V.A. - Voggesanger fra ondskapens akse (2003)
"Wiegenlieder
von der Achse des Bösen", so lautet die Übersetzung des Titels
dieser un- bzw. außergewöhnlichen EP, auf der fünf Wiegen-
bzw. Schlaflieder aus dem Irak, Palästina und dem Iran zu hören
sind. Der Titel ist bewußt provokant gewählt, und sollte eigentlich
jedem, dessen IQ nicht auf Zimmertemperaturniveau liegt, klarmachen, daß
die von Bush konstruierte "Achse des Bösen" (unter RonnieRaygun
gab´s nur ein "Reich des Bösen", und das war die Sowjetunion,
während Saddam Hussein und die Taliban noch kräftig von den USA
mit Waffen versorgt wurden) eine an Schwachsinn kaum noch zu überbietende
Verzerrung und Pauschalisierung politischer Verhältnisse darstellt.
Das Konzept zu dieser Platte (im September soll unter demselben Titel ein vollständiges
Album erscheinen, auf dem dann auch noch Lieder aus Afghanistan und Nord-Korea
zu finden sein werden) ist schon im vergangenen Jahr entstanden, ebenso wie
einige der Gesangsaufnahmen.
Die Arrangements der Songs, die bis auf einen allesamt mit musikalischer Begleitung,
bestehend aus Gitarre, Bass, Keyboards und Percussion, vorgetragen werden, stammen
bis auf das acapella gesungene vierte Stück allesamt vom Norweger Knut
Reiersrud. Veröffentlich wurde dieses Album auf dem kleinen, aber dafür
um so feineren norwegischen Label Kirkelig Kulturverksted (www.kkv.no),
das in der Vergangenheit schon durch einige andere sehr interessante Alben,
auf denen verschiedene Künstler zusammengewirkt haben, in Erscheinung getreten
ist ("The Man From God Knows Where", "Nobel Peace Prize"
oder das in Deutschland leider nicht veröffentlichte "Cohen på
norsk" seien an dieser Stelle genannt) und auch sonst sehr viel Hochwertiges
zu bieten hat.
Nun zu den Stücken im einzelnen: Die EP beginnt mit einem Wiegenlied aus
dem Irak, welches von den irakischen Sängerinnen Amel Kthyer und Hela Bassan
abwechselnd vorgetragen wird. Deren Gesang ist wohl das "Orientalischste"
an diesem Stück, denn die musikalische Begleitung klingt wie auch bei den
anderen instrumentierten Stücken eher westlich, und dies nicht nur wegen
der verwendeten Instrumente. Was weiter zur Besonderheit dieser Platte beiträgt,
ist die Tatsache, daß bei diesem und den beiden nachfolgenden Stücken
zusätzlich noch Sängerinnen aus Skandinavien mitwirken. So ist es
beim ersten Stück die Schwedin Eva Dahlgren, deren herbe, leicht rauhe
Stimme mich etwas an Lill Lindfors erinnert. Eva singt nun nicht wie die beiden
irakischen Sängerinnen auf Arabisch, sondern auf Schwedisch. Wer jetzt
meint, daß das nicht zusammenpaßt, der soll sich mal das Stück
anhören. Ich finde die Wechsel der Sprachen überhaupt nicht störend.
Vielmehr passen Musik und Gesang wie auch bei den anderen Stücken perfekt
zusammen.
Der zweite Song "Du endeløse natt – Ya Lel Ma Atwalak", der
zugleich mein Lieblingsstück auf dieser CD ist, müßte zumindest
alle Die Hard-Fans von Kari Bremnes zum Kauf veranlassen, denn diese ist hier
im Wechsel mit der palästinensischen Sängerin Rim Banna zu hören.
Von der melancholischen Grundstimmung her ist dieses Stück in etwa mit
dem wunderschönen "Byssan Lull" von der "Svarta
Bjørn", bei dem es sich ja auch um ein Wiegenlied handelte,
zu vergleichen. Mit über 6 Minuten ist dieses Stück zugleich das längste.
Das nur halb so lange nachfolgende "Sov min dukke – Nami Ya La`aubi",
welches Rim Banna abwechselnd mit der dänischen Sängerin Anisette
(Savage Rose) singt, fällt demgegenüber doch etwas ab, was daran liegen
mag, daß die Stimme von Anisette gegenüber Eva Dahlgren und erst
recht gegenüber Kari Bremnes etwas farblos klingt. An die Atmosphäre
von "Du endeløse natt..." kommt dieses Stück in keinem
Fall ran.
Insgesamt am "orientalischsten" klingt das acapella von den iranischen
Sängerinnen Mahsa und Marjan Vahdat vorgetragene vierte Lied. Auch hier
klingen die Stimmen wieder sehr melancholisch. Bei diesem Stück habe ich
an manchen Stellen den Eindruck, daß da irgendwo im Hintergrund ganz,
ganz leise mal Kinderrufe oder ein Hupe zu hören sind. (Mahsa Vahdat war
mir vor dem Kauf dieser CD neben Kari Bremnes als einzige der hier zu hörenden
Sängerinnen bekannt, und zwar von einem sehr schönen Konzertmitschnitt
des iranischen Ensembles Hamnawa, welcher mal vor 2 Jahren auf WDR 5 zu hören
war.)
Falls zufällig jemand, der das hier liest, weiß, wo man von Mahsa
Vahdat, von der übrigens auf www.tehranavenue.com
ein Interview in Englisch (wohl eine Übersetzung) zu finden ist, Platten
beziehen kann (wenn es solche überhaupt gibt), wäre ich für einen
Hinweis sehr dankbar.
Das zum Abschluß von der iranischen Sängerin Pari Zanganeh wieder
mit musikalischer Begleitung vorgetragene schöne "Golelale" beschließt
dann diese EP, die natürlich eher etwas für ruhige Minuten ist.
Wenn nun tatsächlich jemand nach dem Lesen dieser Zeilen die Platte gerne
kaufen möchte, so kann er die Platte direkt über die www.kkv.no
bestellen (oder auch nur einzelne Songs kaufen und downloaden), wenn er entweder
über eine Visa-Karte verfügt oder sich mit dem (mir unvertrauten)
Payex-System auskennt. Alle anderen sollten mal beim ars!-Versand (www.ars-music.de)
nachfragen, ob die Platte in das dortige Angebot aufgenommen wird. Ob diese
Platte jemals offiziell in Deutschland erscheinen wird, ist mir derzeit (Anfang
Juni 2003) nicht bekannt.
- Burkhard - 06/03
Zur Besprechung des Konzerts in Oslo im November 2003