"Wer zwei paar Hosen hat
mache eine zu Geld
und schaffe sich ein Buch an."
- Georg Christoph Lichtenberg -
Wie gewöhnlich: Subjektiv. Überambitioniert. Ahnungslos.
...und weiterhin mit anmaßendem Wertungssystem:
* = miserabel
** = akzeptabel
*** = gut!
**** = sehr gut!!
***** = außerordentlich gut!!!
****** = absolut großartig, fantastisch, begeisternd!!!!!!
Na ja, so ist das halt, wenn die mögliche Auswahl sich sukzessive verengt:
dann kann es schonmal passieren, daß man mit der letzten Schwarte von
Michael "Jurassic Park" Crichton untern Arm geklemmt die Bücherei verläßt,
der wirklich allerletzten Option, weil trotz intensiver Suche einfach kein
anderer Autor so frei war, sich einem aufzudrängen. Unterhaltsam, ja,
das ist er, da kann man nichts gegen sagen. Spannend geschrieben ist's allemal,
und es ist darüber hinaus auch für das ungeübte Auge kaum zu
übersehen, wieviel Mühe und Sorgfalt Crichton der Recherche der
technischen Daten und Hypothesen über das Zeitreisen, sowie den historischen
mittelalterlichen Details widmete, um damit dem Leser zu ermöglichen,
selbige während seiner imaginären Reise von einem Buchdeckel zum
anderen, als gegebene Realität mühelos anzuerkennen. Dickes Lob
dafür, man erhält dadurch wie nebenbei einige recht interessante
Einblicke. Leider bleibt "Timeline" den literarischen Erwartungen ansonsten
überraschungslos treu, denn der Plot erweist sich als doch relativ vorhersehbar,
ist mehr und mehr auf Aktionismus ausgerichtet, während das handelnde
Personal eher schablonenhaft wirkt und es deutlich an Tiefenschärfe mangeln
läßt. Somit bleibt der letztendliche Eindruck des Buches ein sowohl
beliebiger wie oberflächlicher - und sobald man dessen hinteren Deckel
schließt, setzt umgehend das Vergessen ein.
Kürzlich, dies nur als zusätzlicher Info- und Leserservice, erschien
Michael Crichtons neuestes Werk, Titel ist mir - jach..! - entfallen. Keine
Ahnung, wie gut das recherchiert wurde, die Grundausrichtung jedenfalls
kam mir sehr bedenklich, nein, geradezu grotesk vor. Es geht darin um eine
in Thrillerform verpackte Kritik an Umweltaktivisten und Umweltschutzorganisationen,
irgendein scheinbar völlig absurder Verschwörungsscheiß darüber,
wie durch angeblich total übertriebene hypothetische, apokalyptische
Zukunftsszenarien, um den Planeten besorgten Bürgern die Kohle aus der
Tasche geleiert wird. Irgend sowas in dieser Art, ich hab's nun wirklich nicht
vollständig verstanden, als es Crichton im Interview mit Denis Scheck
näher und alles andere als schlüssig zu erläutern versuchte.
Treibhausgase, Erderwärmung, Ozonloch, Wegschmelzen der Polkappen, Rohstoffverteuerung
und bald -knappheit, Abholzung des Regenwalds, usw., usw., usw. - klar, Mann,
ist doch tatsächlich alles halb so wild...! Und wer etwas anderes behauptet
kann natürlich nur ein ökologischer Miesmacher oder Spendenabzocker
sein. Wesentlich wahrscheinlicher erschiene mir dahingehend die Vermutung,
es möchte da jemand mit diesem albernen Sujet sich selbst und seinen
amerikanischen Mitbürgern - nach wie vor die größten Umweltverschmutzer
unseres Planeten - zu einem leichteren Gewissen verhelfen und ihren natürlich
auch zukünftig weiterhin allzu sorglosen Umgang mit Energie und Rohstoffen
legitimieren ... Oder, wie man vernünftigerweise mutmaßen müsste,
wenn einem solch hirnverbrannter Schwachsinn zu Ohren kommt, hat den Roman
zu Propagandazwecken zu verfassen gleich die Elektrizitäts- und Öl-,
etc.-Industrie in Auftrag gegeben, die sich gerne noch ungehinderter von jeglichem
ökologischem Bewußtsein entfalten und von linken Weltverbesserern
nicht länger in ihre Profite spucken lassen möchte ...?
Wer weiß das schon.
**(*)
Da wir diesem Autoren die literarischen Vorlagen zu Filmen wie "Fargo", "Schnappt
Shorty" oder "Out Of Sight" verdanken, war es nur eine Frage von Zeit und
Gelegenheit, eines seiner anderen Bücher zur Hand zu nehmen.
"Glitz" entpuppte sich schließlich als geradezu klassische Kriminalgeschichte,
relativ spannend und gut aufgebaut, zwar wenig originell und bedingt einfallsreich,
aber von immerhin völlig ausreichender Unterhaltsamkeit.
***
Joh, aufgemerkt, Freunde, Kollegen, Sugarbabes: ein abgefucktes, einfältiges,
unkenntlichmachend in die Untiefen seines Kapuzenpullis vergrabenes Exemplar
aus der gesellschaftlichen Gruppierung des Sub-Proletariats wagt es tatsächlich,
sich den heiligen Hallen der Hochkultur zu nähern ... !! Es macht sich
unverfrohren an den massiven Schlössern des riesigen, eisenbeschlagenen
Eichenportals zu schaffen, knackt sie schließlich, drückt ächzend
die eine Hälfte einen Spalt auf - und schleicht sich verstohlen ins weiträumige
Innere ...
Von einem beeindruckenden, zufällig aufgeschnappten Zitat des romantischen
deutschen Dichters Hölderlin angefixt, entlieh ich mir, neugierig geworden,
diese Werkschau aus der örtlichen Bücherei. Sie enthält eigentlich
alles, was man von einer solchen Anthologie über einen der Klassiker unserer
Literatur wünschen und erwarten darf: zuerst einen kleinen biographischen
Abriß Friedrich Hölderlins (1770 - 1843), inklusive stichpunktartiger
Einführung der wichtigsten Personen seines Lebens (von mir nur in aller
Kürze überflogen); ausgewählte Exponate aus seinem Briefwechsel
(in die ich nur mal reinschnupperte, solches ist wohl ausschließlich was
für ausgemachte Hölderlin-Enthusiasten); fast das komplette lyrische
Werk auf ca. 150 Seiten; seine beiden wesentlichen Prosastücke "Hyperion"
und "Empedokles"; sowie ein paar angehängte kurze Essays, welche meinereiner
vollständig ausließ.
Mit seiner Prosa - sollte man sie überhaupt als solche bezeichnen können,
da "Hyperion" in brieflicher Form gehalten und "Empedokles" offensichtlich als
Theaterstück konzipiert wurde - kam ich leider weniger in Beziehung, da
mir die verwendete Sprache letztlich einfach zu schwierig war, um es flüssig
durchlesen zu können - stellenweise sprunghaft, wunderlich, exaltiert,
schnurrig, oder schlicht und einfach unverständlich. Für uns Heutige
bedeutet die Auseinandersetzung mit Hölderlins Gedankengängen also
durchaus einem nennenswerten Arbeitseinsatz. Das wußte ich natürlich
bereits im vorhinein, schaffte von "Hyperion" aber dennoch gerade mal an die
20, 30 Seiten. Man merkt es den Texten halt an, daß da mittlerweile rund
zweihundert Jahre kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen, sowie mehrere
Rechtschreibreformen darüber hinweg gegangen sind. Schlecht ist das alles
selbstvertändlich nicht, o nein, da tauchen doch immer wieder großartige
Formulierungen, Beschreibungen und Gedanken auf, mir wären diese in verdaulicherer,
ausgeformter Aphorismen- und Zitatenform aufbereitet allerdings lieber gewesen.
Andererseits erschwert die sprachliche Divergenz zum gegenwärtig gebräuchlichen
Ton zwar das Verständnis, macht jedoch gleichsam einen Teil des Charmes
aus. Da klingt uns etwas - ebenso wie in Form der Klassischen Musik - zugleich
ein wenig fremdartiges und dennoch reizvolles, aus einer vergangenen Epoche,
wie aus nachbarschaftlicher Ferne herüber.
Ergiebiger noch, und um einiges leichter zu goutieren, zeigte sich schließlich
des Dichters Lyrik. Diese enthält zwar ebenfalls so manche Seltsamkeit,
und auch solch einen aus heutiger Sicht unnachvollziehbaren, moralisch mehr
als fragwürdigen Querschläger wie "Der Tod fürs Vaterland" -
doch umso vielzähligere, wirklich fantastische Gedichtperlen, die den Leser
beeindrucken mit grandioser, kraftvoller Wortwahl und teilweise scheinbarer
-kreation, tief blickenden Einsichten, herrlichen Beschreibungen. Durch die
Lyrik habe ich mich denn auch komplett hindurch gebaggert, mindestens zwei Drittel
davon aufmerksam gelesen und, einerseits für mich persönlich, aber
auch als Service für unsere geneigte Leserschaft, mal die Namen einiger
dieser entdeckenswerten kleinen Glanzsterne herausgeschrieben:
"An die Natur"; "Da ich ein Knabe war..."; "Hyperions Schicksalslied"; "Götter
wandelten einst..."; "Diotima"; "Die Liebe"; "Lebenslauf"; "Geh unter, schöne
Sonne..."; "Der Spaziergang"; "Der Mensch"; "Die Entschlafenen"; "Gang auf's
Land"; "An Landauer"; "An Zimmern"; "Das fröhliche Leben"; "Die Götter";
"Heidelberg"; "Der Sommer"; "Der Herbst"; "Der Winter" ... und so manche mehr
gibt es da sicherlich weiterhin zu entdecken.
Hölderlin wurde sehr, die Titel "Hyperion" und "Empedokles" deuten bereits
darauf hin, von der antiken griechischen Hochkultur und speziell deren reicher
Mythologie beeinflußt. Was mich vor allem grundsätzlich für
ihn einnimmt, sind seine oftmalige sprachliche Überhöhung von Natur
und Mensch, des Lebens an sich - und gleichzeitiger Erschaffung, oder doch eher
Sichtbarmachung einer übergeordneten jenseitigen Welt, eines Gegenentwurfes
des ebenfalls trefflich mental erfaßten ird'schen Jammertales, eines reichhaltigen
und wie selbstverständlichen Pantheons aus Göttern, Geistwesen, Genien,
Unsterblichen.
Für manchen sehnsüchtig Heimatsuchenden, mag hier der Königsweg
verborgen liegen, hin zum magischen Lebensgefühl.
Denn seine besten Gedichte verleihen beziehungsweise vermitteln - ähnlich
derer Hermann Hesses (welcher, möglicherweise, von Hölderlin u.a.
inspiriert gewesen sein könnte) - dem uns umgebenden Kosmos, sowie dem
fordernden, allzu häufig tristen, durchaus einer gelegentlichen Tröstung
bedürfenden Dasein, einen innewohnenden Zauber, eine leicht überweltlich
anmutend funkelnde Magie. Sie schärfen den Blick des Lesers und Mitmenschen.
Sie verweisen auf die Möglichkeit der temporalen Entrückung und Verklärung,
der eigentlichen Entschleierung unserer Wahrnehmung. Sie schulen das perspektivische
Vermögen, jenen seeligen Glanz nicht allein in den innerlichen dichterischen,
geistigen Räumlichkeiten, sondern nicht weniger um sich herum, in der Welt
und den Wesen darin, in der Natur und ihrer vielgestaltigen Schönheit,
ja, in allem und in jedem, in sämtlichen Aspekten der Schöpfung, wahrnehmen
zu können.
Dann, in diesen Momenten, ist wahrhaft alles erleuchtet.
Dann wird selbst aus dem kleinsten Stückchen, grünlichgolden und still
in der Abendsonne glühenden Wiese ... der Himmel auf Erden, die Ahnung
der Allverbundenheit, eine vollkommene Erfüllung und Eingetauchtheit in
der zugrundeliegenden, uferlosen Alldurchdrungenheit des Geistigen.
An das Göttliche glauben
Die allein, die es selber sind.
(ohne Wertung)
Richard hatte völlig recht, indem er Grishams Romane mit harten Drogen
verglich.
Man kommt einfach nicht mehr davon los.
Die Deckel seiner Werke sollten, wie neuerdings die Zigarettenschachteln,
Warnhinweise tragen. Etwa: "Warning! Highly Addictive!!!", oder "Achtung:
Der Genuß dieser Autoren-Marke könnte zu gravierenden Veränderungen
ihres Freizeitverhaltens führen!"
Für mich ist es längst zu spät; ich bin süchtig.
Aber ihr könnt euch vielleicht noch retten, ein freigestaltetes Leben
ohne Abhängigkeit von einer regelmäßigen Grishamdosis begehen,
einem unabschätzbaren Laster entgehen ... flieht also, solange es euch
noch möglich ist - lauft ... lauft ... lauhhhhft ... ... !!!
*****
Die Grundidee ist schonmal äußerst originell und vielversprechend.
Es geht um einen Typen, der, von einer überbordenden Phantasie beflügelt,
sich ständig neue Plots für spannende Geschichten ausdenkt, der
davon geradezu überquillt. In einer städtischen Künstlerkneipe,
irgendwann in den Siebzigern, klagt ihm ein mäßig bekannter, dort
verkehrender Schriftsteller, daß ihm für sein nächstes Buch
kein Thema einfalle. Diese Begegnung bildet den Startpunkt zu einer steilen
wie ungewöhnlichen Karriere im geheimen, denn unser angehender Geschichtenverkäufer
erkennt nun, wie er sein Talent sich und anderen gewinnbringend nutzbar machen
könnte. Er stellt fortan gegen ein gewisses Entgeld sein Einbildungsvermögen
blockierten Autoren zur Verfügung, welche seine detailierten Vorlagen
- was seinem sprunghaften Gemüt nicht gegeben ist - zu mehr oder weniger
erfolgreichen Romanen ausarbeiten. So beliefert er im Laufe der nächsten
Jahrezehnte, getarnt durch einen Job als Lektor und Talentscout eines großen
Verlagshauses, unzählige Schriftsteller in ganz Europa. Allerdings ziehen
sich nach und nach dunkle Wolken am Horizont seiner Existenz zusammen und
die Zeichen verdichten sich, daß seine Identität aufzufliegen droht
und sein Wissen ihm gefährlich werden könnte, daß die Schlinge
einer vermeintlichen Verschwörung erfolgreicher Autoren, die er mit seinen
Informationen über die Herkunft ihrer Ideen belasten könnte, um
ihn herum zuzieht, daß es in seinem hauptberuflichen Umfeld mehr und
mehr Personen gibt, die ihn lieber tot - und damit endgültig und für
immer schweigend sehen möchten. Ob diese Bedrohung nun auf realen Grundlagen
basiert, oder ob sich unser Protagonist das Meiste davon in seiner zunehmenden
Paranoia nur einbildet, bleibt unklar. Jedenfalls kommt es auf der Frankfurter
Buchmesse zum Eklat, der Geschichtenverkäufer setzt seinen länger
gehegten Fluchtplan in die Tat um, und macht sich, getarnt mit einer gefälschten
Vita, in Richtung einer abgelegenen Mittelmeerinsel aus dem Staube.
Diese ersten doppelbödig-ironischen und aus dem Schriftsteller- wie Literaturbetriebs-Nähkästchen
plaudernden zwei Drittel des Buches sind wirklich brillant. Im letzten entwickelt
sich noch eine unerwartete Liebesbeziehung, leider wird es dann auch etwas
seltsam, gleitet die Erzählung ins surreale ab, hin zu einem fiesen kleinen
Ende. Dieser Bruch inmitten der Story erscheint mir doch zu konstruiert und
unglaubwürdig. Es wirkt, als reiche der ursprüngliche Einfall nicht
für ein ganzes Buch aus. Da hätte man sich vielleicht doch eher
zu zwei unabhängigen, größeren Novellen durchringen sollen.
Schade eigentlich.
Trotzdem, wie natürlich alles von Jostein "Sophie's Welt" Gaarder, absolut
lesenswert.
****
Zum zweiten Mal gelesen. Für nähere Infos sollte man die Besprechung
in einer der alten Nonkonform-Ausgaben konsultieren, da ich mich ungern
wiederhole.
Superbe Grundidee, ordentlich umgesetzt.
***(*)
Da machte sich doch einer auf, die Geschichte und Eigenheiten, die Vorlieben,
Abneigungen und Ansichten der sogenannten Generation Golf, deren Geburtszeitraum
der Autor von circa 1965 bis 1975 verortet, zu beschreiben. Florian Illies
geht dabei mit der detailversessenen Verve eines waschechten, manischen Erinnerungsjunkies
vor. Dafür, daß das Schwelgen in Kindheitserinnerungen und Nachvollziehen
der eigenen Biographie nicht in seichte, sentimentale Nostalgie abgleitet,
sorgen der gegebenenfalls leicht ironische Unterton, sowie die, falls angebracht,
durchaus kritische Distanz zum persönlichen Verhalten, und die im Fazit
immer scharfe analytische Beobachtung und Feststellung.
Witziges Detail sind die Kapitelüberschriften, welche, über die
letzten Jahrzehnte hinweg von den Werbeagenturen des VW Golf-Marketings ersonnen,
derartig prägnant und treffend das Lebensgefühl der Generation
Golf einfingen, daß Illies deren Slogans bequem für sich selbst
verwenden konnte.
Ein großartiger Lesespaß, bei dem es alles andere als störend
war, daß, wie der Autor selbst betont, nur ein bestimmter Teil abgedeckt,
nur eine bestimmte Perspektive innerhalb dieser Generation eingenommen werden
konnte. Die resignative "No Future"-Stimmung der - um mal mit einem weiteren
Schlagwort dazwischen zu hauen - Genaration X in den 90ern wird mit
keinem Wort gewürdigt, sondern vielmehr dem hedonistischen Treiben der
damaligen gesellschaftlichen Aufsteiger, mit ihren gemeinsamen wie individuellen,
leicht narzistisch gefärbten Mode- und Stilfragen, ihrem ausgeprägten
oder fehlenden Familiensinn, ihrer politischen und religiösen Obdachlosigkeit,
usw. usw., nachgespürt. Auch interessant. Wirklich.
*****
Hörbücher sind ja in den letzten Jahren ganz groß im kommen.
Verständlicherweise, kommt diese Art der Textvermittlung und -rezeption
doch der eigenen Bequemlichkeit auf halben Wege entgegen, da es einfacher
und angenehmer erscheint als sich selbst zu bemühen ein dickes Buch zu
lesen, es kurzerhand vorlesen zu lassen. Das nimmt zudem einiges weniger an
Zeit in Anspruch. Außerdem kann man die CDs auch wunderbar ungezwungen
und nebenbei während monotoner Tätigkeiten wie etwa lästiger
Hausarbeiten, langwieriger Autobahnfahrten, Ausdauerläufe, gymnastischer
oder körperlicher Übungen welcher Art auch immer, u. f. m., laufen
lassen. Selbiges hingegen mit der Lektüre eines Buches kombinieren zu
wollen, könnte sich als schwierig oder gar fatal erweisen... Allerdings
würde ich persönlich (ebenso wie Freund Peter, der mich erstmals
auf Illies aufmerksam machte) grundsätzlich jederzeit die klassische
Buchform vorziehen, da der Sprachrhythmus des Vorlesenden - und besonders
der sein Werk selbst rezitierende Illies legt hier ein sehr flottes Tempo
vor - nur selten mit der eigenen Aufnahme- und Verarbeitungsgeschwindigkeit
übereinstimmt, und weiterhin die Textvorlagen von Hörbüchern
oder -spielen in aller Regel heftigst zusammengekürzt werden müssen
und man es somit bestenfalls mit einer guten Auswahl zu tun bekommt.
Die auf zwei Tonträgern untergebrachten 110 Minuten bilden somit also
nur einen kleineren Ausschnitt des eigentlichen Werkes ab. Bedauerlich. Aber
man muß halt leider nehmen und zufrieden sein mit dem, was sich einem
so anbietet. Während der erste Teil die Kindheit in den 70ern, die Jugend
in den 80ern und das Erwachsenwerden in den 90ern durchstreifte, knüpft
Teil zwei gegen Ende des alten Jahrtausends an. Durch persönliche Rückschläge,
sowie kollektive Zusammenhänge, etwa den Auswirkungen der uns allen seit
längerem leider nur allzu geläufigen globalisierten Wirtschaftsverwerfungen,
erhält dieser Nachfolger einen deutlich düstereren Tonfall. Dies
jedoch nur in einzelnen Kapiteln, denn glücklicherweise fällt Illies
kaum in das endlose allgemeine depressive Geschwafel um Arbeitslosigkeit und
Wirtschaftsstandorte ein, sondern bleibt seiner strikt individuell gefärbten
Linie in der Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene treu.
Richtiggehend humorig sind vor allem die rückblickenden Anekdoten. Die
schönste davon ist vielleicht die gemeinsame Reise mit seinen Freunden
1992 in einem klapprigen VW-Bus durch Polen und die damals kürzlich neu
hinzugekommenen deutschen Bundesländer. Als Illies eines Nachmittages
an der Ostsee (auf Rügen war's wohl) sich etwa an einem sommerlichen,
am Strand stattfindenden gemischten Volleyballspiel der Einheimischen beteiligte,
entledigten sich wiederum diese sämtlichst, was unseren Erzähler
nicht wenig vom eigentlichen Spielgeschehen ablenkte, nach und nach all ihrer
T-Shirts und kurzen Hosen, bis schließlich er allein noch mit Kleidung
am Leib auf dem Platz stand. Die Menschen im östlichen Teil Deutschlands
haben, soweit mir bekannt, eben einen wesentlich lockereren Umgang hinsichtlich
der Freikörperkultur, als viele von uns Wessis. Und in diesem Moment
keimte in dem jugendlichen Florian Illies das vage Gefühl auf, daß
es mit dem vollständigen Zusammenwachsen beider wiedervereinigter deutscher
Staaten doch noch ein gewisses Weilchen dauern könnte.....
****
Jeden Winter seit 12, 13 Jahren das gleiche Ritual: sollte gerade keine adäquate
Lektüre zur Hand sein, wandert, wie von selbst, ein Exemplar aus meinem
eigenen alten, eingeschränkten Fundus auf das kleine Schränkchen
neben meiner Schlaf- und Lesestatt. Allzu oft handelt es sich dabei um die
sich niemals abzunutzen scheinenden, ein jedes Mal erfrischend-anregenden
Lesegenuß garantierenden, wahn-witzigen, nichts und niemanden ernst
nehmenden, den gesamten Kosmos liebend umarmenden und zugleich sanft verspottenden
Werke des Douglas Adams.
Wie konnte es da in der kalten, ungemütlichen Phase rund um den Jahreswechsel
von '04 nach '05 anders sein?
"Per Anhalter Durch Die Galaxis" ist, um mal ein Wort an alle Uneingeweihten
zu richten, ein phantastischer Trip quer durch die verschiedensten Dimensionen
von Zeit, Raum und Humoreske, ein intergalaktisches Spektakulum welches mit
einem gewaltigen Rumms beginnt, indem die Erde einer Hyperraum-Expreßroute
im Wege steht und deswegen kurzerhand in die Luft gesprengt, ins Vakuum hinein
zerstäubt wird - und welches sich daran anschließend langsam steigert.....
Das, wenn auch folgerichtige, jedoch manchem dann möglicherweise doch
etwas zu drastisch ausgefallene Finale, dürfte sicherlich nicht jeden
Fan der Serie glücklich gestimmt haben (ich fand's absolut okeh). Nichtsdestotrotz
ist "Einmal Rupert Und Zurück" ein insgesamt wirklich gelungener, würdiger
Abschluß der mit allerletzter Wahrscheinlichkeit brillantesten fünfteiligen
Trilogie, welche in diesem Teil eines lahmen und längst aus der Mode
gekommenen Spiralarms unserer Galaxie, der Milchstraße, zu erschaffen
jemand tatsächlich die Dreistigkeit besaß.
******
Ein erfreulicher Nachtrag:
Mitte Juni 2005 soll eine Verfilmung des ersten "Per Anhalter Durch Die Galaxis"-Teils,
an deren Drehbuch Douglas Adams vor seinem plötzlichen Dahinscheiden noch
entscheidend und erweiternd mitgearbeitet haben soll, in die Kinos kommen. Bei
den heutigen akustischen und vor allem visuellen technischen Möglichkeiten,
denen, im Gegensatz zur BBC-Fernsehserien-Version von Mitte der Achtziger, beispielsweise
Zaphods zweiter Kopf und dritter Arm keinerlei Darstellungsschwierigkeiten mehr
bereiten sollte, darf man sich wohl auf ein optisch wie stilistisch fulminantes
Feuerwerk bei der Umsetzung dieses kultisch verehrten modernen Klassikers erhoffen.
Augen & Ohren offenhalten - und reingehen!
Vollkommen im enthusiasmierten Überschwang bringe ich nochmals einen witzigen
und hintersinnigen, einen meiner Lieblingsabsätze aus "Mostly Harmless",
wie der abschließende Roman passender im englischen Original betitelt
wurde:
Er begab sich in die Außenbezirke des östlichen Randes der Galaxis, wo, wenigstens angeblich, Weisheit und Wahrheit zu finden waren, insbesondere auf dem Planeten Hawalius, wo es etliche Orakel und Seher und Wahrsager gab und außerdem jede Menge Pizza-Buden, weil die meisten Mystiker vollkommen unfähig waren, sich selbst etwas zu kochen.
Geniale Story, ein ungemein fantasievoller Kriminalroman, ein Parforceritt
durch alle möglichen Genres.
Nicht wie der "Anhalter" vordergründig auf Gags aus und weit weniger
sprunghaft, sondern vielmehr auf einer ausgeklügelten Handlung aufbauend
- und dennoch fast ebenso witzig!
Neben dieses obig genannten Aspektes tragen natürlich die erst einmal
recht verstreuten, sehr unterschiedlichen, höchst famosen Charaktere
wieder einmal viel zum gelingen bei. Anfänglich dauert es aber halt ein
wenig, bis sich die einzelnen losen, parallel verlaufenden Stränge zu
einem Ganzen, zu einer gelungenen, weltumspannenden, zeitauflösenden
Komposition zusammenfügen.
Nur die finale Auflösung - und, Keine Panik!, ich verrate damit
nicht zuviel -, als Dirk Gently beim englischen Dichter Samuel Coleridge ("Xanadu")
reinplatzt, ihn mehr als eine geschlagene Stunde zuquatscht und mit dieser
Aktion den gesamten Planeten rettet - also, die hab' ich trotz fünf-,
sechsmaligem Lesen nie so ganz kapiert...
******
Ein abermaliger bunter, phantastischer Reigen, dieses Mal unter denkenswerter
Einbeziehung der nordischen Mythologie.
Mit der morgendlichen Aufwach-, der Abschlepp-, der Dachboden-, der Nervenheilanstalt-,
der Straßenlaternen- oder der Wallhallaorgie-Szene, sind Adams einige
seiner besten Sequenzen gelungen. Und wie immer schüttelt er aus seinen
weiten Autorenärmeln einige faszinierende Trümpfe personeller Art:
etwa mit der dauergenervten Kate Schechter, die ihrer Neugier ein unerwartetes
wie reichlich bizarres Date mit dem wortkargen skandinavischen Donnergott
Thor verdankt, welcher wiederum wegen irgendwas aber so richtig sauer
ist; dem namenlosen, fernsehdauerglotzenden und kommunikationsunfähigen
Jungen; dem Penner in der Londoner Kings Cross Station, der zwar einen radikalen
Identitätswechsel durchlebt, seinem Verhalten und vor allem seiner äußerst
sparsamen, deutungsoffenen, vornehmlich aus oh...ah... -Lauten bestehenden
Kommunikationstechnik erstaunlich treu bleibt; oder unseren Mr. Standish,
der köstlich hintergründigen wie realitätsnahen Karikatur eines
höchst bornierten, hochnäsigen, affektierten, engstirnigen englischen
Sanatoriumsdirektors; dem amtsmüden nordischen Hauptgott Odin, welcher
sich als Mr. Standishs wertvollster Privatpatient in dessen Anstalt zur annhemlichen,
in frisches, kühles Leinentuch eingeschlagenen Ruhe betten läßt;
dem kaltschnäutzigen Sgt. Gilks, einem dominanten kriminalistischen Charakterkopf,
welcher in beiden Romanen jeweils einen prägnanten Kurzauftritt zugesprochen
bekommt; oder aber dem aalglatten Anwalt Draycott, welcher Dirk Gently in
einem mehrseitigen, gerissenen, konspirativen Schlußplädoyer -
inklusive einiger beleidigender Bestechungsangebote - von seiner in der Tat
fragwürdigen Redlichkeit zu überzeugen und auf seine Seite zu ziehen
versucht; und schließlich natürlich noch unser holistischer Detektiv,
Dirk Gently höchstselbst, welcher seinen Alltag lebenskünstlerisch
von der lässigen Seite zu nehmen weiß, sich dabei auch von bedrohlich-ominösen
Kühlschränken, aufdringlichen Adlern mit Runenmustern im Federkleid
oder kopflosen Klienten nur unwesentlich aus der naturgegebenen Ruhe bringen
läßt, und der, entgegen seines kuriosen Auftretens, sich als ein
echtes Cleverle ausweist. Sozusagen sowas wie ein Unterschichten-Sherlock
Holmes... Neben Jeff "Dude" Lebowski die wohl sympathischste, weitgehendste
Identifikationsfigur, die mir persönlich in Film und Literatur bislang
untergekommen ist.
"Ach, ich hoffe doch, Sie werden die Zeitung bezahlen wollen, nicht
wahr, Mr. Dirk, Sir?" sagte der Zeitungshändler, der freundlich
hinter ihm hergetrottet kam.
"Ach Bates", sagte Dirk hochnäsig. "Sie und Ihre
Hoffnungen. Immer hoffen Sie dies und hoffen Sie jenes. Darf ich Ihnen zu
mehr Gelassenheit raten? Ein Leben, das mit Hoffnungen überfrachtet ist,
ist ein schweres Leben. Seine Früchte sind Sorgen und Enttäuschungen.
Lernen Sie eins zu sein mit den Freuden des Augenblicks."
Ein Roman, so sprühend ideenreich, geistreich und charakteristisch
wortgewandt wie eigentlich alles von Douglas Adams, ein weiteres feinsinniges
Juwel inmitten eines charismatischen Ouevres wider die pure Vernunft, von
einem der - allenfalls mit einem Hauch von Ironie von mir derart bezeichneten
- Frühvollendeten.
******
Lesen.
******
Lesen.
Mindestens zweimal.
Am besten gleich heute.
Noch besser bereits gestern.
Dann die Verfilmungen ansehen.
"Odyssee 2010" mindestens zweimal.
"2001 - Odyssee Im Weltraum" mindestens viermal.
****** & ******
Er flog durch eine ungeahnte Form der Schöpfung,
von der nur wenige Menschen
je geträumt hatten.
Unser allerliebster russischer Emigrant, wohnhaft in Berlin-Kreuzberg, legt
wieder einmal eine honorige Sammlung reflektorischer Anekdoten über sein
Leben und seine Umgebung vor. Familie, Verwandtschaft, Freunde, Nachbarn,
Haustiere, Behörden, Technik, Kultur, Sitten und Gebräuche: alles
Denk- und Verwertbare wird dabei miteinbezogen. Die Sonderheiten der koexistierenden
Nationalitäten rücken zwar nur gelegentlich in den Vordergrund,
aber beim Lesen gewinnt man durchaus den einen oder anderen exemplarischen
Eindruck von der russischen, wie auch einen perspektivdivergenten der deutschen
Mentalität. Mit sanfter Ironie und feinem Humor setzt Kaminer sich mit
den Tücken des modernen gesellschaftlichen Daseins und Erfahrungen des
Familienlebens in sinnigen Alltagsbeobachtungen auseinander.
Gefiel mir tatsächlich noch ein ganzes Stückchen besser als sein
(durchaus beachtenswertes) "Deutsches Dschungelbuch".
Wirklich klasse!
*****
Der Untertitel sagt eigentlich schon alles.
Roger Willemsen ist als rhetorisch beschlagener, warmherziger, vielseitig
gebildeter, ungemein auf's Leben neugieriger und an seinen Mitmenschen interessierter
Intellektueller ein stets gerne gesehener Gast in TV-Talkrunden. Die Einstellung
seiner eigenen, Willemsen's Woche titulierten, hinterläßt
auch nach Jahren noch eine ungeschlossene Lücke in der medialen Landschaft.
Das vorliegende episodenhafte, sich über mehrere Jahre von Roger Willemsens
Arbeit erstreckende Buch erfüllt denn auch die in es gesetzten Erwartungen
vollkommen, in seiner einerseits unglaublich sympathischen wie ehrlichen,
und andererseits sprachlich wie analytisch Grenzen auslotenden Art.
Empfehlung!
******
Ethan Hawke ist ein von mir sehr geschätzter Schauspieler, welcher u.a.
mitwirkte in "Der Club Der Toten Dichter", "Reality Bites", "Schnee Der Auf
Zedern Fällt", "Große Erwartungen", "Gattaca", "Training Day" oder
einem meiner All Time Favourites "Before Sunrise", dessen ein Jahrzehnt danach,
wiederum mit Julie Delpy und Ethan Hawke entstandene Fortsetzung "Before Sunset",
sich mir leider bislang keine Gelegenheit zu sehen auftat. Seit kurzem beschränkt
sich Mr. Hawke nicht allein auf das Darstellen und Umsetzen von Geschichten
auf der Kinoleinwand, sondern er erfindet kurzenhand selber welche. Die vorliegende
bringt uns den amerikanischen, mäßig bekannten Schauspieler (...)
William näher, der sich in die ambivalent flippige und zugleich in sich
selbst zurückgezogene Kinderpädagogin Polly (oderwieauchimmer -
an den richtigen Namen kann ich mich Monate danach nun wirklich nicht mehr
erinnern) rückhaltlos verliebt. Nach einigem Werben erwidert sie seine
Gefühle, die beiden verbringen mehrere liebestrunkene Wochen zusammen
in Paris (...), wo William einem beruflichen Engagement nachgeht. Polly fliegt
zurück in die Staaten und als Will einen Monat später nachkommt,
zeigt sie sich unvermittelt seltsam abweisend und distanziert, vertröstet
ihn mit dem von Frauen offensichtlich gerne bemühten, versöhnlich
gemeinten und dennoch vom männlichen Geschlecht ungern vernommenen du,-ich-möchte-mich-momentan-nicht-binden,-laß-uns-doch-einfach-nur-Freunde-sein-Spruch.
Von diesem Vorschlag alles andere als begeistert und wie vor den Kopf gestoßen,
schlittert William in eine handfeste Krise und zeigt dabei phasenweise geradezu
unangenehm neurotische Züge.
Wie's schließlich ausgeht, bleibt an dieser Stelle allerdings unausgesprochen.
Wieviel an Persönlichkeit vom Autor an seinen Hauptdarsteller übertragen
wurde, wäre eine reizvolle Interviewfrage. Jedenfalls verkneife ich mir
als Fazit die Spitze, er solle seine kreativen Betätigungen zukünftig
doch bitte allein dem Felde der Schauspielerei widmen, nein, denn Ethan Hawke
legte mit "Hin Und Weg" einem mehr als ordentlichen Roman vor über die
Liebeslust, mehr aber noch über deren Schattenseite, den Liebesfrust.
***
Die tagebuchartig verfasste Geschichte einer Frau, die urplötzlich durch
eine massive, durchsichtige Wand von ihrer Mitwelt abgeschnitten wird und
in ihrer einsamen Jagdhütte inmitten eines Waldes, in welcher sie eigentlich
mit einem befreundeten Ehepaar nur ihren Urlaub verbringen wollte, fortan
völlig auf sich selbst gestellt und allein in der Gesellschaft einer
Kuh, mehrerer Katzen und ihrem Hund, weiter- und überleben muß.
Erklärungen über Herkunft und Zweck der ominösen Wand werden
keine gemacht. Der Leser nimmt ausschließlich an dem gedanklichen Monolog
der Protagonistin teil. Es gibt nicht einen einzigen Dialog und die Erzählerin
stellt sich noch nicht einmal namentlich vor. Karg und stilistisch nur auf
das Notwendigste reduziert, vollzieht man die Ängste, Sorgen, Nöte,
Freuden, soziologischen, moralischen, religiösen Erkenntnisse nach, die
persönliche Entwicklung der Frau unter den und durch die auferlegten
Umstände(n), über einen Zeitraum mehrerer Jahre hinweg. Nachdem
es immer wieder einmal Schicksalsschläge zu verkraften gilt, endet die
Aufzeichnung in einer erschütternden Tragik, welche dennoch allesamt
die letzte glimmende Hoffnung auf eine mögliche Zukunft und den zähen
Willen weiterzumachen, die immens gewachsene Verantwortlichkeit unzerstört
lassen.
Ein beeindruckendes, an mehreren Stellen sehr bewegendes Buch, das zwar auch
seine Längen und Zähigkeiten beinhaltet, wenn etwa allzu oft alltägliche
Problematiken verhandelt werden, aber auch und gerade das gehört zu einem
authentischen, realistischen Bild dazu. Eine wirklich einfühlsame, brillante
Charakterstudie, welche den Lesenden sich in diese außergewöhnliche
Situation mithineinversetzen läßt, sogleich eine anwachsende intime
Nähe zur anderen, sich mitteilenden, offenbarenden Person schafft - und
die sicherlich niemanden unberührt lassen dürfte.
*****(*)
Wahrscheinlich geht es nicht allein mir so, aber je älter ich werde,
umso weniger interessiere ich mich für irgendwelchen Action-Scheiß,
abenteuerliche Heldengeschichten, großangelegte Katastrophenszenarien.
Jedoch desto mehr für das ebenso spannende Abenteuer des alltäglichen
Lebens, der vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen, für die
"ganz normalen Leute" und deren biographischen Werdegänge, Ansichten,
Schicksale, gesellschaftlichen Verflechtungen. Leute, die zwar unter Umständen
mit besonderen Verwerfungen und Herausforderungen zu kämpfen haben, ansonsten
aber ohne weiteres direkt nebenan wohnhaft sein könnten. Leute, bei denen
eine Identifikation und Anteilnahme leicht fällt, und die einem möglicherweise
neue, bislang kaum wahrgenommene Facetten des Daseins in unserer Zivilisation
von Augen führen.
Genau darüber, über diese Leute, und die Zusammenhänge in unserer
Gesellschaft schreibt Jonathan Franzen in seinem viel diskutierten und von
der Kritik hochgelobten Roman "Die Korrekturen". Er zeigt darin vor allem
einen Ausschnitt aus der amerikanischen (oberen) Mittelschicht anhand einer
bestimmten Familie. Die konservativen Eltern leben weiterhin in dem spießigen
Kleinstadtidyll, in dem sie aufwuchsen, während die drei erwachsenen
Nachkommen versuchen, ihr Glück in den Großstädten zu finden.
Die sehr auf die äußerliche Form, sozialen Status, Normerfüllung
und Harmonie um jeden Preis bedachte Mutter Enid hat sich, belastet mit ihrem
zusehends geistig und körperlich abbauenden Ehemann Al, in den Kopf gesetzt,
die gesamte Familie für ein allerletztes gemeinsames Weihnachtsfest zusammen
zu bringen. Als dieses schließlich stattfindet, endet es entgegen ihrer
Wunschvorstellung natürlich im Desaster, zeigt es doch anschaulich, wie
sehr man sich voneinander entfremdet hat und wie sehr ein jeder mit sich selbst
beschäftig ist, mit seinen derzeitigen Angelegenheiten, Problemen und
Sorgen. Dennoch findet man neue Anknüpfungspunkte, vor allem, als der
Vater schließlich im Sterben liegt. Chip und Denise, die beiden Kinder
in den Mittdreißigern, sind recht umgängliche, sympathische Figuren,
während der etwas ältere Bruder Gary mit seinem übersteigerten
Kontrollwillen, seinen neurotischen, innerhalb seiner eigenen Familie regelrecht
paranioden Zügen, einen faszinierenden psychopathologischen Befund abgibt,
ohne dabei jetzt wirklich überzogen oder unglaubwürdig karikaturhaft
zu wirken. Witziger- und ironischerweise verkörpert gerade er, Gary,
von den drei Kindern nach außen hin das gesellschaftlich anerkannte
Ideal des treusorgenden Vaters, guten Ehemannes und erfolgreichen Geschäftsmannes.
Die Kehrseite ist komplexzerfressen, innerlich ausgehöhlt und verkorkst.
So, das sollte als erster Einblick genügen, dieses Werk ist eh zu ausufernd
und vielschichtig, um ihm an dieser Stelle überhaupt annähernd angemessen
gerecht werden zu können.
Gewiss kein einfacher Lesestoff. Aber lohnender.
Eine sprachgewaltige, hochintelligente Sozial- und Charakterstudie.
******
Die erläuternde Untertitelung lautet Pflanzen als Lebewesen mit Charakter
und Seele, und ihre Reaktionen in den physischen und emotionalen Beziehungen
zum Menschen. Das sagt eigentlich bereits das Wesentliche über diese
fundierte und verblüffende Abhandlung. Das Buch ist zwar, wenn auch eher
selten, die historischen, medizinischen, ökologischen und biologischen
Ausführungen betreffend etwas weitschweifig, sowie mittlerweile ein wenig
betagt, nämlich über drei Jahrzehnte alt, seine Aktualität
behält es dennoch nach wie vor mittels seiner zeitlosen Brisanz hinsichtlich
des eigenen Natur- und Weltverständnises.
Verdammt interessant!
*****
Eher gefriere die Hölle zu, als daß Paulo Coelho auch nur einen
halbwegs intelligenten Satz zustande brächte. Wahrscheinlich gebrauchte
er einen originelleren, wenn auch kaum schmeichelhafteren Vergleich, um sein
Mißfallen gegenüber dem meistgelesenen Werk des genannten brasilianischen
Schriftstellers kundzutun, als der ARD-Literaturkritiker Denis Scheck in seiner
Sendung "Druckfrisch" wieder einmal die Spiegel-Bestsellerliste genüßlich
durchforstete. Über den genauen Wortlaut läßt mich meine Erinnerung
etwas im unklaren. Jedenfalls ging er damit, den Alchimisten nur wenige Monate
später abermals in Händen halten müssend, noch um einiges rüder
um. In dieser zweiten Eskalationsstufe nannte er ihn einen literarischen Wiedergänger,
einen papiernen Vampir, welcher sich zu seiner jahrzehntelangen untoten Existenz
durch Aussaugen abgeschmacktester New Age- und Märchen-Themen verholfen
hätte, und der sich nach wie vor an der kostbaren Lebenszeit ahnungsloser
und unschuldiger Leserscharen labe. Herr Scheck spricht's, holt unter dem
Tisch einen eindrucksvollen, vorne zugespitzten Holzpflock hervor (!) - und
treibt diesen mit einem schweren Hammer mitten durch das dünne Büchlein
hindurch...! Harhar, ein wirklich gelungener Joke! Damit dürfte sich
das Thema - zumindest für ihn - endgültig erledigt haben.
Überhaupt scheinen eher intellektuell und rational orientierte Menschen
bei Nennung von Coelhos Bestseller grundsätzlich unwirsch abzuwinken,
was man beispielsweise bei der Deutschlands 100 Lieblingsbücher ermittelnden
Wahl, deren Ergebnis vom ZDF in einer mehrstündigen Galasendung vorgestellt
wurde, abermals anschaulich feststellen durfte.
Davon nicht unvorbelastet, jedoch mit ungebrochenem Interesse, da ich mir
ein grundsätzliches Faible für philosophisch angehauchte Erzählungen
erhalten habe, lieh ich mir den Alchimisten dennoch aus. Dem Widerwillen der
geistigen Elite ist ja diesbezüglich nicht immer vollkommen zu trauen
und, wie sagt man so schön: über 20 Millionen Käufer weltweit
können wohl kaum irren.
Oder?
Scheinbar doch.
Denn die Geschichte um den einfachen andalusischen Hirten, der von seinen
Träumen, einer Wahrsagerin und schließlich einem klugscheißerischen,
aufdringlichen Alten dazu bewogen wird, seine Herde Schafe zu verkaufen, um
sich zu einer abenteuerlichen Suche nach einem sagenhaften Schatz im fernen
Ägypten aufzumachen, war in ihrer Schlichtheit selbst mir zu viel. Einfach
zu hausbacken und naiv, durchsetzt mit oftmals geradezu hirnerweichenden existenzialistischen
Binsenweisheiten. Vielleicht war es ein Fehler, das Büchlein direkt im
Anschluß an einen wirklich smarten Autor und rhetorischen Titanen wie
Jonathan Franzen folgen zu lassen, da konnte es eigentlich von vorneherein
nur abstinken und verlieren. Ich kämpfte mich trotzdem heroisch, entlang
eines dünnen erzählerischen Rinnsals, durch die ersten 50 Seiten
dieser gedanklichen Wüstenei, gab schließlich zu Tode gelangweilt
und auch ein bißchen entnervt auf. Und mir eine Woche später doch
zumindest noch so die letzten 20, 30 Seiten, nur für den unwahrscheinlichen
Fall, daß Coelho am Ende wider Erwarten vielleicht doch noch ein fulminantes
Feuerwerk abbrenne, welches all die investierte Aufmerksamkeit lohne. Zur
Antwort ein ernüchtertes: nicht wirklich...
"Der Alchimist" mag sich allenfalls für Leute als befriedigend erweisen,
die sonst niemals ein Buch zur Hand nehmen und ihn von wohlmeinenden Bekannten
ans Herz gelegt, um nicht zu sagen: aufgedrängt bekamen, und die sich,
nachdem sie sich endlich durch die 170 Seiten hindurchschleppten, etwa eine
gute Stunde lang wohlig wähnen dürfen in dem sicheren, stolz-erhabenen
Gefühl, soeben einen der Gipfel der Welterkenntnis erklommen zu haben.
Um sich anschließend dankbar wieder ihren Daily Soaps, nachmittäglichen
Talkshows, Fitness- und Automobilzeitschriften zuwenden zu dürfen...
Okay, okay, selbst wenn das alles zugegebenermaßen natürlich keinesfalls
so richtig schlecht oder trashig ist und die eine oder andere Aussage tatsächlich
ganz nett, bleibt "Der Alchimist" die Rechtfertigung seiner Erschaffung letztlich
doch schuldig. Gut gemeint ist halt was anderes als gut gemacht. Das hier
ist alles in allem eine seichte, verblasene, häufiges Augenrollen provozierende,
betulich-spießerhafte Gutmenschenlektüre in mächenartiger
Darreichungsform und von hochvaliumartiger Wirkungsweise. Zu den zweifelsohne
auftretenden Risiken und Nebenwirkungen fragen sie bitte den Buchhändler
oder Feuilletonisten ihres Vertrauens.
Danke für garnix - und auf Nimmerwiederlesen!
*
Klar, der Titel wußte mich sofort anzusprechen, haha....!
Dieser deutsche Klassiker ist dem vorig besprochenen Buch von Paulo Coelho
im Grunde sehr ähnlich. Auch hier geht es um einen einfachen, etwas naiven
und gleichzeitig lebensklugen Typen, der in die weite Welt hinaus zieht, um
sein Glück zu finden, und der auf seiner verschlungenen Reise allerei
Bekanntschaften und Erfahrungen macht.
Nichts wirklich weltbewegendes, aber die schlichte und gleichzeitig wunderbar
gespreizte Sprache gefiel mir, wie auch die durchaus angenehme Tatsache, daß
Eichendorff im Gegensatz zu Coelho es dankenswerterweise unterläßt,
sich in seichtem, pseudo-philosophischem Geblubber zu ergehen.
Nett.
**(*)
Uff! Was für ein Gelaber........!
Es kommt eher selten vor, daß ich mich einen Roman abzubrechen gezwungen
sehe. Bei Norfolks zweitem blieb mir kaum etwas anderes übrig, nachdem
ich über Wochen hinweg vergeblich versuchte, Zugang zu diesem farblosen,
eigenschaftslosen, abweisenden, unergründlichen Wörtermonolithen
zu erlangen. Ich hab's mehrmals versucht, bin an verschiedenen Stellen, späteren
Kapiteln eingestiegen, das letztendliche Ergebnis belief sich allenfalls auf
einen bedauernswerten Verlust an Zeit und Geduld. Das mußte wohl erzwungenermaßen
herauskommen, wenn einer, wahrscheinlich den Booker Prize fest auf
dem inneren Monitor, versucht "Kunst" zu fabrizieren und dabei, ein kleiiiin
wenig zu selbstverliebt in seine ohne Frage gewaltigst vorhandenen rhetorischen
Fähigkeiten, wissentlich seine gutwillige Leserschaft der unmittelbaren
Gefahr auszusetzen bereit ist, schlicht und einfach totgequatscht zu werden.
Wenn man mal einen informativen, zugleich spannenden und anrührenden
Roman über's Mittelalter lesen möchte, sollte man sich weiterhin
eher etwa an Tanja Kinkels "Die Puppenspieler" oder natürlich Umberto
Ecos Klassiker "Der Name Der Rose" halten.
Sorry, aber dieser Autor hier, der ist, jedenfalls für mich, einfach
zu clever.....
*(*)
Dieser 1989 erschienene Roman Austers ist kaum weniger seltsam, kaum weniger
seltsam verschlungen, wie auch kaum weniger seltsam faszinierend, als sein
aktueller, im vorletzten Quartal bereits besprochener, "Nacht Des Orakels"
betitelter. Hier nun läßt er seinen jungen Ich-Erzähler namens
Marco Stanley Fogg durch einen kurzen, verworrenen, wendungsvollen Abschnitt
seiner Lebensgeschichte stolpern, welcher in eigentlich jedem der sieben Kapitel
in ein völlig neues Stadium übergeht. Wobei sich entscheidende Zusammenhänge
erst nach und nach eröffnen. Zentral ist die spannungsreiche Beziehung
zu einem alten, schwierigen, durchtriebenen, mitunter sukrrilen Mann, dessen
Betreuung zuerst nur ein zwar alles andere als einfacher, wenngleich gutbezahlter
Job ist, sich jedoch als voller Bedeutsamkeit für sein eigenes Dasein
offenbart.
Insgesamt war "Mond Über Manhattan" nun wirklich keine allzu leichtverdauliche
Lektüre. Was einen trotzdem und vor allem bis zum Ende weiterlesen läßt,
ist allerdings weniger ein eventuelles herausragendes Entertainment, welches
man bei Auster auch nicht unbedingt erwarten sollte, sondern vielmehr die
eigentümliche Spannung, die sich aus seinen starken, einzigartigen Figuren
und ihren oft kuriosen Schicksalsverflechtungen ergibt - von der offensichtlichen
Vorliebe des Autors für abgefahrene Koinzidenzen zeugen gerade hier einige
anschauliche Beispiele. Außerdem ist Auster - was für alle guten
Schriftsteller natürlich grundsätzlich gelten sollte - ein sehr
guter Beobachter mit profunder Menschenkenntnis, und er streut desöfteren
wirklich originelle Formulierungen, schöne Metaphern, psychologische
Feinsinnigkeiten oder unerwartete und blitzgescheite Erkenntnisse im Laufe
der Handlung aus. Als Zeugnis sei ein kurzer Gedanke, gerade weil ich ihn
als mich herausfordernd, ihn so ungewöhnlich wie interessant fand, zitiert:
"Der wahre Zweck der Kunst bestand nicht darin, schöne Dinge zu erschaffen,
sondern, wie er herausfand, im Begreifen, im Durchdringen der Welt und darin,
seinen Platz in ihr zu finden; und die etwaigen ästhetischen Qualitäten
eines Gemäldes waren praktisch nur ein zufälliges Nebenprodukt des
Strebens, sich an diesem Kampf zu beteiligen, sich in das Chaos der Dinge
zu stürzen."
Dies wäre dann quasi ein komplementärer Standpunkt zu meiner
eigenen Sicht, welche wiederum eher von einer ästhetischen Perspektive
ausgeht; sowie einem beabsichtigten Hintersichlassen der alltäglichen
und allzubekannten Realität, um die Neuschöpfung einer eigenständigen,
einer vielmehr utopischen, ideellen Welt und Wirklichkeit - die sich logischerweise
immer auf die alte, bestehende bezieht, sie als Ausgangspunkt benutzend -
zu forcieren, in welcher es dem ruhelos-kreativen menschlichen Geist ermöglicht
wird, zeitweilig einen andersartigen, alternativen Platz im Kosmos einzunehmen,
möglicherweise eine neue, angemessenere Umgebung und Erscheinungsform
vorzufinden.
Bemerkenswert ist auch der offene Schluß des Buches, durch welchen Auster
den Leser, je nach dessen Veranlagung, zu einer eigenen fortführenden
Interpretation einlädt. Man soll ja möglichst wenig im voraus verraten,
schon gar nicht den Ausgang. Da ich allerdings die Wahrscheinlichkeit, daß
eine/r unserer (wenigen) Leser/innen sich das Buch nach Kenntnisnahme dieser
Rezension tatsächlich irgendwann geben könnte, als sehr gering einschätze,
wage ich einmal mehr, zu einem meiner Lieblingsthemen unangemessen explizit
zu werden und meine persönliche Einschätzung zum Finale offenherzig
zum besten zu geben: Nach der durchlaufenen Achterbahnfahrt der vorhergehenden
Ereignisse sehen wir unseren (Anti-) Helden, wieder einmal eines Lebensfadens
verlustig gegangen, bindungs- und richtungslos im existenziellen wie geographischen
Nirgendwo stehen, vor einem abermaligen Neuanfang, welcher jedoch im motivationsarmen,
undurchsichtigen Dunkel einer entleerten Zukunft verborgen bleibt. Als er
in einem abgelegenen Landstrich zum Parkplatz zurückkommend feststellen
muß, daß irgendein gewissenloses Arschloch seinen Wagen - mit
zehntausend Dollar einer Erbschaft im Kofferraum, shit happens! - geklaut
hat und damit alles, was ihm noch auf Erden blieb, er also von einem scheinbar
blinden, widrigen Schicksal einmal mehr, und einmal zuviel!, ordentlich eins
reingewürgt bekam, dreht er wutentbrannt und mehr als verständlich,
ein wenig durch. Nahm er zuvor alle Geschehnisse und Veränderungen, grundsätzlich
alles, wie's halt gerade kam, und was das Leben so für ihn bereit hielt
mit einer gewissen stoischen Gelassenheit hin, macht er sich nun, vom anfänglichen
Zorn auf die Umstände angetrieben, kopflos auf einen hunderte, vielleicht
tausende Meilen langen Fußmarsch... "...im übrigen aber ging
ich ohne Unterbrechung auf den Pazifik zu, getragen von einem sich ständig
steigernden Glücksgefühl. Ich spürte, wenn ich das Ende des
Kontinents erreichen würde, läge dort die Antwort auf irgendeine
wichtige Frage bereit. Ich hatte keine Ahnung, wie diese Frage lautete, aber
die Antwort war bereits in meinen Schritten vorgeformt, und ich brauchte nur
weiterzugehen, um zu erfahren, daß ich mich selbst hinter mir gelassen
hatte, daß ich jetzt nicht mehr der gleiche Mensch war wie früher.
... Ich hatte das Ende der Welt erreicht, dahinter waren nur noch Luft und
Wellen, eine Leere, die sich bis an die Küsten von China erstreckte.
Hier fange ich an, sagte ich zu mir, hier soll mein Leben anfangen." Er
wartet noch, bis der Vollmond emporsteigt und seinen Platz in der Dunkelheit
findet, und wendet sich dann ab. Man kann diesen Abschluß, wie oben
angedeutet, natürlich auch anders auslegen - aus meiner Sichtweise ergibt
sich daraus ein schlußendlicher, suizidaler Akt. Sozusagen die radikalste
Art des Neubeginns. Man hat sein Bestes gegeben, hat versucht sich irgendwie
durchzuschlagen, versucht, mit den zuweilen allzu garstigen Bedingungen klarzukommen,
versucht, auf Erden zumindest ansatzweise harmonische Verhältnisse herzustellen
und auf Ihr ein vorübergehendes Zuhause zu finden. Doch alle Stricke
sind schließlich gerissen und man kann sich mit jenseitsgerichtetem
Blick in dauerhaft geformtem, letzendlichem Gleichmut nur noch auf den Vers
"Leb wohl Frau Welt und schmücke / Dich wieder jung und glatt / Wir
sind von deinem Glücke / Und deinem Jammer satt" berufen. Wer könnte
es wagen, über eine solche Entscheidung richten zu wollen? Wer könnte,
nach so vielen irdischen Irrungen und Wirrungen, nach Auskosten aller denkbaren
Freude und allen denkbaren Leids, ernsthaft eine zur Abreise bereite und willige
Seele zurückhalten wollen, die, sehnsuchtsvoll und unmittelbar in sich
den lockenden Ruf ihrer eigentlichen Heimat vernimmt?
Und dennoch, aus dem schwachbegründeten, diffusen Gefühl heraus,
einen folgenschweren, konsequenzbehafteten Fehler zu begehen, unterlassen
wir es im allgemeinen, unser Exilantentum vorzeitig zu beenden.
Bei einer Situation wie im letzten Kapitel von "Mond Über Manhattan",
brächte ich für jemanden wie Austers Protagonisten allerdings vollstes
Verständnis auf. Für jemanden, der zuvor alle irdenen Möglichkeiten
bereits zur Genüge ausschöpfte, und, einverstanden wie geläutert
am abgründigen Rande der Ewigkeit stehend, den entscheidenden Schritt
vollführt, um in der Weite des Ozeans Übergang und Neubeginn zu
finden.......
Keine absolute Pflichtlektüre, aber genau wie "Nacht Des Orakels"
kann man sich auch "Mond Über Manhattan", um mal ein gleichlautendes
Fazit zu ziehen, bedenkenlos eingeben.
Wirklich interessant.
****(*)