Mir blieb keine andere Wahl, als mir den „Exorzisten“ im Cinemaxx anzusehen,
da der Film sonst nirgendwo anders in der Stadt lief. Cinemaxx bedeutet: viel
Glas, überall Werbeaufsteller, untot freundliches und uniformiertes Personal,
Menschenmengen, Flughafenatmosphäre und natürlich massenkompatible
Filme. Zudem muß man schon an der Kasse sagen, wo man denn sitzen möchte
und kann sich nicht erst im Kinosaal aussuchen, wen man denn lieber nicht als
Sitzpartner hätte. Ich entschied mich für links außen, weil
da nur drei Sessel nebeneinander festgeschraubt sind und man somit schon mal
vor Teenagerhorden verschont bleibt. Unglücklicherweise war ich 15 Minuten
zu früh dran und mußte somit das Cinemaxx-Publikum in seiner ganzen
Härte ertragen, welches beim Altersdurchschnitt irgendwo bei achtzehneinhalb
angesiedelt war, sich aber verzweifelt bemühte, älter und wichtiger
(vor dem Ausschalten des Handys nochmal schnell SMS checken und absenden - vermutlich
„Hallo Babsi, ich bin jetzt im Kino und leider für zwei Stunden nicht erreichbar“)
auszusehen.
Gruslig.
Auch die Leute, die dann den Saal, wo der „Exorzist“ lief, betraten, sahen nicht
viel anders aus, außer, daß sie alterfreigabenbedingt mindestens
16 waren. Bei den meisten war wohl davon auszugehen, daß sie nicht wußten,
daß der nun folgende Film eigentlich schon fast 30 Jahre alt war. Ich
hatte den Film bisher noch nicht gesehen, obwohl er schon einige Male im Fernsehen
gelaufen war. Vor Jahren hatte ich das zu Grunde liegende Buch von William Peter
Blatty (von ’71) gelesen. Ich wollte die Gelegenheit nicht verpassen, diesen
Klassiker nun sogar mal im Kino zu sehen, zumal diese Fassung gut 10 Minuten
länger dauert, was freilich wenig interessant ist, wenn man keinen Vergleich
hat.
Die
Story an sich ist schnell erzählt: Zwölfjähriges Mädchen
wird vom Teufel besessen, geifert dabei wie wild und gibt Obzönitäten
von sich, die in den früher 70ern noch mehr Anlaß zu Aufregung
gaben, als heute und wird, nachdem Neurologen und Psychiater versagt haben,
von zwei katholischen Priestern mittel Exorzismus von dem Dämon befreit.
Dabei ist dieses Mädchen, Regan, gespielt von Linda Blair, die bis an
ihr Lebensende „das grüne Kotze spuckende Mädchen aus dem ‚Exorzisten‘“
sein wird, anfangs so dermaßen zuckersüß (vielleicht liegt
das an den schauspielerischen Qualitäten, die man einer Zwölfjährigen
nicht zum Vorwurf machen darf), daß man es anschreien möchte „Halt
endlich die Klappe!“. Tut es dann ja auch.
OK, weiter im Text. Beim Exorzismus, dem „Rituale Romanum“, erliegt der ältere
der beiden Priester, der aus dem Irak angereist war, einem Herzinfarkt. Der
andere, während des gesamten Films von Glaubenszweifeln und Schuldgefühlen
gegenüber seiner verstorbenen Mutter geplagt, opfert sich zum Schluß
selbst, indem er den Teufel provoziert, das Mädchen zu verlassen und in
ihn zu fahren. Anschließend springt er aus dem Fenster.
Der
Film dauert jedoch über zwei Stunden und mag für heutige Maßstäbe,
die man an einen Horrorfilm legt, fast langatmig erscheinen. Die ersten vier
Seiten des Buches, in denen Ausgrabungen im Irak und Pater Merrins erste Visionen
des kommenden Unheils beschrieben werden, nehmen im Film fast die ersten zehn
Minuten ein. Es dauert dann nochmal seine Zeit, bis die ersten besessenheitsrelevanten
Anzeichen bei dem das Mädchen Regan zu beobachten sind, als es nämlich
vor der gesamten beschwingt feiernden Abendgesellschaft seiner Mutter schweigend
auf den Teppich uriniert. Mahlzeit. Die Symptome häufen sich (fluchen,
grüne und gelbe Flüssigkeiten spucken, Sprechen in fremden Sprachen,
Kopf-um-180-Grad-drehen, usw. ), und in der letzten halben Stunde wird’s heftiger.
Die geschickt eingesetzten Schockeffekte haben dann auch das - wohl eher handfestere
Action gewohnte - Cinemaxx-Publikum aus seiner partiellen Lethargie gerissen.
In den dreißig Minuten vor Schluß verließen fünf Leute
vorzeitig das Kino, was ansatzweise Rückschlüsse auf die Hysterie
zuläßt, die dieser Film vor 28 Jahren auslöste. Cool. Gut,
ich geb’s zu: Als im Film an einer völlig unverdächtigen Stelle
das Telefon läutete (nicht „düdeldidit“, sondern, wir befinden uns
im Analog-Zeitalter, „Rrrriiinngg!“), das, dank Stereophonie, links hinten
im Vorführraum zu stehen schien, zuckte ich ganz schön zusammen.
Was mir bei anderen Filmen nicht so leicht passiert wäre. Auch sehr gruslig
kommt die kurze Szene, in der Regan mit zurück gebogenem Oberkörper
auf Händen und Füßen spinnenartig die Treppe runterläuft
und in Großaufnahme Blut aus dem Mund kommt (ansonsten ist der Film
ziemlich unblutig). Diese Szene fehlte in der Urfassung; im Buch ist sie,
leicht verändert, drin. Insgesamt wurde das Buch originalgetreu umgesetzt;
fast befällt einen der Verdacht, es wäre in Hinblick auf eine spätere
Verfilmung geschrieben worden.
Stephen King bezeichnet das Buch in „Danse Macabre“ übrigens als „humorloses
bleischweres Traktat“. Den Film seht er als „soziales Phänomen“, der
frühen 70er Jahre. Ich übernehme die Passage aus „Danse Macabre“:
„Substantiell ist es jedoch ein Film über explosive gesellschaftliche
Veränderungen, ein scharf geschliffener Brennpunkt für die gesamte
Jugendexplosion, die in den späten sechziger und frühen siebziger
Jahren stattfand. Es war ein Film für alle Eltern, die voll Schmerz und
Schrecken feststellten, daß sie ihre Kinder verloren, ohne zu begreifen,
wie oder warum es geschah“. Infolge dessen habe der Film auch ein „überraschend
altes Publikum gefunden“. Na ja, die Zeiten ändern sich.
Von dem gesteigerten Interesse für Paranormales, das auch von „Der Exorzist“
ausgelöst wurde, konnte schließlich eben jener gerade zitierte arbeitslose
Englischlehrer profitieren, als er ein Jahr später mit seinem ersten Buch
„Carrie“ (der Geschichte eines telekinetisch begabten Mädchens, das sich
blutig an seiner grausamen Umwelt rächt) den Durchbruch schaffte.
Die - in keinste Weise adrenalinaustoßfördernde - Titelmusik stammt
übrigens von dem damals 20jährigen Mike Oldfield und ist auf dessen
erstem Album „Tubular Bells“ zu hören.
- Martin - 04/01