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(1982)

dream theater - when dream and day unite

Was bin ich begeistert!!! Seit zwei, drei Wochen dreht auf meinem Plattenspieler (ja, Kinder der schönen neuen Welt: PLATTENSPIELER; das ist so ein sonderbares Gerät, das heutzutage nur noch irgendwelche nervtötenden DJs in Gebrauch haben, um damit Dinge zu veranstalten, die eine CD nun mal nicht kann) ein Stück Vinyl seine Runden, das es so dermaßen in sich hat, daß es wohl nie zum Klassiker werden konnte. Vor vielen, vielen Jahren im Rahmen der aufkeimenden New Wave of British Heavy Metal einmal heiß geliebt, später dann fast vergessen und kürzlich beim Stöbern in meiner inzwischen doch recht umfangreichen Vinylsammlung wiederentdeckt... Keine der wirklich großen Bands, musikalisch vielleicht auch nicht gerade bahnbrechend, aber ehrlich, intensiv, sympathisch und authentisch. Und deshalb denke ich, daß eine Besprechung im Rahmen dieses Fanzines gerechtfertigt sein dürfte: Es ist Stromgitarrenmusik, es ist mehr, und irgendwie paßt es einfach zu dem Spirit oder dem Zeitgeist, den unser TRUST-Artikel transportiert.

Die Rede ist von MOREs zweiter Scheibe aus dem Jahr 1982. MORE waren eine der vielen NWOBHM-Bands, die es leider nie geschafft haben. Zwar war die Band mit ihrem recht beachtlichen Debüt Warhead (1981), auf dem relativ typischer NWOBHM mit dezenten AC/DC-Referenzen geboten wird, bei dem Major Atlantic untergekommen, konnte mit Paul Mario Day auf einen Shouter verweisen, der bereits einmal bei IRON MAIDEN gesungen hatte und hatte auch sonst allerlei Qualitäten am Start, allem voran der wohl mindestens 3 Zentner wiegende Bandleader und Leadgitarrist Kenny Cox, dessen herausragende Gitarrenarbeit Perlen wie Warhead, Depression, Way of the World oder We are the Band erst den richtigen Schliff gab. Außerdem war der Mann optisch ungemein beeindruckend; ich erinnere mich an das Erlanger Konzert der `81er IRON MAIDEN Killers World Tour, bei der MORE als Special Guest vertreten waren. Abgesehen davon, daß MORE einen schweinegeilen Auftritt hinlegten war es vor allem die Präsenz von Kenny Cox, der die rechte Bühnenseite fast im Alleingang "ausfüllte", was einem damals 15-jährigen Metalhead doch mächtig imponieren konnte... Indes, they didn´t make it...

1982 kam dann MOREs selbstproduzierte zweite LP Blood & Thunder heraus, ebenfalls bei Atlantic, was irgendwie darauf hindeutete, daß sich Warhead anscheinend doch ganz gut verkauft hatte. Dieses "Schicksal" dürfte allerdings Blood & Thunder wohl nicht geteilt haben. Ein Blick auf das Backcover verriet, daß die Band einen gewaltigen Aderlaß zu verschmerzen hatte: Paul Mario Day war gegangen, um mit den melodischeren, aber dennoch exquisiten WILDFIRE fortan auf Solopfaden zu wandeln (später heuerte er dann noch bei Andy Scott´s SWEET an), und mit dem zweiten Gitarristen Laurie Mansworth und Drummer Frank Darch hatten zwei weitere Mitglieder MORE den Rücken gekehrt.
Als Neuzugänge waren Sänger Mick Stratton und der junge Schlagzeuger Andy John Burton hinzugekommen, um Basser Brian Day, Bruder von Ex-Vocalist Paul, und Cox, der alle Gitarrenparts von nun an im Alleingang meisterte, zu verstärken.

Optisch machte Blood & Thunder nicht gerade besonders viel her; das Bandlogo, eine sehr eigene Version eines – natürlich – umgedrehten Pentagramms (man war ja schließlich so was von evil damals) war im Gegensatz zu Warhead, wo es das gesamte Cover zierte, nur noch stark verkleinert vertreten, und der nicht gerade übermäßig ansehnliche Kenny Cox hielt seine Flying V in die Kamera... sehr schlicht. Musikalisch dagegen krachte Blood & Thunder von der allerersten Sekunde an.
Eingeleitet von einem satten Rülpser (!) ließ die Band mit ihrem Zweitwerk von Anfang an keinen Zweifel darüber, wie angepißt man war. Killer on the Prowl dröhnt rauh und heftig aus den Boxen, das Riff erinnert an SAXONs The Eagle has landed (1983), die Klampfe lärmt, Sänger Stratton schreit und röhrt sich krächzend die Seele aus dem Leib, das Schlagzeug steht stark im Vordergrund... bei Track #2, dem Titelsong, darf Burton gar mit einem kurzen aber feinen Drumsolo aufwarten... einfach nur dreist! Auch hier das gleiche Bild: Stratton krächzt in bester Angry Anderson-Manier, die Gitarre ist laut, roh und fett, die Drums scheppern... also eine Majorproduktion klingt doch irgendwie anders?
Numero drei, I just can´t believe it, kommt genauso ungeschliffen daher. Irgendwie atmet das alles ein Proberaum- oder Demofeeling, haut aber wohl gerade deswegen so unheimlich gut rein. Ach ja: Shouter Stratton, der für diese Scheibe eigens alle bereits von Paul Mario Day geschriebenen Lyrics neu getextet hatte, verarbeitet hier seinen Liebeskummer; wirklich authentisch!
I´ve been waiting, der nächste Song, groovt unwiderstehlich, mündet dann in einen ruhigeren Mittelteil, was Stratton aber nicht davon abhält, zu zeigen, wie sehr er beim Warten gelitten hat.
Traitor´s Gate, das letzte Stück auf Seite 1, ist dann fast schon kommerziell (sofern man dieses Wort im Zusammenhang mit Blood & Thunder überhaupt gebrauchen kann) und hätte wohl eine recht gute Single-Auskopplung abgegeben. Herausragend die melodische Gitarrenarbeit.

Seite 2 wird mit Rock´n´Roll eingeläutet, und genauso hat Rock´n´Roll zu klingen: Ein simpler, aber unwiderstehlicher Groove, ein geiles Riff, knackige Drums...und schön dreckig!
I wanna take you ist ob seiner Schlichtheit dann fast schon Punk, aber halt nur fast. Viel Vibratoarbeit von Cox sowie ein getragenerer Mittelteil mit ziemlich melodiösen Vocals sind hier die Aktivposten.
Go home ist auch eher schlicht angelegt, aber der Break mit den furiosen Leadgitarrenparts und den stampfenden Drums verleiht dem Stück dann doch wieder etwas besonderes.
Mit dem anschließenden Instrumental The Eye haben sich MORE dann fast selbst übertroffen: Düster und bedrohlich, mit viel Delay auf der Klampfe und einem wummernden Baß erinnert es ein wenig an sattsam bekannte NWOBHM-Trademarks.
Den Kreis schließt schließlich Nightmare: Hier klingen MORE noch am ehesten wie auf ihrem Debüt. Ein langsamer Songaufbau, Stratton röhrt wieder wie ein waidwunder Hirsch, klare, perlende Gitarren mit vielen Flageoletts, bis schließlich im Refrain alles aufblitzt, was MORE so auszeichnet. Der anschließende Gitarrensolopart steigert sich in ähnlicher Weise wie LYNYRD SKYNYRDs Freebird, und mit stakkatoartigen Rhythmen geht es dem Ende entgegen, doch auch das wird bis zum Letzten ausgekostet...

Diese Platte schreit förmlich nach einer heavy rotation; sofort nach Verklingen des letzten Tons ist man versucht, alles noch einmal von vorne zu hören, und würde ich nicht den knisternden Vinyl-Sound so lieben, würde ich mir dieses Teil glatt noch auf CD zulegen. Denn zum Glück ist Blood & Thunder inzwischen auch in Form eines kleinen, bequemen Silberlings zu haben (Rerelease auf Wounded Bird Records), und wer die Gelegenheit hat, dieses starke Stück NWOBHM für ein paar Euro bei ebay zu erstehen, sollte unbedingt zuschlagen. Wie gesagt: Mit Sicherheit kein Klassiker, aber ein authentisches Stück Rock/Metal voller ehrlicher Emotionen, dessen ungezügelte Intensität nur sehr schwer in Worte zu fassen ist.

Leider lösten sich MORE nach dieser LP auf, was angesichts der Ansprüche eines Major-Labels wohl auch nicht weiter verwunderlich sein dürfte... Eigentlich müßte man so gesehen vielmehr dankbar sein, daß dieses Werk überhaupt je das Licht der Welt erblicken durfte (bei den heute üblichen Praktiken wären die Master Tapes wohl auf Nimmerwiedersehen in irgendwelchen dunklen Archiven verschwunden!). Viel hörte man nicht mehr von den Protagonisten: Ein MORE-Reunionsversuch anno 1985 scheiterte leider sang- und klanglos, und nachdem Kenny Cox ab 1987 zusammen mit anderen Metal-Schwergewichten wie Nicki Moore (Ex-SAMSON) und John McCoy (Ex-GILLAN) ein kurzes Gastspiel bei der mega-gehypten Fatman-Combo MAMMOTH gegeben hatte, verschwand auch er vollkommen von der Bildfläche.

- Klaus - 01/08