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TRUST – RE CI DIV (Boxset, 2020)

Da Rezensionen von TRUST-Releases im deutschen Blätter- und Datenwald ja seit gefühlt 35 Jahren nicht mehr stattfinden, bin ich wieder einmal eher zufällig auf dieses bereits im November 2020 erschienene Package gestoßen. Und natürlich ist es hierzulande auch nirgendwo erhältlich, also wurde dieser coffre kurzerhand via Amazon France geordert – was im übrigen reibungslos funktionierte.

Was zunächst einmal ins Auge sticht ist die edle Aufmachung dieses Boxsets: 3 CDs/DVDs kommen als Digipacks, CD/DVD #4 stecken in einem schlichten Pappcover, und all dies zusammen ist in einem stabilen, wertigen Pappschuber untergebracht. Ein Booklet fehlt allerdings – zu diesem Anlaß hätte sich durchaus ein reich bebildertes Inlay der Schaffensphasen, die die Band hier abdeckt, angeboten, schade! Immerhin klärt uns Monsieur Bonvoisin in den knappen Liner Notes auf dem Backcover über Sinn und Zweck dieser Veröffentlichung auf. In Ermangelung von Konzerten vor Publikum hat man sich im Hause TRUST nämlich noch einmal die Alben 1 bis 3 vorgeknöpft und diese in der aktuellen Bandbesetzung live im Studio eingespielt. "Réarrangés, réécris et réactualisés", also neu geschrieben, arrangiert und aktualisiert, jeweils dargeboten unter verschiedenen visuellen Aspekten, da die Performances mitgefilmt wurden. Und zur Abrundung des ganzen spielte man dann noch ein Akustikset bestehend aus diversen Titeln der letzten beiden Werke. Vor diesem Hintergrund - und natürlich vor allem, wenn man TRUSTs Sinn für bissigen Sarkasmus kennt – erschließt sich denn auch der Titel dieses Packages: Rezidiv ist der medizinische Fachbegriff für einen Rückfall; speziell in der Onkologie versteht man darunter die Wiederkehr eines überwunden geglaubten Krebsgeschwürs…

Aber nun zum Inhalt: Begonnen habe ich den Trip mit #3 – DIV (Marche ou crève), da es im Vorfeld geheißen hatte, daß diese Version ziemlich experimentell ausgefallen sei. Und siehe da: TRUST legen deutlich entspannter, grooviger und weniger bissig los als man es bis dato im Ohr hatte. Was nicht zuletzt auch an den drei Backgroundsängerinnen liegt, die vor allem den Refrains einen recht melodischen Anstrich verpassen. Bernie erzählt zu Beginn eines jeden Stückes, worauf sich der geneigte Hörer einzulassen hat… sofern dieser des Französischen mächtig ist! Da wohl ausschließlich für den französischen Markt konzipiert wurde bei den DVD-Ausgaben konsequenterweise auch auf jegliche Untertitel verzichtet.

Die gravierendsten musikalischen Änderungen betreffen Misère (jazzig-swingend) und La Junte (etwas angerappt mit durchlaufendem Sequencer). Kommt aber recht originell. Die 2. Hälfte des Albums rockt dann eher wie von der Originalversion her bekannt; lediglich Les Brutes hat ein wenig an Schwung eingebüßt.

Das Schlagzeug spielt auf DIV übrigens Hervé Koster, denn wie in den Liner Notes erwähnt wurde für jede der Albuminterpretationen auf einen anderen Schlagzeuger zurückgegriffen.

Bei #1 – RE (Trust/L´Elite) fällt zunächst einmal auf, daß Izo Diop an der zweiten Gitarre ein wenig unterbeschäftigt ist, da die Stücke ja auf Nono als alleinigen Gitarristen zugeschnitten sind. Dementsprechend agiert er hier auch eher zurückhaltend im Hintergrund und liefert zusammen mit Basser David Jacob den nötigen Druck.

Mit dem jungen Antonin Violot an den Drums rocken TRUST vor einem flippigen 70er Jahre-Bühnenbild ihr Debüt auch so richtig schön rotzig herunter – nur, daß hier inzwischen eine Band mit tonnenweise Erfahrung auf dem Buckel spielt, was man den Arrangements auch anmerkt. Der Backgroundgesang ist hier etwas zurückgenommen, bei Palace findet eine kurze Wiederbelebung der unsäglichen DJ-Phase statt und bei zwei Songs darf Jean-Pierre Bucolo geschmackvolle Slide Guitar-Beiträge beisteuern. Gelungen sind auch die etwas experimenteller angelegten Neueinspielungen von Le Matteur und H & D – alles in allem eine mitreißende Perfomance!

Das Setting von #2 – CI (Répression) erinnert mit seinen Verstärkertürmen am ehesten an die Bühnenbilder der 80er Jahre. Ohne das altbekannte Intro steigt die Band direkt in Antisocial ein. Diesmal mit Pierre Belleville am Schlagzeug und wiederum reduziertem Backgroundgesang spielt man aber ansonsten relativ nah an den Originalversionen, mit ein paar kleinen, aber feinen Änderungen: So hat z.B. Les Sectes im neuen speedigen Arrangement und dem Tempowechsel beim Break deutlich hinzugewonnen, wie auch das ein oder andere etwas gestraffter oder fluffiger daherkommt.

Insgesamt eine sehr powervolle Darbietung ohne die Schnörkel der originalen version francaise.

Auf #4 – Akoustik à la Bougie sind die Herren dann ganz unter sich -  bei Kerzenschein und ohne Schlagzeuger oder Sängerinnen. Schade eigentlich, denn da die Songs ausschließlich von den letzten beiden Alben stammen, vermißt man die refrainveredelnden Gesänge der Mädels doch ziemlich – wohl ein Zeichen dafür, wie prägend sie für den neuen TRUST-Sound sind!

Wie dem auch sei: Gespielt werden sechs Songs; solide und kompetent genug dargeboten,  daß sie einigermaßen mitreißen können, auch wenn ich persönlich durch die Bank die Albumversionen vorziehe. Interessant sind hier vor allem die akustischen Interpretationen der im Original eher rockigen Songs.

Abschließend bietet DVD 4 noch ein kurzes Making of, bei dem - wie auch bei den jede der übrigen 3 DVDs abschließenden Kommentaren der Bandmitglieder - das einzige Manko dieser ansonsten hervorragend und mit viel Herzblut umgesetzten Aktion deutlich wird: Zumindest eine englische Untertitelung hätte denn bei einem derart ambitionierten Projekt schon mit eingeplant werden sollen!   

- Klaus - 05/21