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Heikos Bücherliste - Zweites Quartal 2004

Die Wertung gleicht der Einfachheit halber wieder einmal der bei den Movies, zur Orientierung vorangestellt abermals der dazugehörige sternige Bewertungsschlüssel...

* - miserabel
** - akzeptabel
*** - gut!
**** - sehr gut!!
***** - außerordentlich gut!!!
****** - absolut großartig, fantastisch, begeisternd!!!!!!!

John Grisham - Die Farm
Paul Auster - Die Nacht des Orakels
Judith Hermann - Nichts als Gespenster
Peter Hoeg - Der Plan von der Abschaffung des Dunkels
Michael Moore - Volle Deckung Mr. Bush ("Dude, where is my Country?")

John Grisham - "Die Farm"

Vielleicht kann sich außer mir noch jemand an die superbe Comedy-Serie Caroline In The City erinnern. Zumindest mir fällt bei Nennung des obigen Autors zwangsläufig jene Episode ein, in welcher der mittellose, tiefsinnige, idealistische, an den Banalitäten der Welt und seiner Mitmenschen, sowie seiner uneingestandenen Liebe zu Caroline zu verzweifeln drohenden Künstlers Richard durchgehend mit einem von einem Freund empfohlenen und auf's Auge gedrückten Buch von eben jenem John Grisham manisch lesend unterwegs ist. Eingangs meinte er dazu lapidar, dessen Schriften sollten eigentlich einen Warnhinweis tragen, seien sie doch nichts weniger als das literarische Äquivalent zu Crack..!
Jetzt, nachdem ich meinen ersten Grisham gelesen habe, kann ich diesen Joke umso besser nachvollziehen. Er schreibt wirklich derart dicht und atmosphärisch, detailgetreu und authentisch, daß einen die millionenhaften Auflagen seiner Romane nicht weiter verwundern können. Die bisher gesehenen Verfilmungen seiner Stoffe wie "Die Jury", "Der Regenmacher", "Die Akte", "Der Klient" oder "Die Firma" ("Das Urteil" kam gerade in die Kinos - der Tick mit der prägnanten Titelgebung stammt wohl z.T. vom deutschen Verlag bzw. Verleih; "Die Farm" heißt im Original beispielsweise "A Painted House") fand ich eigentlich durchweg klasse. Im Gegensatz zu den meisten seiner vorhergehenden Geschichten bleiben bei "Die Farm" Gerichtsdramen ausgespart (er übte, bevor er als Schriftsteller erfolgreich wurde, selbst den Beruf des Anwalts aus), langwierige Mordfallermittlungen oder dramatische Actionsequenzen ebenso, gesellschaftspolitische Themen kommen zwar vor, bleiben jedoch eher hintergründig. Die über 500 Seiten sind angefüllt mit den Kindheitserinnerungen eines Mannes, der, irgendwo in den ländlichen Gebieten in den Südstaaten der USA, 1952 mit seinen Eltern auf der Farm seiner Großeltern lebt, zehnjährig bei der Baumwollernte mithelfen muß und von einer glorreichen Zukunft als Profi-Baseballer beim geliebten heimatlichen Team der Cardinals träumt. Der Zeit- Umgebungs- und Gesellschafts-Kolorit, sowie die Hoffnungen, Neigungen und Ansichten eines heranwachsenden Jungen wurden von Grisham nahezu perfekt getroffen. Obwohl, oder vielleicht auch gerade weil nicht allzu viel außergewöhnliches, dramatisches geschieht - im ersten Drittel ein Totschlag, im letzten gar ein Mord, beides von keiner größeren Bedeutsamkeit für die Handlung, was unter anderem an den nachlässigen Ermittlungen des korpulent-behäbigen, bräsigen örtlichen Sherriffs liegt; auf der verarmten Nachbars-Farm kommt ein uneheliches Kind zur Welt und die Anzeichen verdichten sich, daß der in Korea als Soldat kämpfende ältere Bruder der vakante Vater sein könnte, ein Skandal allerersten Ranges in jenen konservativ-moralischen Zeiten und Gegenden - und eines der alles andere überschattenden, beherrschenden Themen von existenzieller Bedeutung die Ernte und die drohende Überschwemmung durch den nahen Fluß ist, kommt dennoch nicht auch nur der allergeringste Funken Langeweile auf, bleiben die damaligen Lebensumstände, Land und Leute, gesehen durch die Augen eines Jungen, ungemein faszinierend.
Grisham ist in der Tat ein grandioser Geschichtenerzähler von hohem Suchtfaktor und "Die Farm" wird für mich sicherlich nicht sein letzter Roman geblieben sein..!

******

Paul Auster - "Nacht Des Orakels"

War das nicht der Autor, der die Vorlage zu dem tollen Film "Smoke" lieferte? Wie dem auch sei, von Paul Auster hat man bereits so einiges gehört, sogar von Dennis Scheck ("Druckfrisch", alle ein, zwei Monate in der ARD; weitere empfehlenswerte Literatursendungen nach dem Ableben des "Literarischen Quartetts" sind "Schümer & Dorn", alle zwei Wochen um 0:00 Uhr beim SW, sowie alle ein, zwei Monate "Lesen!" im ZDF von und mit Elke Heidenreich) hatte er die Ehre zu seinem obigen, aktuellen Roman interviewt zu werden. "Nacht Des Orakels" handelt von einer Liebesbeziehung in Brooklyn, von einer Geschichte in der Geschichte in der Geschichte, welche der rekonvaleszente Schriftsteller Sidney Orr in einem ominösen, blauen, portugiesischen Notitzbuch manisch niederschreibt, und von einem ausufernden spekulativen Konstrukt gegen Ende, welches unbeantwortet schließt und es dem Leser überläßt, ob die vermeintliche Dreiecksbeziehung nun auf eine überhitzte Phantasie zurück zu führen oder doch Wirklichkeit war.
In "Nacht Des Orakels" zeigt Auster einen recht eigenwilligen Erzählstil, der zwar realitätsnah wirkt, aber immer wieder die Grenzbereiche zum Surrealen auslotet, in der Stimmung so manches Mal an eine gemäßigtere Version von Filmen eines David Lynch ("Blue Velvet", "Twin Peaks", "Lost Highway") erinnernd, die gut gezeichneten Charaktere, wie auch den häufiger als einmal verblüfften Leser des Buches mit wesentlich mehr Fragen als Antworten zurück lassend.
Was stilistisch ein bißchen nervt, sind die vielen biographischen Einfügungen durch Fußnoten, meist detailierte Rückblicke oder Psychogramme, die sich nicht selten über mehrere Seiten hinziehen und den Erzählfluß etwas unterbrechen. Das hätte man vielleicht geschickter lösen können.
"Nacht Des Orakels" kann man sich, um mal ein Fazit zu ziehen, bedenkenlos geben. Wirklich interessant.

****

Judith Hermann - "Nichts Als Gespenster"

Judith Hermann wird, soweit ich das mitbekommen habe, von einigen Kritikern als ein hoffnungsvolles junges deutsches Literaturtalent gefeiert. "Nichts Als Gespenster" ist ihre zweite Veröffentlichung und enthält sieben Kurzgeschichten von 30 bis 60 Seiten Umfang über die Beziehungen unterschiedlichster Menschen zu ihren Eltern, Freunden, Lebenspartnern. Es geht um Verbundenheit, aber noch wesentlich stärker gewichteter um gegenseitige Belastung und die Unfähigkeit zu wirklicher Offenheit, Hingebung und Liebe.
Gut geschrieben ist's allemal, wer jedoch nach Entertainment sucht, dürfte hier kaum fündig werden. Mich ließ die alldurchdringende Trostlosigkeit in "Ruth (Freundinen)", "Aqua Alta" & "Nichts Als Gespenster" jedenfalls davon absehen, sich der vermuteten Verlorenheit und Entwurzelung der Protagonisten in den vier restlichen Psycho-Studien auszusetzen...Nichts als Gespenster? Irgendwie schon.

**

Peter Hoeg - Der Plan von der Abschaffung des Dunkels

Nochmals eine sich wie warmer, getrockneter Kautschuk zäh dahindehnende literarische Erfahrung. Der Name des Autors kam mir gleich bekannt vor und, aha, tatsächlich ist seiner Feder ebenfalls der Welterfolg "Fräulein Smillas Gespür Für Schnee" entsprungen. Dessen Verfilmung mit Julia Ormond in der Titelrolle riß mich allerdings alles andere als vom Hocker; was wiederum berechtigte Skepsis gegenüber "Der Plan Von Der Abschaffung Des Dunkels" aufkommen ließ. Welche der vielversprechende Titel, wie auch die büchereieigene kurze Zusammenfassung des Inhalts erst einmal verrauchen lassen konnte, da diese auf einen "Club der toten Dichter"-artigen Individuations-Prozess hindeutete, welchen drei Schüler in einem dänischen Internat durchmachen, um schließlich die Rebellion gegen dortige, die Persönlichkeit des Einzelnen ohne Unterlaß unterdrückenden, rigiden, starr-autoritären hierarchischen Strukturen zu proben.
Das klingt interessanter, als es letztendlich ist. Heroisch durchgehalten habe ich immerhin 200 der 290 Seiten, der Sinn, die Botschaft hinter dem Ganzen wollte sich mir trotzdem nicht so recht erschließen. Hoeg schafft es zumindest - von einigen wenigen anregenden Gedanken / Szenen abgesehen - durch erzeugen einer schier endlosen Eintönigkeit, an die eigene Schulzeit zurück zu erinnern, als man sich zuweilen fühlte wie in Sirup getaucht und vergeblich bemüht war, dem für einen Heranwachsenden als kärglichste Ödnis erscheinenden zu vermittelnden Lernstoff irgend etwas abzugewinnen...

*(*)

Michael Moore - "Volle Deckung Mr. Bush" (engl.: "Dude, Where's My Country?")

Amerikas vielleicht scharfzüngigster, mit Sicherheit jedoch populärster politischer wie gesellschaftlicher Kritiker ist zurück! Bildete in seinem letzten Buch "Stupid White Men" der Wahlbetrug der Rebuplikaner 2000 und das anschließende Treiben der neu ernannten Bush-Regierung das Kernthema, befaßt sich "Volle Deckung Mr. Bush" mit den Auswirkungen der Anschläge des 11. September und des Einmarsches in den Irak. Moore zeigt die geschäftlichen und politischen Verbindungen der Familie Bush zu den Bin Ladens sowie den Saudis und die Ungereimtheiten rund um 9/11 auf; er veranschaulicht das Sähen von Angst und Paranoia im eigenen Volk durch faustdicke Lügen, um den geplanten Krieg im Irak zu bekommen, der jedoch einzig mit einer hegemonialen Außenpolitik und der Kontrolle des Erdöls begründet werden kann - und in welchem zusammen mit dem in Afghanistan schätzungsweise 9000 Zivilisten umkamen, also rund dreimal so viele wie bei den Attentaten in den USA; wie mit dem Patriot Act im "Krieg gegen den Terrorismus" elementare Grundrechte der amerikanischen Verfassung verwässert oder außer Kraft gesetzt wurden; usw. usw. usw.
Moore vermittelt außerdem die Botschaft, daß, wie statistische Erhebungen belegen, eine deutliche Mehrheit seiner Landsleute nicht mit den konservativen Ansichten ihrer Führung übereinstimmt und deren verheerenden Handlungen inzwischen zweifelsohne mißbilligt, und daß die USA, auch wenn sie von außen betrachtet mittlerweile ein anderes Bild abzugeben scheint, nach wie vor ein liberales Paradies ist bzw. sein könnte.
Moore vermeidet in seinen Büchern bei aller Kritik an Bush und seinen Komplizen im Weißen Haus allerdings, ausschließlich und eindimensional auf diesen herum zu hacken, sondern bezieht in seiner Bestandsaufnahme alle denkbaren Aspekte wie Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft, Bildung und vielem weiteren mit ein; so etwa die unersättlichen und nicht immer ganz legalen Machenschaften der Großkonzerne oder das Versagen der oppositionellen Kräfte in Form der demokratischen Partei. Das alles in einer versierten, dennoch leicht verständlichen, mit sarkastischer Schärfe gewürzten Sprache. Als schlichtweg genial sind auch die rein satirisch gefärbten Einschübe der Kapitel 3 "Öl gut, alles gut" und 6 "Jesus W. Christ" im neuen Buch zu bezeichnen.
Als kleine Leseprobe hier gleich mal ein kurzes Zitat aus dem Abschnitt, in welchem verschiedene Begebenheiten aufzeigen sollen, inwiefern die geschürte Paranoia der Regierung und deren Erfüllungsgehilfen in den Medien, sich im alltäglichen Verhalten der Menschen auswirkte. Ein Vorfall, der unsere vorrangig musikalisch interessierten Leser in Erstaunen versetzen dürfte, genauso wie er mich erstaunte...

...ein aufmerksamer Tankwart in Oklahoma alarmierte die Polizei, als zwei verdächtige Lieferwagen und ein Lastwagen voller Ausrüstung bei ihm vorfuhren. Binnen weniger Minuten hatten Polizei und FBI mit gezogenen Waffen die Rockband Godspeed You! Black Emperor umstellt. Als die Musiker nach stundenlangem Verhör wieder freigelassen wurden, meinte der Sänger (?!?, hmm, hoffe mal, das war der einzige, sowieso eher vernachlässigbar erscheinende Recherchefehler in dem Buch... - H.) Efrim Menuck gegenüber der Seattle Weekly: "Gott sei Dank sind wir nette weiße Jungs aus Kanada."

Joh, und plötzlich scheinen einem persönlich die Auswirkungen von Bushs skandalöser Politik näher zu kommen, näher, als einem lieb sein kann, und wieder ein Stückchen (be-)greifbarer zu werden...
Viele Leute interessiert es, was Michael Moore zu sagen hat, viele finden gut und wichtig, was er in seinen Filmen und Büchern aussagt und zum allgemeinen Diskurs beiträgt. Dies gilt gleichfalls für viele Kritiker in den Feuilletons. Dennoch kamen mir bereits desöfteren abfällige Aussagen zu Gehör, vor allem zu Moores Büchern, allesamt getätigt in den elitären Elfenbeintürmen unserer medialen Kultur. Den ersten Vorwurf, der des populistischen Anti-Amerikanismus, möchte ich eigentlich gar nicht erst kommentieren. Wer Moores Publikationen aufmerksam liest, bemerkt sehr schnell die Abwegigkeit dieser Kategorisierung, daß es viel mehr eine, nennen wir es mal humanistische Gesinnung ist, welche seine bissige Kritik antreibt, daß er sein Land liebt und für dieses und die gesamte Welt nur eine Veränderung zum besseren möchte. Für die Demokratie ist die freie Meinungsäußerung ein elementares Recht, und jeder, der lautstark die Aufmerksamkeit auf Stellen lenkt, an denen eine Gesellschaft krankt, tut ihr damit einen Dienst. Dann warf man ihm bei der einen oder anderen Gelegenheit billige Polemik vor. Zugegeben, seine Ausdrucksweise ist zuweilen recht deftig und er spart nicht mit harscher Argumentation, aber das alles ist doch meilenweit, ach was, lichtjahrweit von jeglichem vulgärem Stammtischniveau entfernt. Ich sehe seine leichte Tendenz zur Volkstümlichkeit nicht als Makel: er sagt, was er denkt, er sagt es deutlich, ohne große Umschweife - und er hat Ahnung von dem, was er sagt. Moore ist kein trockener Polit-Theoretiker, man empfindet ihn sofort als einen durch und durch ehrlichen und sympathischen Charakter, einer, der mit viel Intelligenz und trotz allen durchaus vorhandenen rethorischen Raffinements völlig unabgehoben, sich einfach als Repräsentant, Anwalt und Sprachrohr des Volkes, des Durchschnittsbürgers versteht, und auch einer, der vor gelegentlicher Selbstironie nicht zurückschreckt. Und was soll denn bitte daran verwerflich sein, hochbrisante gesellschaftspolitische Themen mit Pep und Witz zu verarbeiten? Es findet sich kein Kapitel, welches den Anschein beförderte, es sei nur deshalb mit hinein genommen worden, weil Moore sich gerne selbst reden hörte. Schließlich nannte der von mir ansonsten sehr geschätzte Dennis Scheck (siehe weiter oben), soweit mich meine Erinnerung nicht trügt, Moores letztes Werk u.a. "dürftig recherchiert", als er wieder einmal süffisant die Top Ten der literarischen Bestsellerliste durchging, und -zack!- schon landete es im für "Durchfaller" bereit gestellten Abfallbehälter. Völliger Quatsch. Um nicht zu sagen: Bullshit! Sowohl "Stupid White Men" als auch "Volle Deckung Mr. Bush" strotzen nur so vor unzähligen fundierten Fakten, Daten und stichhaltigen Argumenten. Man stelle sich nur einmal vor, Moore würde einfach irgendwelche Behauptungen aufstellen, die nicht abgesichert, nicht zu belegen sind: seine Gegner wären darüber zweifellos hocherfreut - und würden ihn bis über beide Ohren mit Klagen eindecken. Meinetwegen mögen Abhandlungen ähnlichen Inhalts von Autoren wie Noam Chomsky, Harald Leyndecker oder Richard A. Clarke ("Against All Enemies" heißt dessen Mitte 2004 erschienenes Buch, er selbst ist als langjähriger Sicherheitsberater und US-Anti-Terror-Experte unter Clinton und Bush jr. natürlich ein ausgewiesener Insider) noch fundierter, detailierter, differenzierter, und ja, meinetwegen auch objektiver sich mit dem derzeitigen Zustand Amerikas und der Weltordnung auseinander setzen, mir scheinen Michael Moores Werke jedoch faktisch und perspektivisch durchaus ebenso ausreichend zur eigenen Meinungsbildung.
Seien wir froh, eine solche Stimme vernehmen zu können - und um ihre Popularität, denn diese verleiht ihr zusätzliches Gewicht.
So, hiermit möchte ich mein Plädoyer beschließen.
Shut up, and read!

******

Wem das immer noch nicht genug ist:
Direkt zu Michael Moore