Auch
im Jahr 2004 kam für mich das Album des Jahres mal wieder aus Norwegen.
Waren es in den beiden Jahren zuvor jeweils Atrox mit ihren Alben "Terrestrials"
und "Orgasm", so haben mich 2004 Gåte mit ihrem zweiten Album
"Iselilja" hellauf begeistert. (Gut 100 Durchläufe innerhalb
von 4 ½ Monaten sprechen wohl für sich!)
Ebenso wie Atrox und eine weitere meiner Lieblingsbands, nämlich The
Third And The Mortal, kommt auch diese Band aus Trondheim (offensichtlich
ein guter Nährboden für herausragende Musik), hat musikalisch allerdings
mit keiner der beiden viel gemeinsam. Als Vergleich fällt mir da an erster
Stelle vielmehr die schwedische Band Garmarna
ein.
Wie diese spielen auch Gåte überwiegend Lieder traditionellen Ursprungs
und präsentieren diese in einem recht modernen Gewand, wobei mich diese
Musik weitaus mehr anspricht als das, was in deutschen Landen In Extremo und
Konsorten fabrizieren. Im direkten Vergleich gehen Gåte – zumindest
auf dem Album "Iselilja" – insgesamt noch etwas rockiger zu Werke,
als Garmarna dies auf "Guds Spelemän" und "Vedergällningen"
getan haben, und sind stellenweise schon fast metal-kompatibel. Ich denke
hier an "Du som er ung" ("Du, der du jung bist") und "Rike
Rodenigår" ("Reicher Rodenigår"), zwei meiner Lieblingssongs
auf diesem Album. Daß Garmarna vielleicht noch etwas folkiger klingen,
mag auch an der Instrumentierung liegen, da bei ihren Songs neben der Geige
mit der Drehleier noch ein weiteres "typisches" Folk-Instrument
zu hören ist, während bei Gåte neben den klassischen Rock-Instrumenten
E-Gitarre, Baßgitarre und Schlagzeug sowie gelegentlichen Keyboards
meist nur noch die Geige (elektrisch verstärkt) zum Einsatz kommt. Das
"folkigste" Stück auf "Iselilja" (zumindest musikalisch
gesehen) dürfte wohl das Instrumental "Ola I" sein.
Mit der äußerst sympathischen Gunnhild Sundli verfügen Gåte
über eine zwar nicht von der Körpergröße, dafür
jedoch von der Stimme her herausragende, noch recht junge Sängerin, die
bei Veröffentlichung der Debüt-EP im Jahr 2000 gerade mal 14 Jahre
alt war und die sowohl mit richtig kräftiger, auch aggressiver Stimme
(etwa bei "Du som er ung") als auch wunderschön lieblich singen
kann. Letzteres läßt sich insbesondere bei "Gjendines bånsull"
("Gjendines Schlaflied"), einem traditionellen Stück, welches
den Abschluß auf "Iselilja" bildet, hörbar nachvollziehen.
Dieses Stück hätte meiner Meinung nach sowohl von der Atmosphäre
als auch von der Stimme her sehr gut auf The Gatherings Meisterwerk "How
To Measure A Planet?" gepaßt und ist eine der schönsten Balladen,
die ich in den letzten Jahren gehört habe. Apropos The Gathering, ich
denke, daß Gåte (auf die ich übrigens im englischen Off-Topic-Bereich
des offiziellen The Gathering-Forums aufmerksam geworden bin) mit diesen zusammen
ein perfektes Tourpackage abgeben würden!
Zwar habe ich Gåte bislang leider noch nicht live erlebt (bis zur Popkomm
in Berlin, wo sie im letzten Jahr aufgetreten sind, bzw. bis zum Eurosonic-Festival
in Groningen in diesem Januar war es mir dann doch ein bißchen zu weit),
doch nach diversen Live-Photos und ein paar – allerdings qualitativ nicht
sehr hochwertigen – Livemitschnitten, die ich mir noch von der alten Website
im letzten Jahr runtergeladen habe, zu urteilen, scheinen Gåte eine
richtig geile Liveband zu sein. Bei einem Livemitschnitt war z.B. Gunnhilds
Bruder Sveinung, der (wie teilweise auch Gunnhild selbst) Geige spielt, beim
Stagediving und Crowdsurfing zu sehen!
Neben "Gjendines bånsull" befindet sich mit "Sjåaren"
("Der Seher" bzw. "Die Seherin") eine weitere schöne
Ballade auf "Iselilja", während es bei den anderen 8 Songs
doch überwiegend recht rockig zur Sache geht.
Zu den Songtexten sei noch angemerkt, daß diese allesamt in verschiedenen
norwegischen Dialekten verfaßt sind, die eher mit Nynorsk als dem vom
Dänischen beeinflußten, allerdings wohl weiter verbreiteten Bokmål
verwandt sind und nach meinem Eindruck von der Aussprache irgendwie "härter"
klingen als Bokmål. Überhaupt muß ich sagen, daß der
Klang der Sprache den Songs einen besonderen Charakter verleiht (wie es etwa
auch bei Kari Bremnes der Fall ist). Mit englischen Texten würden mir
Gåte, auch wenn die Musik dieselbe wäre, nicht so gut gefallen.
Leider sind bei den norwegischen Dialekten gängige Wörterbücher
(die in der Regel nur Bokmål-Vokabular enthalten) bei einem Versuch,
die Texte zu übersetzen, keine sehr große Hilfe. Da ist es auch
nur ein schwacher Trost, daß wohl selbst viele Norweger nicht alles
verstehen. Im englischen Teil des Forums auf der offiziellen Website www.gaate.no
können diejenigen, die es interessiert, allerdings schon ein paar Textübersetzungen
finden, und bei konkreten Fragen werden einem dort sicherlich auch jederzeit
"Einheimische" gerne weiterhelfen.
Leider sind, jedenfalls nach meinem derzeitigen Kenntnisstand, die CDs von
Gåte, die in Norwegen für ihr Debütalbum "Jygri"
immerhin schon eine Platinauszeichnung bekommen haben, in Deutschland bislang
noch nicht veröffentlicht worden. Wer allerdings im Besitz einer VISA-Kreditkarte
ist, kann die CDs problemlos beim schwedischen Versand www.cdon.com
bestellen. Bei meinen Bestellungen dort habe ich die CDs innerhalb von 3-4
Werktagen erhalten.
Meine Lieblingssongs auf "Iselilja" sind bislang das treibende "Knut
liten og Sylvelin" ("Der kleine Knut und Sylvelin") sowie die
schon erwänten "Du som er ung", "Rike Rodenigår"
und "Gjendines bånsull", was jedoch nicht heißt, daß
die anderen Songs nicht auch hörenswert wären. Ausfälle gibt
es auf diesem Album jedenfalls nicht.
Abschließend hoffe ich, daß man Gåte bald auch mal in Deutschland
auf einer richtigen Tour live erleben kann!
- Burkhard - 02/05