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"Aus dem Thema, das ich euch gewiesen, machet nun in Harmonie gemeinsam eine Große Musik. Und weil ich euch mit der Unverlöschlichen Flamme angefacht habe, so zeiget eure Kräfte und führet mir dies Thema aus, ein jeder nach seiner Art und Kunst, wie's ihm beliebt. Ich aber will sitzen und lauschen und froh sein, daß durch euch solche Schönheit zum Liede erwacht."

Weltmusik und Musikwelten

In vielen Religionen und Mythen der Erdgeschichte findet sich der Glaube, die Überzeugung wieder, Gott habe das Universum durch einen Klang, ein Wort, einen Ur-Ton erschaffen.
Dieser Kenntnis folgend ließ etwa auch der Oxford-Professor Tolkien seine eigene Schöpfung, Mittelerde natürlich, im "Silmarillion" durch seinen Demiurgen Ilúvatar und dessen helfende Geistwesen, den Ainur, in einem großartig beschriebenen musikalischen Akt erschaffen, zu welchem obiges Zitat die Einleitung darstellt.
Die Schwingungen und der Gang der Gestirne, die Sphärenharmonie des Weltalls, all die dort herrschenden harmonikalen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten finden sich ebenso in unsere irdische Tonleiter, in unser menschliches Harmonieverständnis eingeprägt wieder. Somit ist denn auch jedes von Menschengeist erdachte, erträumte Lied eine eigene kleine Welt für sich, jedes Album, jede Symphonie eine miniaturisierte, individuelle Weltenschöpung.
Viele dieser Werke sind nicht nur einen, sondern oftmalige, ja unzählige Besuche wert. Dies gilt insbesondere für die faszinierenden Klanglandschaften eines von Australien nach England ausgewanderten Duos, das einst unter dem Namen Dead Can Dance firmierte, gehören diese doch zu den vielschichtigsten, farben- und formenreichsten, welche heute die grenzenlosen Weiten des Musik-Kosmos bereichern.
Lisa Gerrard und Brendan Perry kamen Anfang der Achtziger zusammen, um fortan gemeinsam einzigartigste Musiken zu komponieren, welche ihre Einflüsse aus vielen Zeitaltern und Kulturen der Erde -etwa traditioneller arabischer und asiatischer Musik, dem Mittelalter und der späteren Klassik Europas, sowie der Folklore verschiedenster Länder- beziehen. Doch nicht nur stilistisch transzendieren ihre Stücke Zeit und Raum, sind kultur- und geschichtsumspannend, sondern ihnen wohnt eine tief verwurzelte Spiritualität inne, welche die Seele des Menschen in ihrer Gänze zu durchdringen und emporzuheben in der Lage ist. Gerade auch die meist in der Quivvy Church aufgenommenen Gesänge der Beiden lassen die bisher gekannte Realität zugunsten einer anderen, verklärteren, zurückweichen. Wobei sie sich ergänzen wie Tag und Nacht, Sonne und Mond: Brendan, eher der intellektuelle Poet, mit seinem kühlen und doch unterschwellig immens leidenschaftlichen, melancholischen und doch lächelnd wissenden Timbre - und andererseits die intuitive Lisa, welche in meist textlosen Lautmalereien schwelgt, reichend von bedrückt und klagend, bis euphorisch, sakral oder einfach nur engelsgleich, und damit den Lauschenden mitunter bis an die äußersten Grenzen des Bewußtseins geleitend.
Das erste Album, schlicht "Dead Can Dance" betitelt, tendierte 1984 noch stark in die New bzw. Dark Wave-Ecke und die Fans dieses Stils entdeckten die Band auch als erste für sich. Doch war das Potenzial von Lisa und Brendan hier, wie noch verstärkt auf der im selben Jahr erschienen EP "Garden Of The Arcane Delights", v. a. bei Songs wie "The Arcane" & "Flowers Of The Sea", bereits erkennbar.
Nur ein Jahr danach erfuhr Dead Can Dances Kreativität ihre erste volle Blüte, in dem symphonischen düster-romantischen Schattengewächs "Spleen And Ideal". Erhabene Posaunen, getragene Celli und Violinen, sowie der von Lisa gespielte filigrane, exotisch anmutende Melodiewirbel des Yang Ch'in, einem mit kleinen Klöppeln angeschlagenen Saiteninstrument, verbinden sich mit dem mal schwermütigen, mal weltenthobenen Gesangsvortrag zu einem nachtgrün schimmerndem Klanggemälde.
"Within The Realms Of A Dying Sun" wurde 1987 das nächste Geschenk aus ihrem Innern. Vielleicht ihr vollkommenstes Werk. Eine musikalische Melange, des Dunkels und der Vergänglichkeit gemahnend, geheimnisvoll und ehrfurchtgebietend gleich einer unerwarteten Sonnenfinsternis - und doch zugleich ebenso strahlend wie die schillernde Korona eines Leben spendenden Glanzsterns, der im Kernschatten seines Mondes steht. Die erste Hälfte wird von Brendan etwa mit dem erlösungsbedürftigen "Anywhere Out Of This World" oder dem seufzend schönen "Xavier" gestaltet, während Lisa das Grande Finale mit dem zuerst verhaltenen, dann ungeahnte ekstatische Höhen erreichenden "Cantara" einleitet, welchem das himmlische "Summoning Of The Muse" und das nicht weniger hell erstrahlende, ebenso elysäische "Persephone" abschließend nachfolgen. Musik voller atem- und sprachlos machender Intensität und Mystik.
Gleiches läßt sich ebenso über die weiteren Alben "The Serpents Egg" '88, "Aion" '90, "Into The Labyrinth" '93 und den zu 2/3 aus unveröffentlichten Songs bestehenden 94er Livemitschnitt "Toward The Within" aussagen, auf welchen sie ihre persönliche Form der Weltmusik ausweiteten und verfeinerten. Ihr letztes Werk, "Spiritchaser" ('96), scheint schließlich zur Gänze die schwüle Luft des Amazonasbeckens zu atmen - "Normalerweise" bemerkt Lisa hierzu, "haben wir eine wunderbare Mischung von fertigen melodischen Strukturen, die sich meiner Stimme anpassen und umgekehrt. Diesmal war alles was wir hatten - Trommeln." Es fordert sicher noch mehr Offenheit vom Hörer als zuvor, dennoch ist dies Album, nicht zuletzt durch die vielen wunderbaren mehrstimmigen Gesänge und seine schmanistisch-hypnotische Wirkung, ein würdiger Abschied einer einzigartigen Formation.
Glücklicherweise laden uns Brendan Perry und Lisa Gerrard als Solo-Künstler auch weiterhin ein in ihre mit dem Gesamtgefüge in Einklang schwingenden Welten...

we are the stars which sing
we sing with our light
we are the birds of fire
we fly over the sky
our light is a voice
we make a road for the spirit to pass over

 

- Heiko - 03/02