*** Folgender Text dürfte unvermeidliche tyrannosaurierhafte Spuren von Spoilern enthalten. ***
So.
Mal eben heraus finden, weshalb das hier mein unumstrittener Lieblingsfilm
ist.
Weshalb er quasi unbegrenzten Wiedersehenswert besitzt und niemals alt zu
werden scheint.
Ich glaube, die Antwort hängt lose damit zusammen, daß es sich
um weit mehr als eine verschrobene, leichtherzige Komödie handelt.
Die von den Coen-Brüdern handwerklich genial erzählte und von einem
hinreißenden Ensemble makellos geschauspielerte Geschichte, sieht einen
vor allem am beschaulichen Fluß der angenehm gewohnten Dinge interessierten
Alt-Hippie, in das verwirrend komplexe und ihm unangemessen dynamische Setting
eines Film Noir hinein schlittern.
So weit grob zur Prämisse.
Manche Zuschauer wissen mit "The Big Lebowski" herzlich wenig anzufangen.
Weil es der Inszenierung an vordergründiger Ernsthaftigkeit mangelt,
weil die emotionale Identifikation mit den Protagonisten schwer fällt,
weil sie sich von der Handlung verschaukelt und deshalb unrespektiert fühlen.
Für andere wiederum sind genau das seine ganz großen Vorzüge.
Der Nukleus meiner ganz besonderen Faszination für diesen Film gründet
in dessen spirituellem Subtext.
So seltsam das auch erst mal klingen mag.
Ähnlich den Werken von Monty Python oder Douglas Adams entlarvt "The
Big Lebowski" die Absurdität des irdischen Treibens. Er gibt das
sich selbst oftmals allzu gewichtig und ernst nehmende menschliche Drama der
Lächerlichkeit preis, und läßt all das illusorische Streben,
Tun und Rollenspiel des verstandbasierten Ego einfach mal nonchalant ins Leere
laufen.
Die Coens haben zwar ihre Charaktere in "The Big Lebowski" durchaus
detailreich, authentisch und glaubwürdig gezeichnet, sie alle sind jedoch
archetypische Abziehbilder und augenzwinkernde Parodien, destilliert von tatsächlichen
Vorbildern auf der Bühne des Lebens. Liebenswerte Scherenschnitte menschlicher
Eigenschaften und Ausprägungen.
* Da haben wir beispielsweise den rechthaberischen, sympathisch vor sich hin
borderline-soziopathierenden Walter Sobchak.
* Oder Donnie, den stillen Außenseiter. Dem, selbst wenn er sich aufmerksamkeitsbedürftig
zu Wort meldet, so recht niemand Beachtung schenken möchte.
Sein Nachname bleibt uns wohl auch nicht zufällig vorenthalten.
* Jesus Quintana in Verkörperung des selbstgefälligen Spezialistentums,
als flamboyanter Kingpin des lokalen Bowling-Zirkels.
* Die Vorzeige-Intellektuelle/Künstlerin/Feministin Maude Lebowski.
* Den großkotzigen, von sozialdarwinistischem Unternehmergeist durchdrungenen
Jeffrey "The Big" Lebowski.
* Brandt, der vollkommen in seiner Rolle als devoter Bediensteter aufgeht.
Und bei dem man sich nicht so recht vorstellen kann, daß er darüber
hinaus noch ein erfülltes Privatleben führt. Oder einen Vornamen
hat.
* Den reaktionären Polizeichef von Malibu, dem resoluten Bewahrer von
Ordnung und Status Quo.
* Den aalglatten, halbseidenen Geschäftsmann Jackie Treehorn.
* Die deutschen Nihilisten, als amoralische, menschlich-soziale Wertekonstruktionen
negierende Kraft.
* Schließlich den Dude höchst selbst, die brillantest vorstellbare
Inkarnation des Slacker-, Hippie-Typus. Er ist vor allem daran interessiert,
daß das Weltgeschehen nicht allzu sehr seine kleinen persönlichen
Belange tangiert. So lange sein gemütlicher Teppich den Raum zusammen
hält, ist er mit sich und der Welt zufrieden.
Und noch so einige Typen mehr.
Bei eigentlich allen kann man sich irgendwie nur schwer vorstellen, daß
ihr Dasein über das uns exemplarisch Gezeigte hinaus geht. Daß
sie ein Dasein außerhalb dieser Geschichte haben könnten.
Dann das Geschehen, in das die Figuren verwickelt werden. Alle Plot-Elemente,
Szenen und Details erscheinen auf den ersten Blick wichtig und bedeutsam.
Das meiste davon ist allerdings entweder heiße Luft oder Irritation.
Hinter allen sandmandalahaften Erscheinungsformen hervor grüßt
uns die zugrunde liegende Leerheit des Zen.
* Der gesamte Entführungsfall, der eigentliche Motor des Geschehens,
stellt sich am Ende als komplette Farce heraus.
* Der doppelte "falsche Hase", der angebliche Koffer voller Geld,
enthält in zweifacher Täuschung entweder nur wertloses Papier oder
Walters schmutzige Kochwäsche. Im Grunde also eigentlich: Nichts.
* Die gesamte vor sich her getragene unternehmerische Erfolgsgeschichte des
"Big" Lebowski ist nur Fassade, die er für sein Selbstwertgefühl
benötigt. Ebenso wie die Illusion einer treuen, geliebten Ehefrau, für
deren Erhalt eine ehemalige Pornodarstellerin namens Bunny sorgen soll.
* Der Dude wiederholt im Laufe des Films immer wieder Phrasen und sprachliche
Wendungen, die er zuvor irgendwo aufgeschnappt hat. Symbolisch dafür
stehend, daß wir alle nur das farbige, zusammen gesetzte Mosaik äußerer
Einflüsse sind, die wir individuell anordnen und einsetzen.
* Der Dude hält sich allzu häufig in bewußtseinsveränderten
Zuständen auf, der alltäglichen Realität enthoben.
Es gibt keine allgemein gültige Wahrnehmung.
Zeit und Raum sind relativ.
Und das nicht allein in Traum-Sequenzen.
* Der Dude, sogar er, versucht anderen gegenüber einen vorteilhaften
Eindruck zu erzeugen. Das wird deutlich, als er den beiden im Autodiebstahl
ermittelnden Polizisten eine berufliche Tätigkeit vortäuschen will.
Womit er im nächsten Moment natürlich umgehend auffliegt. Mehr noch,
wenn er, obwohl selbst völlig planlos, bei verschiedenen Gelegenheiten
den unterschiedlichsten Interessenparteien vermitteln möchte, er hätte
den Durchblick und alles sei unter Kontrolle.
Wie so vieles wirkt das witzig und zugleich ein bißchen tragisch.
Ja, wir biegen uns die Dinge gerne mal so zurecht, wie sie uns passen, wie
wir sie brauchen oder wie sie uns am angenehmsten sind. Was an unserer Selbst-
und Außenwahrnehmung, an unserer gesamten Erscheinung, ist wirklich
beständig und verläßlich?
* Walter hat in den humorvollen wie erschütternden Momenten bei Donnies
Bestattung offensichtlich keinen blassen Dunst, wer sein langjähriger
Bowling-Kumpel in Wirklichkeit war. Es ist wohl das erste Mal überhaupt,
daß er Donnies Existenz bewußt zur Kenntnis nimmt, ihn als Person,
abseits von dessen Funktion im Bowling-Team. Vergeblich sucht er gedanklich
zuerst nach persönlichen Definitionspunkten seines mutmaßlichen
Freundes. Also zimmert er sich schließlich aus dem Stehgreif einige
biographische Eckpunkte für die angebracht erscheinende pastoral-pathetische
Rede zusammen, die allein seinen eigenen (traumatischen) Erfahrungen entspringen
und die Färbung seiner eigenen Geisteshaltung tragen.
Sind letztlich vielleicht alle unsere Lebensgeschichten von derartiger Beliebigkeit?
* Die Szene im Bestattungsinstitut führt uns die Hohlheit unserer Rituale
vor Augen, die uns helfen sollen Haltung zu bewahren, angesichts der Hinfälligkeit
unserer formalen Existenz. Donnies weltliche Überreste landen schließlich
im blechernen Kaffeebohnen-Eimer aus dem Supermarkt um die Ecke. Walter und
der Dude haben ihre eigene lapdidare und wohl nicht die schlechteste Art,
mit dem Verlust und ihrer Trauer umzugehen: "Fuck it, man. Let's go bowling."
* Schließlich die erstaunliche initiale Verwechslung der beiden so unterschiedlichen
Lebowskis.
Welcher von beiden hatte noch gleich die Schulden bei Jackie Treehorn?
Und wer fragt eigentlich in hundert Jahren noch danach?
Keine Ahnung, wie wahrhaftig oder humorvoll Shakespeares gleichnamige Komödie ist, ob sie dies bezüglich mitzuhalten in der Lage ist, aber zumindest deren Titel würde zum Coen-Werk von 1998 ebenfalls prächtig passen: "Viel Lärm um Nichts".
Die Coens werden nur ein einziges Mal so richtig konkret. Im Epilog, in wenigen
Monolog-Zeilen des Erzählers, des Strangers, wird deutlich worum es hier
so, ganz nebenbei, unterschwellig, unter anderem geht:
"Daß Donnie abgetreten ist, hat mir nicht so gefallen. Aber dann
fällt mir plötzlich wieder ein, daß da ein kleiner Lebowski
unterwegs ist. Ich schätze, das ist genau die Art, wie das mit der ganzen
verdammten menschlichen Komödie so abläuft. Eine Generation nach
der anderen. Die Wagen ziehen nach Westen, sie fahren über den Sand der
Zeit, bis wir ..... ach, hört mich an: ich schwafel' schon wieder...!"
"The Big Lebowski" ist ein nahezu perfektes filmisches Kunstwerk.
Eine wahnsinnig witzige Komödie.
Eine verschleierte, tiefsinnige Tragödie.
Ein charmantes Kaleidoskop an Charakteren.
Ein sich seiner selbst bewußtes Schauspiel.
Es ist ein Hochgesang auf die Diversität des Daseins und des Menschen
- und zugleich deren Nichtigkeit.
Indem er die existenzielle Tragik nicht leugnet, sondern umarmt daß alle Formen der Veränderung unterworfene, kurzlebige, fragile Konstrukte sind, sie durchdringt und auflöst, macht der Film die dahinter liegende Unbeschwertheit, Freude, Befreiung, ein klein wenig spürbar.
"Leere ist Form.
Form ist Leere."
Würde der Dude jetzt all dem Gesagten zustimmen wollen?
Schwer einzuschätzen.
Aber man muß auch nicht auf alles eine Antwort haben.
Wahrscheinlich nur, wenn er gerade einen durchgelassen hat.
Ansonsten bekäme man wohl nur ein lässiges, schulterzuckendes:
"The Dude abides."
- Heiko - 06/2012