Von
diesem englischen Schriftsteller hat man aus der einen oder anderen Quelle viel
Positives gehört, so daß man nur schwerlich vermeiden konnte, seiner
geweckten Neugier nachzukommen und nach seinen Werken Ausschau zu halten. Glücklicherweise
führt unsere Aschaffenburger Stadtbibliothek gleich drei seiner vier Romane,
die, wie ich zu meinem Verdruß feststellen mußte, jedoch außerordentlich
frequentiert sind und man unter den offenbar zahlreichen Interessenten sich
selbst dazu gratulieren darf, wenn man mal die Gelegenheit bekommt, ein Exemplar
wegschnappen und entleihen zu können; es hat sich mittlerweile also herumgesprochen,
daß es mit Hornby durchaus etwas auf sich hat. Denn seine scharfe Beobachtungsgabe
und das Talent diese literarisch umzumünzen, sind umgehend zu spüren.
Dabei muß Hornby den Leser nicht erst in ferne, phantastische Welten entführen
in denen es von exotischen Wesen wimmelt und die Helden irgendwelche besonderen
Fähigkeiten haben, um ihn zu verführen und in seinen Bann zu ziehen.
Er konstruiert keine außergewöhnlichen Umstände wie Mord, Verschwörung,
Krieg, Bedrohung durch übersinnliche oder außerirdische Mächte,
idealisierte Breitwandromantik usw., um künstlich Spannung, Dynamik, Gefühl
und Dramatik zu erzeugen. Nein, er schafft dies alles mit einem schlichten,
aber durchdringenden Blick auf den ganz stinknormalen menschlichen Alltag. Das
Leben schreibt eben seine ganz eigenen Geschichten und Dramen, welche erholsamerweise
so ganz ohne Schwertkämpfe, Schießereien oder ähnliches auskommen,
sondern allein durch ihre schonungslose Realitätsnähe und Ehrlichkeit,
veredelt durch Hornbys sarkastischen, humorvollen, spritzigen, psychologisch
den Finger immer wieder in mifühlender Art auf neuralgische Punkte legenden
Schreibstil, durch die fühlbar ihnen innewohnende Menschlichkeit, zu beeindrucken
wissen.
Allen seinen Romanen scheint jeweils ein grundlegendes Thema den äußeren
Rahmen zu verleihen. Bei "High Fidelity" (verfilmt mit John Cusack) ist es die
moderne Popkultur, bei "About A Boy" (verfilmt mit Hugh Grant) sind es die vereinzelten
Nöte und Freuden der ungebundenen Singles, bei "Fever Pitch" (verfilmt?
falls nicht, dann sicher bald) ist es die für manchen unerklärliche,
banale wie gewaltige Faszination des Fußballs, und schließlich bei
"How To Be Good" das der familiären Bindungen im englischen Mittelstand.
Vor allem letzteres hört sich erstmal abschreckend belanglos an - aber
wie immer bleibt weniger die Vorlage entscheidend, sondern was man in der Lage
ist, daraus hervorzukitzeln. In "How To Be Good" versucht jeder der Charaktere
auf seine ganz eigene Weise mit den Widrigkeiten des gesellschaftlichen Daseins
in Beruf und Familie, wie des Lebens allgemein und an sich zurechtzukommen,
und das Ganze einigermaßen zufrieden stellend, möglichst auch noch
sinnvoll zu gestalten. Da ist vor allem erstmal Kate Carr, die Ich-Erzählerin:
Ehefrau seit fast 20 Jahren, Mutter von zwei halbwüchsigen Kindern namens
Tom und Molly, und so ganz nebenbei noch allgemein-medizinische Ärztin.
Sie illustriert uns ihr Umfeld und die Personen darin auf ihre ganz eigene,
permanent mit piekigen sarkastischen Stacheln bewehrten subjektiven Sichtweise.
Etwa ihren Beruf, aus welchem sie wesentlich weniger ethische Legitimität
und Sinnhaftigkeit für sich selbst bezieht als der ursprünglich zu
dieser Wahl motivierende Wunsch suggerierte; dann der Scherbenhaufen ihrer Ehe,
das sich Auseinander- und nur noch Nebenherleben im Laufe der Jahre, begünstigt
durch ihren inzwischen frustrierten, zynischen Mann David, mit dem der Kontakt
sich größtenteils nur noch auf distanzierte Duldung oder offene Beleidigung
beschränkt und der eine regelmäßige giftige Kolumne in einer
Lokalzeitung verfaßt mit dem bezeichnenden Titel "Der zornigste Mann von
Holloway". Ein spontaner Scheidungsantrag und eine nicht geringer spontane Affäre
von Kate mit einem jüngeren Mann, die sich danach sehnt, wieder geliebt
und begehrt zu werden, verfehlen ihr Ziel die verfahrene Situation aufzubrechen
und die verkrusteten, zum Stillstand gekommenen Geschehnisse wieder in Fluß
zu bringen. Dies geschieht witzigerweise erst, als David zufällig mit dem
jugendlichen Wunderheiler DJ Goodnews zusammen trifft und durch dessen Einfluß
sich auf erstaunliche Weise völlig wandelt von einem bisher fiesen, deprimierten
Typen in einen nächstenliebenden, moralistischen, tugendhaften, philantropischen
Gutmenschen, von welchem selbst Ghandi, Albert Schweizer und Mutter Theresa
noch hätten lernen können. Etwas in dieser Richtung hatte sich Kate
zwar seit Jahren gewünscht, ironischerweise verschärft die unfaßbare
Wandlung ihres in seinen neuartigen altruistischen Neigungen nun unberechenbaren
Angetrauten die Verhältnisse zusehends. Als dann schließlich zu allem
Überfluß noch Goodnews in die Wohnung der Familie Carr einzieht,
um zusammen mit David zurückgezogen immer neue weltverbesserische Aktionen
auszuhecken und damit die auf so etwas völlig unvorbereitete Familie und
Nachbarschaft zu terrorisieren, wird durch die zwar erhoffte, so allerdings
nun wirklich nicht erwartete revolutionäre Veränderung plötzlich
Kates eigener moralischer Maßstab hinterfragt, ihr eigenes Selbst- und
Weltbild, dessen, wie die Dinge und Verhältnisse halt einmal schicksalhaft
und unverrückbar sind oder zumindest zu sein scheinen, auf eine harte Probe
gestellt und droht ihre eigene kleine Welt entgültig aus den Fugen geraten
zu lassen...
Erstaunlich, mit welcher Süffisanz und Leichtigkeit Nick Hornby solch schwere
individuelle, familiäre und gesellschaftliche Probleme wie Lieblosigkeit,
Kommunikationsunfähigkeit, Verständnislosigkeit, stumpfe Gewohnheit,
Verzweiflung und innere Leere, auffressen allen Freiraums und aller Möglichkeiten
zur persönlichen Selbstverwirklichung durch Beruf und Familie, oder aber
allgemeine, wuchernde Sinnlosigkeitsgefühle gedanklich aufgreift und verarbeitet.
Das, was seine Protagonisten durchmachen, das manchesmal nervtötende, hemmende,
abstumpfende des Daseins, dürfte einem jedem von uns mehr oder weniger
bereits bekannt vorkommen und wird somit zu einer sehr privaten Reise durch
die angeschlagene Psyche des Homo Zivilisationicus. Und - ob ihr's jetzt glaubt
oder nicht - zu einer verdammt unterhaltsamen und witzigen! Alleine Kates ständige
messerscharfe Kommentare zum Geschehen aus dem Off und die vielen originellen
wie treffsicheren Formulierungen sind einfach nur köstlich! Außerdem
ist mir Kates schlußendlicher Lösungsansatz so unendlich sympathisch...
Wenn ich auch ein halbes Sternchen für den seltsamen zweiseitigen Epilog,
der einen dann doch in etwas melancholischer Stimmung zurückläßt,
abziehen muß.
Ah....., ich glaube, ich muß mich da nachträglich ein wenig revidieren.
Wenn es im Epilog drei Tage hintereinander regnet, die Regenrinne total verstopft,
die Familie Carr mit vereinten Kräften selbige halsbrecherisch, genau wie
zuvor ihre kleine Gemeinschaft, erneut zum Laufen zu bringen versucht, und im
letzten Satz Kates Blick in den grauen Abendhimmel fällt und sie meint
trotz ihres neu erwachten, noch verhaltenen Lebensmutes zu sehen, daß
dort draußen alles leer ist, so mutet dies erst einmal vordergründig
pessimistisch an. Hornby wollte mit diesem finalen Stimmungsbild jedoch selbstverständlich
nicht Kates zuvor realisierte Erkenntnisse entwerten, sondern im Gegenteil verdeutlichen
und vertiefen. Denn egal wie grau, harsch und unerquicklich sie auch immer sein
mögen, die unbeeinflußbaren Umstände im äußeren,
sollte man gerade deshalb sich jederzeit die Möglichkeit offenhalten und
zugestehen, Zuflucht in seinem selbsterschaffenen inneren Refugium zu nehmen.
Aber nein, jetzt habe ich doch wieder mehr preisgegeben, als ich eigentlich
sollte.
Ein Wort noch zum ebenso passenden, schichten wie aussagekräftigen Coverfoto.
Hier wird sehr anschaulich die trotz unserer weltweiten elektronischen Vernetzung
weiterhin weitverbreitete, sich bei den meisten Menschen unperiodisch immer
mal einzustellen pflegende Kommunikationsunfähigkeit dargestellt. Man sieht
einen an seiner geringelten Schnur herabhängenden Telefonhörer, symbolträchtig
für einen unterbrochenen Kontakt stehend, für ein abrupt abgebrochenes
Gespräch. Wer weiß, vielleicht plappert es aus der Hörmuschel
munter weiter, vielleicht hat der Gesprächspartner am anderen Ende der
Leitung überhaupt nicht mitbekommen, daß ihm niemand mehr zuhört,
daß sich niemand für seine Belange und Erfahrungen interessiert,
daß in der von ihm erst später wahrgenommenen ernüchternden
Realität der Versuch eines Austauschs verweigert und er längst wieder
in die Isolation seines begrenzten Ichs zurück geworfen wurde? Hat nicht
ein jeder von uns schon erfahren müssen, wie immens schwierig es sein kann
einen "Draht" zum anderen zu finden, wenn man den waghalsigen, mitunter ungewollten
und zu anspruchsvollen Versuch unternimmt dem Verbindungsniveau einer Freundschaft,
einer Beziehung zu einer neuen, erweiterten Ebene zu verhelfen? Oder wenn es
darum geht, wirkliche Gefühle zu vermitteln? Und wie jene Dinge, die einem
selbst ungeheuer wichtig und bedeutungsvoll sind, während dessen am ansonsten
geschätzten Gegenüber echolos abprallen, welches ob diesem verwegenen
Brückenschlag vielleicht bestenfalls angestrengte Höflichkeit und
ein müdes Schulterzucken für einen selbst übrig hat?
Solche Themenkreise in einem Roman zu verarbeiten, ohne zu verkrampfen und damit
runter zu ziehen, ohne zu deprimieren, sondern zu unterhalten und unförmigste,
belastende Brocken in locker-flockig aufsteigende, pflanzengleiche emotionale
Samenwölkchen aufzulösen, das ist eine erlesene Kunst.
Anyway! Nick Hornby hat solches mit einer beneidenswert unbescheidenen Lässigkeit
meisterhaft drauf. Es ist ein absolut nicht alltägliches Stück Prosa
aus dem Alltag, welches dieser englische Kult-Autor uns hiermit dankenswerterweise
vorlegte.
This guy rules!
Wann immer es mir zukünftig möglich sein wird, allen Widrigkeiten
zum Trotz etwas abzuschnappen, werde ich von ihm noch mehr lesen.
Viel mehr.
V i e l mehr.
A l l e s !
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- Heiko - 08/03