Regie: Sam Dunn, Scot McFadyen / 94 Min.
DVD: Constantin Film
Auch wenn das ZWNN auf den ersten Blick kaum diesen Schluß zuzulassen scheint, ist es (wie zuvor das Nonkonform-Fanzine) aus einer gemeinsamen Begeisterung für harte Gitarrensounds wie eben Heavy Metal entstanden. Über viele Jahre fortgeführt und mittlerweile mit Blick auf vielerlei Musikrichtungen, die mit Metal rein nichts mehr zu tun haben. Was früher überwiegend noch auf eine eher "progressive" Bandauswahl innerhalb des Metal beschränkt blieb, kreuzt heutzutage durch völlig andere Gefilde wie Joy Division, Laibach, Sigur Ros, Interpol oder Kari Bremnes.
Wozu also einen Film wie METAL – A HEADBANGER’S JOURNEY besprechen? Nun, aus exakt dem gleichen Grund, aus dem man immer wieder alte Platten auflegt, wenn der Frühjahrsputz ansteht oder ein verregneter Sonntagnachmittag zum nostalgischen Durchstöbern der Sammlung einlädt. Auch Sam Dunns Film funktioniert, speziell für die etwas älteren Semester unter uns, wie eine solche musikalische Reise. Der Anthropologe reiste für seine Dokumentation diesmal aber nicht in ferne Länder, sondern begab sich in den westlichen Industrienationen auf Spuren- und Stammessuche.
Die große Stärke des Films ist zugleich das, was ein Journalist eigentlich vermeiden sollte: fehlende Distanz. Obwohl einer gewissen Methodik und wissenschaftlichen Empirie folgend, ist Sam Dunn in erster Linie selbst Fan und verleugnet das den gesamten Film über auch nicht. Natürlich werden bestimmte musikhistorische Standards abgehandelt, die Frage nach der ersten "echten" Metal-Band und dem ersten wirklich stilbildenden Riff darf dabei nicht fehlen.
Und weil Metal eine Musikrichtung ist, die von den eingefleischten Fans intensiv gelebt wird, kann man natürlich sofort trefflich darüber streiten, ob z.B. Iggy Pop und seine Stooges musikalisch gesehen wirklich als Wegbereiter des Metal angesehen werden können. So zumindest legt es der in typischer Karteikarten-Nerd-Manier angelegte Metal-Stammbaum nahe, den Dunn immer wieder mit all seinen illustren Seitenpfaden einblendet.
Seine Interviews mit bekannten Szenemusikern sind der rote Faden des Films, an ihm aufgereiht handelt er Themen wie Frauen im Metal, Satanismus oder Tod und Gewalt ab. In nur 94 Minuten sind mehrere Jahrzehnte Musikgeschichte aber nicht zu erzählen, so daß die Dokumentation von einer Betrachtung verschiedener Aspekte des Metal am Ende zu einer ganz persönlichen Geschichte wird.
Dem Image von Metal als kontroverser Musik entsprechend, lassen manche die Möglichkeit nicht ungenutzt, sich vor Sam Dunns Kamera richtig zum Horst zu machen. Da sehen wir Mayhem-Bassist Necrobutcher beim (gescheiterten) Interview wiederholt einfach nur "Fuck you!" blöken, während ein unangenehm peinlicher Black-Metal-Eliteheinz namens "Gaahl" von Gorgoroth seinem hirnverbrannten Sozialdarwinismus-Geschwafel so etwas wie intellektuellen Anspruch zu verleihen sucht, indem er nicht das obligatorische Bier, sondern Rotwein (hoho, Avantgarde!) süffelt.
Intelligenter werden Aussagen "Wir stehen für das Überleben des Stärkeren" oder "Wir müssen alle Spuren auslöschen, die das Christentum und seine semitischen Wurzeln dieser Welt zu bieten haben" dadurch aber nicht. Da mag sich Gaahl im aktuellen Rock-Hard-Interview (Januar-Ausgabe 2008) noch so sehr als eigentlich braver Elite-Schwarzmetaller geben, der ja nur individuelle Stärke und Vollkommenheit verwirklichen will. Doch sein Weltbild wirkt zumindest in METAL – A HEADBANGER’S JOURNEY etwas radikaler gestrickt als es anfangs den Anschein hat. Das Anzünden von Kirchen wird ohne jeden Vorbehalt unterstützt, es hätte sogar noch viel öfter geschehen sollen...
Der Abschnitt über Norwegen und seinen Black Metal brachte Sam Dunn einiges an Kritik ein. Zum einen wurde ihm vorgeworfen, den dort erzählten Quark allzu kritiklos hingenommen zu haben, andere bemängelten, daß die norwegische Szene im Film nur auf ihre gewalttätige Vergangenheit reduziert worden sei und die Musik ins Hintertreffen geriet. Daher gibt es bei den DVD-Extras neben Outtakes (in denen wir erfahren, daß Ronnie James Dio Froschfiguren sammelt) und zusätzlichen Interview-Clips auch einen zweiten, längeren Beitrag über den norwegischen Black Metal (zu dem laut Stammbaum auch die Engländer Cradle of Filth zählen, aber darüber wollen wir mal gnädig hinwegsehen...)
Hier verliert der Doku-Stil merklich die Fanboy-Sichtweise des Hauptfilms, auch Geistliche und Uni-Wissenschaftler kommen zu Wort. Exakt diese Vertreter gesellschaftlicher Milieus, denen man eher eine eindeutige Verurteilung des Black Metal zutrauen würde, äußern sich dann aber in differenzierter, intelligenter Weise. Im Gegenschnitt dazu wirkt der pseudo-tiefschürfende Dunst, den Musiker von Kapellen wie Hades Almighty oder den erwähnten Gorgoroth ihrerseits absondern, bemerkenswert unreflektiert. Ganz so, als habe zwischen Teenagertagen und jetziger Mittdreißigerphase kaum mehr als die Entwicklung vom Dosenbier zum vermeintlich angemesseneren Rotwein stattgefunden. Oder die Kameraden glauben, noch immer einem bestimmten Image gerecht werden zu müssen.
Kann man mit Sam Dunns Film dennoch Metal-Gegner davon überzeugen, daß diese Musikrichtung kein stumpfer Lärm ohne jeden Wert, mit einer Menge an negativem und zerstörerischem Potential ist? Als Jugendliche dürften etliche, wenn es im Elternhaus angesichts bestimmter Plattencover mal wieder etwas Gegenwind gab, von einem solchen missioniarischen Eifer gepackt worden sein. Regisseur und Metal-Fan Sam Dunn jedenfalls trägt ihn nach wie vor in sich und auch wenn er am Ende ganz schön tief in die Pathos-Kiste greift, verfehlen die abschließenden Aufnahmen vom Wacken Open Air, seinem persönlichen Metal-Mekka, ihre Wirkung nicht.
Zeitlupenbilder von schier unüberschaubar vielen, ausgelassenen, headbangenden und crowdsurfenden Fans, unterlegt mit Metallicas "Master of Puppets" (obwohl Metallica noch nie in Wacken gespielt haben), zeigen, daß es weiß Gott eine Menge schlechtere Möglichkeiten gibt, seine Jugendzeit zu überstehen und etwas aus ihr in die Erwachsenenwelt mitzunehmen. Ohne Heavy Metal hätten wir vielleicht akustische Grausamkeiten wie Milli Vanilli gehört und das ZWNN wäre wohl niemals entstanden. Nein, dann schon lieber hin und wieder einen nostalgisch gefärbten Blick in die Plattenkiste werfen und sich wundern, wofür man seinerzeit so alles Geld ausgegeben hat. Und die Interviews mit sympathischen Herrschaften wie Ronnie James Dio, Lemmy oder Tom Morello sind ja wirklich nett anzuschauen.
Stefan - 1/2008
(im Hintergrund lief: Slayer – Seasons in the Abyss & Iron Maiden – Live
in New York 1982)
P.S.:
"Wir stehen nicht für Sozialismus und Demokratie, sondern für das Individuum und das Überleben des Stärkeren." (Gaahl von Gorgoroth in METAL – A HEADBANGER’S JOURNEY)
Liebe Metal-Journalisten: Wenn Ihr wieder mal ein Interview mit diesem geistigen Tiefflieger führt, könntet Ihr dann bitte nachfragen, ob das Überleben des Stärkeren (und damit das folgerichtige Ausmerzen des Schwachen) auch für jenen Fall gilt, wenn die Frau/Freundin dieses Elitemetallers in der Zukunft einmal ein körperlich oder geistig behindertes Kind zur Welt bringen sollte?
Oder sollten wir uns damit abfinden, daß man solchen Charakter-Windbeuteln auch bei "schonungslosen" Interviews immer wieder derartigen Mist (wie eben zitiert) durchgehen läßt, weil Metal nun einmal extrem ist, wodurch vielleicht einfach nur erzreaktionärer Dreck im Stil des Nazi-Sozialdarwinismus haarscharf gerade noch die Kurve kratzend zu "kontroverser Misanthropie" umgedeutet wird?
Man stelle sich vor, da säße kein langhaariger Metal-Musiker beim Interview, der (wie im Film und auf DVD festgehalten) davon schwafelt, daß in Norwegen eigentlich viel zu wenige Kirchen gebrannt hätten, sondern ein kahlgeschorener Neonazi, der sich über zu selten abgefackelte Asylantenheime beklagt. Ja, die Toleranz geht bisweilen schon seltsame und sehr weite Wege, wenn statt Glatze und Springerstiefel Langhaarmatte und Lederjacke getragen werden...
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Kurz nach Weihnachten hatte mir der Gnadiator diese DVD (zusammen mit einem
ZOSH-T-Shirt) zugeschickt, mit der Aufforderung, mir diese unbedingt anzuschauen
und ihm meine Meinung dazu mitzuteilen.
Bald darauf traf ich mich mit Stefan in der Kneipe (zum ersten Mal rauchfrei),
wo wir über den Film, den Stefan schon kannte, sprachen. Das Ergebnis seht
ihr oben, denn Stefan ist mir mit seiner Besprechung zuvor gekommen und hat
damit vieles aus meiner Besprechung vorweg genommen.
Sam
Dunn verfolgt mit seinem Film einen ähnlichen Ansatz wie Bettina Roccor
mit ihrer Doktorarbeit in Volkskunde, die 1998 unter dem Titel "Heavy Metal.
Kunst. Kommerz. Ketzerei" auch in Buchform veröffentlicht wurde, also
ein Herangehen an ein Thema aus der Fansicht, aber mit einem wissenschaflichen
Background. Folgerichtig kommt deshalb Deena Weinstein, Professorin für
Soziologie, die 1991 mit "Heavy Metal - A Cultural Sociology" eine
der ersten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema verfaßt hat, in seiner
Dokumentation öfter zu Wort.
"A Headbangers Journey" steht damit in einer Reihe von Filmen, die
sich mit vermeintlich minderwertiger Populärkultur auseinandersetzen und
versuchen, diese in einem gesamtkulturellen Kontext darzustellen. Genannt seien
hier "Midnight Movies" über die amerikanischen Undergroundfilme
der 70er Jahre und "The American Nightmare", der Romero, Carpenter,
Cronenberg, Savini und andere kompetent zu den Splatter-Filmen der 70er und
80er zu Wort kommen läßt.
Ich vermute, Gnadiator hatte auch einen missionarischen Hintergedanken, als
er die DVD zur Post brachte bzw. sollte sie wohl ein Versuch sein, einen Abtrünnigen
wieder zum wahren Glauben zurück zu leiten. Aber ich glaube, es ist zu
spät - ich werde ewig in der Hölle brennen, aber nicht in der von
Venom ("Welcome To Hell") oder der von Slayer ("Hell Awaits").
Ich kaufe mir seit Jahren keine neuen Metal-Platten mehr, selten ein paar alte
Klassiker oder die CD einer abgenutzten Vinyl-Scheibe. Es ist nicht so, daß
ich meine alten Platten und CDs bei ebay oder verschämt auf dem Flohmarkt
verscherbelt hätte, sie stehen alle noch im Regal. Vor ca. 15 Jahren noch
war dieses noch in eine Metal-Abteilung und eine für "Anderes"
eingeteilt. Heute ist sie nur noch grob alphabetisch sortiert und Détente
stehen neben Nick Drake und auf die Levellers folgen Metallica und der Soundtrack
zu "Mulholland Drive". Psychologisch gesehen, könnte man sagen,
daß ich meine Metal-Vergangenheit integriert habe.
Der Hauptgrund, warum ich nie in dieser Szene heimisch wurde, liegt wohl an
meiner grundsätzlichen Abneigung gegen "Männerbünde"
und Bewegungen, die in ihrer Musik eine "Lebenseinstellung" verkörpert
wissen wollen. Und in der Erkenntnis, daß es so viel interessante Musik
zu entdecken gibt, daß eine hauptsächliche Beschäftigung mit
Metal schlicht Verschwendung von Lebenszeit wäre. Mein Musikgeschmack ist
mittlerweile sehr eklektizistisch, und manchmal landet über Umwege doch
mal wieder was aus der Metal-Schublade (oder was immer dieses Etikett im weitesten
Sinne verpaßt bekommt) in den heimischen vier Wänden, wie gerade
z. B. "Down Below It's Chaos" von den unter dem Label "Post-Rock"
firmierenden KINSKI aus Seattle. Darum beißt es sich auch nicht, wenn
ich Wochen und Monate zusammen mit Klaus damit verbracht habe, eine History
über eine Band zu schreiben, deren Muttersprache ich nicht verstehe,
und in die Deutschland praktisch nicht mehr bekannt ist, während sie in
ihrem Heimatland Frankreich immer noch große Hallen zu füllen in
der Lage ist.
Doch nun noch ein paar Worte zu DVD:
Einen großen Teil des Films, wenn man den Norwegen-Teil dazu zählt,
nimmt das Thema "Metal und Satanismus" ein. Ich dachte ja immer, das
wäre gegessen, weil ohne Substanz. Und es stellte sich heraus: Ist tatsächlich
so. Mag sein, daß es unter Metal- bzw. Black-Metal-Bands im Speziellen
"echte" Satanisten gibt, die sich in ein philosophisches Gedankenkonstrukt
als Religionsersatz verstiegen haben. Die restlichen "Satanisten"
geben primitive Anti-Christen-Phrasen von sich und erzählen die Story vom
"nordischen Erbe" und germanischen Göttersagen, so als ob irgendwo
in Europa jemand zum Christentum oder überhaupt zu einem Glauben an Gott
gezwungen würde. Leider gibt sich das bei einigen nicht nach dem 17. Lebensjahr
und nimmt teilweise derart paranoide Züge an, daß völlig sinnlos
Kirchen abgefackelt werden. Wenn's die Musik nicht gäbe, würden solche
Leute ihre Persönlichkeitsstörung auf andere Art und Weise ausleben.
Das beste Statement zum Thema liefert dann doch Tom Araya, der sich selbst als
Katholik bezeichnet, ab, als er den Albumtitel "God Hates Us All"
erklärt: "Er hasst nicht. Gott hasst niemanden. Das ist bloß
ein geiler Titel. Ich wollte das als Albumtitel haben und dachte: Scheiße
ist der gut! Der wird viele Leute ankotzen".
"Metal - A Headbanger's Journey" wird Metal-Hasser sicher nicht dazu
bewegen, sich in den Backkatalog von Cannibal Corpse einzuarbeiten. Für
manche Fans mag ein eher wissenschaftlicher/soziologischer Blick auf "ihre"
Musik jedoch sehr aufschlußreich sein. Tolerante Zeitgenossen sollten
zumindest mal einen Blick in in DVD werfen, denn Metal ist sicher nicht die
"revolutionäre Musikbewegung", von der das Cover spricht, aber
ein wichtiger, wenn auch lange nicht von der breiten Masse wahrgenommener, Bestandteil
der letzten 40 Jahre populärer Musik und hat vieles von dem was heute im
Radio läuft, maßgeblich mitbeeinflußt.
Mir hat die DVD viel Spaß bereitet!
- Martin - 02/08
Im Hintergrund lief: www.kcrw.com - Music - "Morning Becomes Eclectic"