehdauerglotzenden und kommunikationsunfähigen Jungen; dem Penner in der Londoner Kings Cross Station, der zwar einen radikalen Identitätswechsel durchlebt, seinem Verhalten und vor allem seiner äußerst sparsamen, deutungsoffenen, vornehmlich aus oh...ah... -Lauten bestehenden Kommunikationstechnik erstaunlich treu bleibt; oder unseren Mr. Standish, der köstlich hintergründigen wie realitätsnahen Karikatur eines höchst bornierten, hochnäsigen, affektierten, engstirnigen englischen Sanatoriumsdirektors; dem amtsmüden nordischen Hauptgott Odin, welcher sich als Mr. Standishs wertvollster Privatpatient in dessen Anstalt zur annhemlichen, in frisches, kühles Leinentuch eingeschlagenen Ruhe betten läßt; dem kaltschnäutzigen Sgt. Gilks, einem dominanten kriminalistischen Charakterkopf, welcher in beiden Romanen jeweils einen prägnanten Kurzauftritt zugesprochen bekommt; oder aber dem aalglatten Anwalt Draycott, welcher Dirk Gently in einem mehrseitigen, gerissenen, konspirativen Schlußplädoyer - inklusive einiger beleidigender Bestechungsangebote - von seiner in der Tat fragwürdigen Redlichkeit zu überzeugen und auf seine Seite zu ziehen versucht; und schließlich natürlich noch unser holistischer Detektiv, Dirk Gently höchstselbst, welcher seinen Alltag lebenskünstlerisch von der lässigen Seite zu nehmen weiß, sich dabei auch von bedrohlich-ominösen Kühlschränken, aufdringlichen Adlern mit Runenmustern im Federkleid oder kopflosen Klienten nur unwesentlich aus der naturgegebenen Ruhe bringen läßt, und der, entgegen seines kuriosen Auftretens, sich als ein echtes Cleverle ausweist. Sozusagen sowas wie ein Unterschichten-Sherlock Holmes... Neben Jeff "Dude" Lebowski die wohl sympathischste, weitgehendste Identifikationsfigur, die mir persönlich in Film und Literatur bislang untergekommen ist.
"Ach, ich hoffe doch, Sie werden die Zeitung bezahlen wollen, nicht wahr, Mr. Dirk, Sir?" sagte der Zeitungshändler, der freundlich hinter ihm hergetrottet kam.

"Ach Bates", sagte Dirk hochnäsig. "Sie und Ihre Hoffnungen. Immer hoffen Sie dies und hoffen Sie jenes. Darf ich Ihnen zu mehr Gelassenheit raten? Ein Leben, das mit Hoffnungen überfrachtet ist, ist ein schweres Leben. Seine Früchte sind Sorgen und Enttäuschungen. Lernen Sie eins zu sein mit den Freuden des Augenblicks."

Ein Roman, so sprühend ideenreich, geistreich und charakteristisch wortgewandt wie eigentlich alles von Douglas Adams, ein weiteres feinsinniges Juwel inmitten eines charismatischen Ouevres wider die pure Vernunft, von einem der - allenfalls mit einem Hauch von Ironie von mir derart bezeichneten - Frühvollendeten.
******

 

Nick Hornby - "31 Songs"

Lesen.
******

 

Arthur C. Clarke - "2001 - Odyssee Im Weltraum" & "Odyssee 2010"

Lesen.
Mindestens zweimal.
Am besten gleich heute.
Noch besser bereits gestern.
Dann die Verfilmungen ansehen.
"Odyssee 2010" mindestens zweimal.
"2001 - Odyssee Im Weltraum" mindestens viermal.
****** & ******

 

Er flog durch eine ungeahnte Form der Schöpfung,
von der nur wenige Menschen
je geträumt hatten.

 

Wladimir Kaminer - "Ich Mache Mir Sorgen, Mama"

Unser allerliebster russischer Emigrant, wohnhaft in Berlin-Kreuzberg, legt wieder einmal eine honorige Sammlung reflektorischer Anekdoten über sein Leben und seine Umgebung vor. Familie, Verwandtschaft, Freunde, Nachbarn, Haustiere, Behörden, Technik, Kultur, Sitten und Gebräuche: alles Denk- und Verwertbare wird dabei miteinbezogen. Die Sonderheiten der koexistierenden Nationalitäten rücken zwar nur gelegentlich in den Vordergrund, aber beim Lesen gewinnt man durchaus den einen oder anderen exemplarischen Eindruck von der russischen, wie auch einen perspektivdivergenten der deutschen Mentalität. Mit sanfter Ironie und feinem Humor setzt Kaminer sich mit den Tücken des modernen gesellschaftlichen Daseins und Erfahrungen des Familienlebens in sinnigen Alltagsbeobachtungen auseinander.
Gefiel mir tatsächlich noch ein ganzes Stückchen besser als sein (durchaus beachtenswertes) "Deutsches Dschungelbuch".
Wirklich klasse!
*****


Roger Willemsen - "Gute Tage > Begegnungen mit Menschen und Orten"

Der Untertitel sagt eigentlich schon alles.
Roger Willemsen ist als rhetorisch beschlagener, warmherziger, vielseitig gebildeter, ungemein auf's Leben neugieriger und an seinen Mitmenschen interessierter Intellektueller ein stets gerne gesehener Gast in TV-Talkrunden. Die Einstellung seiner eigenen, Willemsen's Woche titulierten, hinterläßt auch nach Jahren noch eine ungeschlossene Lücke in der medialen Landschaft.
Das vorliegende episodenhafte, sich über mehrere Jahre von Roger Willemsens Arbeit erstreckende Buch erfüllt denn auch die in es gesetzten Erwartungen vollkommen, in seiner einerseits unglaublich sympathischen wie ehrlichen, und andererseits sprachlich wie analytisch Grenzen auslotenden Art.
Empfehlung!
******


Ethan Hawke - "Hin Und Weg"

Ethan Hawke ist ein von mir sehr geschätzter Schauspieler, welcher u.a. mitwirkte in "Der Club Der Toten Dichter", "Reality Bites", "Schnee Der Auf Zedern Fällt", "Große Erwartungen", "Gattaca", "Training Day" oder einem meiner All Time Favourites "Before Sunrise", dessen ein Jahrzehnt danach, wiederum mit Julie Delpy und Ethan Hawke entstandene Fortsetzung "Before Sunset", sich mir leider bislang keine Gelegenheit zu sehen auftat. Seit kurzem beschränkt sich Mr. Hawke nicht allein auf das Darstellen und Umsetzen von Geschichten auf der Kinoleinwand, sondern er erfindet kurzenhand selber welche. Die vorliegende bringt uns den amerikanischen, mäßig bekannten Schauspieler (...) William näher, der sich in die ambivalent flippige und zugleich in sich selbst zurückgezogene Kinderpädagogin Polly (oderwieauchimmer - an den richtigen Namen kann ich mich Monate danach nun wirklich nicht mehr erinnern) rückhaltlos verliebt. Nach einigem Werben erwidert sie seine Gefühle, die beiden verbringen mehrere liebestrunkene Wochen zusammen in Paris (...), wo William einem beruflichen Engagement nachgeht. Polly fliegt zurück in die Staaten und als Will einen Monat später nachkommt, zeigt sie sich unvermittelt seltsam abweisend und distanziert, vertröstet ihn mit dem von Frauen offensichtlich gerne bemühten, versöhnlich gemeinten und dennoch vom männlichen Geschlecht ungern vernommenen du,-ich-möchte-mich-momentan-nicht-binden,-laß-uns-doch-einfach-nur-Freunde-sein-Spruch. Von diesem Vorschlag alles andere als begeistert und wie vor den Kopf gestoßen, schlittert William in eine handfeste Krise und zeigt dabei phasenweise geradezu unangenehm neurotische Züge.
Wie's schließlich ausgeht, bleibt an dieser Stelle allerdings unausgesprochen.
Wieviel an Persönlichkeit vom Autor an seinen Hauptdarsteller übertragen wurde, wäre eine reizvolle Interviewfrage. Jedenfalls verkneife ich mir als Fazit die Spitze, er solle seine kreativen Betätigungen zukünftig doch bitte allein dem Felde der Schauspielerei widmen, nein, denn Ethan Hawke legte mit "Hin Und Weg" einem mehr als ordentlichen Roman vor über die Liebeslust, mehr aber noch über deren Schattenseite, den Liebesfrust.
***

Marlen Haushofer - "Die Wand"

Die tagebuchartig verfasste Geschichte einer Frau, die urplötzlich durch eine massive, durchsichtige Wand von ihrer Mitwelt abgeschnitten wird und in ihrer einsamen Jagdhütte inmitten eines Waldes, in welcher sie eigentlich mit einem befreundeten Ehepaar nur ihren Urlaub verbringen wollte, fortan völlig auf sich selbst gestellt und allein in der Gesellschaft einer Kuh, mehrerer Katzen und ihrem Hund, weiter- und überleben muß. Erklärungen über Herkunft und Zweck der ominösen Wand werden keine gemacht. Der Leser nimmt ausschließlich an dem gedanklichen Monolog der Protagonistin teil. Es gibt nicht einen einzigen Dialog und die Erzählerin stellt sich noch nicht einmal namentlich vor. Karg und stilistisch nur auf das Notwendigste reduziert, vollzieht man die Ängste, Sorgen, Nöte, Freuden, soziologischen, moralischen, religiösen Erkenntnisse nach, die persönliche Entwicklung der Frau unter den und durch die auferlegten Umstände(n), über einen Zeitraum mehrerer Jahre hinweg. Nachdem es immer wieder einmal Schicksalsschläge zu verkraften gilt, endet die Aufzeichnung in einer erschütternden Tragik, welche dennoch allesamt die letzte glimmende Hoffnung auf eine mögliche Zukunft und den zähen Willen weiterzumachen, die immens gewachsene Verantwortlichkeit unzerstört lassen.
Ein beeindruckendes, an mehreren Stellen sehr bewegendes Buch, das zwar auch seine Längen und Zähigkeiten beinhaltet, wenn etwa allzu oft alltägliche Problematiken verhandelt werden, aber auch und gerade das gehört zu einem authentischen, realistischen Bild dazu. Eine wirklich einfühlsame, brillante Charakterstudie, welche den Lesenden sich in diese außergewöhnliche Situation mithineinversetzen läßt, sogleich eine anwachsende intime Nähe zur anderen, sich mitteilenden, offenbarenden Person schafft - und die sicherlich niemanden unberührt lassen dürfte.
*****(*)

 

Jonathan Franzen - "Die Korrekturen"

Wahrscheinlich geht es nicht allein mir so, aber je älter ich werde, umso weniger interessiere ich mich für irgendwelchen Action-Scheiß, abenteuerliche Heldengeschichten, großangelegte Katastrophenszenarien. Jedoch desto mehr für das ebenso spannende Abenteuer des alltäglichen Lebens, der vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen, für die "ganz normalen Leute" und deren biographischen Werdegänge, Ansichten, Schicksale, gesellschaftlichen Verflechtungen. Leute, die zwar unter Umständen mit besonderen Verwerfungen und Herausforderungen zu kämpfen haben, ansonsten aber ohne weiteres direkt nebenan wohnhaft sein könnten. Leute, bei denen eine Identifikation und Anteilnahme leicht fällt, und die einem möglicherweise neue, bislang kaum wahrgenommene Facetten des Daseins in unserer Zivilisation von Augen führen.
Genau darüber, über diese Leute, und die Zusammenhänge in unserer Gesellschaft schreibt Jonathan Franzen in seinem viel diskutierten und von der Kritik hochgelobten Roman "Die Korrekturen". Er zeigt darin vor allem einen Ausschnitt aus der amerikanischen (oberen) Mittelschicht anhand einer bestimmten Familie. Die konservativen Eltern leben weiterhin in dem spießigen Kleinstadtidyll, in dem sie aufwuchsen, während die drei erwachsenen Nachkommen versuchen, ihr Glück in den Großstädten zu finden. Die sehr auf die äußerliche Form, sozialen Status, Normerfüllung und Harmonie um jeden Preis bedachte Mutter Enid hat sich, belastet mit ihrem zusehends geistig und körperlich abbauenden Ehemann Al, in den Kopf gesetzt, die gesamte Familie für ein allerletztes gemeinsames Weihnachtsfest zusammen zu bringen. Als dieses schließlich stattfindet, endet es entgegen ihrer Wunschvorstellung natürlich im Desaster, zeigt es doch anschaulich, wie sehr man sich voneinander entfremdet hat und wie sehr ein jeder mit sich selbst beschäftig ist, mit seinen derzeitigen Angelegenheiten, Problemen und Sorgen. Dennoch findet man neue Anknüpfungspunkte, vor allem, als der Vater schließlich im Sterben liegt. Chip und Denise, die beiden Kinder in den Mittdreißigern, sind recht umgängliche, sympathische Figuren, während der etwas ältere Bruder Gary mit seinem übersteigerten Kontrollwillen, seinen neurotischen, innerhalb seiner eigenen Familie regelrecht paranioden Zügen, einen faszinierenden psychopathologischen Befund abgibt, ohne dabei jetzt wirklich überzogen oder unglaubwürdig karikaturhaft zu wirken. Witziger- und ironischerweise verkörpert gerade er, Gary, von den drei Kindern nach außen hin das gesellschaftlich anerkannte Ideal des treusorgenden Vaters, guten Ehemannes und erfolgreichen Geschäftsmannes. Die Kehrseite ist komplexzerfressen, innerlich ausgehöhlt und verkorkst.
So, das sollte als erster Einblick genügen, dieses Werk ist eh zu ausufernd und vielschichtig, um ihm an dieser Stelle überhaupt annähernd angemessen gerecht werden zu können.
Gewiss kein einfacher Lesestoff. Aber lohnender.
Eine sprachgewaltige, hochintelligente Sozial- und Charakterstudie.
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Peter Tompkins & Christopher Bird - "Das Geheime Leben Der Pflanzen"

Die erläuternde Untertitelung lautet Pflanzen als Lebewesen mit Charakter und Seele, und ihre Reaktionen in den physischen und emotionalen Beziehungen zum Menschen. Das sagt eigentlich bereits das Wesentliche über diese fundierte und verblüffende Abhandlung. Das Buch ist zwar, wenn auch eher selten, die historischen, medizinischen, ökologischen und biologischen Ausführungen betreffend etwas weitschweifig, sowie mittlerweile ein wenig betagt, nämlich über drei Jahrzehnte alt, seine Aktualität behält es dennoch nach wie vor mittels seiner zeitlosen Brisanz hinsichtlich des eigenen Natur- und Weltverständnises.
Verdammt interessant!
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Paulo Coelho - "Der Alchimist"

Eher gefriere die Hölle zu, als daß Paulo Coelho auch nur einen halbwegs intelligenten Satz zustande brächte. Wahrscheinlich gebrauchte er einen originelleren, wenn auch kaum schmeichelhafteren Vergleich, um sein Mißfallen gegenüber dem meistgelesenen Werk des genannten brasilianischen Schriftstellers kundzutun, als der ARD-Literaturkritiker Denis Scheck in seiner Sendung "Druckfrisch" wieder einmal die Spiegel-Bestsellerliste genüßlich durchforstete. Über den genauen Wortlaut läßt mich meine Erinnerung etwas im unklaren. Jedenfalls ging er damit, den Alchimisten nur wenige Monate später abermals in Händen halten müssend, noch um einiges rüder um. In dieser zweiten Eskalationsstufe nannte er ihn einen literarischen Wiedergänger, einen papiernen Vampir, welcher sich zu seiner jahrzehntelangen untoten Existenz durch Aussaugen abgeschmacktester New Age- und Märchen-Themen verholfen hätte, und der sich nach wie vor an der kostbaren Lebenszeit ahnungsloser und unschuldiger Leserscharen labe. Herr Scheck spricht's, holt unter dem Tisch einen eindrucksvollen, vorne zugespitzten Holzpflock hervor (!) - und treibt diesen mit einem schweren Hammer mitten durch das dünne Büchlein hindurch...! Harhar, ein wirklich gelungener Joke! Damit dürfte sich das Thema - zumindest für ihn - endgültig erledigt haben.
Überhaupt scheinen eher intellektuell und rational orientierte Menschen bei Nennung von Coelhos Bestseller grundsätzlich unwirsch abzuwinken, was man beispielsweise bei der Deutschlands 100 Lieblingsbücher ermittelnden Wahl, deren Ergebnis vom ZDF in einer mehrstündigen Galasendung vorgestellt wurde, abermals anschaulich feststellen durfte.
Davon nicht unvorbelastet, jedoch mit ungebrochenem Interesse, da ich mir ein grundsätzliches Faible für philosophisch angehauchte Erzählungen erhalten habe, lieh ich mir den Alchimisten dennoch aus. Dem Widerwillen der geistigen Elite ist ja diesbezüglich nicht immer vollkommen zu trauen und, wie sagt man so schön: über 20 Millionen Käufer weltweit können wohl kaum irren.
Oder?
Scheinbar doch.
Denn die Geschichte um den einfachen andalusischen Hirten, der von seinen Träumen, einer Wahrsagerin und schließlich einem klugscheißerischen, aufdringlichen Alten dazu bewogen wird, seine Herde Schafe zu verkaufen, um sich zu einer abenteuerlichen Suche nach einem sagenhaften Schatz im fernen Ägypten aufzumachen, war in ihrer Schlichtheit selbst mir zu viel. Einfach zu hausbacken und naiv, durchsetzt mit oftmals geradezu hirnerweichenden existenzialistischen Binsenweisheiten. Vielleicht war es ein Fehler, das Büchlein direkt im Anschluß an einen wirklich smarten Autor und rhetorischen Titanen wie Jonathan Franzen folgen zu lassen, da konnte es eigentlich von vorneherein nur abstinken und verlieren. Ich kämpfte mich trotzdem heroisch, entlang eines dünnen erzählerischen Rinnsals, durch die ersten 50 Seiten dieser gedanklichen Wüstenei, gab schließlich zu Tode gelangweilt und auch ein bißchen entnervt auf. Und mir eine Woche später doch zumindest noch so die letzten 20, 30 Seiten, nur für den unwahrscheinlichen Fall, daß Coelho am Ende wider Erwarten vielleicht doch noch ein fulminantes Feuerwerk abbrenne, welches all die investierte Aufmerksamkeit lohne. Zur Antwort ein ernüchtertes: nicht wirklich...
"Der Alchimist" mag sich allenfalls für Leute als befriedigend erweisen, die sonst niemals ein Buch zur Hand nehmen und ihn von wohlmeinenden Bekannten ans Herz gelegt, um nicht zu sagen: aufgedrängt bekamen, und die sich, nachdem sie sich endlich durch die 170 Seiten hindurchschleppten, etwa eine gute Stunde lang wohlig wähnen dürfen in dem sicheren, stolz-erhabenen Gefühl, soeben einen der Gipfel der Welterkenntnis erklommen zu haben. Um sich anschließend dankbar wieder ihren Daily Soaps, nachmittäglichen Talkshows, Fitness- und Automobilzeitschriften zuwenden zu dürfen...
Okay, okay, selbst wenn das alles zugegebenermaßen natürlich keinesfalls so richtig schlecht oder trashig ist und die eine oder andere Aussage tatsächlich ganz nett, bleibt "Der Alchimist" die Rechtfertigung seiner Erschaffung letztlich doch schuldig. Gut gemeint ist halt was anderes als gut gemacht. Das hier ist alles in allem eine seichte, verblasene, häufiges Augenrollen provozierende, betulich-spießerhafte Gutmenschenlektüre in mächenartiger Darreichungsform und von hochvaliumartiger Wirkungsweise. Zu den zweifelsohne auftretenden Risiken und Nebenwirkungen fragen sie bitte den Buchhändler oder Feuilletonisten ihres Vertrauens.
Danke für garnix - und auf Nimmerwiederlesen!
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Josef Freiherr von Eichendorff - "Aus Dem Leben Eines Taugenichts"

Klar, der Titel wußte mich sofort anzusprechen, haha....!
Dieser deutsche Klassiker ist dem vorig besprochenen Buch von Paulo Coelho im Grunde sehr ähnlich. Auch hier geht es um einen einfachen, etwas naiven und gleichzeitig lebensklugen Typen, der in die weite Welt hinaus zieht, um sein Glück zu finden, und der auf seiner verschlungenen Reise allerei Bekanntschaften und Erfahrungen macht.
Nichts wirklich weltbewegendes, aber die schlichte und gleichzeitig wunderbar gespreizte Sprache gefiel mir, wie auch die durchaus angenehme Tatsache, daß Eichendorff im Gegensatz zu Coelho es dankenswerterweise unterläßt, sich in seichtem, pseudo-philosophischem Geblubber zu ergehen.
Nett.
**(*)

Lawrence Norfolk - "Ein Nashorn Für Den Papst"

Uff! Was für ein Gelaber........!
Es kommt eher selten vor, daß ich mich einen Roman abzubrechen gezwungen sehe. Bei Norfolks zweitem blieb mir kaum etwas anderes übrig, nachdem ich über Wochen hinweg vergeblich versuchte, Zugang zu diesem farblosen, eigenschaftslosen, abweisenden, unergründlichen Wörtermonolithen zu erlangen. Ich hab's mehrmals versucht, bin an verschiedenen Stellen, späteren Kapiteln eingestiegen, das letztendliche Ergebnis belief sich allenfalls auf einen bedauernswerten Verlust an Zeit und Geduld. Das mußte wohl erzwungenermaßen herauskommen, wenn einer, wahrscheinlich den Booker Prize fest auf dem inneren Monitor, versucht "Kunst" zu fabrizieren und dabei, ein kleiiiin wenig zu selbstverliebt in seine ohne Frage gewaltigst vorhandenen rhetorischen Fähigkeiten, wissentlich seine gutwillige Leserschaft der unmittelbaren Gefahr auszusetzen bereit ist, schlicht und einfach totgequatscht zu werden.
Wenn man mal einen informativen, zugleich spannenden und anrührenden Roman über's Mittelalter lesen möchte, sollte man sich weiterhin eher etwa an Tanja Kinkels "Die Puppenspieler" oder natürlich Umberto Ecos Klassiker "Der Name Der Rose" halten.
Sorry, aber dieser Autor hier, der ist, jedenfalls für mich, einfach zu clever.....
*(*)

 

Paul Auster - "Mond Über Manhattan"

Dieser 1989 erschienene Roman Austers ist kaum weniger seltsam, kaum weniger seltsam verschlungen, wie auch kaum weniger seltsam faszinierend, als sein aktueller, im vorletzten Quartal bereits besprochener, "Nacht Des Orakels" betitelter. Hier nun läßt er seinen jungen Ich-Erzähler namens Marco Stanley Fogg durch einen kurzen, verworrenen, wendungsvollen Abschnitt seiner Lebensgeschichte stolpern, welcher in eigentlich jedem der sieben Kapitel in ein völlig neues Stadium übergeht. Wobei sich entscheidende Zusammenhänge erst nach und nach eröffnen. Zentral ist die spannungsreiche Beziehung zu einem alten, schwierigen, durchtriebenen, mitunter sukrrilen Mann, dessen Betreuung zuerst nur ein zwar alles andere als einfacher, wenngleich gutbezahlter Job ist, sich jedoch als voller Bedeutsamkeit für sein eigenes Dasein offenbart.
Insgesamt war "Mond Über Manhattan" nun wirklich keine allzu leichtverdauliche Lektüre. Was einen trotzdem und vor allem bis zum Ende weiterlesen läßt, ist allerdings weniger ein eventuelles herausragendes Entertainment, welches man bei Auster auch nicht unbedingt erwarten sollte, sondern vielmehr die eigentümliche Spannung, die sich aus seinen starken, einzigartigen Figuren und ihren oft kuriosen Schicksalsverflechtungen ergibt - von der offensichtlichen Vorliebe des Autors für abgefahrene Koinzidenzen zeugen gerade hier einige anschauliche Beispiele. Außerdem ist Auster - was für alle guten Schriftsteller natürlich grundsätzlich gelten sollte - ein sehr guter Beobachter mit profunder Menschenkenntnis, und er streut desöfteren wirklich originelle Formulierungen, schöne Metaphern, psychologische Feinsinnigkeiten oder unerwartete und blitzgescheite Erkenntnisse im Laufe der Handlung aus. Als Zeugnis sei ein kurzer Gedanke, gerade weil ich ihn als mich herausfordernd, ihn so ungewöhnlich wie interessant fand, zitiert:

"Der wahre Zweck der Kunst bestand nicht darin, schöne Dinge zu erschaffen, sondern, wie er herausfand, im Begreifen, im Durchdringen der Welt und darin, seinen Platz in ihr zu finden; und die etwaigen ästhetischen Qualitäten eines Gemäldes waren praktisch nur ein zufälliges Nebenprodukt des Strebens, sich an diesem Kampf zu beteiligen, sich in das Chaos der Dinge zu stürzen."

Dies wäre dann quasi ein komplementärer Standpunkt zu meiner eigenen Sicht, welche wiederum eher von einer ästhetischen Perspektive ausgeht; sowie einem beabsichtigten Hintersichlassen der alltäglichen und allzubekannten Realität, um die Neuschöpfung einer eigenständigen, einer vielmehr utopischen, ideellen Welt und Wirklichkeit - die sich logischerweise immer auf die alte, bestehende bezieht, sie als Ausgangspunkt benutzend - zu forcieren, in welcher es dem ruhelos-kreativen menschlichen Geist ermöglicht wird, zeitweilig einen andersartigen, alternativen Platz im Kosmos einzunehmen, möglicherweise eine neue, angemessenere Umgebung und Erscheinungsform vorzufinden.
Bemerkenswert ist auch der offene Schluß des Buches, durch welchen Auster den Leser, je nach dessen Veranlagung, zu einer eigenen fortführenden Interpretation einlädt. Man soll ja möglichst wenig im voraus verraten, schon gar nicht den Ausgang. Da ich allerdings die Wahrscheinlichkeit, daß eine/r unserer (wenigen) Leser/innen sich das Buch nach Kenntnisnahme dieser Rezension tatsächlich irgendwann geben könnte, als sehr gering einschätze, wage ich einmal mehr, zu einem meiner Lieblingsthemen unangemessen explizit zu werden und meine persönliche Einschätzung zum Finale offenherzig zum besten zu geben: Nach der durchlaufenen Achterbahnfahrt der vorhergehenden Ereignisse sehen wir unseren (Anti-) Helden, wieder einmal eines Lebensfadens verlustig gegangen, bindungs- und richtungslos im existenziellen wie geographischen Nirgendwo stehen, vor einem abermaligen Neuanfang, welcher jedoch im motivationsarmen, undurchsichtigen Dunkel einer entleerten Zukunft verborgen bleibt. Als er in einem abgelegenen Landstrich zum Parkplatz zurückkommend feststellen muß, daß irgendein gewissenloses Arschloch seinen Wagen - mit zehntausend Dollar einer Erbschaft im Kofferraum, shit happens! - geklaut hat und damit alles, was ihm noch auf Erden blieb, er also von einem scheinbar blinden, widrigen Schicksal einmal mehr, und einmal zuviel!, ordentlich eins reingewürgt bekam, dreht er wutentbrannt und mehr als verständlich, ein wenig durch. Nahm er zuvor alle Geschehnisse und Veränderungen, grundsätzlich alles, wie's halt gerade kam, und was das Leben so für ihn bereit hielt mit einer gewissen stoischen Gelassenheit hin, macht er sich nun, vom anfänglichen Zorn auf die Umstände angetrieben, kopflos auf einen hunderte, vielleicht tausende Meilen langen Fußmarsch... "...im übrigen aber ging ich ohne Unterbrechung auf den Pazifik zu, getragen von einem sich ständig steigernden Glücksgefühl. Ich spürte, wenn ich das Ende des Kontinents erreichen würde, läge dort die Antwort auf irgendeine wichtige Frage bereit. Ich hatte keine Ahnung, wie diese Frage lautete, aber die Antwort war bereits in meinen Schritten vorgeformt, und ich brauchte nur weiterzugehen, um zu erfahren, daß ich mich selbst hinter mir gelassen hatte, daß ich jetzt nicht mehr der gleiche Mensch war wie früher. ... Ich hatte das Ende der Welt erreicht, dahinter waren nur noch Luft und Wellen, eine Leere, die sich bis an die Küsten von China erstreckte. Hier fange ich an, sagte ich zu mir, hier soll mein Leben anfangen." Er wartet noch, bis der Vollmond emporsteigt und seinen Platz in der Dunkelheit findet, und wendet sich dann ab. Man kann diesen Abschluß, wie oben angedeutet, natürlich auch anders auslegen - aus meiner Sichtweise ergibt sich daraus ein schlußendlicher, suizidaler Akt. Sozusagen die radikalste Art des Neubeginns. Man hat sein Bestes gegeben, hat versucht sich irgendwie durchzuschlagen, versucht, mit den zuweilen allzu garstigen Bedingungen klarzukommen, versucht, auf Erden zumindest ansatzweise harmonische Verhältnisse herzustellen und auf Ihr ein vorübergehendes Zuhause zu finden. Doch alle Stricke sind schließlich gerissen und man kann sich mit jenseitsgerichtetem Blick in dauerhaft geformtem, letzendlichem Gleichmut nur noch auf den Vers "Leb wohl Frau Welt und schmücke / Dich wieder jung und glatt / Wir sind von deinem Glücke / Und deinem Jammer satt" berufen. Wer könnte es wagen, über eine solche Entscheidung richten zu wollen? Wer könnte, nach so vielen irdischen Irrungen und Wirrungen, nach Auskosten aller denkbaren Freude und allen denkbaren Leids, ernsthaft eine zur Abreise bereite und willige Seele zurückhalten wollen, die, sehnsuchtsvoll und unmittelbar in sich den lockenden Ruf ihrer eigentlichen Heimat vernimmt?
Und dennoch, aus dem schwachbegründeten, diffusen Gefühl heraus, einen folgenschweren, konsequenzbehafteten Fehler zu begehen, unterlassen wir es im allgemeinen, unser Exilantentum vorzeitig zu beenden.
Bei einer Situation wie im letzten Kapitel von "Mond Über Manhattan", brächte ich für jemanden wie Austers Protagonisten allerdings vollstes Verständnis auf. Für jemanden, der zuvor alle irdenen Möglichkeiten bereits zur Genüge ausschöpfte, und, einverstanden wie geläutert am abgründigen Rande der Ewigkeit stehend, den entscheidenden Schritt vollführt, um in der Weite des Ozeans Übergang und Neubeginn zu finden.......
Keine absolute Pflichtlektüre, aber genau wie "Nacht Des Orakels" kann man sich auch "Mond Über Manhattan", um mal ein gleichlautendes Fazit zu ziehen, bedenkenlos eingeben.
Wirklich interessant.
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