Wir schreiben das Jahr 1978. Die Dinos (Led Zeppelin, Black Sabbath) sind
müde geworden, haben das Zeitliche gesegnet (Deep Purple) oder dümpeln
etwas orientierungslos vor sich hin (UFO, Aerosmith); die großen Artrockbands
wie Yes oder Genesis verlieren sich entweder in immer abgehobeneren Songkunstwerken
oder in immer banaleren Popsongs, selbst spätere Überflieger wie
Rush oder die Scorpions basteln trotz langjährigen Bestehens immer
noch an so etwas wie einem eigenen Stil. Krautrock ist tot, der NWOBHM-Funke
hat noch nicht gezündet, deren Vorläufer (Judas Priest, Saxon)
säuseln noch in Samthöschen über Regenbogen und andere Pseudomystizismen,
deren Initiatoren (Iron Maiden, Angel Witch und Konsorten) sind noch eifrig
bemüht, sich vom Punk abzugrenzen, der sich genauso schnell wieder
verausgabt hat wie er aufgetaucht ist und in einer widerlich schmierigen
New Wave ausplätschert...
Niemandsland für harte Töne?
Freilich; Bands wie Blue Öyster Cult, Kiss oder Status Quo spielen
ihre Lightversion von Heavy Rock, AC/DC halten die Fahne des Rock´n´Roll
hoch, Motörhead pflegen eine etwas räudigere Variante dieser Spielart,
die – Tribut an Clashpistolssham69? – spürbar die Energie des Punk
atmet. Doch darüber hinaus tut sich reichlich wenig in einer Szene,
in der sogar Bands wie Styx unter dem Label "Heavy Metal" geführt
werden.
Auch hinsichtlich der textlichen Inhalte ist eigentlich alles beim alten
geblieben: Sex & Drugs & Rock´n´Roll, dazu noch etwas Mystik oder
Fantasy vornehmlich DIO´scher Prägung, zugegebenermaßen zum Teil
in nie dagewesener Tiefe und Prägnanz (man denke nur an die grandiosen
Lyrics eines Bon Scott oder Phil Lynott!). Vorbei die miesen Zeiten, in
denen man sich mit aggressiven Songtexten den Ärger aus dem Leib schreien
mußte? Wohl eher nicht...
Wie schon Ende der sechziger Jahre, als Bands wie MC 5 ein Gegengewicht
zum Heile-Welt-Gesäusel der Hippiebewegung bildeten, hatte sich die
über eine Dekade lang aufgestaute Wut einiger musizierender Underdogs
in Form einer kurzen Explosion über die Musikszene ergossen, war aber
wohl nicht massenkompatibel genug gewesen um einen Trend initiieren zu können
(ähnlich knapp 20 Jahre später die Grunge-"Bewegung"
ab Mitte der depressiven Neunziger, die sich allerdings dank einer effizienter
strukturierten Musikindustrie tatsächlich eine Zeit lang halten konnte;
letztendlich verrauchte aber auch sie relativ schnell wieder und machte
einer Generation von neuen Bands Platz, die unter dem Deckmäntelchen
eines immer kontroverser zu definierenden Kunstbegriffes ihre Neurosen öffentlich
machten; "Therapiegruppen" gewissermaßen...).
Was lange gärt´, ward endlich Wut? Sicherlich! Doch wie glaubwürdig
sind gerade Bands, die sich die Anprangerung sozialer Mißstände
auf die Fahnen geschrieben haben, wenn sie nach einem kurzen Ausbruch zur
Bequemlichkeit zurückkehren, sich vom "Establishment" vereinnahmen
lassen? War deren Zorn so einfach zu beschwichtigen? Haben sie gar etwas
verändert? Haben sie einfach nur resigniert? Oder war alles bloß
ein Strohfeuer, das mit ein paar Dollars schnell wieder gelöscht werden
konnte?
Rockmusik im eigentlichen Sinne muß anecken, Punk(t). Rockmusik ist
seit je her das Stilmittel der Unterprivilegierten, die in einer vom saturierten
Spießbürgertum dominierten Gesellschaft auf sich und ihre Außenseiterrolle
aufmerksam machen wollen, mit dem Ziel, ein – wie auch immer zu definierendes
- lebenswerteres Leben zu erreichen. Sieht man einmal vom reinen Fun-Faktor
ab, liegt das Paradoxon engagierter Rockmusik jenseits von Sex & Drugs
& Rock´n´Roll wohl darin begründet, daß man bewußt
auf einem Underdog- oder Freebird-Image herumreitet, das man
ungeachtet aller revolutionären Aussagen gar nicht aufgeben möchte
oder kann, denn würde man die Gesellschaft nach seinen Vorstellungen
verändern können, würde man auch den Spirit des Rock ad absurdum
führen und auf seinen reinen Unterhaltungswert reduzieren, sozusagen
ein Nullsummenspiel! Gibt es nichts mehr, wogegen man sich auflehnen kann,
so stirbt auch die Revolution (so weit wird es allerdings in unserer schönen
neuen Welt niemals kommen und somit hat diese Art von Musik letztlich doch
eine "stabilisierende" Funktion). Letzten Endes geht es also nicht
um die vorgebliche Veränderung der Gesellschaft, sondern lediglich
um eine – materielle oder quantitative – Verbesserung der eigenen Position,
um ein weitgehend hedonistisches In-seiner-Nische-besser-Dastehen.
Da
allerdings keine Regel ohne Ausnahme, hat sich im Laufe der Geschichte der
Rockmusik auch eine Variante engagierter Rockbands herausgebildet, die einen
idealistischen oder politischen, verallgemeinernd: qualitativen, Ansatz
verfolgen; der Unterschied zu den hedonistischen Vertretern dieser Zunft
liegt wohl in erster Linie in der Konsequenz, mit der sie ihre Botschaft
vertreten. Nichtsdestotrotz müssen sich auch diese Bands – mehr oder
weniger bewußt – den gängigen Mechanismen unterwerfen, einfach
um Gehör zu finden.
Das hat kaum etwas mit der oft falsch und abschätzig - im Sinne von
eingängig - gebrauchten Vokabel kommerziell zu tun; auch
die Selbsteinschätzung von Rockmusikern als "Künstler"
ist in diesem Sinne eher kontraproduktiv... Ist solide Rockmusik nicht eher
so etwas wie ein Handwerk (in dem man es auf der virtuosen Seite auch durchaus
zu Meisterehren bringen kann)? Ist eine aussagekräftige Message im
Kontext eines glaubwürdigen Bandimages nicht gerade dann am effektivsten,
wenn sie eine relativ flächendeckende Verbreitung erfährt? Ist
diese Verbreitung letzten Endes nicht nur dann realisierbar, wenn man auf
eine gewisse musikalische Eingängigkeit oder Kompatibilität mit
den angesagten Hörgewohnheiten einer anvisierten Zielgruppe verweisen
kann - trotz einer unbequemen inhaltlichen Ausrichtung? (Oder gerade
wegen? Wohl kaum; viel zu wenige "Fans" scheinen ihren Idolen gerade
wegen deren Lyrics Gehör zu schenken, da zu banal, nicht interessant
genug oder auch schlichtweg mental überfordernd...) Und wie kann man
diese Verbreitung erreichen, wenn gerade die (Musik-)Industrie, die man
– direkt oder indirekt – angreift, ein weiterer Auswuchs eines Systems ist,
in dem und gegen das man rebelliert?
Rockmusik am Scheideweg zwischen Akzeptanz und Käuflichkeit, attitude
und credibility, nicht nur Ende der Siebziger...
Just zu dieser Zeit erschienen aber zwei Bands auf der Bildfläche,
die inhaltlich etwas mehr zu sagen hatten als der graue Durchschnitt und
die es wie kaum jemand sonst verstanden, Rock´n´Roll, Heavy Rock und Punk
auf eine so einmalige Weise miteinander zu verbinden, daß man es eigentlich
nur als revolutionär bezeichnen kann (die damalige Underground-Präsenz
spricht Bände und belegt einmal mehr - bedenkt man den späteren
Kultstatus dieser Combos – die Redewendung "seiner Zeit voraus sein"):
Zum einen die unvergleichlichen (und glücklicherweise wiederbelebten)
Rose Tattoo aus God´s own Country mit ihrem aggressiven Asozialen-Rock,
wie ihn wohl nur zutiefst frustrierte Kreaturen vom Rande der Gesellschaft
zustande bringen, und zum anderen die extrem polarisierenden Trust aus Frankreich,
die den politischen Zeitgeist, der Ende der Siebziger Kontinentaleuropa
heimsuchte, wie keine zweite Band vor oder nach ihnen auf den Punkt brachten.
Sozialkritisch und voller Sprengkraft, doch wohl leider nicht nachhaltig
genug für l`Hexagone und insbesondere Resteuropa (vom Rest der
Welt – wie so oft - ganz zu schweigen).
Daß der Prophet im eigenen Lande oft nichts gilt konnte ich anno 1982
anläßlich eines Sprachurlaubs in Südfrankreich hautnah miterleben;
zufällig hatte ich beim Stöbern in einem kleinen Plattenladen
ein Originalexemplar von Trusts selbstbetitelter Debüt-LP erstanden,
das natürlich umgehend auf dem klapprigen Plattenspieler meiner Gastfamilie
angetestet wurde. Der in etwa gleichaltrige Sohn des Hauses suchte sofort
sein Heil in der Flucht und stammelte nur noch "Merde alors!"...
Naja, ein Blick in dessen Plattensammlung verriet schnell, daß er
an der damals in Frankreich weitverbreiteten Plastikpop-Geschmacksverirrung
litt, kann ja mal vorkommen.
Doch auch auf höherer Ebene waren Trust heftig umstritten, ein Redakteur
des französischen Faith-Fanzines ließ sich sogar zu der
Aussage hinreißen, er hasse die Band! Und – was für eine köstliche
Selbstironie! – in den Liner Notes ihres Savage/Marche ou crève-Albums
widmet die Band das Werk denn auch folgerichtig denjenigen, die sie lieben
UND denjenigen, die sie hassen... Was ist also dran am Mythos Trust?
- Klaus -
Bildnachweis: (1) Logo vom Cover des 92er "Live"
Albums, (2) Bernie Bonvoisin, wahrscheinlich Anfang der der 80er Jahre,
keine weiteren Quellenangaben bekannt, www.trust.tm.fr