Zur Rubrik "Musikmacher"
Kommentieren
Zur Hauptseite
Zur Hauptseite
Worum's geht...
Hören
Bewegte Bilder
Lesen
Anderes





[1] [2] [3] [4] [5]

State of Euphoria revisited

Ja, was ist dran am Mythos Trust? Und warum machen gut ein Vierteljahrhundert nach der Hoch-Zeit von Trust zwei Gestalten, deren musikalische Schnittmenge nicht übermäßig groß ist (ich sag‘ nur: Led Zep...) daran, einen längeren Text über eben jene Band zu verfassen, die auch beim Rest der "Redaktion" des Fanzines, das von einer kleinen Gruppe von Menschen, die sich im Internet verirrt hat, gelesen wird, entweder Schulterzucken oder Unverständnis hervorruft? Kürzlich habe ich das 1992 erschienene 80er-Live-Album einem Arbeitskollegen ausgeliehen, der als feierabendlicher DJ einen relativ breiten Musikgeschmack hat. Nach zwei Tagen bekam ich es mit den Worten "Na ja, AC/DC sind besser..." wieder über den Tisch geschoben. Trust waren große AC/DC-Fans, und eine gewisse musikalische Ähnlichkeit ist natürlich vorhanden, lag’s also vielleicht an den nicht verstandenen französischen Texten?
Ich verstehe bis heute praktisch kein Französisch, außer vielleicht wenn ich's lese. Trotzdem habe ich so Anfang 1993 mein erstes Trust-Album gekauft, gut 10 Jahre, nachdem Klaus mit französischem Hard-Rock in Frankreich unangenehm auffiel. Das Rock Hard bildete damals ziemlich gut meinen Musikgeschmack ab, und die Plattenkritiken waren auch noch zuverlässige Ratgeber, um das Schüler-BAFöG bzw. den Zivildienstsold zu verprassen. Im Januar ’93 war Live unter den 10 besten Alben des Monats (neben White Trash, Two Heebs And A Bean von NOFX, das ich mir dann übrigens auch gekauft habe, weil vom Bad Religion-Label Epitaph). Trust kannte ich bis dahin von Cover-Versionen von Anthrax, der Band, die wohl wie keine andere dafür sorgte, daß Trust außerhalb Frankreichs nicht vergessen oder überhaupt erst bekannt wurde, vor allem durch Antisocial auf dem 88er-Album State Of Euphoria, auf dessen Inner-Sleeve Drummer Charlie Benante auch mit Trust-T-Shirt zu sehen ist. Auf der Penikufesin-EP wurde mit Sects ein weiterer Song des Répression-Albums gecovert – beide Songs natürlich in der version anglaise. 1991 veröffentlichten Anthrax mit Attack Of The Killer B’s ein eher überflüssiges Album, aber dafür war Sects nochmal drauf (da Penikufesin nur in Europa und Japan rauskam) und in den liner notes wurden die amerikanischen Fans erneut auf die komische Band aus Frankreich hingewiesen: "Trust wrote some great songs. Antisocial is one of the all time anthems ever. It’s a shame that this band didn’t get the exposure in the U. S. that other bands got in the early 80‘s. They were real life. No Dungeons and Dragons Fantasy lyrics from this band. The wrote from the heart. Hardcore. Check out ‚Repression‘". Das dürfte Klaus aus der Seele gesprochen sein, auch wenn ich wette, daß er Anthrax haßt [Würde ich nicht unbedingt sagen; ich kann zwar mit der stilistischen Ausrichtung der Band bzw. deren Art von Songwriting nicht allzuviel anfangen – auch wenn ich zugeben muß, daß Madhouse wirklich was hat -, aber das ist lediglich Geschmackssache und somit kein Grund sie zu hassenKlaus]... Für die, dies (nicht mehr...) wissen: Anthrax gehörten mit ihren ersten drei, vier Alben neben Metallica, Slayer und Megadeth zu den Thrash-Metal-Größen in den 80ern, wobei die Band immer ihre Bindung an die NY-Hardcore-Szene hervor hob (wurde von den HC-Leuten oft anders gesehen).
Wohl nur deshalb habe ich die Trust-Besprechung im RH nicht gleich gedanklich in der Schublade "Metal/Hard-Rock aus Frankreich, das wird schon sowas sein..." abgelegt.

In der Februar-Ausgabe war dann ein Interview mit Bernie Bonvoisin zu lesen, das diesen als eine äußerst sympathischen und auch heute noch glaubwürdigen Zeitgenossen qualifizierte. Die Aktualität des 1980 entstanden Songs Fatalité, die Bernie im Interview anspracht, bestätigte sich Ende 2005 erneut, als in Pariser Vorstädten Autos brannten und bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten.
Die beschriebene Mischung aus Rock’n’Roll, Metal, Punk und linker Politik führte dann zum Kauf des erwähnten Live-Albums.
Von reinem Hard- oder Blues-Rock hatte ich noch nie viel gehalten, war mir entweder zu macho-mäßig oder zu wenig katharsisfördernd (ich vereinfache das jetzt natürlich, sicher gibt es Ausnahmen, aber mir fehlt die Motivation, mich damit näher auseinander zu setzen). Trust ergänzten den Blues-Rock von AC/DC mit intelligenten Texten (die sich mir hauptsächlich aus den englischen Fassungen erschlossen) und einer Aggression im Gesang, die durch die französische Sprache perfekt ergänzt wird. Vielleicht schlägt da auch die Freude unserer westlichen Nachbarn am oft opernhaften Inszenieren von Demonstrationen, Streiks oder, wenn in letzter Zeit auch nicht mehr so häufig, Revolutionen durch, etwas, was ja nicht so der Deutschen Ding ist, Mauerfall hin oder her.
In der Folgezeit konnte ich mir einige der Alben von Trust relativ günstig besorgen, denn Anfang der 90er waren sie regulär im Plattenladen zu finden, einschließlich der englischen Fassungen, heute tauchen sie hin und wieder bei ebay oder bei amazon auf.
Losgelassen haben mich Trust seitdem nicht mehr. Erstes geschriebenes Zeugnis war ein längerer Artikel im Nonkonform #3 Ende 1995, bald darauf beschlossen Trust nach einer längeren Pause, die man als Auflösung interpretieren konnte, es noch einmal zu versuchen – ich maße mir nicht an, darin einen ursächlichen Zusammenhang zu sehen.
Es gibt nur wenige Bands, deren Musik mich über so einen langen Zeitraum begleitet hat, spontan fallen mir noch Joy Division oder New Model Army ein. Anfang 2005 erwachte, durch eine e-mail von Klaus, glaube ich, erneut des Interesse an der Band, und ich brachte meine Trust-Sammlung mit Hilfe unseres Lesers Hansjörg aus Reutlingen und von Klaus auf einen aktuelleren Stand. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, daß die Band noch so frisch wie früher klingen würde, aber das 2000er Live-Album Still A-Live verursachte immer noch Gänsehäute. Es war dann jedoch das letzte Werk von Trust. Endgültig, heißt es. [Ende 2006 mußte diese Aussage revidiert werden].
Es gibt nicht viel zu Trust im Internet zu lesen, zumindest nicht auf Deutsch. Und so beschlossen Klaus und ich, der Band unser ganz persönliches Denkmal zu setzen. Es war ein langer Weg. Aber wenn diese Zeilen im Netz zu lesen sind, wurde er zu Ende gegangen.

- Martin -

Bildnachweis: (1) Charlie Benante auf dem "State Of Euphoria"-Innersleeve (1988), (2) Anthrax auf dem "Paris By Night"-Live-Album (1988) von Trust