Einen warmen Sonntagabend im Juni nutzte ich, um den Ort, auf dem das bislang größte Open-Air-Konzert in Deutschland, so heißt es, am 26. und 27. Juli 1986, wenige Monate nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl, stattgefunden hat.
21 Künstler und Gruppen traten auf den Lanzenanger in Burglengenfeld auf, um mit 100.000 Besuchern gegen der Bau der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für verbrauchte Brennelemte von Atomkraftwerken in nahegelegenen Wackersdorf zu protestieren. BAP waren dabei, Wolfgang Ambros, Grönemeyer, die Biermösl Blosn, die Toten Hosen, Udo Lindenberg, Rio Reiser und viele andere.
Ich war damals zu jung und nicht politisiert und bekam nur am Rande mit, was damals am Bauzaun abging. Polizisten gingen mit Wasserwerfern und Knüppeln auf Protestierende los, die zu nicht zu geringen Teil aus den umliegenden Städten und Gemeinden kamen. Die Proteste zogen natürlich auch Demonstrierende aus ganz Westdeutschland an, und es ließ sich nicht vermeiden, dass auch gewalttätige Chaoten dabei waren.
Dass das Open-Air überhaupt zustande kam, war dem Engagement Vieler zu verdanken, von Musikerseite maßgeblich BAP, aus der Bevölkerung halfen am Schluss 1300 freiwillige Helfer mit, als nach einem langen Rechtsstreit mit der Regierung der Oberpfalz endlich mit dem Aufbau begonnen werden konnte.
Als es begann, war der Andrang und die Polizeikontrollen so groß, dass Rio Reiser auf der Autobahn im Stau ausstieg und die letzten Kilometer zu Fuß zum Veranstaltungsort ging. Dies kann man in einer sehr interessanten Dokumentation aus dem Jahr 2006 nachlesen.
2018 wurde die Geschichte des Widerstands gegen die WAA mit dem Schwerpunkt auf der Person des amtierenden SPD-Landrats Hans Schuirer verfilmt, dem man damit noch zu Lebzeiten ein würdiges Denkmal setzte:
1989 wurde nach acht Jahren Kampf der Bau an der WAA eingestellt. Man weiß nicht, wieviel Anteil der Protest der Bevölkerung tatsächlich hatte oder der Tod von Franz Josef Strauß am 3. Oktober 1988. Letztlich lag es, lapidar gesagt, daran, dass die Franzosen das Teil bei sich zuhause billiger hinstellen konnten.
Die Risse durch die Bevölkerung, durch Familien und Freundschaften waren noch Jahrzehnte danach zu spüren.
Irgendwie habe ich in letzter Zeit eine Zuneigung zu bayerischen Kleinstädten bei mir entdeckt, vielleicht auch, weil man hier manchmal Stellen findet, wo die Zeit seit mindestens 1990 stehengeblieben zu sein scheint.
Wenn man heute den Weg von der Burglengenfelder Altstadt zum Lanzenanger geht, kommt man an alten Bierkellern vorbei, die teils vor sich hin verfallen, teils hausgroß sind und auch noch genutzt werden. Vor dem Feldweg, der zum ehemaligen Festivalgelände führt, steht ein Gedenkstein, der an den Widerstand gegen die WAA und an das Festival erinnert. Die Spaltung der Gesellschaft, die die WAA in den Orten rund um das Baugelände verursachte, wird durch die Spaltung des Steins durch unterschiedlich hohe Metallstäbe verdeutlicht.
Auf dem Gelände ist heute eine große Wiese, es wird von Wald und der Naab an zwei Seiten begrenzt. Das Foto wurde etwa von der Stelle aus gemacht, wo sich die Bühne befand („X“ auf dem Foto aus dem Doppelalbum, das später erschien).
In dern 80ern waren „WAA NEIN!“-Graffiti in der Oberpfalz allgegenwärtig, und auf den Autobahnbrücken der A93 die von Norden nach Regensburg an Burglengfeld vorbeiführt, waren sie noch bis in die frühen 2000er häufig zu sehen. Und selbst heute gibt es noch eine Brücke, auf der der Slogan prangt. Ich frage mich, ob er nachträglich angebracht wurde, oder ob er gar von einem Bezirksheimatpfleger betreut und regelmäßig aufgefrischt wird. Die Bayerische Staatsregierung scheint irgendwie ihren Frieden mit dem WAA-Widerstand gefunden zu haben. Im Haus der Bayerischen Geschichte ist ihm heute eine eigene Ausstellung gewidmet, und im Internet gibt es Zeitzeugenberichte.
Martin – 06/2023 –