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 „Manche tanzеn, manche sitzen still und träumen das
Leben erneut. Ich hoffe, sie werden nie erwachen...“
(aus: EA80 – Waldmenschen)


[01] ASHBURY – Endless Skies (1983)

Ein erstes Album in den frühen Achtzigern, dann über viele Jahre keine weitere LP mehr, bis 2010 und 2018: Die Amerikaner ASHBURY machen sich recht rar, was Veröffentlichungen angeht. Mit ihrem selbstproduzierten Erstling erinnern sie mich ein wenig an MANILLA ROAD, von der Gestaltung der Albumcover (siehe deren ebenfalls 1983 veröffentlichtes Album „Crystal Logic“) bis zum Vertrauen auf die Eigeninitiative (beide Scheiben erschienen zunächst jeweils auf bandeigenem Label). Auch musikalisch ist mit dem Hang zum Epischen manche Gemeinsamkeit vorhanden, wobei MANILLA ROAD allerdings härter und eindeutig metallischer waren.

Beide Bands haben außerdem etwas Eigentümliches an sich, das heute mit dem Begriff „kauzig“ belegt wird. Lässt man die Musik auf sich wirken und dies vor allem mit Blick auf den musikalischen Zeitgeist von 1983 in den Genres Hardrock und Heavy Metal, würde einem die Vokabel „modern“ wohl kaum als erste einfallen. Die Produktion auf „Endless Skies“ wirkt warm und erdig, in ihrer Ausstrahlung eher in den Siebzigern angesiedelt. Vergleiche mit WISHBONE ASH oder JETHRO TULL werden in Zusammenhang mit dem ASHBURY-Debüt gern bemüht, was ja stimmt: diverse Gitarrenmelodien und Gesangslinien verweisen eindeutig auf die genannten Bands.

Der etwas mystisch und weltabgewandt wirkende Charakter der ASHBURY-Musik mag damals vielleicht sogar belächelt worden sein, wie aus der Zeit gefallen oder von gestern kommend. Das ist heute, in einer teilweise doch sehr hektischen Welt, für nicht wenige Fans ein Gütesiegel für entschleunigte und in sich ruhende Musik. Der harmonische Gesang, die akustischen Passagen und gutes Handwerk machen „Endless Skies“ zur lohnenswerten Anschaffung. Leichte Abzüge in der B-Note gibt es für das Instrumental „No Mourning“, für meinen Geschmack mit etwas zu viel „Gitarrengedudel“ angereichert (Fans werden nun vielleicht mit Dartpfeilen nach mir werfen, aber der Track hätte halt schon etwas überzeugender ausfallen können).

Was die Erhältlichkeit des Albums angeht, meinte es vor allem der deutsche Markt gut mit der Platte, die nach ihrer Wiederentdeckung in den 2000er Jahren diverse Male auf LP in verschiedenen Vinylfarben neu aufgelegt wurde. Auch an die CD-Käufer wurde gedacht, denn es muss ja nicht alles, was als „Kult“ gilt, ausschließlich auf Platte erscheinen oder auf LP gehört werden, weil nur auf diesem Medium die wahre Aura spürbar wird. Der Reiz von Vinyl-Pressungen ist natürlich nachvollziehbar, aber mitunter auch ziemlich kostspielig.


- Stefan - 10/2025


[02] CATHEDRAL – In Memoriam (1990) / Statik Majik (1994)

Wir schreiben das Jahr 1989: Das britische Knüppel-Kommando NAPALM DEATH muss einen erheblichen Aderlass hinnehmen. Neben Gitarrist Bill Steer (konzentriert sich nun auf CARCASS) verlässt auch Sänger Lee Dorrian die Band, des Vollgas-Lärms überdrüssig geworden. Sein wirkliches Interesse gilt nun dem Doom Metal, seine neue Formation CATHEDRAL nimmt schnell konkrete Formen an. Im Zeitraum 1990/91 erscheinen zwei Demotapes und auch gleich das Debütalbum „Forest of Equilibrium“.

EPs mit ausladender Spielzeit stehen in guter Tradition bei CATHEDRAL, so auch im Fall des ersten Demos, wobei der Lateiner in uns sofort erkannte, dass der Titel „In Memorium“ nicht ganz korrekt war und es natürlich „Memoriam“ heißen musste (bei späteren Releases entsprechend korrigiert). Das Tape war so gut, dass es wenige Jahre später auch auf CD und Vinyl erschien. Noch mit Ben Mochrie (später bei WALL OF SLEEP) am Schlagzeug kam das Demo auf eine Länge von satten 29 Minuten und überzeugte musikalisch sofort, selbst wenn das Klangbild noch etwas rumpelig tönt (die krawallige Death/Grind-Phase war für Sänger Lee halt noch nicht so lange vorbei, was man gelegentlich auch hört).

Wo die neuen Bezugspunkte nun lagen, machte die PENTAGRAM-Coverversion „All your Sins“ klar, wobei die US-Doomer in den frühen Neunzigern selbst zu neuer Bekanntheit kamen. Dass CATHEDRAL in einem frühen Entwicklungsstadium steckten, ist auf dem Demo zwar zu bemerken, doch die musikalische Reife entpuppt sich bereits hier als bemerkenswert. Die Eigenkompositionen bewegen sich im Bereich von sieben bis acht Minuten, werden aber nicht langweilig. Ein echtes Highlight ist das langsam vor sich stampfende Instrumental „March“ mit seinen wuchtigen Riffs, ein krönender Abschluss für „In Memoriam“.

Ein Sprung ins Jahr 1994: Bei CATHEDRAL stehen mittlerweile zwei Alben plus diverse Singles auf der Habenseite, die Band ist nun fest etabliert. Dem Hang zu langen EPs folgend erscheint mit „Statik Majik“ ein 40minüter, der selbst dann noch LP-Laufzeit hätte, würde man den bereits bekannten Track „Midnight Mountain“ abziehen. Bei der Tour mit BLACK SABBATH kam es zwar zu personellen Turbulenzen (Joe Hasselvander und Victor Griffin von PENTAGRAM mussten aushelfen), aber musikalisch war der mit Seventies-Einflüssen angereicherte Doom voll auf der Höhe.

Besonders die Tracks 3 und 4, zusammen eine halbe Stunde lang, haben sich über die Jahrzehnte sehr gut gehalten: „Cosmic Funeral“ ist mit feinen Riffs gesegnet, während das 23 Minuten lange „The Voyage of the Homeless Sapien” den ungewöhnlichsten Song der EP bildet. Das überlange Stück ist nicht etwa mit ausgedehnten Drone-Sounds oder ähnlichen Spielereien bequem auf Länge gebracht, sondern sauber durchkomponiert, wobei es der Band gelingt, sehr unterschiedlich klingende Passagen so miteinander zu vereinen, dass der Song trotzdem nicht in seine Einzelteile zerfällt. Die US-Version der EP mit dem Titel „Cosmic Requiem“ verzichtet auf „Midnight Mountain“ und hat dafür „A Funeral Request“ (leicht umgetitelt allerdings) von der Japan-Version des zweiten Albums „The ethereal Mirror“ an Bord, außerdem ein anderes Artwork. Welche Variante es auch sein soll, der Gegenwert ist enorm und stellt unter Beweis, dass CATHEDRAL seinerzeit richtig gut in Form waren und innerhalb weniger Jahre gekonnt ihren eigenen Bandsound entwickelt hatten.


- Stefan - 10/2025


[03] SLEEP – The Sciences (2018)

Es war vor Jahren in einem Edeka-Markt, nach einer Sitzung der ZWNN-Redaktion (zwei ältere Herren treffen sich in der Kneipe oder im Biergarten): Der samstägliche Einkauf führt mich an der Gemüseabteilung vorbei, wo ein ca. zwanzigjähriger Mitarbeiter hingebungsvoll die Zucchini sauberwischt. Die Zen-artige Gelassenheit seines Tuns korrespondiert mit seinem SLEEP-Shirt, was mich doch überrascht. Die junge Generation hört Rumpelmusik für uns Ältere? Das muss honoriert werden und sei es mit einer Erwähnung in dieser Herbstrubrik, was hiermit geschehen ist.    

Die zwischenzeitlich Ende der Neunziger aufgelöste Band ist wieder aktiv und das beinahe in der Besetzung, die schon auf dem 1992er Album „Sleep’s Holy Mountain“ zu hören war. Am Schlagzeug saß bei „The Sciences“ Jason Roeder von NEUROSIS, Al Cisneros (bs/voc) und Matt Pike (git) sind geblieben. Unverändert ist auch der große Einfluss von BLACK SABBATH, der schon zu frühen EP-Zeiten (siehe die Single von 1991) zelebriert wurde, inklusive Hommage an das Artwork der vierten Sabbath-Scheibe von 1972.

Nach dreiminütigem Intro, einem Sich-Eingrooven mit Gefiepe und brummelnden Gitarrensounds, geht es los und für die nächsten 50 Minuten hat man das Gefühl, die Band wandert mehr oder weniger durch einen großen Song, der nur der Bequemlichkeit halber in diverse Einzeltracks portioniert wurde. Durch den markanten Gesang und den Gitarrensound gibt es einen recht hohen Wiedererkennungswert, SLEEP-Material lässt sich dadurch ohne größere Schwierigkeiten identifizieren. Das Auswalzen der Riffs führt zu gelegentlichem Abschweifen, aus dem die Band dann aber wieder in songdienliches Terrain zurückkehrt.

Ordentlich gekifft wird wohl auch im SLEEP-Lager, wenn man zumindest oberflächlich die Texte studiert, aber das soll uns nicht weiter stören. Die Songstrukturen wabern kaum überraschend oft über zehn Minuten hinaus und variieren die musikalischen Motive, setzen weniger auf markante individuelle Höhepunkte. Ein Problem für Hörer, die es prägnant auf den Punkt formuliert mögen.

Stoner-Doom-Freunde sollten damit jedoch klarkommen, zumal SLEEP einfach eine funktionierende Formel gefunden haben, die sie offensichtlich gut beherrschen. Riff um Riff wird um ein Zentrum kreisend aneinandergefügt, der Sound driftet gekonnt in andere Sphären ab. Das kann man jetzt langatmig finden oder aber sich davon mitnehmen lassen. Ein schräger Humor vermutlich auch selbstironischer Art scheint ebenfalls vorhanden zu sein, ein Songtitel wie „Giza Butler“ schlägt in diese Kerbe (und nein, dieses Wortspiel erklären wir jetzt nicht). Das gelungenste Stück ist mit „Antarcticans Thawed“ zugleich das längste auf dem Album, wobei „The Sciences“ davon lebt, am Stück gehört zu werden, ohne auf konventionelle Erwartungen Rücksicht zu nehmen. Eine „Hitsingle“ oder Ähnliches drängt sich dabei natürlich nicht auf, das würde dieser Form von Musik auch widersprechen.


- Stefan - 10/2025


[04] PETER MURPHY – Silver Shade (2025)

Eine Stimme, die man im Prinzip sofort erkennt: Auch ohne seine frühere Band BAUHAUS im Rücken ist Peter Murphy unmittelbar präsent. Seine Solokarriere, unterbrochen von verschiedenen BAUHAUS-Comebacks, pausierte albumtechnisch gesehen nach „Lion“ (2014) über zehn Jahre lang, bevor Murphy 2025 mit dem vorliegenden Longplayer wieder in Erscheinung getreten ist. Weniger sperrig als so mancher Track seiner früheren Band ist das Material auf „Silver Shade“ zwischen düsterem Elektro-Pop und Goth-Rock angesiedelt, durchweg eingängig und auch stimmlich präsentiert sich Murphy im Alter von 68 Jahren mehr als respektabel.

Allerdings dauert es etwas, bis das Album sein eigentliches Qualitätslevel erreicht. Der vorab als Single ausgekoppelte Opener „Swoon“ ist recht gut, hat aber über die Distanz von fünf Minuten Laufzeit zu wenig Höhepunkte. Über die nächsten Nummern steigert sich das Ganze aber bis zum auf Rang 4 platzierten Titeltrack recht zügig und stellt unter Beweis, dass Peter Murphy seine markante Ausdruckskraft nicht verloren hat. Die Stücke sind musikalisch eher einfach strukturiert, was für die Zukunft bedeuten mag, dass sie sich irgendwann abnutzen werden, aber das soll der Langzeittest zeigen – für den Moment klingt das jedenfalls problemlos überzeugend. Zugegeben, nicht jeder Song ist restlos gelungen und kompositorisch voll ausgereift, da sollte auch die Wiederhörensfreude das Urteilsvermögen nicht trüben. Das Positive überwiegt jedoch, etwa in Form einer Dreierformation wie dem Titeltrack, dem nachfolgenden „The Artroom Wonder“ und dem auch gesanglich epischer angelegten „The Meaning of my Life“. Stilistisch liegt das recht nah beieinander, entwickelt aber jeweils eigenen Charakter. Gelungen!


Kleinere Schönheitsfehler würde ich bei Randerscheinungen des Sound-Designs ausmachen wollen: Die Beats zu Beginn von „Cochita is lame“ etwa klingen doch ein wenig wie daheim am Rechner zusammengeklöppelt oder nach einem frühen Demo (was sich härter lesen mag als es gemeint ist, es sind ja nur Kleinigkeiten). Die Klänge auf „Silver Shade“ sind von Elektro-Pop dominiert, Gitarrenlastiges à la „Soothsayer“ findet sich nur selten und auch orientalische Einflüsse (Murphy lebt schon seit Jahrzehnten in der Türkei) wie bei „Time waits“ tauchen kaum auf. Das sorgt allerdings, wenn es denn so weit ist, definitiv für Abwechslung und hätte daher mehr Raum haben dürfen, zumal die betreffenden Tracks auch noch gut sind.

Musikalisch wäre bei einigen Stücken sicher noch mehr herauszuholen, was Dramaturgie und Instrumentierung betrifft. Was das Album über die volle Distanz verlässlich trägt, ist die beeindruckende Gesangsleistung, wobei es weniger um die Technik als um die Persönlichkeit geht, die den Songs etwas mitgibt, was bei einer nicht so unverwechselbaren Stimme kaum präsent wäre. Das abschließende „Let the flowers grow“, ein Duett mit Boy George, gab es schon vor Erscheinen der LP/CD und es ist auch hier ein Highlight. Noch lässt sich zwar kaum ausmachen, wie sich „Silver Shade“ in zwei bis drei Jahren im persönlichen Geschmackskosmos platziert haben wird, aber jetzt und hier ist diese musikalische Rückkehr ein willkommenes Lebenszeichen eines Musikers, der nicht von der Vergangenheit zehren muss, um wahrgenommen zu werden.



- Stefan - 10/2025



[05] MARIANNE FAITHFULL – Broken English (1979)

„The Ballad of Lucy Jordan“ lief in meiner unzuverlässigen Erinnerung bis Mitte der 80er-Jahre mindestens einmal pro Woche im Radio in der elterlichen Küche. Ich wusste nicht, wie das Lied hieß, auch nicht den Namen der Sängerin, und da ich noch kein Englisch konnte, hatte ich keine Ahnung, um was es in dem Lied ging. Was mich jedoch sehr berührte, war diese oft kurz vor dem Brechen stehende Stimme. Ich ahnte, dass hier eine traurige Geschichte erzählt wurde, die von etwas handelte, mit dem ich damals noch nicht konfrontiert gewesen war.

Nach einer kurzen Karriere als Popmusikerin in den 60er-Jahren und der Bekanntheit als Freundin von Mick Jagger ging es mit Marianne Faithfull fast das ganze Folgejahrzehnt abwärts: Fehlgeburt, Sorgerechtsentzug, Essstörung, Heroinabhängigkeit, Suizidversuch, zeitweises Leben auf der Straße. „Broken English“ war das Comeback-Album. Auch wenn sie nur am Titelsong und zwei weiteren Stücken songwriterisch beteiligt war, reflektieren die Texte Faithfulls Erfahrungen der vergangenen Jahre. Wie diese auch ihre Stimme beeinflusst haben, wird deutlich, wenn man „As Tears Go By“ von 1964 zum Vergleich heranzieht.

Das blaue Albumcover wirkt so unterkühlt wie die New-Wave-artige Musik, die mit Elementen aus Post-Punk und Reggae ergänzt wird. „Why D’Ya Do It?“ erinnert etwas an die Werke von Patti Smith ein paar Jahre zuvor, oft sind die Texte aber skizzenhafter. Während „Working Class Hero“ von John Lennon eine traurige Hymne an die Arbeiterklasse ist, zelebriert Marianne Faithfull mit bedrohlicher Bass- und Synthesizer-Begleitung einen illusionslosen Abgesang.

„Broken English“ war ein riesiger Charterfolg und ein Neustart in jeder Hinsicht. Bis zu ihrem Tod im Alter von 78 Jahren im Januar dieses Jahres folgten mehrere Alben und Auftritte in Filmen, am bekanntesten dürfte hier „Irina Palm“ sein. Ich bin kein Experte für Marianne Faithfull und auch für Metallica schon lange nicht mehr, darum stieß ich erst bei der Recherche zu diesem Text auf das „The Memory Remains“-Video von Metallica aus dem Jahr 1997, wo sie den Part von Hetfield übernommen hatte, der den Song im Gedächtnis bleiben lässt.

Das Album ist auf Vinyl in gutem Zustand oft für wenige Euros in vielen Second-Hand-Läden zu finden. Zum Weiterhören könnte „Before The Poison“ von 2004 empfohlen werden, wo Marianne Faithfull bei einigen Songs mit der bewundernswerten PJ Harvey kollaboriert.


- Martin - 11/2025



[06] JERRY CANTRELL – I want Blood (2024)

„Straßenreinigung tötet Herbstmusik“ könnte die Headline lauten, wäre ich Redakteur eines reißerischen Revolverblatts und der Blick aus dem Fenster bescherte einem freie Sicht auf kürzlich noch stimmungsvoll von buntem Laub bedeckte Gehwege. Ja, so muss man heute arbeiten, es wird einem nicht leicht gemacht. Musikalisch schafft hier das im letzten Jahr erschienene Soloalbum von ALICE IN CHAINS-Gitarrist Jerry Cantrell Abhilfe, entstanden mit der Unterstützung prominenter Gastmusiker.

Cantrell standen dabei Kollegen wie Robert Trujillo, Duff McKagan oder Mike Bordin zur Seite, wobei es dieses Namedropping gar nicht bräuchte, denn das Album wäre auch ohne solche Verweise stark genug, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „I want Blood“ ist der diesmal recht zügig nach “Brighten” von 2021 erschienene Nachfolger, in den 2010er Jahren hatte es keine einzige Soloscheibe von Cantrell gegeben. Das im Eigenverlag veröffentlichte Werk dürfte auch gehobene Erwartungen zufriedenstellen, interessierte Fans von ALICE IN CHAINS werden ohnehin hellhörig geworden sein.

Was die Struktur der Scheibe betrifft, könnte man zumindest in Teilen zwei Schwerpunkte ausmachen: auf der einen Seite die mit kraftvollen Riffs angereicherte, etwas rockigere oder härtere Schiene, daneben vor allem in der zweiten Hälfte dann die ein wenig ruhiger angelegten Songs. Gelungen ist beides ausgefallen, somit kann man je nach Stimmung das jeweils Ansprechende auswählen. Der Titeltrack zum Beispiel stellt den „Rocker“-Typ dar, Stücke wie „Afterglow“ oder „Echoes of Laughter“ sind da zurückhaltender. Besondere Höhepunkte lassen gar nicht mal so einfach benennen, das Album ist schon der klassische Longplayer, der eindeutig von seinem Gesamteindruck lebt und das wirklich gekonnt umzusetzen versteht.

Immer wieder klar erkennbar ist, wie auch bei SOUNDGARDEN früher, der Sabbath-/Iommi-Einfluss im Gitarrenbereich. Cantrell ist da einem musikalischen Background treu geblieben, der schon zu den frühen Grunge-Zeiten in den Neunzigern vorhanden war. Was die Gesangsphrasierung betrifft, kann man auch auf Iommis Soloscheibe aus dem Jahr 2000 (ebenfalls mit prominenten Gastmusikern besetzt) Bezugspunkte finden bzw. Gemeinsamkeiten wie etwa bei „Let it lie“, ohne dabei jedoch simples Abkupfern unterstellen zu wollen. „I want Blood“ ist auch nach mehrmaligem Durchlauf ein Album, das sich kaum abnutzt. Es passt in die aktuelle Jahreszeit, findet eine ansprechende Balance zwischen harter Gitarrenmusik und ruhigen Momenten. Auch der Metaller mit gelegentlichen melancholischen Tendenzen dürfte hier wohl problemlos fündig werden, wobei man sich mit genrebedingten Berührungsängsten sowieso nicht weiter belasten sollte.


- Stefan - 11/2025