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The Big Lebowski (1998)

*** Folgender Text dürfte unvermeidliche tyrannosaurierhafte Spuren von Spoilern enthalten. ***

So.
Mal eben heraus finden, weshalb das hier mein unumstrittener Lieblingsfilm ist.
Weshalb er quasi unbegrenzten Wiedersehenswert besitzt und niemals alt zu werden scheint.
Ich glaube, die Antwort hängt lose damit zusammen, daß es sich um weit mehr als eine verschrobene, leichtherzige Komödie handelt.

Die von den Coen-Brüdern handwerklich genial erzählte und von einem hinreißenden Ensemble makellos geschauspielerte Geschichte, sieht einen vor allem am beschaulichen Fluß der angenehm gewohnten Dinge interessierten Alt-Hippie, in das verwirrend komplexe und ihm unangemessen dynamische Setting eines Film Noir hinein schlittern.
So weit grob zur Prämisse.

Manche Zuschauer wissen mit "The Big Lebowski" herzlich wenig anzufangen. Weil es der Inszenierung an vordergründiger Ernsthaftigkeit mangelt, weil die emotionale Identifikation mit den Protagonisten schwer fällt, weil sie sich von der Handlung verschaukelt und deshalb unrespektiert fühlen.
Für andere wiederum sind genau das seine ganz großen Vorzüge.

Der Nukleus meiner ganz besonderen Faszination für diesen Film gründet in dessen spirituellem Subtext.
So seltsam das auch erst mal klingen mag.
Ähnlich den Werken von Monty Python oder Douglas Adams entlarvt "The Big Lebowski" die Absurdität des irdischen Treibens. Er gibt das sich selbst oftmals allzu gewichtig und ernst nehmende menschliche Drama der Lächerlichkeit preis, und läßt all das illusorische Streben, Tun und Rollenspiel des verstandbasierten Ego einfach mal nonchalant ins Leere laufen.
Die Coens haben zwar ihre Charaktere in "The Big Lebowski" durchaus detailreich, authentisch und glaubwürdig gezeichnet, sie alle sind jedoch archetypische Abziehbilder und augenzwinkernde Parodien, destilliert von tatsächlichen Vorbildern auf der Bühne des Lebens. Liebenswerte Scherenschnitte menschlicher Eigenschaften und Ausprägungen.
* Da haben wir beispielsweise den rechthaberischen, sympathisch vor sich hin borderline-soziopathierenden Walter Sobchak.
* Oder Donnie, den stillen Außenseiter. Dem, selbst wenn er sich aufmerksamkeitsbedürftig zu Wort meldet, so recht niemand Beachtung schenken möchte.
Sein Nachname bleibt uns wohl auch nicht zufällig vorenthalten.
* Jesus Quintana in Verkörperung des selbstgefälligen Spezialistentums, als flamboyanter Kingpin des lokalen Bowling-Zirkels.
* Die Vorzeige-Intellektuelle/Künstlerin/Feministin Maude Lebowski.
* Den großkotzigen, von sozialdarwinistischem Unternehmergeist durchdrungenen Jeffrey "The Big" Lebowski.
* Brandt, der vollkommen in seiner Rolle als devoter Bediensteter aufgeht. Und bei dem man sich nicht so recht vorstellen kann, daß er darüber hinaus noch ein erfülltes Privatleben führt. Oder einen Vornamen hat.
* Den reaktionären Polizeichef von Malibu, dem resoluten Bewahrer von Ordnung und Status Quo.
* Den aalglatten, halbseidenen Geschäftsmann Jackie Treehorn.
* Die deutschen Nihilisten, als amoralische, menschlich-soziale Wertekonstruktionen negierende Kraft.
* Schließlich den Dude höchst selbst, die brillantest vorstellbare Inkarnation des Slacker-, Hippie-Typus. Er ist vor allem daran interessiert, daß das Weltgeschehen nicht allzu sehr seine kleinen persönlichen Belange tangiert. So lange sein gemütlicher Teppich den Raum zusammen hält, ist er mit sich und der Welt zufrieden.
Und noch so einige Typen mehr.
Bei eigentlich allen kann man sich irgendwie nur schwer vorstellen, daß ihr Dasein über das uns exemplarisch Gezeigte hinaus geht. Daß sie ein Dasein außerhalb dieser Geschichte haben könnten.

Dann das Geschehen, in das die Figuren verwickelt werden. Alle Plot-Elemente, Szenen und Details erscheinen auf den ersten Blick wichtig und bedeutsam. Das meiste davon ist allerdings entweder heiße Luft oder Irritation.
Hinter allen sandmandalahaften Erscheinungsformen hervor grüßt uns die zugrunde liegende Leerheit des Zen.
* Der gesamte Entführungsfall, der eigentliche Motor des Geschehens, stellt sich am Ende als komplette Farce heraus.
* Der doppelte "falsche Hase", der angebliche Koffer voller Geld, enthält in zweifacher Täuschung entweder nur wertloses Papier oder Walters schmutzige Kochwäsche. Im Grunde also eigentlich: Nichts.
* Die gesamte vor sich her getragene unternehmerische Erfolgsgeschichte des "Big" Lebowski ist nur Fassade, die er für sein Selbstwertgefühl benötigt. Ebenso wie die Illusion einer treuen, geliebten Ehefrau, für deren Erhalt eine ehemalige Pornodarstellerin namens Bunny sorgen soll.
* Der Dude wiederholt im Laufe des Films immer wieder Phrasen und sprachliche Wendungen, die er zuvor irgendwo aufgeschnappt hat. Symbolisch dafür stehend, daß wir alle nur das farbige, zusammen gesetzte Mosaik äußerer Einflüsse sind, die wir individuell anordnen und einsetzen.
* Der Dude hält sich allzu häufig in bewußtseinsveränderten Zuständen auf, der alltäglichen Realität enthoben.
Es gibt keine allgemein gültige Wahrnehmung.
Zeit und Raum sind relativ.
Und das nicht allein in Traum-Sequenzen.
* Der Dude, sogar er, versucht anderen gegenüber einen vorteilhaften Eindruck zu erzeugen. Das wird deutlich, als er den beiden im Autodiebstahl ermittelnden Polizisten eine berufliche Tätigkeit vortäuschen will. Womit er im nächsten Moment natürlich umgehend auffliegt. Mehr noch, wenn er, obwohl selbst völlig planlos, bei verschiedenen Gelegenheiten den unterschiedlichsten Interessenparteien vermitteln möchte, er hätte den Durchblick und alles sei unter Kontrolle.
Wie so vieles wirkt das witzig und zugleich ein bißchen tragisch.
Ja, wir biegen uns die Dinge gerne mal so zurecht, wie sie uns passen, wie wir sie brauchen oder wie sie uns am angenehmsten sind. Was an unserer Selbst- und Außenwahrnehmung, an unserer gesamten Erscheinung, ist wirklich beständig und verläßlich?
* Walter hat in den humorvollen wie erschütternden Momenten bei Donnies Bestattung offensichtlich keinen blassen Dunst, wer sein langjähriger Bowling-Kumpel in Wirklichkeit war. Es ist wohl das erste Mal überhaupt, daß er Donnies Existenz bewußt zur Kenntnis nimmt, ihn als Person, abseits von dessen Funktion im Bowling-Team. Vergeblich sucht er gedanklich zuerst nach persönlichen Definitionspunkten seines mutmaßlichen Freundes. Also zimmert er sich schließlich aus dem Stehgreif einige biographische Eckpunkte für die angebracht erscheinende pastoral-pathetische Rede zusammen, die allein seinen eigenen (traumatischen) Erfahrungen entspringen und die Färbung seiner eigenen Geisteshaltung tragen.
Sind letztlich vielleicht alle unsere Lebensgeschichten von derartiger Beliebigkeit?
* Die Szene im Bestattungsinstitut führt uns die Hohlheit unserer Rituale vor Augen, die uns helfen sollen Haltung zu bewahren, angesichts der Hinfälligkeit unserer formalen Existenz. Donnies weltliche Überreste landen schließlich im blechernen Kaffeebohnen-Eimer aus dem Supermarkt um die Ecke. Walter und der Dude haben ihre eigene lapdidare und wohl nicht die schlechteste Art, mit dem Verlust und ihrer Trauer umzugehen: "Fuck it, man. Let's go bowling."
* Schließlich die erstaunliche initiale Verwechslung der beiden so unterschiedlichen Lebowskis.
Welcher von beiden hatte noch gleich die Schulden bei Jackie Treehorn?
Und wer fragt eigentlich in hundert Jahren noch danach?

Keine Ahnung, wie wahrhaftig oder humorvoll Shakespeares gleichnamige Komödie ist, ob sie dies bezüglich mitzuhalten in der Lage ist, aber zumindest deren Titel würde zum Coen-Werk von 1998 ebenfalls prächtig passen: "Viel Lärm um Nichts".

Die Coens werden nur ein einziges Mal so richtig konkret. Im Epilog, in wenigen Monolog-Zeilen des Erzählers, des Strangers, wird deutlich worum es hier so, ganz nebenbei, unterschwellig, unter anderem geht:
"Daß Donnie abgetreten ist, hat mir nicht so gefallen. Aber dann fällt mir plötzlich wieder ein, daß da ein kleiner Lebowski unterwegs ist. Ich schätze, das ist genau die Art, wie das mit der ganzen verdammten menschlichen Komödie so abläuft. Eine Generation nach der anderen. Die Wagen ziehen nach Westen, sie fahren über den Sand der Zeit, bis wir ..... ach, hört mich an: ich schwafel' schon wieder...!"

"The Big Lebowski" ist ein nahezu perfektes filmisches Kunstwerk.
Eine wahnsinnig witzige Komödie.
Eine verschleierte, tiefsinnige Tragödie.
Ein charmantes Kaleidoskop an Charakteren.
Ein sich seiner selbst bewußtes Schauspiel.
Es ist ein Hochgesang auf die Diversität des Daseins und des Menschen - und zugleich deren Nichtigkeit.

Indem er die existenzielle Tragik nicht leugnet, sondern umarmt daß alle Formen der Veränderung unterworfene, kurzlebige, fragile Konstrukte sind, sie durchdringt und auflöst, macht der Film die dahinter liegende Unbeschwertheit, Freude, Befreiung, ein klein wenig spürbar.


"Leere ist Form.
Form ist Leere."


Würde der Dude jetzt all dem Gesagten zustimmen wollen?

Schwer einzuschätzen.
Aber man muß auch nicht auf alles eine Antwort haben.

Wahrscheinlich nur, wenn er gerade einen durchgelassen hat.

Ansonsten bekäme man wohl nur ein lässiges, schulterzuckendes:
"The Dude abides."


- Heiko - 06/2012