Jau, ich weiß genau, was ihr jetzt wohl denken mögt. Eine Retrospektive von U2, noch dazu eine unvollständige, ganz klar, Mann, brauchen wir jetzt sicherlich genauso notwendig wie eine neuerliche Sintflut... Diese irische Band kennt unumgänglicherweise natürlich ein jeder, es war ein recht spontaner Impuls, wieder einmal, dem ich dessen ungeachtet hier einfach mal folge und den ich jedoch auch um meinetwillen nur sehr kompakt ausleben, diesmal wirklich in annähernd fünf Minuten durchpeitschen werde...
Zweite Vorbemerkung: Da ein Engagement bei einem professionellen Magazin dazwischen kam, konnte ich den Text nicht mehr ganz vollenden. Die 90er standen bereits, aber die 80er werde ich nun, so leid es mir tut, nur stichpunktartig anreißen können. Vielleicht werden diese zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlicher ausgeführt, aber zum jetzigen möchte ich das Ganze nicht noch weitere Monate bei mir herum liegen lassen.
1984 erschien das durchweg sehr gute Album "The Unforgettable Fire", das damals bereits relativ erfolgreich war und vor allem mit "Wide Awake" (offiziell unverständlicherweise "Bad" genannt...), "Let It Rain" (offiziell: "MLK"), "A Sort Of Homecoming" (Text!), "Pride" und dem Titelstück zweifellos Herausragendes zu bieten hatte. Die älteren Alben kenne ich, so muß ich gestehen, selber nicht allzu genau. Ja, ich geb's zu - eigentlich gar nicht...!
"The Josua Tree" sollte 1987 folgen und zum unumschränkten Meisterwerk und fulminanten millionenfachen Megaseller -inklusive sich anschließender Bravo-Medienhysterie- der sympathischen Vier aus Dublin geraten. Und dieser kommerzielle Erfolg trat hier mal völlig zurecht ein, angesichts solch einer Häufung grandiosester Songs! Wobei zwei meiner persönlichen Favoriten, "Running To Stand Still" & "Mothers Of The Disappeared" ebenso wie eigentlich auch alle anderen hier versammelten flammenden wie sensitiven Hymnen, den bekannten Singlehits nicht nachstehen. Was U2 so einzigartig macht, sprüht dem Hörer hier aus jeder Tonspur tausendfach entgegen: eine unverkennbare Atmosphäre, die ungemein gefühlvolle Art und Intensität des Vortrags, sowie soundprägend das immens charakteristische, brilliante Gitarrespiel von The Edge und der leidenschaftliche, charismatische Gesang von Bono, dem Sprecher der Verzweifelnden, Zweifelnden und doch Gläubigen, dem Tröster der Verletzten und Verlorenen, dem Rufer in der Wüste, dem Vermittler einer aus Schmerzen geborenen und dem Verwelken entrissenen Schönheit.
"Rattle
And Hum" war 1988 eine aus dem üblichen Muster sich bewegende Veröffentlichung,
begleitet von einem Konzertfilm in den Kinos, mit sowohl neuen Stücken, teilweise
unkonventionellen Liveversionen -man höre etwa das in Soul und Gospel hinein
konvertierte "Still Haven't Found"-, wie weiterhin Covers von Hendrix, Beatles
und Dylan, und für welches sie nicht nur Lob ernteten. Mancher Kritiker hielt
das Projekt wohl für zu überambitioniert. Mir gefällt es jedoch überaus gut,
die Integration amerikanischer Stile wie Blues und Soul empfinde ich als sehr
passend zum hochemotionalen Sound U2s.
So richtig orientierungslos sollten sie eigentlich erst danach erscheinen...
1991
kam das nächste Werk mit dem eigenwillig zu nennenden Namen "Achtung Baby" heraus.
Ein grundsolides, streckenweise wirklich starkes Album, wie man es von U2 erwarten
durfte, welches allerdings, wenn man absolut ehrlich ist, doch einen leicht
faden Nachhall hinterläßt. Songs wie "Even Better Than The Real Thing", "So
Cruel", "Mysterious Ways" oder auch "Trying To Throw Your Arms Around The World"
und "Love Is Blindness" sind durchaus ordentlich und in klanglicher Tradition
U2's, hauen einen andererseits keinesfalls mehr, ähnlich den früheren Sachen,
aus dem Kontemplationssofa. "Zoo Station" und "Acrobat" desweiteren, hören sich
bezeichnenderweise gar richtig gelangweilt an, ganz so, als ob den Jungs hier
mittlerweile Eingebung und Motivation abhanden kamen und man unüberdacht einfach
zwei unausgegorene Tracks, welche man eben mal im Probenraum zusammenjammte
halt mit auf die Platte nahm. Was besonders bei letztgenanntem sehr schade ist,
da die lyrische Seite einfach riesig und genau nach meinem Gusto sich darstellt
und ich somit nicht umhin komme, einen Ausschnitt daraus zu rezitieren - "...and
you can dream ... so dream out loud ... I know that the tide is turning 'round
... you know that your time is coming 'round ... don't let the bastards grind
you down ..... And I must be ... an acrobat ... to talk like this ... and act
like that ... and you can dream ... so dream out loud ... and you can find ...
your own way out...." ...dies hätte zweifelsohne eine größere Sorgfalt von The
Edge gerechtfertigt und von ihm statt jener beigesteuerten dissonanten, gleichsam
eine schillernde Gitarrenmelodienumflechtung verdient...! Dissonant im Gitarrenbereich
geht's auch bei "The Fly" zu, hier jedoch passend und in elektrisierend zu umschreibenden
XTC-Soli, welche den Song noch über den Durchschnitt katapultieren. Die unumschränkten
Highlights finden sich dann, um die Aufzählung zu komplettieren, bei "One",
"Who's Gonna Ride Your Wild Horses" (beides kommerziell erfolgreiche Auskopplungen),
"Until The End Of The World" und "Light My Way" - U2 at their best!
Licht und Schatten also - die nächste kreative Freisetzung mußte zeigen, wohin
der Weg U2 endgültig führen würde, ob zurück zu altem Glanz und erneuter warmer
Zuwendung oder aber in die Isolation der Bedeutungslosigkeit...
"Zooropa", das 1993 erschien, kann und muß wohl als der komplette Absturz gewertet werden! Ich kenne es bisher (wieder mal...) nur aus dem Laden, würde bei mehreren heimischen Durchläufen höchstwahrscheinlich ebenfalls nichts anderes attestieren können als laue, fast schon ekelhaft steril produzierte Pop-Songs! Auch nach mehreren intensiven Begutachtungen bleiben allenfalls das Titelstück, "Lemon" und "The First Time", welche man gerade noch als gut bezeichnen könnte. Das Album zeigt eine Band auf der berechtigten Suche nach neuen Einflüssen, nach anderen Wegen des Ausdrucks, um der damals durchaus drohenden Stagnation zu entgehen, welche sich bei diesem Unterfangen allerdings in einer Sackgasse aus Plastikwänden wiederfand, sich in einem strangulierenden Spinnennetz aus Nylonfäden verfing ... ich glaube, nur die Wenigsten, welche damals "The Josua Tree" begeistert verinnerlichten, konnten dieses hier noch goutieren! Bäh!
Die
erste Single, 1997 öfters im Radio gehört, zeigte gleich an, daß sie's doch
noch können. "Staring At The Sun" ließ unverzüglich aufhorchen und wartete mit
einer brillanten Gitarren-Melodie und Bonos unverwechselbar emotionalem Gesang
auf, weckte Interesse nach mehr. Leider hielt das komplette Werk mit dem bezeichnenden
Namen "Pop", welchem seine Ironie beinahe im Halse stecken bleibt, die Versprechungen
seines ersten Vorboten nicht ganz ein, einige der Nachzügler wie das grauenhafte
"Discotheque" oder auch andere ließen den aufgekommenen lauen Eindruck von gelangweilten
Popstars, die nicht mehr mit ganzem Herzen dabei sind und für welche die Musik
nicht mehr alles ist, nicht mehr an erster Stelle steht, wiederum keineswegs
verlöschen. Ohne jetzt damit die Integrität der Mitglieder von U2 in Frage stellen
zu wollen, was wohl ein Ausbund an Anmaßung wäre, oder die eigene enttäuschte
stilistische Erwartungshaltung zu projezieren, mindestens die Hälfte des "Pop"
Albums ist, also, schlicht und einfach keine gute Musik! Zuwenig Leidenschaft
und Inspiration, keine überzeugenden oder gar begeisternden Melodien!
Daß
das Feuer noch immer vor sich hin glühte und zuweilen wieder hell aufflackerte,
zeigten eben "...Sun", "Do You Feel Loved", "Wake Up Dead Man", "If You Wear
That Velvet Dress" oder, klar, "If God Will Send His Angels". Im Anschluß an
die Veröffentlichung des Produktes, zogen U2 aus zu ihrer weltweiten "Popmart"
Tournee, welche beispielgebend Anlaß zu einer ausführlicheren Diskussion gibt.
Dort fröhnten sie einer zuvor in diesem Ausmaß kaum jemals erlebten Materialschlacht
und Gigantomanie, daß es einem glatt schwindelig werden konnte! Noch größer
und aufwendiger als das vorhergehende "Zooropa", mit unfaßbarem technischem
Schnickschnack und Blendwerk, bei dessen Anblick man sich fragen mußte, was
die Jungs damit wohl bezwecken mochten, neben der vielleicht unbewußten Dokumentation
der Distanz und Entfremdung natürlich, welche inzwischen gegenüber den Akteuren
und ihrem Publikum zu herrschen schien. Waren das nun große Kinder mit ihrem
ebenfalls zu groß geratenen Spielzeug, einfach nur versponnene, wenn nicht größenwahnsinnige
Showstars oder hatte das ganze Brimborium gar noch eine dahinter stehende Botschaft,
wie man es von einer Band vom Schlage U2s erwarten konnte? Wollten sie damit
vielleicht die Entfremdung des Einzelwesens von sich und seiner Umwelt, einer
der verbreitetsten seelischen Krankheiten in unserer rationalisierten, konsum-,
vergnügungs- und andererseits knallhart leistunsorientierten, technisierten
Gesellschaft, deutlich machen? Ich kann mir nicht vorstellen, daß die intelligenten
Musiker von U2 die unpersönliche Wirkung all dieser grellen leblosen Showeffekte,
die Kluft zum einzelnen Besucher, welcher die Musiker im Grunde nur über überdimensionierte
Videoleinwände zu sehen bekommt und der sich weiterhin vielleicht isoliert in
einer anonymen Menschenmasse wahrnimmt, keinen wirklichen, lebendigen Anteil
an der mechanisch ablaufenden Veranstaltung verspürt - daß sie dies nicht realisierten.
Wenn es wirklich bewußt darauf hinaus lief -leider bekam ich kein diesbezüglich
erläuterndes Interview in dieser Zeit zu lesen, was allerdings an meiner Ignoranz
der entsprechenden Zeitschriften lag- bleibt nur noch die Frage, in wie weit
man tatsächlich eine wirkungsvolle, karikierende Kritik übte am Technik-Götzendienst
unserer Zeit und am bunten Jahrmarkt der schönen neuen Konsumwelt - oder in
wie weit man sich mit seinem musikumtermalten Zirkus selbst dort in diese Untiefen
hinein begab....
Ja, ich weiß, ich kann den Einwand bereits hören, und ihm durchaus recht geben.
Auch solche überdimensionierten Livemusik-Events müssen nicht zwangsläufig,
wie so viele andere gesellschaftliche, als Massenvergnügung konzipierte Veranstaltungen,
in nicht viel mehr als ein banales, schrilles, hohles, entfremdendes, sinnentleertes
Spektakel münden. Konzerte, ob nun in kleinem oder großem Rahmen, sollen und
können natürlich genauso zu einem großartigen, innerlich bewegenden, mental
und emotional verbindenden Gemeinschaftserlebnis geraten; vielleicht empfanden
ja viele Leute den "Popmart", entgegen meiner soeben dargebrachten kritischen
Bedenken, als ein solches...
Im
Jahre 2000 gelang den vier Jungs aus Irland das, was wohl kaum einer nochmals
für möglich gehalten hätte - ein durchweg gelungenes, ja, absolut glänzendes
Album!!! "All That You Can't Leave Behind" ist eine deutliche Absage an alle
halbgaren Sounds und Experimente der jüngeren Vergangenheit und die oft zu gestylten,
leidenschaftslosen Stücke, welche daraus resultierten. U2 kehrten damit offensichtlich
zu ihren Werten und Wurzeln zurück, es klingt sehr natürlich und doch modern
und nicht nur bei Songs wie "Beautiful Day", "Peace On Earth" oder "Walk On"
mitreißend und/oder anrührend. Das Werk präsentiert sich, ohne im mindesten
gleichförmig zu wirken, stilistisch als vollkommene Einheit. Es ist, ich lasse
mich einmal zu dieser Aussage hinreißen, aus meiner Sicht das überzeugendste
seit seligen "The Josua Tree" Zeiten und vielleicht mit diesem vom Niveau her
sogar gleich zu setzen!
Bei ihrer anschließenden Konzertreise scheinen sich U2 ebenfalls, was den Aufwand
betrifft, gesundgeschrumpft und wieder auf das Wesentliche, die Musik, zurück
besonnen zu haben. Was den Albumtitel, im Verbund mit dem Cover, auf dem die
Band in einer Flughafenhalle offenbar auf ihren Abflug wartet und Bono's Aufzählung
einiger Beispiele dessen, was man nicht zurück lassen kann am Ende von
"Walk On", betrifft, könnte ich noch eine Interpretation zum besten geben.
Nur werde ich sie diesmal nichtgekannter- und schelmischerweise für mich behalten!
Hähä! Aufmerksame Leser unserer Site werden sich durchaus denken können worauf
diese wohl konsequent hinauslaufen würde ... und Kenner des Albums sich sowieso
bereits selbst darüber im Klaren sein, wie es sicherlich gemeint ist.
U2 sind und bleiben eine außergewöhnliche und liebenswerte Gruppe, mit welcher der maßlose kommerzielle Erfolg auch mal die Richtigen beglückte (als Parallele im Indie-Emo-Rock fallen mir da beispielsweise etwa R.E.M. ein, die mit "Reveal" scheinbar wieder ein Superalbum hinlegten, die Singles deuten jedenfalls darauf hin und "I'll Take The Rain", das muß man einfach gehört haben!), denn, um mal eine Formulierung von Eddi mir anzueignen, sie sind zweifelsohne, was dieser Begriff ursprünglich an Bedeutung vermittelt - Stars !!!
-Heiko - 08 + 12 / 2001 & 01 /2002
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