"Mach'
doch mal das Licht anders! Ich komme mir ja vor wie im Verhör! Ich gestehe,
ich gestehe alles!" Das Problem mit dem Licht konnte behoben werden,
obwohl Sänger Ingo von KLOTZS meinte, sie sollten ja nicht gesehen, sondern
gehört werden. KLOTZS waren mir nur von einer Split-Single mit EA80,
der zweiten Band dieses Abends bekannt, eine extreme Bildungslücke, wie
sich herausstellte. KLOTZS treten seit einigen Jahren nur noch als Duo mit
Schlagzeug und Baritongitarre (und einem Arsenal mit Effektgeräten vor
den Füßen) auf und produzieren damit noisigen, minimalistischen
Post-Punk, wenn man dafür ein Label vergeben will. Das machte viel Spaß,
denn Ingo hat etwas von Wolfgang Niedecken mit Klaus-Kinski-Wahnsinn, nur
eben in menschenfreundlich, etwa wenn er das Publikum darauf hinwies, dass
es deutlich hörbar quatschte, während die Band auf Bühne tobte.
"
und wenn ihr heute Abend nach Hause geht, werdet ihr heiser sein,
vom vielen REDEN!" Ingo schien während der Stücke so unter
Spannung zu stehen, das man glaubte er würde von der Gitarre gespielt
und nicht umgekehrt. Irgendwann während eines Songs, der "Mahlstrom"
hieß, war er weg, verschwunden auf den Boden vor der Bühne, wo
er sich tiefer nach unten sang, ein sehr eindringlicher Moment. EA80 hätten
keine bessere Vorband haben können, als KLOTZS nach einer knappen Stunde
den Sturm durch ihr Werk beendeten.
EA80 kenne ich etwa seit Ende der 90er Jahre, zusammen mit Stefan klaubte
ich mir das bis dahin erschienene Schaffen der Band zusammen, verfolgte ihren
Weg aus dem Augenwinkel und schrieb
auch mal hier was zu ihnen. Sie live zu sehen, hatte ich bisher nie geschafft,
denn sie verirren sich nicht oft nach Bayern, und auch von diesem Konzert
hatte ich eher zufällig gelesen.
Die Club-Bühne der Mälze war fast voll an diesem Abend, man sah
ein paar der erwarteten Gesichter, aber auch welche, die man hier nicht unbedingt
vermutet hätte (war das im Halbdunkel mein früherer, sich mittlerweile
im Ruhestand befindlicher Orthopäde?), aber man war sich einig, dass
Großes zu erwarten war. Schließlich gab es EA80 nun seit bald
40 Jahren, sie waren Legende, obwohl oder weil ihre Alben, dem konsequenten
DIY-Gedanken verpflichtet, unter dem Radar einer größeren Öffentlichkeit
erscheinen.
Ich kann nicht sagen, welche Lieder genau gespielt wurden, ich konnte mir
die kryptischen Titel noch nie richtig merken, doch ich erkannte viele der
Stücke wieder, die mir im Lauf der Jahre so viel bedeutet hatten und
deren Texte immer wieder neue Interpretationen zuließen. Sie nun in
unmittelbarer Nähe der Band inmitten einer teils umherhüpfenden,
doch meist eher still vor sich hin wippenden Menge zu erleben, hatte eine
sehr transzendente Qualität, in dem einem Moment, wenn das Bewusstsein
nur noch aus Sound besteht (jetzt fang ich schon an, wie Heiko zu schreiben
).
Musikalisch kreisten EA80 um ein bereits früh entwickeltes Zentrum, das
sich vermutlich nicht deshalb bis heute erhalten hat, weil sie nicht besser
spielen könnten oder zu bequem wären, auch andere Stilrichtungen
in ihren Sound zu integrieren. Vielleicht verfahren sie nach einem Muster,
wie es Fassbinder einmal beschrieben hat, nämlich dass viele Künstler
für sich ein Thema gefunden hätten (außer sie liefern als
"Handwerker" reine Auftragsarbeiten ab), welches sie dann variierten.
Trotz des fortgeschrittenen Alters der Bandmitglieder, die mittlerweile in
den späten 50ern sein dürften, nur der Bassist schien mir heute
neu und etwas jünger, klangen die Stücke kraftvoll und als wären
sie erst vor kurzem im Proberaum entstanden, was daran liegen mag, dass EA80
nicht oft proben und noch weniger auftreten, wohldosiert und wenn sie Lust
darauf haben. EA80 sind sympathische, ältere Männer, die vor und
nach der brachialen melancholischen Wucht, die sie auf der Bühne entwickeln,
ruhig und bedacht wirken. Dabei hatten EA80 auch in frühen Jahren bereits
eine Art "innerer Erwachsenheit" gehabt, als seien sie musikalisch
damals schon älter gewesen als es dem tatsächlichen Alter der Personen
entsprach. Dadurch verlief das "Erwachsenwerden" nicht so deutlich
hörbar wie bei den Hosen oder Ärzten (um im weiten Feld "Punk"
zu bleiben), die zum einen viel Spaß und Klamauk verbreitet haben, bevor
die Inhalte sich dann veränderten bzw. erweiterten. EA80 waren außerdem
niemals so nach außen präsent: keine Homestorys in der Bravo, keine
Backstage-Interviews mit launigen Einlagen, keine Auftritte in "Der Formel-Eins-Film"
oder "Richy Guitar" wie die erwähnten Kollegen aus Düsseldorf
bzw. Berlin - von den Einnahmen aus den Plattenverkäufen ganz zu schweigen.
Und manchmal hatte man die Ahnung, dass hier auch live etwas passiert, was
zu machen die Band strikt ablehnen würde, nämlich Kunst, oder es
zumindest nicht so bezeichnen würde, um nicht ein Publikum anzulocken,
welches sie schließlich nicht verstehen würde, ein Publikum, für
das Kunst auch als solche etikettiert sein musste. EA80 scheinen in ihrem
selbst gewähltem Rahmen eine introvertiertere Form der Kunst zu praktizieren,
in der es zwar nicht hermetisch abgeriegelt zugeht, da die Musik ja durchaus
auch als Punkrock ganz normal "konsumierbar" ist, und auch das ganze
Live-Setting im Wesentlichen den Erwartungen an ein Rock-Konzert entspricht,
aber keine extrovertierte Präsentation stattfindet, die gängige
Promotionarbeit (Interviews etc.) oder gar offensive Teilnahme an gesellschaftlichen
Diskursen einschließt, wie es beispielsweise bei den Hosen der Fall
ist, die sich ja ganz bewusst auch z. B. politisch positionieren.
Kunstperformance oder nicht - nach gut drei Stunden wurde es wieder hell und
man ging hinaus in die kalte Nacht in dem Gefühl irgendwie geläutert
worden zu sein.
- Martin (war dabei) und Stefan (hatte Ideen) - 03/2019