Die Wertung gleicht der Einfachheit halber wieder einmal der bei den Movies, zur Orientierung vorangestellt abermals der dazugehörige sternige Bewertungsschlüssel...
* - miserabel
** - akzeptabel
*** - gut!
**** - sehr gut!!
***** - außerordentlich gut!!!
****** - absolut großartig, fantastisch, begeisternd!!!!!!!
John Grisham - Die Farm
Paul Auster - Die Nacht des Orakels
Judith Hermann - Nichts als Gespenster
Peter Hoeg - Der Plan von der Abschaffung
des Dunkels
Michael Moore - Volle Deckung Mr. Bush
("Dude, where is my Country?")
Vielleicht kann sich außer mir noch jemand an die superbe Comedy-Serie
Caroline In The City erinnern. Zumindest mir fällt bei Nennung des
obigen Autors zwangsläufig jene Episode ein, in welcher der mittellose,
tiefsinnige, idealistische, an den Banalitäten der Welt und seiner Mitmenschen,
sowie seiner uneingestandenen Liebe zu Caroline zu verzweifeln drohenden Künstlers
Richard durchgehend mit einem von einem Freund empfohlenen und auf's Auge gedrückten
Buch von eben jenem John Grisham manisch lesend unterwegs ist. Eingangs meinte
er dazu lapidar, dessen Schriften sollten eigentlich einen Warnhinweis tragen,
seien sie doch nichts weniger als das literarische Äquivalent zu Crack..!
Jetzt, nachdem ich meinen ersten Grisham gelesen habe, kann ich diesen Joke
umso besser nachvollziehen. Er schreibt wirklich derart dicht und atmosphärisch,
detailgetreu und authentisch, daß einen die millionenhaften Auflagen seiner
Romane nicht weiter verwundern können. Die bisher gesehenen Verfilmungen
seiner Stoffe wie "Die Jury", "Der Regenmacher", "Die Akte", "Der Klient" oder
"Die Firma" ("Das Urteil" kam gerade in die Kinos - der Tick mit der prägnanten
Titelgebung stammt wohl z.T. vom deutschen Verlag bzw. Verleih; "Die Farm"
heißt im Original beispielsweise "A Painted House") fand ich eigentlich
durchweg klasse. Im Gegensatz zu den meisten seiner vorhergehenden Geschichten
bleiben bei "Die Farm" Gerichtsdramen ausgespart (er übte, bevor er als
Schriftsteller erfolgreich wurde, selbst den Beruf des Anwalts aus), langwierige
Mordfallermittlungen oder dramatische Actionsequenzen ebenso, gesellschaftspolitische
Themen kommen zwar vor, bleiben jedoch eher hintergründig. Die über
500 Seiten sind angefüllt mit den Kindheitserinnerungen eines Mannes, der,
irgendwo in den ländlichen Gebieten in den Südstaaten der USA, 1952
mit seinen Eltern auf der Farm seiner Großeltern lebt, zehnjährig
bei der Baumwollernte mithelfen muß und von einer glorreichen Zukunft
als Profi-Baseballer beim geliebten heimatlichen Team der Cardinals träumt.
Der Zeit- Umgebungs- und Gesellschafts-Kolorit, sowie die Hoffnungen, Neigungen
und Ansichten eines heranwachsenden Jungen wurden von Grisham nahezu perfekt
getroffen. Obwohl, oder vielleicht auch gerade weil nicht allzu viel außergewöhnliches,
dramatisches geschieht - im ersten Drittel ein Totschlag, im letzten gar ein
Mord, beides von keiner größeren Bedeutsamkeit für die Handlung,
was unter anderem an den nachlässigen Ermittlungen des korpulent-behäbigen,
bräsigen örtlichen Sherriffs liegt; auf der verarmten Nachbars-Farm
kommt ein uneheliches Kind zur Welt und die Anzeichen verdichten sich, daß
der in Korea als Soldat kämpfende ältere Bruder der vakante Vater
sein könnte, ein Skandal allerersten Ranges in jenen konservativ-moralischen
Zeiten und Gegenden - und eines der alles andere überschattenden, beherrschenden
Themen von existenzieller Bedeutung die Ernte und die drohende Überschwemmung
durch den nahen Fluß ist, kommt dennoch nicht auch nur der allergeringste
Funken Langeweile auf, bleiben die damaligen Lebensumstände, Land und Leute,
gesehen durch die Augen eines Jungen, ungemein faszinierend.
Grisham ist in der Tat ein grandioser Geschichtenerzähler von hohem Suchtfaktor
und "Die Farm" wird für mich sicherlich nicht sein letzter Roman geblieben
sein..!
War das nicht der Autor, der die Vorlage zu dem tollen Film "Smoke" lieferte?
Wie dem auch sei, von Paul Auster hat man bereits so einiges gehört, sogar
von Dennis Scheck ("Druckfrisch", alle ein, zwei Monate in der ARD; weitere
empfehlenswerte Literatursendungen nach dem Ableben des "Literarischen Quartetts"
sind "Schümer & Dorn", alle zwei Wochen um 0:00 Uhr beim SW, sowie
alle ein, zwei Monate "Lesen!" im ZDF von und mit Elke Heidenreich) hatte er
die Ehre zu seinem obigen, aktuellen Roman interviewt zu werden. "Nacht Des
Orakels" handelt von einer Liebesbeziehung in Brooklyn, von einer Geschichte
in der Geschichte in der Geschichte, welche der rekonvaleszente Schriftsteller
Sidney Orr in einem ominösen, blauen, portugiesischen Notitzbuch manisch
niederschreibt, und von einem ausufernden spekulativen Konstrukt gegen Ende,
welches unbeantwortet schließt und es dem Leser überläßt,
ob die vermeintliche Dreiecksbeziehung nun auf eine überhitzte Phantasie
zurück zu führen oder doch Wirklichkeit war.
In "Nacht Des Orakels" zeigt Auster einen recht eigenwilligen Erzählstil,
der zwar realitätsnah wirkt, aber immer wieder die Grenzbereiche zum Surrealen
auslotet, in der Stimmung so manches Mal an eine gemäßigtere Version
von Filmen eines David Lynch ("Blue Velvet", "Twin Peaks", "Lost Highway") erinnernd,
die gut gezeichneten Charaktere, wie auch den häufiger als einmal verblüfften
Leser des Buches mit wesentlich mehr Fragen als Antworten zurück lassend.
Was stilistisch ein bißchen nervt, sind die vielen biographischen Einfügungen
durch Fußnoten, meist detailierte Rückblicke oder Psychogramme, die
sich nicht selten über mehrere Seiten hinziehen und den Erzählfluß
etwas unterbrechen. Das hätte man vielleicht geschickter lösen können.
"Nacht Des Orakels" kann man sich, um mal ein Fazit zu ziehen, bedenkenlos geben.
Wirklich interessant.
****
Judith Hermann wird, soweit ich das mitbekommen habe, von einigen Kritikern
als ein hoffnungsvolles junges deutsches Literaturtalent gefeiert. "Nichts Als
Gespenster" ist ihre zweite Veröffentlichung und enthält sieben Kurzgeschichten
von 30 bis 60 Seiten Umfang über die Beziehungen unterschiedlichster Menschen
zu ihren Eltern, Freunden, Lebenspartnern. Es geht um Verbundenheit, aber noch
wesentlich stärker gewichteter um gegenseitige Belastung und die Unfähigkeit
zu wirklicher Offenheit, Hingebung und Liebe.
Gut geschrieben ist's allemal, wer jedoch nach Entertainment sucht, dürfte
hier kaum fündig werden. Mich ließ die alldurchdringende Trostlosigkeit
in "Ruth (Freundinen)", "Aqua Alta" & "Nichts Als Gespenster" jedenfalls
davon absehen, sich der vermuteten Verlorenheit und Entwurzelung der Protagonisten
in den vier restlichen Psycho-Studien auszusetzen...Nichts als Gespenster? Irgendwie
schon.
**
Nochmals eine sich wie warmer, getrockneter Kautschuk zäh dahindehnende
literarische Erfahrung. Der Name des Autors kam mir gleich bekannt vor und,
aha, tatsächlich ist seiner Feder ebenfalls der Welterfolg "Fräulein
Smillas Gespür Für Schnee" entsprungen. Dessen Verfilmung mit Julia
Ormond in der Titelrolle riß mich allerdings alles andere als vom Hocker;
was wiederum berechtigte Skepsis gegenüber "Der Plan Von Der Abschaffung
Des Dunkels" aufkommen ließ. Welche der vielversprechende Titel, wie auch
die büchereieigene kurze Zusammenfassung des Inhalts erst einmal verrauchen
lassen konnte, da diese auf einen "Club der toten Dichter"-artigen Individuations-Prozess
hindeutete, welchen drei Schüler in einem dänischen Internat durchmachen,
um schließlich die Rebellion gegen dortige, die Persönlichkeit des
Einzelnen ohne Unterlaß unterdrückenden, rigiden, starr-autoritären
hierarchischen Strukturen zu proben.
Das klingt interessanter, als es letztendlich ist. Heroisch durchgehalten habe
ich immerhin 200 der 290 Seiten, der Sinn, die Botschaft hinter dem Ganzen wollte
sich mir trotzdem nicht so recht erschließen. Hoeg schafft es zumindest
- von einigen wenigen anregenden Gedanken / Szenen abgesehen - durch erzeugen
einer schier endlosen Eintönigkeit, an die eigene Schulzeit zurück
zu erinnern, als man sich zuweilen fühlte wie in Sirup getaucht und vergeblich
bemüht war, dem für einen Heranwachsenden als kärglichste Ödnis
erscheinenden zu vermittelnden Lernstoff irgend etwas abzugewinnen...
*(*)
Amerikas vielleicht scharfzüngigster, mit Sicherheit jedoch populärster
politischer wie gesellschaftlicher Kritiker ist zurück! Bildete in seinem
letzten Buch "Stupid White Men" der Wahlbetrug der Rebuplikaner 2000 und das
anschließende Treiben der neu ernannten Bush-Regierung das Kernthema,
befaßt sich "Volle Deckung Mr. Bush" mit den Auswirkungen der Anschläge
des 11. September und des Einmarsches in den Irak. Moore zeigt die geschäftlichen
und politischen Verbindungen der Familie Bush zu den Bin Ladens sowie den Saudis
und die Ungereimtheiten rund um 9/11 auf; er veranschaulicht das Sähen
von Angst und Paranoia im eigenen Volk durch faustdicke Lügen, um den geplanten
Krieg im Irak zu bekommen, der jedoch einzig mit einer hegemonialen Außenpolitik
und der Kontrolle des Erdöls begründet werden kann - und in welchem
zusammen mit dem in Afghanistan schätzungsweise 9000 Zivilisten umkamen,
also rund dreimal so viele wie bei den Attentaten in den USA; wie mit dem Patriot
Act im "Krieg gegen den Terrorismus" elementare Grundrechte der amerikanischen
Verfassung verwässert oder außer Kraft gesetzt wurden; usw. usw.
usw.
Moore vermittelt außerdem die Botschaft, daß, wie statistische Erhebungen
belegen, eine deutliche Mehrheit seiner Landsleute nicht mit den konservativen
Ansichten ihrer Führung übereinstimmt und deren verheerenden Handlungen
inzwischen zweifelsohne mißbilligt, und daß die USA, auch wenn sie
von außen betrachtet mittlerweile ein anderes Bild abzugeben scheint,
nach wie vor ein liberales Paradies ist bzw. sein könnte.
Moore vermeidet in seinen Büchern bei aller Kritik an Bush und seinen Komplizen
im Weißen Haus allerdings, ausschließlich und eindimensional auf
diesen herum zu hacken, sondern bezieht in seiner Bestandsaufnahme alle denkbaren
Aspekte wie Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft, Bildung und vielem weiteren mit
ein; so etwa die unersättlichen und nicht immer ganz legalen Machenschaften
der Großkonzerne oder das Versagen der oppositionellen Kräfte in
Form der demokratischen Partei. Das alles in einer versierten, dennoch leicht
verständlichen, mit sarkastischer Schärfe gewürzten Sprache.
Als schlichtweg genial sind auch die rein satirisch gefärbten Einschübe
der Kapitel 3 "Öl gut, alles gut" und 6 "Jesus W. Christ" im neuen Buch
zu bezeichnen.
Als kleine Leseprobe hier gleich mal ein kurzes Zitat aus dem Abschnitt, in
welchem verschiedene Begebenheiten aufzeigen sollen, inwiefern die geschürte
Paranoia der Regierung und deren Erfüllungsgehilfen in den Medien, sich
im alltäglichen Verhalten der Menschen auswirkte. Ein Vorfall, der unsere
vorrangig musikalisch interessierten Leser in Erstaunen versetzen dürfte,
genauso wie er mich erstaunte...
...ein aufmerksamer Tankwart in Oklahoma alarmierte die Polizei, als zwei verdächtige Lieferwagen und ein Lastwagen voller Ausrüstung bei ihm vorfuhren. Binnen weniger Minuten hatten Polizei und FBI mit gezogenen Waffen die Rockband Godspeed You! Black Emperor umstellt. Als die Musiker nach stundenlangem Verhör wieder freigelassen wurden, meinte der Sänger (?!?, hmm, hoffe mal, das war der einzige, sowieso eher vernachlässigbar erscheinende Recherchefehler in dem Buch... - H.) Efrim Menuck gegenüber der Seattle Weekly: "Gott sei Dank sind wir nette weiße Jungs aus Kanada."
Joh, und plötzlich scheinen einem persönlich die Auswirkungen von
Bushs skandalöser Politik näher zu kommen, näher, als einem lieb
sein kann, und wieder ein Stückchen (be-)greifbarer zu werden...
Viele Leute interessiert es, was Michael Moore zu sagen hat, viele finden gut
und wichtig, was er in seinen Filmen und Büchern aussagt und zum allgemeinen
Diskurs beiträgt. Dies gilt gleichfalls für viele Kritiker in den
Feuilletons. Dennoch kamen mir bereits desöfteren abfällige Aussagen
zu Gehör, vor allem zu Moores Büchern, allesamt getätigt in den
elitären Elfenbeintürmen unserer medialen Kultur. Den ersten Vorwurf,
der des populistischen Anti-Amerikanismus, möchte ich eigentlich gar nicht
erst kommentieren. Wer Moores Publikationen aufmerksam liest, bemerkt sehr schnell
die Abwegigkeit dieser Kategorisierung, daß es viel mehr eine, nennen
wir es mal humanistische Gesinnung ist, welche seine bissige Kritik antreibt,
daß er sein Land liebt und für dieses und die gesamte Welt
nur eine Veränderung zum besseren möchte. Für die Demokratie
ist die freie Meinungsäußerung ein elementares Recht, und jeder,
der lautstark die Aufmerksamkeit auf Stellen lenkt, an denen eine Gesellschaft
krankt, tut ihr damit einen Dienst. Dann warf man ihm bei der einen oder anderen
Gelegenheit billige Polemik vor. Zugegeben, seine Ausdrucksweise ist zuweilen
recht deftig und er spart nicht mit harscher Argumentation, aber das alles ist
doch meilenweit, ach was, lichtjahrweit von jeglichem vulgärem Stammtischniveau
entfernt. Ich sehe seine leichte Tendenz zur Volkstümlichkeit nicht als
Makel: er sagt, was er denkt, er sagt es deutlich, ohne große Umschweife
- und er hat Ahnung von dem, was er sagt. Moore ist kein trockener Polit-Theoretiker,
man empfindet ihn sofort als einen durch und durch ehrlichen und sympathischen
Charakter, einer, der mit viel Intelligenz und trotz allen durchaus vorhandenen
rethorischen Raffinements völlig unabgehoben, sich einfach als Repräsentant,
Anwalt und Sprachrohr des Volkes, des Durchschnittsbürgers versteht, und
auch einer, der vor gelegentlicher Selbstironie nicht zurückschreckt. Und
was soll denn bitte daran verwerflich sein, hochbrisante gesellschaftspolitische
Themen mit Pep und Witz zu verarbeiten? Es findet sich kein Kapitel, welches
den Anschein beförderte, es sei nur deshalb mit hinein genommen worden,
weil Moore sich gerne selbst reden hörte. Schließlich nannte der
von mir ansonsten sehr geschätzte Dennis Scheck (siehe weiter oben), soweit
mich meine Erinnerung nicht trügt, Moores letztes Werk u.a. "dürftig
recherchiert", als er wieder einmal süffisant die Top Ten der literarischen
Bestsellerliste durchging, und -zack!- schon landete es im für "Durchfaller"
bereit gestellten Abfallbehälter. Völliger Quatsch. Um nicht zu sagen:
Bullshit! Sowohl "Stupid White Men" als auch "Volle Deckung Mr. Bush" strotzen
nur so vor unzähligen fundierten Fakten, Daten und stichhaltigen Argumenten.
Man stelle sich nur einmal vor, Moore würde einfach irgendwelche Behauptungen
aufstellen, die nicht abgesichert, nicht zu belegen sind: seine Gegner wären
darüber zweifellos hocherfreut - und würden ihn bis über beide
Ohren mit Klagen eindecken. Meinetwegen mögen Abhandlungen ähnlichen
Inhalts von Autoren wie Noam Chomsky, Harald Leyndecker oder Richard A. Clarke
("Against All Enemies" heißt dessen Mitte 2004 erschienenes Buch, er selbst
ist als langjähriger Sicherheitsberater und US-Anti-Terror-Experte unter
Clinton und Bush jr. natürlich ein ausgewiesener Insider) noch fundierter,
detailierter, differenzierter, und ja, meinetwegen auch objektiver sich mit
dem derzeitigen Zustand Amerikas und der Weltordnung auseinander setzen, mir
scheinen Michael Moores Werke jedoch faktisch und perspektivisch durchaus ebenso
ausreichend zur eigenen Meinungsbildung.
Seien wir froh, eine solche Stimme vernehmen zu können - und um ihre Popularität,
denn diese verleiht ihr zusätzliches Gewicht.
So, hiermit möchte ich mein Plädoyer beschließen.
Shut up, and read!
******
Wem das immer noch nicht genug ist:
Direkt
zu Michael Moore