Zur Rubrik "Bewegte Bilder"
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DIE NEUN PFORTEN

Johnny Depp beweist seit einigen Jahren mit seiner Rollenauswahl ein sicheres Gespür für Filme, die über einen kurzfristigen kommerziellen Erfolg hinaus Langzeitqualitäten besitzen und sich abseits aktueller Trends behaupten können. DEAD MAN von Jim Jarmusch zählt ebenso dazu wie ED WOOD und SLEEPY HOLLOW, zwei Filme des großartigen Tim Burton. Mit SLEEPY HOLLOW hat DIE NEUN PFORTEN die Außenseiterrolle der Hauptfigur gemein, die anfängliche starke Skepsis gegenüber dem Phantastischen und Übersinnlichen. 
Die Neun PfortenJohnny Depp spielt den Bücherjäger Dean Corso, dessen Spezialität es ist, seltene alte Werke mit hohem Wert aufzutreiben, egal welche Umwege und Kosten dafür in Kauf genommen werden müssen. Der reiche Sammler Boris Balkan erteilt Corso den Auftrag, nach einem Buch mit dem Titel „Die neun Pforten ins Reich der Schatten“ zu suchen, von dem er selbst ein Exemplar besitzt und dessen Echtheit er durch einen Vergleich mit den beiden anderen noch erhaltenen Ausgaben bestätigt haben möchte. Der Legende nach mit der Mithilfe des Teufels entstanden, brachte das Buch (entstanden 1666) seinem Verfasser kein Glück, nur kurze Zeit später landete er auf dem Scheiterhaufen.
Corso muß schon bald erkennen, daß die mysteriöse Aura des Buches keineswegs nur ein Produkt von Legenden und Hirngespinsten ist. Unbekannte Personen beginnen Corso nach Beginn seiner Recherchen zu verfolgen, ein befreundeter Buchhändler, bei dem er das Exemplar von Boris Balkan zur Sicherheit deponiert hatte, wird sogar ermordet. Mit zunehmendem Unbehagen und den „Neun Pforten“ im Gepäck begibt sich Corso nach Europa, um dort die beiden anderen Exemplare, die sich im Besitz von privaten Sammlern befinden, in Augenschein zu nehmen.
Die Kette geheimnisvoller Ereignisse reißt nicht ab, Corso verstrickt sich immer mehr in einem Netz von mysteriösen Dingen, die er nicht versteht. Als er herausfindet, daß die neun Holzschnitte des Buches in mindestens zwei der drei Exemplare nicht identisch sind, betritt die Geschichte eine neue, wiederum tödliche Dimension. Ein Schloßherr, der dem Bücherdetektiv Zugang zu seiner Bibliothek gewährt hatte, liegt am Tag darauf tot im Brunnen seines Gartens, sein Buchexemplar findet sich mit herausgerissenen Seiten und halbverbrannt im Kamin wieder. Corso, der eigentlich aus der immer unheimlicher werdenden Buchjagd aussteigen wollte, gerät nun in Lebensgefahr. Eine unbekannte, geheimnisvolle Frau, die sich schon früh an seine Fersen geheftet hatte, beschützt ihn vor den Mordanschlägen, weigert sich aber, ihre wahre Identität und den Grund für ihre Hilfe zu enthüllen. 
Johnny DeppDer Fall wird immer komplizierter, als Corso eine Baroneß aufsucht, die das dritte und letzte Exemplar der „Neun Pforten“ besitzt. Mit endgültiger Gewißheit zeigt sich, daß die Holzschnitte in den drei Ausgaben des Buches Unterschiede aufweisen und dahinter offenbar ein System steckt, denn jeweils drei (immer andere) Bilder tragen das Kürzel „LCF“. Wie schon der Schloßherr überlebt auch die Baroneß die Begegnung mit Corso nicht, ein Unbekannter tötet sie und legt danach in der Bibliothek Feuer. Corso selbst kann nur knapp entkommen, hat nun aber endlich eine heiße Spur, als ihm Balkans Buch von der Frau des Vorbesitzers gestohlen wird. Corso folgt ihr zu einem abgelegenen französischen Chateau, doch die Lösung des Rätsels findet er auch dort (noch) nicht...
Komplex und spannend ist Roman Polanskis phantastischer Thriller zweifellos ausgefallen, das sollte die überlange Inhaltszusammenfassung verdeutlichen. DIE NEUN PFORTEN orientiert sich in Optik und Ausstattung deutlich an klassizistischen Horrorfilmen wie Dario Argentos INFERNO, das Thema und die Ausgestaltung (Musik, Kulissen etc.) lassen auch offenkundige Parallelen zu Werken wie DAS OMEN erkennen. Regisseur Polanski und sein Kameramann Darius Khondij haben sichtbar eine Menge Zeit und Aufwand darauf verwendet, dem Film ein gediegenes, stilvolles Aussehen zu geben, nahezu alle Sets wirken wie von penibler Hand sorgfältig zusammengestellt. 
Auch wenn die Kritiken zu DIE NEUEN PFORTEN teilweise eher schlecht waren, so muß man dem Film dennoch zugestehen, den Spannungsbogen über eine Laufzeit von etwas mehr als zwei Stunden konsequent aufrechtzuerhalten. Grobe Schockeffekte oder gar literweise Filmblut gibt es dabei aber nicht zu sehen (der Film ist ab 12 Jahren freigegeben), Polanski favorisiert die subtile Spannung. Der gediegenen Ausstattung angemessen, ist DIE NEUN PFORTEN ansprechend in Szene gesetzt, Kamera und Musik erfüllen gehobene Ansprüche. 
Als Kritikpunkt kann man anführen, daß Polanski der Versuchung einer allzu oberflächlichen Inszenierung manchmal nicht widerstehen konnte: Die Liebesszene zwischen Johnny Depp und Emmanuelle Seigner gegen Ende des Films beispielsweise ist dramaturgisch überflüssig, bringt den Film nicht weiter und bedient sich zudem einer Optik, die gehässige Menschen (zu denen ich mich natürlich nicht zähle) als „Rendezvous der Sinne“, sponsored by Nestlé, bezeichnen würden, sprich als bombastischen Schwulst, der an gigantöse Werbeclips erinnert.
Das zieht den Film aber nur kurzzeitig etwas nach unten, der Gesamteindruck ist trotz allem wirklich positiv. DIE NEUN PFORTEN dürfte all jene ansprechen, die mit dem Begriff Horrorfilm stilvolle phantastische Unterhaltung verbinden und die US-Teenie-Grütze, die sich nach dem Erfolg von Wes Cravens SCREAM ihren Weg bahnte, nicht ausstehen können. Der Vergleich zur OMEN-Reihe kann als grobe Orientierung und gleichzeitig als Empfehlung dienen. Für die Insider und Liebhaber des trashigen Euro-Horrors der 60er und 70er Jahre hat Polanski mit einer Nebenrolle für Jack Taylor ein wohlwollend gesichtetes Nostalgie-Zuckerl eingestreut. Taylor, der in obskuren Filmen wie NACHTS, WENN DRACULA ERWACHT (vom Papst des Schundfilms Jess Franco) oder DAS GEISTERSCHIFF DER SCHWIMMENDEN LEICHEN mitspielte, ist dabei für den alteingesessenen Fan ein ähnlicher Lichtblick wie Franco-Kumpel Howard Vernon, der in dem Hit DELICATESSEN als skurriler Bewohner einer etwas feuchten Kellerwohnung zu sehen war. Zurück zu Polanski: Wer traditioneller Gruselspannung etwas abgewinnen kann, dürfte bei diesem v.a. für verregnete Herbsttage idealen Film richtig liegen.

- Stefan - 6/01