Zur Rubrik "Lesen"
Kommentieren
Zur Hauptseite
Zur Hauptseite
Zur Hauptseite
Worum's geht...
Musikmacher
Hören
Bewegte Bilder
Anderes

MICHAEL HOLZACH - Deutschland umsonst. Zu Fuß und ohne Geld durch ein Wohlstandsland (’82)

Nun werde ich etwas tun, das eigentlich verpönt sein sollte. Dessen ungeachtet werde ich es trotzdem tun. Ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß. Und zwar. . . . . .den Buchrückentext zitieren! Ein schier unglaublicher Vorgang, vor welchem man im Grunde die Augen verschließen müßte. Dies alles allerdings aus gutem Grund, beschreibt dieser doch, präziser und anschaulicher als ich es könnte, genau worum es in diesem Buch geht...
"Ohne Geld wanderte Michael Holzach durch ein Land, in dem sich alles um Mark  und Pfennig dreht. Angewiesen auf seine Füße, einen guten Riecher und die  mitleiderregenden Augen seines Hundes Feldmann, schlug er sich durch die Welt  der Seßhaften und erlebte die Bundesrepublik Deutschland aus einer  ungewöhnlichen Perspektive: sechs Monate Landstraße, nicht alltägliche  Begegnung mit deutschem Alltag und mit sich selbst, Abenteuer und Entbehrungen - all das fügt sich im Spannungsfeld von bürgerlicher Welt, Randgruppen und  verlorenen Existenzen zu einem einzigartigen und spannenden Reisebericht, der sich inzwischen einen festen Platz als Kultbuch erobert hat."
Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. 
Mittlerweile habe ich es zum zweiten Mal gelesen und bin nach wie vor von diesem hautnah beschriebenen dokumentarischen Reisebericht fasziniert. Eine Frage, die sich beim Lesen einer solchen Unternehmung unweigerlich aufdrängt, ist, warum man sich auf so etwas überhaupt freiwillig einläßt, welcher innere Drang einen Menschen dies auf sich nehmen läßt - all die Entbehrungen, Mühsal, Erniedrigungen, das den Unbilden der Witterung ausgesetzt sein... Ich hatte den Eindruck, daß Holzach sich seiner Motivation anfangs selbst ebenfalls alles andere als völlig klar war. Er war zwar zuvor jahrelang beruflich mit Randgruppen, zu denen auch die Landstreicher gehörten, beschäftigt, über die er als Journalist für Zeitungen Sozial-Reportagen verfasste, doch den radikalen Wechsel der Perspektive, welchen er hiermit für ein dreiviertel Jahr vollzog, dürften fast ausschließlich persönliche Gründe notwendig gemacht haben. Gründe, die ich absolut nachvollziehen, wenn mir auch nicht voll bewußt machen kann. Der Wunsch vielleicht, das Leben einmal in seiner pursten, ungeschminktesten, unmittelbarsten Form zu erfahren, oder vielleicht einfach aus bestehenden, einengenden Verhältnissen auszubrechen, unterwegs zu sein, nicht zu wissen, was der nächste Tag, der nächste Horizont, die nächste Biegung wohl bringen, für Überraschungen bereit halten mag - Freiheit und Ungebundenheit also. Vielleicht der Drang, den Gegensätzlichkeiten der Welt, Freud und Leid, Kontakt und Ablehnung, Entbehrung und Abenteuer, in größtmöglichster Ausformung und Lebendigkeit zu begegnen. Ganz so, wie es einmal mehr auch Hermann Hesse in seiner Erzählung "Narziß und Goldmund" grandios schilderte. 

Heimatlos, das sind wir doch alle.

Letztendlich befinden wir alle uns ja gemeinsam auf einer großen, von vielen Unwägbarkeiten bedrohten Lebensreise, sind die grundsätzlich ins Wagnis Gesandten, müssen unseren Weg durch viele Entbehrungen und Wirrnisse hindurch finden, immer auf der Suche nach etwas Glück, Schönheit, Wahrhaftigkeit, Beständigkeit, Heimat. 
Jede unserer Reiseunternehmungen, und sei es nur zum winterlichen Sonnetanken nach Mallorca, ist ein mikrokosmischer Nachvollzug dieser unserer eigentlichen Odyssee. 
Diese Welt, diese Erde, kann uns letzten Endes kein Zuhause sein, und doch sind wir hier, durchwandern die Unbeständigkeit, das Veränderliche, um somit das ungeschriebene  Buch der Unveränderlichkeit auszuleben und zu erfüllen, zu erweitern und bereichern.

Wie erwähnt, ich kann Holzachs Intensionen vollständig nachfühlen, selbst eine solche Konsequenz für einen Trip wie diesen brächte ich jedoch nicht auf, das wäre mir persönlich dann doch zu heftig. Gut also, daß Holzach für alle ähnlich Fühlenden, die auf ein Mindestmaß an zivilisatorischem Luxus jedoch nicht allzu lange zu Verzichten in der Lage sind, sich stellvertretend auf den Weg machte und mit uns anschließend seine Erfahrungen teilte. 
Na ja, immerhin bin ich schon mal mit dem Fahrrad gen Karlsruhe geradelt und nächtigte dabei bei der Hin- und Rückfahrt unter freiem Himmel (die erste Nacht überraschte mich ein Wolkenbruch, als ich friedlich am Neckar schlummerte und anschließend kaum noch ein Stück trockenen Stoffes an mir hatte, die zweite fror ich mir im dünnen Schlafsack den Arsch ab, so viel also zur Berber-Romantik...!) - immerhin...

Auf Michael Holzachs Buch wurde ich übrigens durch eine vierteilige TV-Serie namens "Zu Fuß und ohne Geld" mit Robert Atzorn in der Hauptrolle aufmerksam, die wirklich ansprechend den Stoff aufbereitete, wenn auch ab und an vom Buch abweichend und dort in diesen Szenen, wie im Medium Fernsehen oftmals anscheinend unumgänglich, leicht plakative oder reißerische Tendenzen offenbarend.

Damit ist die Geschichte aber leider noch nicht zu Ende, denn sie hielt anschließend einen etwas tragischen wie kuriosen, vom Schicksal selbst inszenierten Epilog bereit. Denn als bei einem Spaziergang Feldmann, der Hund, der ihn auf seiner Wanderschaft begleitete, nur etwa ein Jahr später (Mitte der Achtziger), in einem See oder Fluß zu ertrinken drohte, sprang ihm Michael Holzach in Rettungsabsicht hinterher - und ertrank dabei selbst...
So jedenfalls habe ich's mal gehört.
Zu Traurigkeit ob dieses Umstandes besteht jedoch kaum Anlaß, denn ich bin davon überzeugt, er und sein vierbeiniger Freund durchstreiften mittlerweile wieder so manch elysäische Felder....

- Heiko - 04/01