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Joolz Denby - Stone Baby (’98); dt.: Im Herzen die Dunkelheit

joolzDie Schriftstellerin Joolz Denby, die im Jahre 1998 mit obigem Roman -  ihrem ersten - den Crime Writers' Award in England gewonnen hat, ist 45  Jahre alt, lebt in Bradford, ist dort (und teilweise auch hier) eine bekannte Schriftstellerin von Kurzgeschichten und Gedichten. Sie ist die 'beste Freundin' des Sängers der Band NEW MODEL ARMY und hier auch schon seit Jahren für das Cover- und T-shirt-Design verantwortlich. Sie ist häufig in Deutschland und England unterwegs und liest ihre Geschichten und Gedichte vor, sie tourt auch als RED SKY COVEN durch die Lande, zusammen mit Justin Sullivan und Rev Hammer.

„Stone Baby“ ist ihr erster Roman. 

coverAuch wenn sie mit ihrem Erstling den Crime Writers Award gewonnen hat und auch, wenn er von einem Serienmörder handelt, ist er weniger ein Kriminalroman als ein 'Psycho-Roman', eine Erzählung über verschiedene Arten von Liebe, gute und zerstörerische, über Hass, über Einsamkeit, Freundschaft, den Verlust der Kindheit durch gleichgültiges oder noch schlimmeres Handeln der Erwachsenen. Eines der Themen, die auch in Joolz' Gedichten und Geschichten immer wieder auftaucht, ist auch hier zentrales Thema: Gewalt sexueller Natur an Kindern, die dadurch ihre Kindheit auf ewig verlieren, deren komplettes Leben zerstört wird. 

Das alles hört sich vielleicht schlimmer oder langweiliger an, als es tatsächlich ist: der Roman ist - obwohl man bereits am Anfang mitten in die Jetzt-Zeit hineingeworfen wird und von Erzählerin Lily auch in den Rückblicken immer wieder Hinweise auf das Jetzt erhält - spannend zu lesen, er ist witzig, ironisch, voll von Schimpfwörtern,die ich zuvor noch nie auf englisch zu lesen bekommen habe. Nicht umsonst ist Joolz auf einer Lesung, bei der ihre Eltern zugegen waren, rot geworden ;-) Die Stimmung, die Joolz durch die Erzählerin Lily erzeugt, ist unheimlich dicht, so daß man am Ende, obwohl man doch weiß, worauf alles hinausläuft, dennoch vor Entsetzen den Atem anhält.

Im folgenden der Versuch einer Inhaltsangabe:

Erzählt wird die Geschichte von Lily, die - ein Genie was Zahlen und Buchhaltung angeht und ein Organisationstalent - auf einer von ihr (mit-)organisierten Veranstaltung die Komikerin Jamie Gee kennenlernt. Sie findet in ihr eine verwandte Seele (sie selbst wurde als Kind adoptiert und fühlt sich, obwohl sie ihre Eltern heiß und innig liebt, doch ab und an sehr allein). Sie hat das dringende Gefühl, Jamie, die sie um mindestens einen halben Meter überragt, irgendwie beschützen zu müssen. Sie zieht nach nur kurzer Zeit in das gemeinsame Haus ein, das Jamie bis dahin mit Mojo, einem 'exotisch aussehenden', sehr schönen Transvestiten und diversen anderen wechselnden Bewohnern teilt (ihren 'Fehlern', wie Jamies Freunde diese wechselnden Bewohner bezeichnen).

Lily wird Teil der kleinen Familie, Jamies Managerin - und beste Freundin. Jamie's Fans lieben sie und halten sie für eine starke,  selbstbewußte Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht.

Lily merkt jedoch schnell, daß dies nicht so ist, daß Jamie sehr verletzlich ist, eine Dunkelheit in sich trägt, die sie sich nicht erklären kann. Den Grund erfährt sie erst später durch Jamies Freunde George und Mojo, als Jamie mal wieder dabei ist, an einen dieser Fehler, an einen Bastard von Mann, zu geraten und ihre Freunde daneben stehen und sie nicht aufhalten, was Lily nicht verstehen kann.

Nachdem Lily Jamies Geschichte gehört hat, kann sie, wie die anderen auch, nur danebenstehen, Schadensbegrenzung betreiben und sie auffangen wenn sie fällt. Mit der geringen Hoffnung, daß Jamies Abhängigkeit von diesen 'Fehlern' vielleicht nachlassen wird, wenn sie weiter Erfolg als comedian hat - wonach alles aussieht.

Jamie's letzter Fehler ist Sean Powers, ein Bild von einem Mann -  äußerlich. Lily und Mojo ist er von vornherein unsympathisch und es ist nicht nachvollziehbar, was er von Jamie will. Sie ahnen Schreckliches, aber auf die Wahrheit kommen sie nicht...

Das Buch handelt von Mord, von Demütigung und der darauffolgenden Reaktion, von Medienwahn, von Kindesmißbrauch, von fatalen Folgen, von vielen verschiedenen Arten von Liebe, die sich zwischen den Hauptpersonen entwickelt, freundschaftliche  Liebe, aber auch vollkommen fatale Liebe, die zerstört. 

Wer Joolz' Kurzgeschichten kennt und vielleicht einen kleinen Einblick in ihr Leben gewonnen hat durch diverse Gigs und Lesungen, die sie hier in Deutschland schon veranstaltet hat (solo oder mit RED SKY COVEN), der wird viel von ihren Werken und Erlebnissen in diesem Buch wiederfinden. Auch von ihr selbst ist sehr viel in dieses Buch eingeflossen (wie sie letztlich erst selbst erzählte).

Es ist, wie ihre Kurzgeschichten auch, absolut empfehlenswert.

Im nächsten Jahr (2001) erscheint ein weiterer Roman von ihr, „Corazon“, der aber erst in 2002 auf deutsch erscheinen wird. „Stone Baby“ ist im Gegensatz dazu bereits im März 2001 bei rowohlt unter dem Titel „Dunkelheit im Herzen“ (o.ä.). erschienen.

Joolz Denby: „Stone Baby“
Harper Collins
ISBN: 0-00-226103-0

Joolz Denby: Im Herzen die Dunkelheit
Rohwolt Taschenbuch Verlag GmbH
ISBN: 3-499-22870-X

PS: Auch auf Deutsch ist der Roman durchaus lesenswert, die Übersetzung finde ich gar nicht übel, allerdings ist es merkwürdig, Joolz, die ich bislang nur englisch gehört und gelesen habe, plötzlich auf deutsch zu lesen. Wer kann, sollte das englische Original vorziehen - gerade das Gefluche ist auf deutsch äußerst seltsam ;-)

- Anja - 08/00 + 05/01
 

Mittlerweile, angeregt durch Anjas Besprechung, habe ich „Im Herzen die Dunkelheit“ ebenfalls gelesen.
Covers, wie das der deutschen Ausgabe, verleiten mich in der Regel nicht dazu, ein Buch überhaupt in die Hand zu nehmen. Die kaffebraune Schönheit und der leicht melodramatische Titel weisen eher auf ein sogenanntes „Urlaubsbuch“ im schlechtesten Sinne hin. 
Im Vorspann wird der Begriff „Stone Baby“, also „Steinkind“ erklärt. Der wissenschaftliche Ausdruck lautet „Lithopädion“ und bezeichnet einen Fötus, der nie geboren wird und unbemerkt im Mutterleib verkalkt. Beschrieben wird der Fall einer zweiundneunzigjährigen Frau, die 60 Jahre einen solchen Fötus in sich trug, der in der einunddreißigsten Woche gestorben und dann verkalkt war. Eben so, wie traumatische Kindheitserlebnisse zwar äußerlich oft nicht sichtbar sind, aber wie ein Stein auf der Seele lasten.
Wie Anja schon geschrieben hat, geht’s in „Im Herzen die Dunkelheit“ um Leben und Lieben von Menschen, die etwas außerhalb der Norm stehen, die Krimi-Story um den Mädchenmörder ist dann spannende Zugabe.
Als Soundtrack zum Buch kommt mir spontan „Hex“ von Joolz in den Sinn. Auf dem etwa 1987 erschienenen Album trägt Joolz einige ihrer Gedichte vor, oder „miniature narratives“, wie es auf dem Back-Cover von einem ihrer Gedichtbände heißt, oder singt sie, und Justin Sullivan und Rob Heaton sorgen für die musikalische Untermalung. Kann man in etwa mit der bekannteren Anne Clark vergleichen. Die CD ist in Deutschland nicht so leicht zu bekommen, aber bei amazon.de stehen die Chancen gut, das Teil in 1-2 Wochen im Briefkasten zu haben. Jamie als Joolz‘ alter ego hat man sich wohl wie Joolz im Booklet dieser CD vorzustellen.
„Im Herzen die Dunkelheit“ hat viel vom Geist der Texte von New Model Army, vor allem von den frühen, so erinnerte mich z. B. eine Textstelle stark an „Better Than Them“.
Man muß freilich nicht alle Alben von NMA daheim im Schrank stehen haben, um dem Buch etwas abgewinnen zu können.
Ich bin schon gespannt auf die deutsche Ausgabe von „Corazon“.

- Martin - 08/01

 

... und zweieinhalb Jahre später entdeckte auch Heiko das Buch; völlig unbelastet von dem, was in dem Fanzine, an dem er keinen geringen Anteil hat, bisher zu lesen war ...


Kurz mit dem Blick gestreift.
Nochmal hingeschaut.
Ist das nicht...?
Blick abermals schweifen lassen.
Könnte es denn wirklich sein...?
Mit dem Blick diesmal festgenagelt und das Buch zur näheren Inspektion aus dem Regal gezogen.

Tatsächlich, bei Joolz Denby handelt es sich, wie die Angaben zur Autorin in Innern rasch offenbarten, um eben jene Joolz, die zum New Model Army-Umfeld gehört, die alle Coverbilder der englischen Rockband malt und - soweit mir bekannt ist - die Lebensgefährtin von Justin Sullivan ist. Vor dem Nürnberger Hirsch trafen Martin und ich sie 1996 sogar mal kurz, als wir das Interview mit Justin bestätigen wollten und Joolz zusammen mit dem Tour-Manager im lockeren Plausch in der Nachmittagssonne sitzend vorfanden. Wir wechselten ein paar Worte, wobei sie einen offenen, sympathischen Eindruck hinterließ, drückten ihr unser Heft in die Hand und verabschiedeten uns dann relativ zügig, um nicht über Gebühr zu stören (und noch einige Fragen vorzubereiten, denn wir waren - muß es noch gesondert erwähnt werden? - natürlich denkbar unzureichend vorbereitet...).
Mit Im Herzen Die Dunkelheit nun, legte Joolz vor wenigen Jahren ihren Debut-Roman vor. Da das ganz und gar Unwahrscheinliche eintrat und ein Exemplar in unserer kleinen heimischen Bücherei seinen Platz fand, war es für mich Ehrensache, das Teil mitzunehmen und zu lesen. Es handelt sich dabei um einen außergewöhnlichen Thriller, der in Joolz' Heimatstadt Bradford angesiedelt ist, also auf bekanntem Terrain, was bei einem Debut sicher von Vorteil ist und die detailierte Beschreibung der Lokalität und des Milieus wesentlich erleichtert. In einer Wohngemeinschaft der dortigen Boheme nistet sich David (Name v. d. Red. geändert) ein, die neue Beziehung von Jamie, welche die unangenehme Angewohnheit hat, sich selbstquälerisch nur die übelsten Kerle an Land zu ziehen. Wie sich nach und nach herausstellt, ist David die unangenehmste vorstellbare Wahl, entpuppt er sich doch schließlich als eben jener Serienmörder, der die Stadt bereits seit Monaten in Atem hält...
Das klingt erstmal nach dem üblichen Schema, dieses wird jedoch durch Joolz' unkoventionellen Stil aufgebrochen, der einerseits sehr authentisch und direkt, andererseits - vom Finale abgesehen - Gewalttätigkeit nur andeutend und mit einigem psychologischem Feingefühl daher kommt. Die Sprache ist, um den Charakteren umso mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, sowohl ungeschliffen und unverblümt - was einigen zartbesaiteten Gemütern mißfallen könnte - , aber auch voller Empfindsamkeit. Als effektiver Einfall erweist sich, die Rolle der Ich-Erzählerin nicht der Hauptperson zu übertragen, sondern deren bester Freundin, die voll involviert ist und dennoch mit etwas Abstand die Entwicklung des Dramas zu überblicken vermag. David und Jamie sind letztlich beides tragische Figuren, jede mit dunklen Flecken in ihrer Vergangenheit, die sie wie ein abgekapseltes Steinkind (Stone Baby, so der Originaltitel) mit sich herumtragen und die unverarbeitet beständig ihre Persönlichkeit ihr Handeln unbewußt mehr oder weniger mitbestimmen.
Ein beachtenswertes Debut.

- Heiko - 03/04