Auf
der Suche nach musikalischer Dunkelheit und dem Morbiden wird es den
rastlosen Adepten früher oder später nach Wien verschlagen. Doch was
ist dran an den gängigen Klischees über Österreich im Allgemeinen und
die (Haupt)Stadt im Speziellen? Mit seinen dunkelgrauen Liedern fand
der Wiener Sänger und Schauspieler Ludwig Hirsch (1946-2011) ganz
eigene Antworten auf das Abgründige.
2006 hatte ich
die Gelegenheit, mit dem Liedermacher einen Kaffee zu trinken. Sein
Album „Im Ewigkeit Damen“ war gerade frisch erschienen, der damals
60-Jährige legte auf seiner Promo-Tournee einen Zwischenstopp in
Nürnberg ein. Wir sprachen über Erfolg, Handküsse und die Stadt Wien.
Herr
Hirsch – schön, Sie zu treffen! Ich schleppe seit Jahren eine Frage mit
mir herum, bei der ich hoffe, dass Sie mir die endlich beantworten
können. Woran liegt es, dass so viele österreichische Musiker dieses
latent-morbide Element in ihrer Musik haben? Das zieht sich ja quer
durch alle Genres, vom unvergessenen Georg Kreisler („Schatz, ich hab’
eine Idee: Geh’n mer Taubenvergiften im Park!“) und Krawall-Anarchos
wie Drahdiwaberl über das nur scheinbar harmlose Musikkabarett der
Ersten Allgemeinen Verunsicherung hin zu Extrem-Metallern wie Pungent
Stench. Wie kommt’s?
Ludwig Hirsch: Ich glaube, das liegt
an der Stadt Wien. Wir Wiener lieben es, uns selber leid zu tun, uns
selber auf die Zehen zu steigen, uns selber zu beweinen. Wir lieben es,
mit dem Tod zu flirten! Wenn er dann wirklich auftaucht, laufen eh alle
davon, nicht wahr? Ich glaube, das liegt daran, dass diese Stadt mal
eine Riesenmetropole für ein Weltreich war. Und irgendwann sind die
Grenzen geschrumpft. Ein paar Kilometer hinter Wien kommt gleich die
Grenze zu Tschechien, und ich glaube, das haben die Wiener nie
verkraftet: Dass sie plötzlich unwichtig wurden mit ihrer Stadt und
ihrer Riesenmetropole. Deswegen tun sie sich selber so gerne leid, und
da zähle ich mich auch dazu.
Das ist doch aber eigentlich ein typisch deutscher Volkssport: jammern und sich selber leid tun ...
Hirsch: Naaa, des is’ scho sehr wienerisch.
Leben Sie immer noch in Wien?
Hirsch: Ja.
Inzwischen gerne?
Hirsch: Ich habe mich verändert, die Stadt hat sich verändert. Wir haben uns versöhnt – kein Problem.
Ihre neue Scheibe heißt „In Ewigkeit Damen“ – ein Konzeptalbum?
Hirsch: Eigentlich ja. Es geht um
die weiblichen Wesen. Ich verteile Handküsse. Ich finde, ich bin jetzt
langsam in dem Alter, wo ich es mir leisten kann, vor den vielen Damen,
die mir im Leben begegnet sind, ein bissl den Hut zu ziehen und ihnen
Handküsse zu schicken. Zärtliche, liebevolle, manchmal auch giftige und
bissige. Manchmal küsst man nicht die Hand, manchmal beißt man auch
hinein. Das wollte ich mit diesem Album.
Ist das nicht ein wenig spät – Stichwort „verpasste Chancen“?
Hirsch: Nein, das ist genau richtig
jetzt. Hätte ich es mit 30 gemacht, hätten wieder alle gesagt „der
Hirsch ist schon wieder brünftig, es geht ihm nur um die Weiber“
(lacht). Jetzt habe ich das richtige Alter, wo ich mir das mit schönem
Abstand leisten kann.
Kann es sein, dass Ludwig Hirsch im gleichen Atemzug textlich ein wenig altersmilde geworden ist?
Hirsch: Naja, das hängt natürlich
mit dem Grundthema zusammen. Da schlage ich nicht so um mich, da wird
nicht so dunkelgrau herumgemotzt. Ich würde sagen, es ist so rosarot
mit schwarzen Tupfern, dieses Album. Aber es wird sicher wieder ein
Album kommen, das richtig dunkelgrau ist – auf diesen Ton stehe ich
nach wie vor. Dunkelgrau ist für mich die Mischung aus der schönen
blauen Donau und dem schwarzen Wiener Humor, und damit fühle ich mich
sehr wohl.
Sie können sich glücklich schätzen, Sie haben zwei Musen: Eine dunkelgraue und eine hellblaue.
Hirsch: Ja. Hellblau kann man zum
Beispiel oft auf dem neuen Album hören, da gibt es wirklich himmelblaue
Geschichten: Kleine Liebeslieder, die ich sogar bis in den Himmel
hinauf schicke, zu einer gewissen Elisabeth. Naja, und dunkelgrau ist
natürlich auch dabei – „die scharfe Marie“. Da stellt sich jeder die
Frage: „Wer ist die scharfe Marie“? Und dann stellt sich heraus, das
ist eine Pumpgun – eine Waffe (lacht).
Die bizarrsten Gesichten schreibt nach wie vor das Leben selbst ...
Hirsch: Klar, die absurden und
verrückten Geschichten passieren nach wie vor. Man muss nur hellhörig
sein. Ich gehe immer mit gespitzten Ohren und offenen Augen durch die
Welt und beobachte eben solche Sachen. Und speichere das dann.
Wie würden Sie ihre Musik jemandem beschreiben, der noch nie eine Platte von Ihnen gehört hat?
Hirsch: Hinsetzen, zuhören, träumen, staunen. Lächeln und bereit sein. Manchmal Gänsehaut zu spüren.
Ist es Absicht,
dass die Gesangslinie von „Rebekka und ich“, dem Eröffnungsstück Ihrer
neuen Scheibe, ihren Klassiker „I lieg am Ruckn“ zitiert?
Hirsch: Nicht nur den „Ruckn“, auch
den „alten Wolf“ und den „schwarzen Vogel“. Aber das habe ich meiner
Gastsängerin, der Rebekka Bakken, überlassen. Ich habe gesagt „Such Dir
aus, was Du davon ins Norwegische übersetzt“ … und sie hat diese drei
Nummern gewählt.
Irgendwie geht es bei Ihnen doch immer wieder zurück zu den „Dunkelgrauen Liedern“ – so der Titel ihres Debütalbums von 1978 ...
Hirsch: Naja, ich habe die Farbe
irgendwie nie verloren. Wien ist dunkelgrau ... und ich erfinde gerne
Geschichten. Eines ist ganz wichtig: Ich habe immer vermieden, meine
eigenen Probleme auf den Tisch zu legen, das hat mich nie interessiert.
Vielleicht liegt das daran, dass ich aus der Schauspielerei komme. Mich
hat immer interessiert, in fremde Situationen, fremde Figuren, fremde
Kostüme reinzuschlüpfen. Und das habe ich auch mit meinen Liedern und
Geschichten gemacht, gell?
Wie viel ist dann wahr und wie viel erfunden?
Hirsch: Es ist sehr sehr viel erfunden. Auch auf dem neuen Album: Viele der Damen gibt es gar nicht, sie sind reine Erfindungen.
Zumindest die besagte „Elisabeth“ gab es aber wirklich …
Hirsch: Ja. Das war ein ganz
zauberhaftes junges Mädchen, auch Journalistin. Die habe ich
kennengelernt, wir haben Interviews gemacht und uns dann auch manchmal
privat ein bissl getroffen, Kaffee getrunken und so weiter. Wie ein
kleines Töchterchen war sie für mich. Wir haben uns dann aus den Augen
verloren, und nach ein paar Jahren kam mal eine ältere Dame auf mich zu
und fragte mich „Können Sie sich an die Elisabeth erinnern?“ – „Ja,
natürlich“, antwortete ich, „wie geht es ihr?“ Sie war ihre Mutter und
erzählte mir, dass die Elisabeth gestorben sei. Das hat mich ziemlich
getroffen damals, deshalb habe ich ihr ein kleines himmelblaues
Liebeslied hinauf in den Himmel geschickt. Dieser Titel ist für mich
der wichtigste auf dem Album.
War es von
Nachteil, dass gleich Ihr allererstes Album, die vielzitierten
„Dunkelgrauen Lieder“, 1978 ein Riesenerfolg wurde? Sowas hängt einem
dann ja doch ein Leben lang nach ...
Hirsch: Natürlich, man ist dann in
dieser dunkelgrauen Schachtel drin. Und mein Gott, ich habe natürlich
versucht, andere Farben auf den Tisch zu legen, aber es hilft nix.
Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Natürlich ist klar, dass
sich solche Erfolge nicht mehr einstellen. Wichtig ist nur, dass man
überlebt, halbwegs gescheit. Auch nachher noch. Glücklicherweise läuft
es für mich nach wie vor sehr gut.
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an diese Platte zurückdenken?
Hirsch: Die Platte war damals eine
Reaktion auf die Stadt Wien. Ich habe Theater gespielt in Deutschland
und kam über die Stationen Regensburg, Wuppertal und Hamburg nach Wien
ans Theater in der Josefstadt. Und das war eine schreckliche Zeit in
den ersten Jahren dort. Also habe ich ein Ventil gesucht, musste noch
dunkler, noch grauer, noch fieser reagieren, als diese Stadt auf mich
wirkte. So sind diese dunkelgrauen Lieder entstanden. Wir hätten ja nie
gedacht, dass das außerhalb von Wien jemals jemand hören wird ...
Viele
österreichische Barden, die schon länger im Geschäft sind, schwärmen
von der Aufbruchszeit in den späten 70er Jahren, als in der freien
Szene in Wien eine ganze Menge passierte. Ist das so ein kleiner
AustroPop-Mythos oder ist da wirklich was dran?
Hirsch: Da hat sich schon was getan
damals. Wir waren junge Leute, die sich kräftig gegen diesen
Zentralfriedhofsmief gewehrt haben, der über der Stadt lag - gegen
diesen Altweiber-Vorstadtfaschismus. Und da haben wir auch einiges
erreicht, der Falco, der Wolfgang Ambros, die EAV: Wir haben einige
Lawinen ins Rollen gebracht, und das war auch gut so. (lacht)
Gibt es Unterschiede zwischen dem österreichischen oder dem deutschen Publikum?
Hirsch: Überhaupt nicht. Es ist
völlig wurscht, ob man in Hamburg, Zürich oder Wien spielt – die
Reaktionen sind überall gleich. Wirklich. Wenn ich will, dass die Leute
lachen, lachen sie, und wenn ich will, dass es im Saal so leise ist,
dass man eine Stecknadel fallen hört, dann sorge ich dafür. Das
funktioniert überall gleich.
Haben Sie inzwischen eigentlich einen Führerschein?
Hirsch: Nein. Bin schon zu alt, glaube ich.
Wer ist die Katze auf dem Cover der neuen CD?
Hirsch: Das ist Schnuppi, meine
Katze. Die zauberhafteste Dame, die man sich vorstellen kann. Deshalb
ist sie auch auf dem Cover drauf.
Die neue CD ist wieder supergut produziert. Sehr luftig – klingt einfach gut. Was ist da das Geheimnis?
Hirsch: Ich bin ein treuer Mensch.
Ich bin seit Ewigkeiten bei der gleichen Plattenfirma, beim gleichen
Management und arbeite seit Jahren schon immer mit den gleichen
Produzenten und Arrangeuren. Und die kennen und verstehen mich. Wenn
ich zuhause auf meiner Gitarre rumklimper und meine Lieder auf einem
Kassettenrecorder aufnehme, dann wissen die genau, was ich meine. Diese
langjährige Zusammenarbeit, ich glaube, das ist ganz wichtig. Deswegen
funktioniert es nach wie vor.
30 Jahre Ludwig Hirsch – was bleibt da an Wünschen, Träumen und Hoffnungen übrig? Sie haben sehr viel erreicht ...
Hirsch: Naja, ich sage immer, ich
habe zwei große Türen in meinem Leben aufgemacht: Das eine war die
Schauspielerei, das andere die Musik. Und irgendwie spekuliere ich mit
einer dritten Tür. Manchmal habe ich ein bisschen Sehnsucht, denke mir:
weg von der Front, raus aus dem Rampenlicht ... eher hinten sein und
andere rausschicken. Ich schreibe wahnsinnig gerne – warum nicht mal
Richtung Theater oder ein Drehbuch? Das wäre die dritte Tür, die ich
gerne noch mal aufmachen würde.
Stellen Sie sich
vor, Sie feiern eine Gartenparty und haben drei Bands frei, die für Sie
und Ihre Freundinnen und Freunde aufspielen. Der Clou: Leichen
willkommen. Bands, die es nicht mehr gibt und Musiker, die schon tot
sind, dürfen für diesen Nachmittag zurückkommen. Wer spielt auf Ludwig
Hirschs Gartenparty?
Hirsch: Dürfen es auch mehr als drei sein?
Nope.
Hirsch: Dann Leute, die ihre Epochen geprägt haben: Elvis Presley, die Beatles und Michael Jackson.
INTERVIEW: - Stefan G - 2006